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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Raubvögel. Geier.
und Milane schweben auch wohl in der Höhe über den Schmausenden auf und nieder und stürzen
sich, als ob sie auf fliegende Beute stoßen wollten, zwischen sie hinein, ergreifen mit den Fängen ein
eben von den Geiern losgearbeitetes Fleischstück und entführen es, bevor letztere noch Zeit hatten, dem
Frevel zu steuern.

Ein kleines Säugethier wird von dieser freßwüthigen Tischgesellschaft in wenigen Minuten bis
auf den Schädel verzehrt; sogar von einem Rinde oder Kamele bleibt nach einer einzigen Mahlzeit
wenig übrig. Die Gesättigten entfernen sich nur mit Widerstreben von der Tafel; sie scheinen auf-
richtig zu bedauern, daß sie zu den drei bis vier Pfund Nahrungsstoffen, welche sie in den Kropf
beförderten, nicht noch mindestens eben so viel erwerben und bergen konnten.

Nicht überall und immer verläuft eine Geiermahlzeit so, wie ich eben geschildert. Schon in
Südeuropa und noch mehr in ganz Afrika, da, wo Geier in der Nähe bewohnter Ortschaften ein Aas
aufzuräumen haben, stellen sich auf diesem noch andere hungrige Gäste ein. Jn allen südlichen Län-
dern sind die Hunde theilweise auf Aasnahrung angewiesen, und die wirklich herrenlosen unter ihnen
können sich buchstäblich nur daun einmal satt fressen, wenn sie ein Aas fanden. Jm tiefern Jnnern
Afrikas treten zu den Hunden aber auch noch die Marabus, gewaltige storchartige Vögel mit mäch-
tigen Schnäbeln, welche in rücksichtslosester Weise gebraucht werden. Da haben die Geier oft genug
schwere Kämpfe zu bestehen; der nagende Hunger aber macht sie dann dreist und selbst den genannten
Gegnern furchtbar. Auch die größten Hunde werden von den Geiern vertrieben, so sehr sie auch
knurren und die Zähne fletschen; denn jeder einzelne von den Raubvögeln erkennt in ihnen einen
gefährlichen Beeinträchtiger des Gewerbes, welchen er sich fern zu halten sucht. Selbst der bissigste
Hund vermag gegen die Geier Nichts auszurichten. Wenn wirklich einer seiner Bisse ihm glückte,
traf er höchstens eine der ausgebreiteten Schwingen, ohne den Vogel zu schädigen, während dieser wie
eine Schlange seinen Hals vorwirft und der gewaltige Schnabel da, wo er auftrifft, eine blutige
Wunde zurückläßt. Anders verhält es sich mit den Marabus. Sie lassen sich auch von den Geiern
nicht vertreiben, sondern schmettern mit ihren Keilschnäbeln rechts und links unter die Menge, bis
diese ihnen Platz macht.

Unter Umständen kostet es den Geiern besondere Mühe, sich ihrer Mahlzeit zu versichern.
Nach einer mündlichen Mittheilung des Professor Behn, welche neuerdings durch Jerdon
bestätigt wird, sind die Geier in Jndien oft genug auch die Bestatter der menschlichen Leichen. Die
armen Hindu sind nicht im Stande, die Kosten zu erschwingen, welche die Verbrennung eines ihrer
Todten erfordert; sie begnügen sich deshalb, den Leichnam auf ein Strohlager zu betten und dieses
anzuzünden, damit der Gestorbene des reinigenden Feuers wenigstens nicht gänzlich entbehre. Dann
werfen sie den Todten, dessen Haut nur eben verseugt ist, in den heiligen Ganges und überlassen es
diesem, ihn dem Meere zuzutragen. Mit vorschreitender Verwesung treiben die Leichname bald
auf der Oberfläche des Gewässers dahin und werden nunmehr den Geiern zugänglich. Einer oder der
andere läßt sich auf dem schwimmenden Körper nieder, hält sich mit ausgebreiteten Schwingen im Gleich-
gewicht und beginnt nun zu fressen. Nach Behn's Versicherung kommt es vor, daß der Geier in
kluger Berechnung vermittelst seiner ausgebreiteten Schwingen ein Segel bildet und den Leichnam
einer niedern Sandbank zusteuert, bis er dort landet. Wenn Dies geschehen, senken sich andere Geier
hernieder, oder auch die Marabus finden sich ein, und die eigentliche Mahlzeit beginnt nun hier.

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß sich zuweilen mehrere Geier einer Hinduleiche zu bemäch-
tigen suchen, obgleich man gewöhnlich nur einen einzigen auf dem mit der Ebbe und Flut hin- und
hertreibenden Todten sitzen sieht. Jerdon bemerkte einst einen Geier mitten im Strome, welcher
wahrscheinlich von einem Leichnam herabgeworfen worden war und das Ufer durch Schlagen mit
den Flügeln zu gewinnen suchte.

Bei sehr großem Hunger mögen die Geier dann und wann auch lebende Thiere angreifen,
namentlich erkranktes Herdenvieh; eigentliche Räuber aber sind sie nicht. Ein solcher ist nicht einmal
das edelste Mitglied der ganzen Zunft, der Geieradler, so viel man von seinen Raubzügen auch

Die Fänger. Raubvögel. Geier.
und Milane ſchweben auch wohl in der Höhe über den Schmauſenden auf und nieder und ſtürzen
ſich, als ob ſie auf fliegende Beute ſtoßen wollten, zwiſchen ſie hinein, ergreifen mit den Fängen ein
eben von den Geiern losgearbeitetes Fleiſchſtück und entführen es, bevor letztere noch Zeit hatten, dem
Frevel zu ſteuern.

Ein kleines Säugethier wird von dieſer freßwüthigen Tiſchgeſellſchaft in wenigen Minuten bis
auf den Schädel verzehrt; ſogar von einem Rinde oder Kamele bleibt nach einer einzigen Mahlzeit
wenig übrig. Die Geſättigten entfernen ſich nur mit Widerſtreben von der Tafel; ſie ſcheinen auf-
richtig zu bedauern, daß ſie zu den drei bis vier Pfund Nahrungsſtoffen, welche ſie in den Kropf
beförderten, nicht noch mindeſtens eben ſo viel erwerben und bergen konnten.

Nicht überall und immer verläuft eine Geiermahlzeit ſo, wie ich eben geſchildert. Schon in
Südeuropa und noch mehr in ganz Afrika, da, wo Geier in der Nähe bewohnter Ortſchaften ein Aas
aufzuräumen haben, ſtellen ſich auf dieſem noch andere hungrige Gäſte ein. Jn allen ſüdlichen Län-
dern ſind die Hunde theilweiſe auf Aasnahrung angewieſen, und die wirklich herrenloſen unter ihnen
können ſich buchſtäblich nur daun einmal ſatt freſſen, wenn ſie ein Aas fanden. Jm tiefern Jnnern
Afrikas treten zu den Hunden aber auch noch die Marabus, gewaltige ſtorchartige Vögel mit mäch-
tigen Schnäbeln, welche in rückſichtsloſeſter Weiſe gebraucht werden. Da haben die Geier oft genug
ſchwere Kämpfe zu beſtehen; der nagende Hunger aber macht ſie dann dreiſt und ſelbſt den genannten
Gegnern furchtbar. Auch die größten Hunde werden von den Geiern vertrieben, ſo ſehr ſie auch
knurren und die Zähne fletſchen; denn jeder einzelne von den Raubvögeln erkennt in ihnen einen
gefährlichen Beeinträchtiger des Gewerbes, welchen er ſich fern zu halten ſucht. Selbſt der biſſigſte
Hund vermag gegen die Geier Nichts auszurichten. Wenn wirklich einer ſeiner Biſſe ihm glückte,
traf er höchſtens eine der ausgebreiteten Schwingen, ohne den Vogel zu ſchädigen, während dieſer wie
eine Schlange ſeinen Hals vorwirft und der gewaltige Schnabel da, wo er auftrifft, eine blutige
Wunde zurückläßt. Anders verhält es ſich mit den Marabus. Sie laſſen ſich auch von den Geiern
nicht vertreiben, ſondern ſchmettern mit ihren Keilſchnäbeln rechts und links unter die Menge, bis
dieſe ihnen Platz macht.

Unter Umſtänden koſtet es den Geiern beſondere Mühe, ſich ihrer Mahlzeit zu verſichern.
Nach einer mündlichen Mittheilung des Profeſſor Behn, welche neuerdings durch Jerdon
beſtätigt wird, ſind die Geier in Jndien oft genug auch die Beſtatter der menſchlichen Leichen. Die
armen Hindu ſind nicht im Stande, die Koſten zu erſchwingen, welche die Verbrennung eines ihrer
Todten erfordert; ſie begnügen ſich deshalb, den Leichnam auf ein Strohlager zu betten und dieſes
anzuzünden, damit der Geſtorbene des reinigenden Feuers wenigſtens nicht gänzlich entbehre. Dann
werfen ſie den Todten, deſſen Haut nur eben verſeugt iſt, in den heiligen Ganges und überlaſſen es
dieſem, ihn dem Meere zuzutragen. Mit vorſchreitender Verweſung treiben die Leichname bald
auf der Oberfläche des Gewäſſers dahin und werden nunmehr den Geiern zugänglich. Einer oder der
andere läßt ſich auf dem ſchwimmenden Körper nieder, hält ſich mit ausgebreiteten Schwingen im Gleich-
gewicht und beginnt nun zu freſſen. Nach Behn’s Verſicherung kommt es vor, daß der Geier in
kluger Berechnung vermittelſt ſeiner ausgebreiteten Schwingen ein Segel bildet und den Leichnam
einer niedern Sandbank zuſteuert, bis er dort landet. Wenn Dies geſchehen, ſenken ſich andere Geier
hernieder, oder auch die Marabus finden ſich ein, und die eigentliche Mahlzeit beginnt nun hier.

Es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß ſich zuweilen mehrere Geier einer Hinduleiche zu bemäch-
tigen ſuchen, obgleich man gewöhnlich nur einen einzigen auf dem mit der Ebbe und Flut hin- und
hertreibenden Todten ſitzen ſieht. Jerdon bemerkte einſt einen Geier mitten im Strome, welcher
wahrſcheinlich von einem Leichnam herabgeworfen worden war und das Ufer durch Schlagen mit
den Flügeln zu gewinnen ſuchte.

Bei ſehr großem Hunger mögen die Geier dann und wann auch lebende Thiere angreifen,
namentlich erkranktes Herdenvieh; eigentliche Räuber aber ſind ſie nicht. Ein ſolcher iſt nicht einmal
das edelſte Mitglied der ganzen Zunft, der Geieradler, ſo viel man von ſeinen Raubzügen auch

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[538/0570] Die Fänger. Raubvögel. Geier. und Milane ſchweben auch wohl in der Höhe über den Schmauſenden auf und nieder und ſtürzen ſich, als ob ſie auf fliegende Beute ſtoßen wollten, zwiſchen ſie hinein, ergreifen mit den Fängen ein eben von den Geiern losgearbeitetes Fleiſchſtück und entführen es, bevor letztere noch Zeit hatten, dem Frevel zu ſteuern. Ein kleines Säugethier wird von dieſer freßwüthigen Tiſchgeſellſchaft in wenigen Minuten bis auf den Schädel verzehrt; ſogar von einem Rinde oder Kamele bleibt nach einer einzigen Mahlzeit wenig übrig. Die Geſättigten entfernen ſich nur mit Widerſtreben von der Tafel; ſie ſcheinen auf- richtig zu bedauern, daß ſie zu den drei bis vier Pfund Nahrungsſtoffen, welche ſie in den Kropf beförderten, nicht noch mindeſtens eben ſo viel erwerben und bergen konnten. Nicht überall und immer verläuft eine Geiermahlzeit ſo, wie ich eben geſchildert. Schon in Südeuropa und noch mehr in ganz Afrika, da, wo Geier in der Nähe bewohnter Ortſchaften ein Aas aufzuräumen haben, ſtellen ſich auf dieſem noch andere hungrige Gäſte ein. Jn allen ſüdlichen Län- dern ſind die Hunde theilweiſe auf Aasnahrung angewieſen, und die wirklich herrenloſen unter ihnen können ſich buchſtäblich nur daun einmal ſatt freſſen, wenn ſie ein Aas fanden. Jm tiefern Jnnern Afrikas treten zu den Hunden aber auch noch die Marabus, gewaltige ſtorchartige Vögel mit mäch- tigen Schnäbeln, welche in rückſichtsloſeſter Weiſe gebraucht werden. Da haben die Geier oft genug ſchwere Kämpfe zu beſtehen; der nagende Hunger aber macht ſie dann dreiſt und ſelbſt den genannten Gegnern furchtbar. Auch die größten Hunde werden von den Geiern vertrieben, ſo ſehr ſie auch knurren und die Zähne fletſchen; denn jeder einzelne von den Raubvögeln erkennt in ihnen einen gefährlichen Beeinträchtiger des Gewerbes, welchen er ſich fern zu halten ſucht. Selbſt der biſſigſte Hund vermag gegen die Geier Nichts auszurichten. Wenn wirklich einer ſeiner Biſſe ihm glückte, traf er höchſtens eine der ausgebreiteten Schwingen, ohne den Vogel zu ſchädigen, während dieſer wie eine Schlange ſeinen Hals vorwirft und der gewaltige Schnabel da, wo er auftrifft, eine blutige Wunde zurückläßt. Anders verhält es ſich mit den Marabus. Sie laſſen ſich auch von den Geiern nicht vertreiben, ſondern ſchmettern mit ihren Keilſchnäbeln rechts und links unter die Menge, bis dieſe ihnen Platz macht. Unter Umſtänden koſtet es den Geiern beſondere Mühe, ſich ihrer Mahlzeit zu verſichern. Nach einer mündlichen Mittheilung des Profeſſor Behn, welche neuerdings durch Jerdon beſtätigt wird, ſind die Geier in Jndien oft genug auch die Beſtatter der menſchlichen Leichen. Die armen Hindu ſind nicht im Stande, die Koſten zu erſchwingen, welche die Verbrennung eines ihrer Todten erfordert; ſie begnügen ſich deshalb, den Leichnam auf ein Strohlager zu betten und dieſes anzuzünden, damit der Geſtorbene des reinigenden Feuers wenigſtens nicht gänzlich entbehre. Dann werfen ſie den Todten, deſſen Haut nur eben verſeugt iſt, in den heiligen Ganges und überlaſſen es dieſem, ihn dem Meere zuzutragen. Mit vorſchreitender Verweſung treiben die Leichname bald auf der Oberfläche des Gewäſſers dahin und werden nunmehr den Geiern zugänglich. Einer oder der andere läßt ſich auf dem ſchwimmenden Körper nieder, hält ſich mit ausgebreiteten Schwingen im Gleich- gewicht und beginnt nun zu freſſen. Nach Behn’s Verſicherung kommt es vor, daß der Geier in kluger Berechnung vermittelſt ſeiner ausgebreiteten Schwingen ein Segel bildet und den Leichnam einer niedern Sandbank zuſteuert, bis er dort landet. Wenn Dies geſchehen, ſenken ſich andere Geier hernieder, oder auch die Marabus finden ſich ein, und die eigentliche Mahlzeit beginnt nun hier. Es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß ſich zuweilen mehrere Geier einer Hinduleiche zu bemäch- tigen ſuchen, obgleich man gewöhnlich nur einen einzigen auf dem mit der Ebbe und Flut hin- und hertreibenden Todten ſitzen ſieht. Jerdon bemerkte einſt einen Geier mitten im Strome, welcher wahrſcheinlich von einem Leichnam herabgeworfen worden war und das Ufer durch Schlagen mit den Flügeln zu gewinnen ſuchte. Bei ſehr großem Hunger mögen die Geier dann und wann auch lebende Thiere angreifen, namentlich erkranktes Herdenvieh; eigentliche Räuber aber ſind ſie nicht. Ein ſolcher iſt nicht einmal das edelſte Mitglied der ganzen Zunft, der Geieradler, ſo viel man von ſeinen Raubzügen auch

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 538. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/570>, abgerufen am 20.05.2024.