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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Allgemeines.
berichtet hat, ja, selbst wenn er wirklich Angriffe auf lebende Thiere ausführen sollte. Auch er begnügt
sich, so lange ihn der Hunger nicht zwingt, mit Aas und namentlich mit den Knochen desselben. Wie es
scheint, bevorzugen alle Geier das Aas der Säugethiere; doch verschmähen sie auch die Leichen der
Vögel oder selbst der Lurche nicht: so habe ich sie von dem Aase eines Krokodils schmausen sehen.
Wahrscheinlich fressen sie auch Fische.

Die kleineren Arten der Zunft sind weit genügsamer als die größeren. Einzelne scheinen
lange Zeit auch ohne Aas auskommen zu können: sie nähren sich hauptsächlich von dem Koth der
Menschen oder von dem Mist der Thiere, jagen aber nebenbei auf Kerfe und höchst wahrscheinlich auch
auf kleine täppische Wirbelthiere.

Nach beendigter Mahlzeit entfernen sich die Geier ungern weit von ihrer Tafel; sie bleiben viel-
mehr stundenlang in der Nähe der Wahlstatt sitzen und warten hier den Beginn der Verdauung ab.
Geraume Zeit später begeben sie sich zur Tränke, und auch hier bringen sie wieder mehrere Stunden
zu. Sie trinken viel und baden sich sehr gern. Freilich ist letzteres kaum einem Vogel nöthiger, als
ihnen; denn wenn sie von ihrem Tische ausstehen, starren sie von Schmuz und Unrath; zumal die
langhälsigen sind oft über und über blutig. Jst auch die Reinigung glücklich besorgt, bringen sie gern
noch einige Stunden in der trägsten Ruhe zu. Sie setzen sich dabei entweder auf die Fußwurzeln
und breiten die Schwingen aus, in der Absicht, sich von der Sonne durchwärmen zu lassen, oder sie
legen sich platt auf den Sand nieder, wie Lauf- oder Schwimmvögel zu thun pflegen. Der Weg
zum Schlafplatz wird erst in den Nachmittagsstunden angetreten.

Vollgefressene Geier pflegen sich, wenn sie plötzlich aufgescheucht wurden, erst der in ihrem Kropfe
aufgespeicherten Nahrung durch Ausbrechen zu entledigen, bevor sie sich fliegend erheben. Dasselbe
thun die Verwundeten. Man sieht es aber auch oft von den Gefangenen, bei welch letzteren man
nebenbei beobachten kann, daß sie die ausgebrochene Nahrung gelegentlich wieder auffressen.

Der Flug wird durch einige, rasch auf einander folgende und ziemlich hohe Sprünge eingeleitet;
hierauf folgen mehrere ziemlich langsame Schläge mit den breiten Fittigen. Sobald die Vögel aber
einmal eine gewisse Höhe erreicht haben, bewegen sie sich fast ohne Flügelschlag weiter, indem sie durch
verschiedenes Einstellen der Flugwerkzeuge sich in einer wenig geneigten Ebene herabsenken oder aber
sich von dem ihnen entgegenströmenden Winde wieder heben lassen. So schrauben sie sich, anscheinend
ohne alle Austreugung, in die ungeheuren Höhen empor, in denen sie dahinfliegen, wenn sie eine
größere Strecke zurücklegen wollen. Ungeachtet dieser scheinbaren Bewegungslosigkeit ihrer Flügel ist
der Flug ungemein rasch und fördernd: sie durcheilen mehrere Meilen in einem Zuge ohne die geringste
Ermüdung.

Jhre Nachtruhe nehmen sie entweder auf Bäumen oder auf steilen Felsenvorsprüngen, sehr gern
namentlich auf Felsgesimsen, welche weder von oben noch von unten her Zugang gestatten. Einige
Arten bevorzugen Bäume, andere Felsen zu ihren Ruheplätzen.

Jn früherer Zeit hat man angenommen, daß es nur der Geruchssinn wäre, welcher die Geier
bei Ausfindung des Aases leite: meine Beobachtungen, welche durch die Erfahrungen anderer For-
scher die vollste Bestätigung finden, haben mich von dem Gegentheil überzeugt. Es kann allerdings
nicht geleugnet werden, daß ein bereits vollständig in Verwesung übergegangener Leichnam, welcher
einen heftigen Geruch verbreitet, schließlich auch Geier herbeizieht: so viel aber steht fest, daß in der
Regel der Sinn des Geruchs gar nicht angestrengt zu werden braucht, um es aufzufinden. Man
glaubte sich berechtigt, anzunehmen, daß ein Geier den Aasgeruch meilenweit wahrnehmen könne und
fabelte, obgleich eine derartige Annahme allen andern Beobachtungen über die mögliche Schärfe des
Geruchssinnes geradezu widerspricht, in wahrhaft kindischer Weise die sonderbarsten Dinge, so daß man
schließlich glauben machen wollte, der Geier rieche bereits einem Sterbenden den Tod ab. Meine
Beobachtungen haben mir gezeigt, daß die Geier auch auf Aas herabkommen, welches noch ganz frisch
ist und keinerlei Ausdünstung verbreiten kann; sie haben mich ferner belehrt, daß die Thiere auch bei
starkem Luftzuge von allen Richtungen der Windrose herbeifliegen, sobald Einer von ihnen ein Aas

Allgemeines.
berichtet hat, ja, ſelbſt wenn er wirklich Angriffe auf lebende Thiere ausführen ſollte. Auch er begnügt
ſich, ſo lange ihn der Hunger nicht zwingt, mit Aas und namentlich mit den Knochen deſſelben. Wie es
ſcheint, bevorzugen alle Geier das Aas der Säugethiere; doch verſchmähen ſie auch die Leichen der
Vögel oder ſelbſt der Lurche nicht: ſo habe ich ſie von dem Aaſe eines Krokodils ſchmauſen ſehen.
Wahrſcheinlich freſſen ſie auch Fiſche.

Die kleineren Arten der Zunft ſind weit genügſamer als die größeren. Einzelne ſcheinen
lange Zeit auch ohne Aas auskommen zu können: ſie nähren ſich hauptſächlich von dem Koth der
Menſchen oder von dem Miſt der Thiere, jagen aber nebenbei auf Kerfe und höchſt wahrſcheinlich auch
auf kleine täppiſche Wirbelthiere.

Nach beendigter Mahlzeit entfernen ſich die Geier ungern weit von ihrer Tafel; ſie bleiben viel-
mehr ſtundenlang in der Nähe der Wahlſtatt ſitzen und warten hier den Beginn der Verdauung ab.
Geraume Zeit ſpäter begeben ſie ſich zur Tränke, und auch hier bringen ſie wieder mehrere Stunden
zu. Sie trinken viel und baden ſich ſehr gern. Freilich iſt letzteres kaum einem Vogel nöthiger, als
ihnen; denn wenn ſie von ihrem Tiſche auſſtehen, ſtarren ſie von Schmuz und Unrath; zumal die
langhälſigen ſind oft über und über blutig. Jſt auch die Reinigung glücklich beſorgt, bringen ſie gern
noch einige Stunden in der trägſten Ruhe zu. Sie ſetzen ſich dabei entweder auf die Fußwurzeln
und breiten die Schwingen aus, in der Abſicht, ſich von der Sonne durchwärmen zu laſſen, oder ſie
legen ſich platt auf den Sand nieder, wie Lauf- oder Schwimmvögel zu thun pflegen. Der Weg
zum Schlafplatz wird erſt in den Nachmittagsſtunden angetreten.

Vollgefreſſene Geier pflegen ſich, wenn ſie plötzlich aufgeſcheucht wurden, erſt der in ihrem Kropfe
aufgeſpeicherten Nahrung durch Ausbrechen zu entledigen, bevor ſie ſich fliegend erheben. Daſſelbe
thun die Verwundeten. Man ſieht es aber auch oft von den Gefangenen, bei welch letzteren man
nebenbei beobachten kann, daß ſie die ausgebrochene Nahrung gelegentlich wieder auffreſſen.

Der Flug wird durch einige, raſch auf einander folgende und ziemlich hohe Sprünge eingeleitet;
hierauf folgen mehrere ziemlich langſame Schläge mit den breiten Fittigen. Sobald die Vögel aber
einmal eine gewiſſe Höhe erreicht haben, bewegen ſie ſich faſt ohne Flügelſchlag weiter, indem ſie durch
verſchiedenes Einſtellen der Flugwerkzeuge ſich in einer wenig geneigten Ebene herabſenken oder aber
ſich von dem ihnen entgegenſtrömenden Winde wieder heben laſſen. So ſchrauben ſie ſich, anſcheinend
ohne alle Auſtreugung, in die ungeheuren Höhen empor, in denen ſie dahinfliegen, wenn ſie eine
größere Strecke zurücklegen wollen. Ungeachtet dieſer ſcheinbaren Bewegungsloſigkeit ihrer Flügel iſt
der Flug ungemein raſch und fördernd: ſie durcheilen mehrere Meilen in einem Zuge ohne die geringſte
Ermüdung.

Jhre Nachtruhe nehmen ſie entweder auf Bäumen oder auf ſteilen Felſenvorſprüngen, ſehr gern
namentlich auf Felsgeſimſen, welche weder von oben noch von unten her Zugang geſtatten. Einige
Arten bevorzugen Bäume, andere Felſen zu ihren Ruheplätzen.

Jn früherer Zeit hat man angenommen, daß es nur der Geruchsſinn wäre, welcher die Geier
bei Auſfindung des Aaſes leite: meine Beobachtungen, welche durch die Erfahrungen anderer For-
ſcher die vollſte Beſtätigung finden, haben mich von dem Gegentheil überzeugt. Es kann allerdings
nicht geleugnet werden, daß ein bereits vollſtändig in Verweſung übergegangener Leichnam, welcher
einen heftigen Geruch verbreitet, ſchließlich auch Geier herbeizieht: ſo viel aber ſteht feſt, daß in der
Regel der Sinn des Geruchs gar nicht angeſtrengt zu werden braucht, um es aufzufinden. Man
glaubte ſich berechtigt, anzunehmen, daß ein Geier den Aasgeruch meilenweit wahrnehmen könne und
fabelte, obgleich eine derartige Annahme allen andern Beobachtungen über die mögliche Schärfe des
Geruchsſinnes geradezu widerſpricht, in wahrhaft kindiſcher Weiſe die ſonderbarſten Dinge, ſo daß man
ſchließlich glauben machen wollte, der Geier rieche bereits einem Sterbenden den Tod ab. Meine
Beobachtungen haben mir gezeigt, daß die Geier auch auf Aas herabkommen, welches noch ganz friſch
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[539/0571] Allgemeines. berichtet hat, ja, ſelbſt wenn er wirklich Angriffe auf lebende Thiere ausführen ſollte. Auch er begnügt ſich, ſo lange ihn der Hunger nicht zwingt, mit Aas und namentlich mit den Knochen deſſelben. Wie es ſcheint, bevorzugen alle Geier das Aas der Säugethiere; doch verſchmähen ſie auch die Leichen der Vögel oder ſelbſt der Lurche nicht: ſo habe ich ſie von dem Aaſe eines Krokodils ſchmauſen ſehen. Wahrſcheinlich freſſen ſie auch Fiſche. Die kleineren Arten der Zunft ſind weit genügſamer als die größeren. Einzelne ſcheinen lange Zeit auch ohne Aas auskommen zu können: ſie nähren ſich hauptſächlich von dem Koth der Menſchen oder von dem Miſt der Thiere, jagen aber nebenbei auf Kerfe und höchſt wahrſcheinlich auch auf kleine täppiſche Wirbelthiere. Nach beendigter Mahlzeit entfernen ſich die Geier ungern weit von ihrer Tafel; ſie bleiben viel- mehr ſtundenlang in der Nähe der Wahlſtatt ſitzen und warten hier den Beginn der Verdauung ab. Geraume Zeit ſpäter begeben ſie ſich zur Tränke, und auch hier bringen ſie wieder mehrere Stunden zu. Sie trinken viel und baden ſich ſehr gern. Freilich iſt letzteres kaum einem Vogel nöthiger, als ihnen; denn wenn ſie von ihrem Tiſche auſſtehen, ſtarren ſie von Schmuz und Unrath; zumal die langhälſigen ſind oft über und über blutig. Jſt auch die Reinigung glücklich beſorgt, bringen ſie gern noch einige Stunden in der trägſten Ruhe zu. Sie ſetzen ſich dabei entweder auf die Fußwurzeln und breiten die Schwingen aus, in der Abſicht, ſich von der Sonne durchwärmen zu laſſen, oder ſie legen ſich platt auf den Sand nieder, wie Lauf- oder Schwimmvögel zu thun pflegen. Der Weg zum Schlafplatz wird erſt in den Nachmittagsſtunden angetreten. Vollgefreſſene Geier pflegen ſich, wenn ſie plötzlich aufgeſcheucht wurden, erſt der in ihrem Kropfe aufgeſpeicherten Nahrung durch Ausbrechen zu entledigen, bevor ſie ſich fliegend erheben. Daſſelbe thun die Verwundeten. Man ſieht es aber auch oft von den Gefangenen, bei welch letzteren man nebenbei beobachten kann, daß ſie die ausgebrochene Nahrung gelegentlich wieder auffreſſen. Der Flug wird durch einige, raſch auf einander folgende und ziemlich hohe Sprünge eingeleitet; hierauf folgen mehrere ziemlich langſame Schläge mit den breiten Fittigen. Sobald die Vögel aber einmal eine gewiſſe Höhe erreicht haben, bewegen ſie ſich faſt ohne Flügelſchlag weiter, indem ſie durch verſchiedenes Einſtellen der Flugwerkzeuge ſich in einer wenig geneigten Ebene herabſenken oder aber ſich von dem ihnen entgegenſtrömenden Winde wieder heben laſſen. So ſchrauben ſie ſich, anſcheinend ohne alle Auſtreugung, in die ungeheuren Höhen empor, in denen ſie dahinfliegen, wenn ſie eine größere Strecke zurücklegen wollen. Ungeachtet dieſer ſcheinbaren Bewegungsloſigkeit ihrer Flügel iſt der Flug ungemein raſch und fördernd: ſie durcheilen mehrere Meilen in einem Zuge ohne die geringſte Ermüdung. Jhre Nachtruhe nehmen ſie entweder auf Bäumen oder auf ſteilen Felſenvorſprüngen, ſehr gern namentlich auf Felsgeſimſen, welche weder von oben noch von unten her Zugang geſtatten. Einige Arten bevorzugen Bäume, andere Felſen zu ihren Ruheplätzen. Jn früherer Zeit hat man angenommen, daß es nur der Geruchsſinn wäre, welcher die Geier bei Auſfindung des Aaſes leite: meine Beobachtungen, welche durch die Erfahrungen anderer For- ſcher die vollſte Beſtätigung finden, haben mich von dem Gegentheil überzeugt. Es kann allerdings nicht geleugnet werden, daß ein bereits vollſtändig in Verweſung übergegangener Leichnam, welcher einen heftigen Geruch verbreitet, ſchließlich auch Geier herbeizieht: ſo viel aber ſteht feſt, daß in der Regel der Sinn des Geruchs gar nicht angeſtrengt zu werden braucht, um es aufzufinden. Man glaubte ſich berechtigt, anzunehmen, daß ein Geier den Aasgeruch meilenweit wahrnehmen könne und fabelte, obgleich eine derartige Annahme allen andern Beobachtungen über die mögliche Schärfe des Geruchsſinnes geradezu widerſpricht, in wahrhaft kindiſcher Weiſe die ſonderbarſten Dinge, ſo daß man ſchließlich glauben machen wollte, der Geier rieche bereits einem Sterbenden den Tod ab. Meine Beobachtungen haben mir gezeigt, daß die Geier auch auf Aas herabkommen, welches noch ganz friſch iſt und keinerlei Ausdünſtung verbreiten kann; ſie haben mich ferner belehrt, daß die Thiere auch bei ſtarkem Luftzuge von allen Richtungen der Windroſe herbeifliegen, ſobald Einer von ihnen ein Aas

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/571>, abgerufen am 22.11.2024.