Der Habichtsadler vereinigt die Schuelligkeit des Falken mit der Gewandtheit des Sperbers, den Muth des Adlers mit der Blutgier des Habichts. Er fürchtet sich vor keinem andern Vogel und greift jeden an, welcher in seine Nähe kommt, sei es, um ihn zu vertreiben, oder sei es, um sich seiner zu bemächtigen. Mein Bruder sah ihn sich wüthend mit dem Geieradler balgen; Krüper sah ihn auf Seeadler, höchst gefährliche Gegner, mit demselben Eifer stoßen, wie auf langhälsige Geier; ich lernte ihn als Verfolger des Kuttengeiers und des Steinadlers kennen. Wahrscheinlich streitet er sich mit jedem Raubvogel überhaupt.
Seine Jagd gilt, wie ich glaube, ebenso vielen Thieren als die Jagd des Steinadlers. Tem- minck, sein erster Beschreiber, läßt ihn einfach auf Wassergeflügel stoßen; der Habichtsadler begnügt sich jedoch keineswegs mit einem so beschränkten Wildstande. Jn Spanien ist er der gefürchtetste Feind der Haushühner; sie erhebt er unmittelbar vor den Augen des Menschen, und sie verfolgt er mit einer Hartnäckigkeit, daß er den Hühnerbestand mancher einsam gelegenen Bauernhöfe buchstäblich vernichtet. Den Tauben stellt er nicht minder eifrig nach, und Säugethiere bis zur Größe eines Hasen werden von ihm ohne Unterlaß bedroht. Jn Jndien jagt er nach Jerdon Hasen, Dschungelhühner, Reiher, Enten und andere Wasservögel, nach der Behauptung der Schikaris auch Nimmersatts, nach der Versicherung der eingebornen Falkoniere sogar deren zahme oder abgerichtete Falken. Jerdon selbst sah ihn in den Nilgerris nach einander auf einen Hasen, ein Dschungelhuhn und einen Pfau stoßen, wenn auch vergeblich, weil die Dichtigkeit des Dschungels seine Angriffe vereitelte. Ein Paar besuchte dort regelmäßig ein Dorf, um daselbst Hühner zu fangen. Elliot versichert, gesehen zu haben, daß zwei Bonelli's-Habichtsadler einen Pfau fast überwältigten, wenigstens zu Boden warfen. "Großen Schaden", sagt Jerdon, "richtete ein Paar in den Tauben- häusern in den Nilgerris an. Jch erfuhr, daß eins oder zwei dieser Häuser vollständig durch sie entvölkert worden waren. Der Taubenfang der Habichtsadler geschieht nach den Berichten von Augenzeugen in folgender Weise. Wenn die Tauben die Flucht ergreifen, stürzt sich einer dieser Adler aus einer bedeutenden Höhe herab, nimmt aber seine Richtung mehr unter den Tauben, als geradezu in den Schwarm hinein. Sein Gefährte nimmt nun den Augenblick wahr, wenn die Tauben durch den ersten Stoß in Verwirrung gerathen sind und stößt mit untrüglicher Sicherheit auf eine von ihnen herab. Der andere hat sich inzwischen von neuem erhoben und thut nun einen zweiten, ebenfalls verhängnißvollen Stoß."
Alle Thiere, denen der Habichtsadler nachstellt, kennen seine Furchtbarkeit wohl und suchen dem Räuber deshalb so schleunig wie möglich zu entgehen. "Wenn ich", erzählt Powys, "gut im Ried verborgen an den Seen Albaniens auf Enten und Wasserhühner lauerte, habe ich oft bemerkt, welchen Eindruck das Erscheinen eines Habichtsadlers machte. Alle Wasservögel bekümmerten sich kaum um die Rohrweihen, welche über ihnen dahinschwebten, und erhoben kaum ihr Haupt, wenn sich ein Schreiadler zeigte. Sobald aber ein Habichtsadler sichtbar wurde, rannten die Wasserhühner in der bekannten Weise dem Riede zu; die Enten drückten sich mit wagrecht niedergebeugtem Hals platt auf das Wasser, und Warnungs- und Augstrufe wurden laut von allen Seiten, bis der Tyrann vorüber war. Jch habe zweimal gesehen, daß diese Raubvögel sich auf Vögel stürzten, welche ich verwundet hatte, bin aber niemals im Stande gewesen, einen Schuß auf sie anzubringen."
Der Horst steht, wie es scheint, stets in Höhlungen steiler Felsenwände, an möglichst gesicherten Stellen. Soviel mir bekannt, hat nur Krüper eine Beschreibung desselben gegeben. Er untersuchte einen, welcher in der Felsenhöhle eines griechischen Gebirges stand und zwei Eier enthielt. Das Gebäude war aus kleinen Zweigen des wilden Oelbaums, aus einigen Blättern der Stecheiche zusammengetragen und die Nestmulde mit den Dunen des Vogels belegt. Die beiden Eier waren in Färbung und Korn verschieden, zeigten jedoch das Gepräge von Adlereiern. Das eine war fleckenlos und schmuzigweiß, das andere reinweiß mit kleinen deutlichen Flecken. Auch von andern Eiern ist bekannt, daß sie in Färbung und Zeichnung sehr abändern. Als auffallend hebt Krüper hervor, daß der betreffende Horst den Strahlen der Mittagssonne ausgesetzt und die Höhle deshalb ungemein erwärmt war.
Habichtsadler.
Der Habichtsadler vereinigt die Schuelligkeit des Falken mit der Gewandtheit des Sperbers, den Muth des Adlers mit der Blutgier des Habichts. Er fürchtet ſich vor keinem andern Vogel und greift jeden an, welcher in ſeine Nähe kommt, ſei es, um ihn zu vertreiben, oder ſei es, um ſich ſeiner zu bemächtigen. Mein Bruder ſah ihn ſich wüthend mit dem Geieradler balgen; Krüper ſah ihn auf Seeadler, höchſt gefährliche Gegner, mit demſelben Eifer ſtoßen, wie auf langhälſige Geier; ich lernte ihn als Verfolger des Kuttengeiers und des Steinadlers kennen. Wahrſcheinlich ſtreitet er ſich mit jedem Raubvogel überhaupt.
Seine Jagd gilt, wie ich glaube, ebenſo vielen Thieren als die Jagd des Steinadlers. Tem- minck, ſein erſter Beſchreiber, läßt ihn einfach auf Waſſergeflügel ſtoßen; der Habichtsadler begnügt ſich jedoch keineswegs mit einem ſo beſchränkten Wildſtande. Jn Spanien iſt er der gefürchtetſte Feind der Haushühner; ſie erhebt er unmittelbar vor den Augen des Menſchen, und ſie verfolgt er mit einer Hartnäckigkeit, daß er den Hühnerbeſtand mancher einſam gelegenen Bauernhöfe buchſtäblich vernichtet. Den Tauben ſtellt er nicht minder eifrig nach, und Säugethiere bis zur Größe eines Haſen werden von ihm ohne Unterlaß bedroht. Jn Jndien jagt er nach Jerdon Haſen, Dſchungelhühner, Reiher, Enten und andere Waſſervögel, nach der Behauptung der Schikaris auch Nimmerſatts, nach der Verſicherung der eingebornen Falkoniere ſogar deren zahme oder abgerichtete Falken. Jerdon ſelbſt ſah ihn in den Nilgerris nach einander auf einen Haſen, ein Dſchungelhuhn und einen Pfau ſtoßen, wenn auch vergeblich, weil die Dichtigkeit des Dſchungels ſeine Angriffe vereitelte. Ein Paar beſuchte dort regelmäßig ein Dorf, um daſelbſt Hühner zu fangen. Elliot verſichert, geſehen zu haben, daß zwei Bonelli’s-Habichtsadler einen Pfau faſt überwältigten, wenigſtens zu Boden warfen. „Großen Schaden‟, ſagt Jerdon, „richtete ein Paar in den Tauben- häuſern in den Nilgerris an. Jch erfuhr, daß eins oder zwei dieſer Häuſer vollſtändig durch ſie entvölkert worden waren. Der Taubenfang der Habichtsadler geſchieht nach den Berichten von Augenzeugen in folgender Weiſe. Wenn die Tauben die Flucht ergreifen, ſtürzt ſich einer dieſer Adler aus einer bedeutenden Höhe herab, nimmt aber ſeine Richtung mehr unter den Tauben, als geradezu in den Schwarm hinein. Sein Gefährte nimmt nun den Augenblick wahr, wenn die Tauben durch den erſten Stoß in Verwirrung gerathen ſind und ſtößt mit untrüglicher Sicherheit auf eine von ihnen herab. Der andere hat ſich inzwiſchen von neuem erhoben und thut nun einen zweiten, ebenfalls verhängnißvollen Stoß.‟
Alle Thiere, denen der Habichtsadler nachſtellt, kennen ſeine Furchtbarkeit wohl und ſuchen dem Räuber deshalb ſo ſchleunig wie möglich zu entgehen. „Wenn ich‟, erzählt Powys, „gut im Ried verborgen an den Seen Albaniens auf Enten und Waſſerhühner lauerte, habe ich oft bemerkt, welchen Eindruck das Erſcheinen eines Habichtsadlers machte. Alle Waſſervögel bekümmerten ſich kaum um die Rohrweihen, welche über ihnen dahinſchwebten, und erhoben kaum ihr Haupt, wenn ſich ein Schreiadler zeigte. Sobald aber ein Habichtsadler ſichtbar wurde, rannten die Waſſerhühner in der bekannten Weiſe dem Riede zu; die Enten drückten ſich mit wagrecht niedergebeugtem Hals platt auf das Waſſer, und Warnungs- und Augſtrufe wurden laut von allen Seiten, bis der Tyrann vorüber war. Jch habe zweimal geſehen, daß dieſe Raubvögel ſich auf Vögel ſtürzten, welche ich verwundet hatte, bin aber niemals im Stande geweſen, einen Schuß auf ſie anzubringen.‟
Der Horſt ſteht, wie es ſcheint, ſtets in Höhlungen ſteiler Felſenwände, an möglichſt geſicherten Stellen. Soviel mir bekannt, hat nur Krüper eine Beſchreibung deſſelben gegeben. Er unterſuchte einen, welcher in der Felſenhöhle eines griechiſchen Gebirges ſtand und zwei Eier enthielt. Das Gebäude war aus kleinen Zweigen des wilden Oelbaums, aus einigen Blättern der Stecheiche zuſammengetragen und die Neſtmulde mit den Dunen des Vogels belegt. Die beiden Eier waren in Färbung und Korn verſchieden, zeigten jedoch das Gepräge von Adlereiern. Das eine war fleckenlos und ſchmuzigweiß, das andere reinweiß mit kleinen deutlichen Flecken. Auch von andern Eiern iſt bekannt, daß ſie in Färbung und Zeichnung ſehr abändern. Als auffallend hebt Krüper hervor, daß der betreffende Horſt den Strahlen der Mittagsſonne ausgeſetzt und die Höhle deshalb ungemein erwärmt war.
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Habichtsadler.
Der Habichtsadler vereinigt die Schuelligkeit des Falken mit der Gewandtheit des Sperbers, den Muth
des Adlers mit der Blutgier des Habichts. Er fürchtet ſich vor keinem andern Vogel und greift
jeden an, welcher in ſeine Nähe kommt, ſei es, um ihn zu vertreiben, oder ſei es, um ſich ſeiner
zu bemächtigen. Mein Bruder ſah ihn ſich wüthend mit dem Geieradler balgen; Krüper ſah ihn
auf Seeadler, höchſt gefährliche Gegner, mit demſelben Eifer ſtoßen, wie auf langhälſige Geier; ich
lernte ihn als Verfolger des Kuttengeiers und des Steinadlers kennen. Wahrſcheinlich ſtreitet er ſich
mit jedem Raubvogel überhaupt.
Seine Jagd gilt, wie ich glaube, ebenſo vielen Thieren als die Jagd des Steinadlers. Tem-
minck, ſein erſter Beſchreiber, läßt ihn einfach auf Waſſergeflügel ſtoßen; der Habichtsadler begnügt
ſich jedoch keineswegs mit einem ſo beſchränkten Wildſtande. Jn Spanien iſt er der gefürchtetſte
Feind der Haushühner; ſie erhebt er unmittelbar vor den Augen des Menſchen, und ſie verfolgt er
mit einer Hartnäckigkeit, daß er den Hühnerbeſtand mancher einſam gelegenen Bauernhöfe buchſtäblich
vernichtet. Den Tauben ſtellt er nicht minder eifrig nach, und Säugethiere bis zur Größe eines
Haſen werden von ihm ohne Unterlaß bedroht. Jn Jndien jagt er nach Jerdon Haſen,
Dſchungelhühner, Reiher, Enten und andere Waſſervögel, nach der Behauptung der Schikaris
auch Nimmerſatts, nach der Verſicherung der eingebornen Falkoniere ſogar deren zahme oder
abgerichtete Falken. Jerdon ſelbſt ſah ihn in den Nilgerris nach einander auf einen Haſen, ein
Dſchungelhuhn und einen Pfau ſtoßen, wenn auch vergeblich, weil die Dichtigkeit des Dſchungels
ſeine Angriffe vereitelte. Ein Paar beſuchte dort regelmäßig ein Dorf, um daſelbſt Hühner zu fangen.
Elliot verſichert, geſehen zu haben, daß zwei Bonelli’s-Habichtsadler einen Pfau faſt überwältigten,
wenigſtens zu Boden warfen. „Großen Schaden‟, ſagt Jerdon, „richtete ein Paar in den Tauben-
häuſern in den Nilgerris an. Jch erfuhr, daß eins oder zwei dieſer Häuſer vollſtändig durch ſie
entvölkert worden waren. Der Taubenfang der Habichtsadler geſchieht nach den Berichten von
Augenzeugen in folgender Weiſe. Wenn die Tauben die Flucht ergreifen, ſtürzt ſich einer dieſer
Adler aus einer bedeutenden Höhe herab, nimmt aber ſeine Richtung mehr unter den Tauben,
als geradezu in den Schwarm hinein. Sein Gefährte nimmt nun den Augenblick wahr, wenn die
Tauben durch den erſten Stoß in Verwirrung gerathen ſind und ſtößt mit untrüglicher Sicherheit auf
eine von ihnen herab. Der andere hat ſich inzwiſchen von neuem erhoben und thut nun einen zweiten,
ebenfalls verhängnißvollen Stoß.‟
Alle Thiere, denen der Habichtsadler nachſtellt, kennen ſeine Furchtbarkeit wohl und ſuchen dem
Räuber deshalb ſo ſchleunig wie möglich zu entgehen. „Wenn ich‟, erzählt Powys, „gut im Ried
verborgen an den Seen Albaniens auf Enten und Waſſerhühner lauerte, habe ich oft bemerkt, welchen
Eindruck das Erſcheinen eines Habichtsadlers machte. Alle Waſſervögel bekümmerten ſich kaum um
die Rohrweihen, welche über ihnen dahinſchwebten, und erhoben kaum ihr Haupt, wenn ſich ein
Schreiadler zeigte. Sobald aber ein Habichtsadler ſichtbar wurde, rannten die Waſſerhühner
in der bekannten Weiſe dem Riede zu; die Enten drückten ſich mit wagrecht niedergebeugtem Hals
platt auf das Waſſer, und Warnungs- und Augſtrufe wurden laut von allen Seiten, bis der Tyrann
vorüber war. Jch habe zweimal geſehen, daß dieſe Raubvögel ſich auf Vögel ſtürzten, welche ich
verwundet hatte, bin aber niemals im Stande geweſen, einen Schuß auf ſie anzubringen.‟
Der Horſt ſteht, wie es ſcheint, ſtets in Höhlungen ſteiler Felſenwände, an möglichſt geſicherten
Stellen. Soviel mir bekannt, hat nur Krüper eine Beſchreibung deſſelben gegeben. Er unterſuchte
einen, welcher in der Felſenhöhle eines griechiſchen Gebirges ſtand und zwei Eier enthielt. Das
Gebäude war aus kleinen Zweigen des wilden Oelbaums, aus einigen Blättern der Stecheiche
zuſammengetragen und die Neſtmulde mit den Dunen des Vogels belegt. Die beiden Eier waren in
Färbung und Korn verſchieden, zeigten jedoch das Gepräge von Adlereiern. Das eine war fleckenlos und
ſchmuzigweiß, das andere reinweiß mit kleinen deutlichen Flecken. Auch von andern Eiern iſt bekannt, daß
ſie in Färbung und Zeichnung ſehr abändern. Als auffallend hebt Krüper hervor, daß der betreffende
Horſt den Strahlen der Mittagsſonne ausgeſetzt und die Höhle deshalb ungemein erwärmt war.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/493>, abgerufen am 22.11.2024.
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