wie jener. An der afrikanischen Küste des rothen Meers sieht man ihn allerorten in großer Menge. Jn Massaua sitzt er auf den Dächern der Häuser, wie in unsern Städten die Krähen; in den abissinischen Küstendörfern erscheint er morgens in der Nähe der Wohnungen, verweilt hier den ganzen Tag und fliegt erst mit Sonnenuntergang einem seiner bevorzugten Schlafplätze zu.
Man kann ihn, wie ich in meinen Ergebnissen u. s. w. gesagt habe, ein halbes Hausthier nennen. Er ist mindestens ebenso dreist, wie unsere Nebelkrähe, ja beinahe so wie unser Sperling. Unge- scheut läuft er vor der Hausthür auf und nieder, macht sich in unmittelbarer Nähe der Küche zu schaffen und fliegt, wenn er ausruhen will, höchstens auf die Spitze eines der nächsten Bäume. Am Morgen wartet er vor den Hütten der sich entleerenden Menschen und ist sofort bei der Hand, um die verunreinigte Stelle wieder zu säubern. Auf jedem Schlachtplatze ist er ein ständiger Gast; dem Metzger fällt er geradezu lästig.
[Abbildung]
Der Mönchsgeier (Neophron pileatus).
Der Mensch ist unbedingt der hauptsächlichste Ernährer des Vogels, und dieser vergilt ihm reichlich durch seine treuen Dienste. Niemals nimmt der Mönchsgeier Etwas weg, was ihm nicht zukommt, niemals erhebt er ein Küchlein oder ein anderes lebendes, kleines Hausthier: seine Haupt- nahrung besteht in den Abfällen der Küche und des menschlichen Leibes. Manchmal frißt er wochen- lang nur Menschenkoth, und mit diesen Auswurfstoffen füttert er auch seine Jungen auf. Beim Aase erscheint er ebenfalls; doch ist er nur dann fähig, dort zu schmausen, wenn die Fäulniß schon sehr überhand genommen und das harte Fell des Thieres zerstört hat. Am frischen Aase vermag er höchstens ein Auge auszuklauben; die Lederhaut ist für seinen schwachen Schnabel zu stark. Jn den meisten Fällen finden sich jedoch bald seine größeren Familienverwandten ein, die Zerleger der Speise; dann sitzt er wartend und bettelnd neben den großen Herren und späht nach jedem Bissen, welcher im Eifer der Schmauserei von diesen losgerissen und seitab geworfen wird.
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Mönchsgeier.
wie jener. An der afrikaniſchen Küſte des rothen Meers ſieht man ihn allerorten in großer Menge. Jn Maſſaua ſitzt er auf den Dächern der Häuſer, wie in unſern Städten die Krähen; in den abiſſiniſchen Küſtendörfern erſcheint er morgens in der Nähe der Wohnungen, verweilt hier den ganzen Tag und fliegt erſt mit Sonnenuntergang einem ſeiner bevorzugten Schlafplätze zu.
Man kann ihn, wie ich in meinen Ergebniſſen u. ſ. w. geſagt habe, ein halbes Hausthier nennen. Er iſt mindeſtens ebenſo dreiſt, wie unſere Nebelkrähe, ja beinahe ſo wie unſer Sperling. Unge- ſcheut läuft er vor der Hausthür auf und nieder, macht ſich in unmittelbarer Nähe der Küche zu ſchaffen und fliegt, wenn er ausruhen will, höchſtens auf die Spitze eines der nächſten Bäume. Am Morgen wartet er vor den Hütten der ſich entleerenden Menſchen und iſt ſofort bei der Hand, um die verunreinigte Stelle wieder zu ſäubern. Auf jedem Schlachtplatze iſt er ein ſtändiger Gaſt; dem Metzger fällt er geradezu läſtig.
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Der Mönchsgeier (Neophron pileatus).
Der Menſch iſt unbedingt der hauptſächlichſte Ernährer des Vogels, und dieſer vergilt ihm reichlich durch ſeine treuen Dienſte. Niemals nimmt der Mönchsgeier Etwas weg, was ihm nicht zukommt, niemals erhebt er ein Küchlein oder ein anderes lebendes, kleines Hausthier: ſeine Haupt- nahrung beſteht in den Abfällen der Küche und des menſchlichen Leibes. Manchmal frißt er wochen- lang nur Menſchenkoth, und mit dieſen Auswurfſtoffen füttert er auch ſeine Jungen auf. Beim Aaſe erſcheint er ebenfalls; doch iſt er nur dann fähig, dort zu ſchmauſen, wenn die Fäulniß ſchon ſehr überhand genommen und das harte Fell des Thieres zerſtört hat. Am friſchen Aaſe vermag er höchſtens ein Auge auszuklauben; die Lederhaut iſt für ſeinen ſchwachen Schnabel zu ſtark. Jn den meiſten Fällen finden ſich jedoch bald ſeine größeren Familienverwandten ein, die Zerleger der Speiſe; dann ſitzt er wartend und bettelnd neben den großen Herren und ſpäht nach jedem Biſſen, welcher im Eifer der Schmauſerei von dieſen losgeriſſen und ſeitab geworfen wird.
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Mönchsgeier.
wie jener. An der afrikaniſchen Küſte des rothen Meers ſieht man ihn allerorten in großer Menge.
Jn Maſſaua ſitzt er auf den Dächern der Häuſer, wie in unſern Städten die Krähen; in den
abiſſiniſchen Küſtendörfern erſcheint er morgens in der Nähe der Wohnungen, verweilt hier den
ganzen Tag und fliegt erſt mit Sonnenuntergang einem ſeiner bevorzugten Schlafplätze zu.
Man kann ihn, wie ich in meinen Ergebniſſen u. ſ. w. geſagt habe, ein halbes Hausthier nennen.
Er iſt mindeſtens ebenſo dreiſt, wie unſere Nebelkrähe, ja beinahe ſo wie unſer Sperling. Unge-
ſcheut läuft er vor der Hausthür auf und nieder, macht ſich in unmittelbarer Nähe der Küche zu
ſchaffen und fliegt, wenn er ausruhen will, höchſtens auf die Spitze eines der nächſten Bäume. Am
Morgen wartet er vor den Hütten der ſich entleerenden Menſchen und iſt ſofort bei der Hand, um
die verunreinigte Stelle wieder zu ſäubern. Auf jedem Schlachtplatze iſt er ein ſtändiger Gaſt; dem
Metzger fällt er geradezu läſtig.
[Abbildung Der Mönchsgeier (Neophron pileatus).]
Der Menſch iſt unbedingt der hauptſächlichſte Ernährer des Vogels, und dieſer vergilt ihm
reichlich durch ſeine treuen Dienſte. Niemals nimmt der Mönchsgeier Etwas weg, was ihm nicht
zukommt, niemals erhebt er ein Küchlein oder ein anderes lebendes, kleines Hausthier: ſeine Haupt-
nahrung beſteht in den Abfällen der Küche und des menſchlichen Leibes. Manchmal frißt er wochen-
lang nur Menſchenkoth, und mit dieſen Auswurfſtoffen füttert er auch ſeine Jungen auf. Beim
Aaſe erſcheint er ebenfalls; doch iſt er nur dann fähig, dort zu ſchmauſen, wenn die Fäulniß ſchon ſehr
überhand genommen und das harte Fell des Thieres zerſtört hat. Am friſchen Aaſe vermag er
höchſtens ein Auge auszuklauben; die Lederhaut iſt für ſeinen ſchwachen Schnabel zu ſtark. Jn den
meiſten Fällen finden ſich jedoch bald ſeine größeren Familienverwandten ein, die Zerleger der Speiſe;
dann ſitzt er wartend und bettelnd neben den großen Herren und ſpäht nach jedem Biſſen, welcher im
Eifer der Schmauſerei von dieſen losgeriſſen und ſeitab geworfen wird.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/613>, abgerufen am 22.11.2024.
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