Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Fänger. Raubvögel. Weihen.
dichtgefleckte Eier bilden das Gelege, welches von dem Weibchen mit großem Eifer bebrütet wird.
Die Jungen erhalten Mäuse, Frösche und zuweilen auch junge Vögel zur Aetzung. Sie sitzen lange
im Neste und werden auch nach dem Ausfliegen noch viele Wochen von den Alten ernährt, geführt,
unterrichtet und gewarnt. Dann vereinzelt sich die Familie und jeder Einzelne geht seinen Geschäften
nach, bis gegen den Herbst hin die Paare sich zu Trupps und diese zu Schwärmen vereinigen, welche
nun gemeinsam die Winterreife antreten.

Jm Käfig ist der Milan, wie alle seine nächsten Verwandten, ein angenehmer Vogel. Er macht
wenig Ansprüche und ergibt sich bald in den Verlust seiner Freiheit, ja er gewinnt nach kurzer Zeit
seinen Pfleger außerordentlich lieb, begrüßt ihn mit fröhlichem Geschrei, wenn er ihn von weitem
erblickt und versucht überhaupt, seine Zuneigung in jeder Weise an den Tag zu legen. Mit andern
Raubvögeln gleicher Größe verträgt er sich vortrefflich. Er ist zu feig, um sie zu überfallen, andere
Rücksichten kennt er nicht; denn mit der größten Seelenruhe frißt er die Leiche desjenigen auf, mit
welchem er jahrelang friedlich vereinigt lebte.

Der Milan Jndiens ist die Gowinda (Hydroictinia Govinda), über deren Lebensweise
neuerdings Jerdon ausführlicher berichtet hat. "Sie verbreitet sich durch ganz Jndien und ist einer
der gemeinsten Vögel des Landes vom Meer bis zu 8000 Fuß Höhe, bevorzugt große Städte und
Ortschaften, siedelt sich hier an, folgt den Reisenden, nimmt Speise unmittelbar vor dem Menschen
auf, jagt andern Vögeln und ihren eigenen Kameraden die Nahrung ab und nimmt auch wohl ein
Huhn oder einen verwundeten Vogel jeder Art, selbst erwachsene Hennen, auf. Philipps sagt, daß
sie ein sehr listiger Vogel sei, welcher Papageien und Hühner wegnehme, sich aber vor andern Falken
und Krähen fürchte, es z. B. gestatte, daß Krähen ein Stück Fleisch vor ihm zertheilten, welches zu
erhalten er offenbar sehr gierig sei. Dies stimmt schlecht zu meinen Beobachtungen. Obwohl die
Gowinda mit den Krähen in ziemlich guter Freundschaft lebt, habe ich gesehen, daß sie diese verfolgt
und zwingt, ihr das erbeutete Stück hinzuwerfen. Bligh erwähnt, daß er von glaubwürdigen
Leuten gehört habe, der Milan fresse zuweilen sogar Krähen. Diese ihrerseits verfolgen die
Gowinda, wie es scheint, aber blos, um sich zu vergnügen. Bligh sagt, daß sie sich in großen
Scharen vereinigen; ich habe Dasselbe beobachtet. Die Milane der ganzen Nachbarschaft kamen
zusammen und hielten gleichsam eine Berathung ab. Es wird gesagt, daß sie während der Regenzeit
Kalkutta auf drei bis vier Monate gänzlich verlassen; ich habe Dies an andern Orten nicht gefunden.
Sie paaren sich zu Weihnachten und brüten vom Januar bis April. Das Nest wird aus Stöcken
und Reisig erbaut, oft mit Lumpen ausgefüttert und auf Bäumen, hohen Gebäuden, selten auf Felsen
angelegt. Es enthält zwei oder drei Eier."

Von dem afrikanischen Vertreter des Milans, welcher mit Fug und Recht Schmarotzer-
milan
(Hydroictinia parasitica) genannt wird, würde ich hier gern eine ausführlichere Schilderung
eingeschaltet haben, hätte ich solche nicht erst vor Kurzem in meinen "Ergebnissen u. s. w."
veröffentlicht. Jch muß daher diejenigen meiner Leser, welche über den merkwürdigen Vogel näher
unterrichtet sein wollen, ersuchen, die dort gegebene Beschreibung nachzulesen. Der Schmarotzermilan
verdient bekannt zu werden; denn die Rolle, welche er spielt, ist ungleich bedeutsamer für den
Menschen, als die Thätigkeit seiner europäischen Verwandten.



Der Königsweih oder der rothe Milan, der Gabel-, Röthel-, Rüttel-, Hole- und
Kürweih, der Stein-, Stoß-, Hühner- und Gabelgeier, Gabler, Gabel- oder
Schwalbenschwanz, Schwimmer, Krümmer, Stert oder Tyverl (Milvus regalis) gilt uns
als das Urbild aller Milane. Er unterscheidet sich von dem vorigen durch verhältnißmäßig stärkeren,

Die Fänger. Raubvögel. Weihen.
dichtgefleckte Eier bilden das Gelege, welches von dem Weibchen mit großem Eifer bebrütet wird.
Die Jungen erhalten Mäuſe, Fröſche und zuweilen auch junge Vögel zur Aetzung. Sie ſitzen lange
im Neſte und werden auch nach dem Ausfliegen noch viele Wochen von den Alten ernährt, geführt,
unterrichtet und gewarnt. Dann vereinzelt ſich die Familie und jeder Einzelne geht ſeinen Geſchäften
nach, bis gegen den Herbſt hin die Paare ſich zu Trupps und dieſe zu Schwärmen vereinigen, welche
nun gemeinſam die Winterreife antreten.

Jm Käfig iſt der Milan, wie alle ſeine nächſten Verwandten, ein angenehmer Vogel. Er macht
wenig Anſprüche und ergibt ſich bald in den Verluſt ſeiner Freiheit, ja er gewinnt nach kurzer Zeit
ſeinen Pfleger außerordentlich lieb, begrüßt ihn mit fröhlichem Geſchrei, wenn er ihn von weitem
erblickt und verſucht überhaupt, ſeine Zuneigung in jeder Weiſe an den Tag zu legen. Mit andern
Raubvögeln gleicher Größe verträgt er ſich vortrefflich. Er iſt zu feig, um ſie zu überfallen, andere
Rückſichten kennt er nicht; denn mit der größten Seelenruhe frißt er die Leiche desjenigen auf, mit
welchem er jahrelang friedlich vereinigt lebte.

Der Milan Jndiens iſt die Gowinda (Hydroictinia Govinda), über deren Lebensweiſe
neuerdings Jerdon ausführlicher berichtet hat. „Sie verbreitet ſich durch ganz Jndien und iſt einer
der gemeinſten Vögel des Landes vom Meer bis zu 8000 Fuß Höhe, bevorzugt große Städte und
Ortſchaften, ſiedelt ſich hier an, folgt den Reiſenden, nimmt Speiſe unmittelbar vor dem Menſchen
auf, jagt andern Vögeln und ihren eigenen Kameraden die Nahrung ab und nimmt auch wohl ein
Huhn oder einen verwundeten Vogel jeder Art, ſelbſt erwachſene Hennen, auf. Philipps ſagt, daß
ſie ein ſehr liſtiger Vogel ſei, welcher Papageien und Hühner wegnehme, ſich aber vor andern Falken
und Krähen fürchte, es z. B. geſtatte, daß Krähen ein Stück Fleiſch vor ihm zertheilten, welches zu
erhalten er offenbar ſehr gierig ſei. Dies ſtimmt ſchlecht zu meinen Beobachtungen. Obwohl die
Gowinda mit den Krähen in ziemlich guter Freundſchaft lebt, habe ich geſehen, daß ſie dieſe verfolgt
und zwingt, ihr das erbeutete Stück hinzuwerfen. Bligh erwähnt, daß er von glaubwürdigen
Leuten gehört habe, der Milan freſſe zuweilen ſogar Krähen. Dieſe ihrerſeits verfolgen die
Gowinda, wie es ſcheint, aber blos, um ſich zu vergnügen. Bligh ſagt, daß ſie ſich in großen
Scharen vereinigen; ich habe Daſſelbe beobachtet. Die Milane der ganzen Nachbarſchaft kamen
zuſammen und hielten gleichſam eine Berathung ab. Es wird geſagt, daß ſie während der Regenzeit
Kalkutta auf drei bis vier Monate gänzlich verlaſſen; ich habe Dies an andern Orten nicht gefunden.
Sie paaren ſich zu Weihnachten und brüten vom Januar bis April. Das Neſt wird aus Stöcken
und Reiſig erbaut, oft mit Lumpen ausgefüttert und auf Bäumen, hohen Gebäuden, ſelten auf Felſen
angelegt. Es enthält zwei oder drei Eier.‟

Von dem afrikaniſchen Vertreter des Milans, welcher mit Fug und Recht Schmarotzer-
milan
(Hydroictinia parasitica) genannt wird, würde ich hier gern eine ausführlichere Schilderung
eingeſchaltet haben, hätte ich ſolche nicht erſt vor Kurzem in meinen „Ergebniſſen u. ſ. w.‟
veröffentlicht. Jch muß daher diejenigen meiner Leſer, welche über den merkwürdigen Vogel näher
unterrichtet ſein wollen, erſuchen, die dort gegebene Beſchreibung nachzuleſen. Der Schmarotzermilan
verdient bekannt zu werden; denn die Rolle, welche er ſpielt, iſt ungleich bedeutſamer für den
Menſchen, als die Thätigkeit ſeiner europäiſchen Verwandten.



Der Königsweih oder der rothe Milan, der Gabel-, Röthel-, Rüttel-, Hole- und
Kürweih, der Stein-, Stoß-, Hühner- und Gabelgeier, Gabler, Gabel- oder
Schwalbenſchwanz, Schwimmer, Krümmer, Stert oder Tyverl (Milvus regalis) gilt uns
als das Urbild aller Milane. Er unterſcheidet ſich von dem vorigen durch verhältnißmäßig ſtärkeren,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0524" n="492"/><fw place="top" type="header">Die Fänger. Raubvögel. Weihen.</fw><lb/>
dichtgefleckte Eier bilden das Gelege, welches von dem Weibchen mit großem Eifer bebrütet wird.<lb/>
Die Jungen erhalten Mäu&#x017F;e, Frö&#x017F;che und zuweilen auch junge Vögel zur Aetzung. Sie &#x017F;itzen lange<lb/>
im Ne&#x017F;te und werden auch nach dem Ausfliegen noch viele Wochen von den Alten ernährt, geführt,<lb/>
unterrichtet und gewarnt. Dann vereinzelt &#x017F;ich die Familie und jeder Einzelne geht &#x017F;einen Ge&#x017F;chäften<lb/>
nach, bis gegen den Herb&#x017F;t hin die Paare &#x017F;ich zu Trupps und die&#x017F;e zu Schwärmen vereinigen, welche<lb/>
nun gemein&#x017F;am die Winterreife antreten.</p><lb/>
          <p>Jm Käfig i&#x017F;t der Milan, wie alle &#x017F;eine näch&#x017F;ten Verwandten, ein angenehmer Vogel. Er macht<lb/>
wenig An&#x017F;prüche und ergibt &#x017F;ich bald in den Verlu&#x017F;t &#x017F;einer Freiheit, ja er gewinnt nach kurzer Zeit<lb/>
&#x017F;einen Pfleger außerordentlich lieb, begrüßt ihn mit fröhlichem Ge&#x017F;chrei, wenn er ihn von weitem<lb/>
erblickt und ver&#x017F;ucht überhaupt, &#x017F;eine Zuneigung in jeder Wei&#x017F;e an den Tag zu legen. Mit andern<lb/>
Raubvögeln gleicher Größe verträgt er &#x017F;ich vortrefflich. Er i&#x017F;t zu feig, um &#x017F;ie zu überfallen, andere<lb/>
Rück&#x017F;ichten kennt er nicht; denn mit der größten Seelenruhe frißt er die Leiche desjenigen auf, mit<lb/>
welchem er jahrelang friedlich vereinigt lebte.</p><lb/>
          <p>Der Milan Jndiens i&#x017F;t die <hi rendition="#g">Gowinda</hi> (<hi rendition="#aq">Hydroictinia Govinda</hi>), über deren Lebenswei&#x017F;e<lb/>
neuerdings <hi rendition="#g">Jerdon</hi> ausführlicher berichtet hat. &#x201E;Sie verbreitet &#x017F;ich durch ganz Jndien und i&#x017F;t einer<lb/>
der gemein&#x017F;ten Vögel des Landes vom Meer bis zu 8000 Fuß Höhe, bevorzugt große Städte und<lb/>
Ort&#x017F;chaften, &#x017F;iedelt &#x017F;ich hier an, folgt den Rei&#x017F;enden, nimmt Spei&#x017F;e unmittelbar vor dem Men&#x017F;chen<lb/>
auf, jagt andern Vögeln und ihren eigenen Kameraden die Nahrung ab und nimmt auch wohl ein<lb/>
Huhn oder einen verwundeten Vogel jeder Art, &#x017F;elb&#x017F;t erwach&#x017F;ene Hennen, auf. <hi rendition="#g">Philipps</hi> &#x017F;agt, daß<lb/>
&#x017F;ie ein &#x017F;ehr li&#x017F;tiger Vogel &#x017F;ei, welcher Papageien und Hühner wegnehme, &#x017F;ich aber vor andern Falken<lb/>
und Krähen fürchte, es z. B. ge&#x017F;tatte, daß Krähen ein Stück Flei&#x017F;ch vor ihm zertheilten, welches zu<lb/>
erhalten er offenbar &#x017F;ehr gierig &#x017F;ei. Dies &#x017F;timmt &#x017F;chlecht zu meinen Beobachtungen. Obwohl die<lb/>
Gowinda mit den Krähen in ziemlich guter Freund&#x017F;chaft lebt, habe ich ge&#x017F;ehen, daß &#x017F;ie die&#x017F;e verfolgt<lb/>
und zwingt, ihr das erbeutete Stück hinzuwerfen. <hi rendition="#g">Bligh</hi> erwähnt, daß er von glaubwürdigen<lb/>
Leuten gehört habe, der Milan fre&#x017F;&#x017F;e zuweilen &#x017F;ogar Krähen. Die&#x017F;e ihrer&#x017F;eits verfolgen die<lb/>
Gowinda, wie es &#x017F;cheint, aber blos, um &#x017F;ich zu vergnügen. <hi rendition="#g">Bligh</hi> &#x017F;agt, daß &#x017F;ie &#x017F;ich in großen<lb/>
Scharen vereinigen; ich habe Da&#x017F;&#x017F;elbe beobachtet. Die Milane der ganzen Nachbar&#x017F;chaft kamen<lb/>
zu&#x017F;ammen und hielten gleich&#x017F;am eine Berathung ab. Es wird ge&#x017F;agt, daß &#x017F;ie während der Regenzeit<lb/>
Kalkutta auf drei bis vier Monate gänzlich verla&#x017F;&#x017F;en; ich habe Dies an andern Orten nicht gefunden.<lb/>
Sie paaren &#x017F;ich zu Weihnachten und brüten vom Januar bis April. Das Ne&#x017F;t wird aus Stöcken<lb/>
und Rei&#x017F;ig erbaut, oft mit Lumpen ausgefüttert und auf Bäumen, hohen Gebäuden, &#x017F;elten auf Fel&#x017F;en<lb/>
angelegt. Es enthält zwei oder drei Eier.&#x201F;</p><lb/>
          <p>Von dem afrikani&#x017F;chen Vertreter des Milans, welcher mit Fug und Recht <hi rendition="#g">Schmarotzer-<lb/>
milan</hi> (<hi rendition="#aq">Hydroictinia parasitica</hi>) genannt wird, würde ich hier gern eine ausführlichere Schilderung<lb/>
einge&#x017F;chaltet haben, hätte ich &#x017F;olche nicht er&#x017F;t vor Kurzem in meinen &#x201E;Ergebni&#x017F;&#x017F;en u. &#x017F;. w.&#x201F;<lb/>
veröffentlicht. Jch muß daher diejenigen meiner Le&#x017F;er, welche über den merkwürdigen Vogel näher<lb/>
unterrichtet &#x017F;ein wollen, er&#x017F;uchen, die dort gegebene Be&#x017F;chreibung nachzule&#x017F;en. Der Schmarotzermilan<lb/>
verdient bekannt zu werden; denn die Rolle, welche er &#x017F;pielt, i&#x017F;t ungleich bedeut&#x017F;amer für den<lb/>
Men&#x017F;chen, als die Thätigkeit &#x017F;einer europäi&#x017F;chen Verwandten.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Der <hi rendition="#g">Königsweih</hi> oder der <hi rendition="#g">rothe Milan,</hi> der <hi rendition="#g">Gabel-, Röthel-, Rüttel-, Hole-</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Kürweih,</hi> der <hi rendition="#g">Stein-, Stoß-, Hühner-</hi> und <hi rendition="#g">Gabelgeier, Gabler, Gabel-</hi> oder<lb/><hi rendition="#g">Schwalben&#x017F;chwanz, Schwimmer, Krümmer, Stert</hi> oder <hi rendition="#g">Tyverl</hi> (<hi rendition="#aq">Milvus regalis</hi>) gilt uns<lb/>
als das Urbild aller Milane. Er unter&#x017F;cheidet &#x017F;ich von dem vorigen durch verhältnißmäßig &#x017F;tärkeren,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[492/0524] Die Fänger. Raubvögel. Weihen. dichtgefleckte Eier bilden das Gelege, welches von dem Weibchen mit großem Eifer bebrütet wird. Die Jungen erhalten Mäuſe, Fröſche und zuweilen auch junge Vögel zur Aetzung. Sie ſitzen lange im Neſte und werden auch nach dem Ausfliegen noch viele Wochen von den Alten ernährt, geführt, unterrichtet und gewarnt. Dann vereinzelt ſich die Familie und jeder Einzelne geht ſeinen Geſchäften nach, bis gegen den Herbſt hin die Paare ſich zu Trupps und dieſe zu Schwärmen vereinigen, welche nun gemeinſam die Winterreife antreten. Jm Käfig iſt der Milan, wie alle ſeine nächſten Verwandten, ein angenehmer Vogel. Er macht wenig Anſprüche und ergibt ſich bald in den Verluſt ſeiner Freiheit, ja er gewinnt nach kurzer Zeit ſeinen Pfleger außerordentlich lieb, begrüßt ihn mit fröhlichem Geſchrei, wenn er ihn von weitem erblickt und verſucht überhaupt, ſeine Zuneigung in jeder Weiſe an den Tag zu legen. Mit andern Raubvögeln gleicher Größe verträgt er ſich vortrefflich. Er iſt zu feig, um ſie zu überfallen, andere Rückſichten kennt er nicht; denn mit der größten Seelenruhe frißt er die Leiche desjenigen auf, mit welchem er jahrelang friedlich vereinigt lebte. Der Milan Jndiens iſt die Gowinda (Hydroictinia Govinda), über deren Lebensweiſe neuerdings Jerdon ausführlicher berichtet hat. „Sie verbreitet ſich durch ganz Jndien und iſt einer der gemeinſten Vögel des Landes vom Meer bis zu 8000 Fuß Höhe, bevorzugt große Städte und Ortſchaften, ſiedelt ſich hier an, folgt den Reiſenden, nimmt Speiſe unmittelbar vor dem Menſchen auf, jagt andern Vögeln und ihren eigenen Kameraden die Nahrung ab und nimmt auch wohl ein Huhn oder einen verwundeten Vogel jeder Art, ſelbſt erwachſene Hennen, auf. Philipps ſagt, daß ſie ein ſehr liſtiger Vogel ſei, welcher Papageien und Hühner wegnehme, ſich aber vor andern Falken und Krähen fürchte, es z. B. geſtatte, daß Krähen ein Stück Fleiſch vor ihm zertheilten, welches zu erhalten er offenbar ſehr gierig ſei. Dies ſtimmt ſchlecht zu meinen Beobachtungen. Obwohl die Gowinda mit den Krähen in ziemlich guter Freundſchaft lebt, habe ich geſehen, daß ſie dieſe verfolgt und zwingt, ihr das erbeutete Stück hinzuwerfen. Bligh erwähnt, daß er von glaubwürdigen Leuten gehört habe, der Milan freſſe zuweilen ſogar Krähen. Dieſe ihrerſeits verfolgen die Gowinda, wie es ſcheint, aber blos, um ſich zu vergnügen. Bligh ſagt, daß ſie ſich in großen Scharen vereinigen; ich habe Daſſelbe beobachtet. Die Milane der ganzen Nachbarſchaft kamen zuſammen und hielten gleichſam eine Berathung ab. Es wird geſagt, daß ſie während der Regenzeit Kalkutta auf drei bis vier Monate gänzlich verlaſſen; ich habe Dies an andern Orten nicht gefunden. Sie paaren ſich zu Weihnachten und brüten vom Januar bis April. Das Neſt wird aus Stöcken und Reiſig erbaut, oft mit Lumpen ausgefüttert und auf Bäumen, hohen Gebäuden, ſelten auf Felſen angelegt. Es enthält zwei oder drei Eier.‟ Von dem afrikaniſchen Vertreter des Milans, welcher mit Fug und Recht Schmarotzer- milan (Hydroictinia parasitica) genannt wird, würde ich hier gern eine ausführlichere Schilderung eingeſchaltet haben, hätte ich ſolche nicht erſt vor Kurzem in meinen „Ergebniſſen u. ſ. w.‟ veröffentlicht. Jch muß daher diejenigen meiner Leſer, welche über den merkwürdigen Vogel näher unterrichtet ſein wollen, erſuchen, die dort gegebene Beſchreibung nachzuleſen. Der Schmarotzermilan verdient bekannt zu werden; denn die Rolle, welche er ſpielt, iſt ungleich bedeutſamer für den Menſchen, als die Thätigkeit ſeiner europäiſchen Verwandten. Der Königsweih oder der rothe Milan, der Gabel-, Röthel-, Rüttel-, Hole- und Kürweih, der Stein-, Stoß-, Hühner- und Gabelgeier, Gabler, Gabel- oder Schwalbenſchwanz, Schwimmer, Krümmer, Stert oder Tyverl (Milvus regalis) gilt uns als das Urbild aller Milane. Er unterſcheidet ſich von dem vorigen durch verhältnißmäßig ſtärkeren,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/524
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/524>, abgerufen am 22.11.2024.