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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Allgemeines.
verzehren, unzweifelhaft heilige Wesen, welche über seine Verfolgung erhaben sind. Der Jnner-
afrikaner läßt sie einfach gewähren, obwohl er sie keineswegs von jedem Verdacht an irgend welchen
Uebelthaten freispricht. Unkundige Nachschreiber des Geschwätzes einfältiger Reisenden bemächtigen
sich ihrer zu Gunsten ihrer werthlosen Stilübungen*); wie sich die Quacksalberei ihrer Eingeweide
bemächtigt hat, um eine ihrer Wunderkuren zu ermöglichen.

Alle Geier sind leicht in der Gefangenschaft zu erhalten. Sie sind harte Vögel, welche auch
unserer streugsten Winterkälte trotzen können, weil sie gewohut sind, bei ihrem Auf- und Niedersteigen
die verschiedensten Wärmegrade zu ertragen, welche mit dem gemeinsten Futter sich begnügen, und
wenn sie eine Zeit lang gut genährt wurden, tage-, ja wochenlang ohne Nahrung aushalten. Weit-
aus die meisten werden, auch wenn sie als alte Vögel unter die Herrschaft des Menschen kamen, bald
zahm. Jhre Gleichgiltigkeit hilft ihnen über so manches Elend, wie die Gefangenschaft es mit sich
bringt, leicht hinweg. Einzelne freilich machen eine Ausnahme und sehen in ihrem Wärter mehr oder
weniger einen Feind, welchem sie gelegentlich tückisch ihre Kraft fühlbar zu machen suchen. Unter-
haltend werden die Geier, wenn man sie in einem geräumigen Käfig mit andern großen Raubvögeln
zusammenbringt, wie es in unserm Thiergarten geschieht. Zwar sitzt auch eine derartige Gesellschaft
den größten Theil des Tages über still und ruhig auf dem einmal gewählten Platze in möglichster
Höhe, doch fehlt es einer so bunten Gesellschaft selten an Gelegenheit zu Thaten und Handlungen.
Namentlich die Fütterung der Gesammtheit bringt eine kaum beschreibliche Aufregung hervor. Jch
habe das Betragen der gefaugenen Geier an anderer Stelle ausführlich beschrieben und will mich des-
halb hier der Kürze befleißigen. So viel aber muß ich sagen, daß auch im Käfig ganz dasselbe
Gewimmel um das zur Nahrung vorgeworfene Fleisch entsteht, wie draußen in der Freiheit in der
Nähe des Aases. Mit allen Waffen wird gekämpft und zu jedem Mittel gegriffen, um sich des besten
Bissens zu bemächtigen. Nicht bloß durch rohe Gewalt, sondern auch durch Kniffe mancher Art sucht der
Einzelne seinen Zweck zu erreichen. Doch geht es auch hier wie überall: der mächtigste und gewand-
teste hat das größte Recht und beherrscht und übervortheilt die andern. Vor allem sind es die
Gänsegeier, welche sich bemerklich machen. Das Gefieder gesträubt, den langen Hals eingezogen,
sitzen sie mit funkelnden Augen vor dem Fleische, ohne es anzurühren, aber augenscheinlich bedacht, es
gegen jeden andern zu vertheidigen. Der zusammengekröpfte Hals schnellt wie ein Blitz vor nach allen
Seiten hin, und jeder ihrer Genossen fürchtet sich, einen ihm zugedachten Biß zu erhalten. Jn solchen
Augenblicken hat das Gebahren der Gänsegeier täuschende Aehnlichkeit mit der Art und Weise, wie
eine Giftschlange sich zum Bisse anschickt, und diese Aehnlichkeit wird um so größer, als die Vögel dabei
fortdauernd ein heiseres, ich möchte sagen, giftiges Zischen vernehmen lassen. Jhre Unverschämtheit
entrüstet selbstverständlich die andern in hohem Grade und wird die Ursache zu sehr heftigen Kämpfen,
welche jeder wohl oder übel aufnehmen muß, wenn er etwas für den bellenden Magen erhalten will.
Nicht selten wird einer ohne seinen Willen mitten in das Kampfgewühl gezogen; die ganze Rotte fliegt,
flattert und wälzt sich über ihn her, und er hat große Noth, wieder davonzukommen, falls ihn der
Vorfall nicht so empört, daß er ebenfalls zum thätigen Streiter wird. Daß ein solches Gefecht nicht ohne
lebhaftes Zischen, kicherndes und gackerndes Schreien, Schnappen mit dem Schnabel und Fuchteln mit
den Flügeln vorübergeht, daß es, mit andern Worten, einen Höllenlärm erregt, braucht nicht erwähnt
zu werden. Jn solchen Augenblicken gewährt eine Geiergesellschaft im Käfig das unterhaltendste und
fesselndste Schauspiel, welches man sich denken kann.

*) "Jn der Wüste sitzen sie in Scharen von vierzig und funßig, alle gleich regungslos, alle in gleichem
Abstand von einander, alle genau in derselben Stellung, mit vorgestrecktem Halse der Straße zugekehrt. Der
Neisende, überrascht von der räthselhaften Erscheimung, hält sie beim ersten Anblick kaum für lebende Wesen,
und um so größer dann der Schreck, wenn plötzlich dicht vor ihm diese ungeheuren Vögel alle wie auf Einen
Schlag sich erheben und mit sausendem Schwingen entweder in der Wüste verschwinden oder einem andern
Sandberge zustreben, um sich dort in derselben Stellung und ebenso unbeweglich wieder niederzulassen. ....
Sie, deren Tracht sogleich ihr Amt anzudeuten scheint, bilden das dunkle Heergefolge des Todes" etc. (Masius!)

Allgemeines.
verzehren, unzweifelhaft heilige Weſen, welche über ſeine Verfolgung erhaben ſind. Der Jnner-
afrikaner läßt ſie einfach gewähren, obwohl er ſie keineswegs von jedem Verdacht an irgend welchen
Uebelthaten freiſpricht. Unkundige Nachſchreiber des Geſchwätzes einfältiger Reiſenden bemächtigen
ſich ihrer zu Gunſten ihrer werthloſen Stilübungen*); wie ſich die Quackſalberei ihrer Eingeweide
bemächtigt hat, um eine ihrer Wunderkuren zu ermöglichen.

Alle Geier ſind leicht in der Gefangenſchaft zu erhalten. Sie ſind harte Vögel, welche auch
unſerer ſtreugſten Winterkälte trotzen können, weil ſie gewohut ſind, bei ihrem Auf- und Niederſteigen
die verſchiedenſten Wärmegrade zu ertragen, welche mit dem gemeinſten Futter ſich begnügen, und
wenn ſie eine Zeit lang gut genährt wurden, tage-, ja wochenlang ohne Nahrung aushalten. Weit-
aus die meiſten werden, auch wenn ſie als alte Vögel unter die Herrſchaft des Menſchen kamen, bald
zahm. Jhre Gleichgiltigkeit hilft ihnen über ſo manches Elend, wie die Gefangenſchaft es mit ſich
bringt, leicht hinweg. Einzelne freilich machen eine Ausnahme und ſehen in ihrem Wärter mehr oder
weniger einen Feind, welchem ſie gelegentlich tückiſch ihre Kraft fühlbar zu machen ſuchen. Unter-
haltend werden die Geier, wenn man ſie in einem geräumigen Käfig mit andern großen Raubvögeln
zuſammenbringt, wie es in unſerm Thiergarten geſchieht. Zwar ſitzt auch eine derartige Geſellſchaft
den größten Theil des Tages über ſtill und ruhig auf dem einmal gewählten Platze in möglichſter
Höhe, doch fehlt es einer ſo bunten Geſellſchaft ſelten an Gelegenheit zu Thaten und Handlungen.
Namentlich die Fütterung der Geſammtheit bringt eine kaum beſchreibliche Aufregung hervor. Jch
habe das Betragen der gefaugenen Geier an anderer Stelle ausführlich beſchrieben und will mich des-
halb hier der Kürze befleißigen. So viel aber muß ich ſagen, daß auch im Käfig ganz daſſelbe
Gewimmel um das zur Nahrung vorgeworfene Fleiſch entſteht, wie draußen in der Freiheit in der
Nähe des Aaſes. Mit allen Waffen wird gekämpft und zu jedem Mittel gegriffen, um ſich des beſten
Biſſens zu bemächtigen. Nicht bloß durch rohe Gewalt, ſondern auch durch Kniffe mancher Art ſucht der
Einzelne ſeinen Zweck zu erreichen. Doch geht es auch hier wie überall: der mächtigſte und gewand-
teſte hat das größte Recht und beherrſcht und übervortheilt die andern. Vor allem ſind es die
Gänſegeier, welche ſich bemerklich machen. Das Gefieder geſträubt, den langen Hals eingezogen,
ſitzen ſie mit funkelnden Augen vor dem Fleiſche, ohne es anzurühren, aber augenſcheinlich bedacht, es
gegen jeden andern zu vertheidigen. Der zuſammengekröpfte Hals ſchnellt wie ein Blitz vor nach allen
Seiten hin, und jeder ihrer Genoſſen fürchtet ſich, einen ihm zugedachten Biß zu erhalten. Jn ſolchen
Augenblicken hat das Gebahren der Gänſegeier täuſchende Aehnlichkeit mit der Art und Weiſe, wie
eine Giftſchlange ſich zum Biſſe anſchickt, und dieſe Aehnlichkeit wird um ſo größer, als die Vögel dabei
fortdauernd ein heiſeres, ich möchte ſagen, giftiges Ziſchen vernehmen laſſen. Jhre Unverſchämtheit
entrüſtet ſelbſtverſtändlich die andern in hohem Grade und wird die Urſache zu ſehr heftigen Kämpfen,
welche jeder wohl oder übel aufnehmen muß, wenn er etwas für den bellenden Magen erhalten will.
Nicht ſelten wird einer ohne ſeinen Willen mitten in das Kampfgewühl gezogen; die ganze Rotte fliegt,
flattert und wälzt ſich über ihn her, und er hat große Noth, wieder davonzukommen, falls ihn der
Vorfall nicht ſo empört, daß er ebenfalls zum thätigen Streiter wird. Daß ein ſolches Gefecht nicht ohne
lebhaftes Ziſchen, kicherndes und gackerndes Schreien, Schnappen mit dem Schnabel und Fuchteln mit
den Flügeln vorübergeht, daß es, mit andern Worten, einen Höllenlärm erregt, braucht nicht erwähnt
zu werden. Jn ſolchen Augenblicken gewährt eine Geiergeſellſchaft im Käfig das unterhaltendſte und
feſſelndſte Schauſpiel, welches man ſich denken kann.

*) „Jn der Wüſte ſitzen ſie in Scharen von vierzig und funſzig, alle gleich regungslos, alle in gleichem
Abſtand von einander, alle genau in derſelben Stellung, mit vorgeſtrecktem Halſe der Straße zugekehrt. Der
Neiſende, überraſcht von der räthſelhaften Erſcheimung, hält ſie beim erſten Anblick kaum für lebende Weſen,
und um ſo größer dann der Schreck, wenn plötzlich dicht vor ihm dieſe ungeheuren Vögel alle wie auf Einen
Schlag ſich erheben und mit ſauſendem Schwingen entweder in der Wüſte verſchwinden oder einem andern
Sandberge zuſtreben, um ſich dort in derſelben Stellung und ebenſo unbeweglich wieder niederzulaſſen. ....
Sie, deren Tracht ſogleich ihr Amt anzudeuten ſcheint, bilden das dunkle Heergefolge des Todes‟ ꝛc. (Maſius!)
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[541/0573] Allgemeines. verzehren, unzweifelhaft heilige Weſen, welche über ſeine Verfolgung erhaben ſind. Der Jnner- afrikaner läßt ſie einfach gewähren, obwohl er ſie keineswegs von jedem Verdacht an irgend welchen Uebelthaten freiſpricht. Unkundige Nachſchreiber des Geſchwätzes einfältiger Reiſenden bemächtigen ſich ihrer zu Gunſten ihrer werthloſen Stilübungen *); wie ſich die Quackſalberei ihrer Eingeweide bemächtigt hat, um eine ihrer Wunderkuren zu ermöglichen. Alle Geier ſind leicht in der Gefangenſchaft zu erhalten. Sie ſind harte Vögel, welche auch unſerer ſtreugſten Winterkälte trotzen können, weil ſie gewohut ſind, bei ihrem Auf- und Niederſteigen die verſchiedenſten Wärmegrade zu ertragen, welche mit dem gemeinſten Futter ſich begnügen, und wenn ſie eine Zeit lang gut genährt wurden, tage-, ja wochenlang ohne Nahrung aushalten. Weit- aus die meiſten werden, auch wenn ſie als alte Vögel unter die Herrſchaft des Menſchen kamen, bald zahm. Jhre Gleichgiltigkeit hilft ihnen über ſo manches Elend, wie die Gefangenſchaft es mit ſich bringt, leicht hinweg. Einzelne freilich machen eine Ausnahme und ſehen in ihrem Wärter mehr oder weniger einen Feind, welchem ſie gelegentlich tückiſch ihre Kraft fühlbar zu machen ſuchen. Unter- haltend werden die Geier, wenn man ſie in einem geräumigen Käfig mit andern großen Raubvögeln zuſammenbringt, wie es in unſerm Thiergarten geſchieht. Zwar ſitzt auch eine derartige Geſellſchaft den größten Theil des Tages über ſtill und ruhig auf dem einmal gewählten Platze in möglichſter Höhe, doch fehlt es einer ſo bunten Geſellſchaft ſelten an Gelegenheit zu Thaten und Handlungen. Namentlich die Fütterung der Geſammtheit bringt eine kaum beſchreibliche Aufregung hervor. Jch habe das Betragen der gefaugenen Geier an anderer Stelle ausführlich beſchrieben und will mich des- halb hier der Kürze befleißigen. So viel aber muß ich ſagen, daß auch im Käfig ganz daſſelbe Gewimmel um das zur Nahrung vorgeworfene Fleiſch entſteht, wie draußen in der Freiheit in der Nähe des Aaſes. Mit allen Waffen wird gekämpft und zu jedem Mittel gegriffen, um ſich des beſten Biſſens zu bemächtigen. Nicht bloß durch rohe Gewalt, ſondern auch durch Kniffe mancher Art ſucht der Einzelne ſeinen Zweck zu erreichen. Doch geht es auch hier wie überall: der mächtigſte und gewand- teſte hat das größte Recht und beherrſcht und übervortheilt die andern. Vor allem ſind es die Gänſegeier, welche ſich bemerklich machen. Das Gefieder geſträubt, den langen Hals eingezogen, ſitzen ſie mit funkelnden Augen vor dem Fleiſche, ohne es anzurühren, aber augenſcheinlich bedacht, es gegen jeden andern zu vertheidigen. Der zuſammengekröpfte Hals ſchnellt wie ein Blitz vor nach allen Seiten hin, und jeder ihrer Genoſſen fürchtet ſich, einen ihm zugedachten Biß zu erhalten. Jn ſolchen Augenblicken hat das Gebahren der Gänſegeier täuſchende Aehnlichkeit mit der Art und Weiſe, wie eine Giftſchlange ſich zum Biſſe anſchickt, und dieſe Aehnlichkeit wird um ſo größer, als die Vögel dabei fortdauernd ein heiſeres, ich möchte ſagen, giftiges Ziſchen vernehmen laſſen. Jhre Unverſchämtheit entrüſtet ſelbſtverſtändlich die andern in hohem Grade und wird die Urſache zu ſehr heftigen Kämpfen, welche jeder wohl oder übel aufnehmen muß, wenn er etwas für den bellenden Magen erhalten will. Nicht ſelten wird einer ohne ſeinen Willen mitten in das Kampfgewühl gezogen; die ganze Rotte fliegt, flattert und wälzt ſich über ihn her, und er hat große Noth, wieder davonzukommen, falls ihn der Vorfall nicht ſo empört, daß er ebenfalls zum thätigen Streiter wird. Daß ein ſolches Gefecht nicht ohne lebhaftes Ziſchen, kicherndes und gackerndes Schreien, Schnappen mit dem Schnabel und Fuchteln mit den Flügeln vorübergeht, daß es, mit andern Worten, einen Höllenlärm erregt, braucht nicht erwähnt zu werden. Jn ſolchen Augenblicken gewährt eine Geiergeſellſchaft im Käfig das unterhaltendſte und feſſelndſte Schauſpiel, welches man ſich denken kann. *) „Jn der Wüſte ſitzen ſie in Scharen von vierzig und funſzig, alle gleich regungslos, alle in gleichem Abſtand von einander, alle genau in derſelben Stellung, mit vorgeſtrecktem Halſe der Straße zugekehrt. Der Neiſende, überraſcht von der räthſelhaften Erſcheimung, hält ſie beim erſten Anblick kaum für lebende Weſen, und um ſo größer dann der Schreck, wenn plötzlich dicht vor ihm dieſe ungeheuren Vögel alle wie auf Einen Schlag ſich erheben und mit ſauſendem Schwingen entweder in der Wüſte verſchwinden oder einem andern Sandberge zuſtreben, um ſich dort in derſelben Stellung und ebenſo unbeweglich wieder niederzulaſſen. .... Sie, deren Tracht ſogleich ihr Amt anzudeuten ſcheint, bilden das dunkle Heergefolge des Todes‟ ꝛc. (Maſius!)

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/573>, abgerufen am 22.11.2024.