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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Raubvögel. Adler.
sie auch kleine Thiere nicht verschmähen, ist durch hinlängliche Beobachtung festgestellt worden. Gerade
für diese Adler und insbesondere für den Königsadler gilt Das, was ich im Eingang über die schma-
rotzenden Bewohner des Adlerhorstes sagte. Jn seinem Neste siedeln sich namentlich Sperlinge an,
und sie wohnen dem Anschein nach unbehelligt. Daß es aber dem Adler nicht an gutem Willen
fehlt, sie abzuwürgen, beweist eine Beobachtung Radde's, welcher den Steinadler Lerchen fangen
sah. "Die Kalanderlerchen", sagt er, "verfolgten ihn, sobald er aufflog. Ließ er sich nun
auf der nächsten Erhöhung nieder, so setzten sich die kleinen Vögel auf den Boden und waren gar
nicht schen. Plötzlich aber sprang der Adler in die Menge von ihnen hinein, griff blitzschnell zu,
und hielt gewöhnlich eine von ihnen als Beute fest." Aus meines Vaters Beobachtungen geht
hervor, daß der Adler sich nicht einmal scheut, einen Jgel anzugreifen, so unangenehm ihm das
Stachelkleid desselben auch sein mag. Viele Thiere, welche durch ihren Aufenthalt großen Schutz
genießen, werden ihm dennoch zur Beute, weil er sie so lange jagt, bis sie ermattet sich ihm hingeben.
So ängstigt er Schwimmvögel, welche sich bei seinem Erscheinen durch Tauchen zu retten suchen, bis
sie nicht mehr tauchen können, dann nimmt er sie ohne Umstände weg. Auch andere Räuber müssen
für ihn arbeiten; der Wanderfalk zumal muß ihm oft die eben gemachte Beute ablassen.

Die gefangene und getödtete oder wenigstens halb erwürgte Beute wird vor dem Verzehren von
dem Adler erst oberflächlich gerupft; nachdem Dies geschehen, fängt er beim Kopf zu fressen an, zer-
trümmert die Knochen desselben und frißt auch sie mit, falls ihm ersteres gelang. Bei größeren
Vögeln läßt er nur den Schnabel liegen. Nach dem Kopfe wird der Hals verzehrt, sodann der
übrige Körper. Die mit Unrath gefüllten Gedärme läßt er liegen; alles Uebrige aber, welches er
zerbeißen kann, verschluckt und verdaut er. Da er wie die Habichte und Edelfalken nur kleine
Stücke verschlingt, bringt er mit dem Verzehren einer halben Krähe etwa zwanzig Minuten zu.
Er frißt mit größter Vorsicht, sieht sich von Zeit zu Zeit um und lauscht nach allen Seiten hin. Bei
dem geringsten Geräusch hält er inne, blickt lange nach der Gegend, von welcher es herkam und
fängt erst dann wieder zu fressen an, wenn Alles ruhig geworden ist. Nach der Mahlzeit putzt
er sich den Schnabel sehr sorgfältig. Haare und Federn sind auch ihm ein dringendes Bedürfniß;
sie scheinen ihm zur Reinigung des Magens unentbehrlich zu sein. Nach vollendeter Verdauung
ballen sie sich zu einem Klumpen zusammen, und diesen, das Gewölle, speit er aus, gewöhnlich alle
fünf bis acht Tage einmal. Bekommt er keine Haare oder Federn, so würgt er Heu oder Stroh
hinab. Knochen, welche er sehr gern mit verschlingt, werden vollständig verdaut.

Der Adler horstet frühzeitig im Jahre, gewöhnlich schon Mitte oder Ende März. Die Eier
sind verhältnißmäßig klein, sehr rundlich, rauhschalig und auf weißlichem oder grünlichgrauem Grunde
unregelmäßig mit größeren und kleineren Flecken und Punkten, welche oft zusammenlaufen, gezeichnet.
Die Eier des Steinadlers sind, wie zu erwarten, die größten, die Eier des Königsadlers die
kleinsten; letztere sollen auch rundlicher sein, als jene. Ueber das Fortpflanzungsgeschäft des
Goldadlers scheint etwas Sicheres noch nicht bekannt zu sein; wahrscheinlich hat man seine Eier
oft mit denen des Steinadlers verwechselt. Man findet zwei bis drei Eier in jedem Horste, selten
aber mehr als zwei Junge, oft nur ein einziges. Das Weibchen brütet ungefähr fünf Wochen.
Die aus dem Ei geschlüpften Jungen sind wie andere Raubvögel dicht mit graulichweißem Woll-
flaum bedeckt. Jhre Ernährung geschieht ganz wie bei anderen Raubvögeln, jedoch in großartigerem
Maßstabe, falls ich so sagen darf. Beide Adler schleppen von nah und fern so viele Thiere
herbei, als sie erlangen können. Nach Bechstein soll man in der Nähe eines Horstes die Ueber-
bleibsel von vierzig Hasen und dreihundert Enten gefunden haben. Diese Schätzung ist
unzweifelhaft übertrieben; schlimm genug aber haust das Adlerpaar unter den Thieren der Umgegend
und zwar einer Umgegend im weiteren Sinne des Worts; denn man hat beobachtet, daß es Reiher
drei bis vier Meilen weit seinem Horste zuschleppte. Dem kleineren Herdeuvieh wird der Adler
während der Brutzeit zu einer wahren Plage. Dies wissen die Gebirgsbewohner wohl und scheuen
deshalb keine Gefahr, die Jungen im Neste auszuheben.

Die Fänger. Raubvögel. Adler.
ſie auch kleine Thiere nicht verſchmähen, iſt durch hinlängliche Beobachtung feſtgeſtellt worden. Gerade
für dieſe Adler und insbeſondere für den Königsadler gilt Das, was ich im Eingang über die ſchma-
rotzenden Bewohner des Adlerhorſtes ſagte. Jn ſeinem Neſte ſiedeln ſich namentlich Sperlinge an,
und ſie wohnen dem Anſchein nach unbehelligt. Daß es aber dem Adler nicht an gutem Willen
fehlt, ſie abzuwürgen, beweiſt eine Beobachtung Radde’s, welcher den Steinadler Lerchen fangen
ſah. „Die Kalanderlerchen‟, ſagt er, „verfolgten ihn, ſobald er aufflog. Ließ er ſich nun
auf der nächſten Erhöhung nieder, ſo ſetzten ſich die kleinen Vögel auf den Boden und waren gar
nicht ſchen. Plötzlich aber ſprang der Adler in die Menge von ihnen hinein, griff blitzſchnell zu,
und hielt gewöhnlich eine von ihnen als Beute feſt.‟ Aus meines Vaters Beobachtungen geht
hervor, daß der Adler ſich nicht einmal ſcheut, einen Jgel anzugreifen, ſo unangenehm ihm das
Stachelkleid deſſelben auch ſein mag. Viele Thiere, welche durch ihren Aufenthalt großen Schutz
genießen, werden ihm dennoch zur Beute, weil er ſie ſo lange jagt, bis ſie ermattet ſich ihm hingeben.
So ängſtigt er Schwimmvögel, welche ſich bei ſeinem Erſcheinen durch Tauchen zu retten ſuchen, bis
ſie nicht mehr tauchen können, dann nimmt er ſie ohne Umſtände weg. Auch andere Räuber müſſen
für ihn arbeiten; der Wanderfalk zumal muß ihm oft die eben gemachte Beute ablaſſen.

Die gefangene und getödtete oder wenigſtens halb erwürgte Beute wird vor dem Verzehren von
dem Adler erſt oberflächlich gerupft; nachdem Dies geſchehen, fängt er beim Kopf zu freſſen an, zer-
trümmert die Knochen deſſelben und frißt auch ſie mit, falls ihm erſteres gelang. Bei größeren
Vögeln läßt er nur den Schnabel liegen. Nach dem Kopfe wird der Hals verzehrt, ſodann der
übrige Körper. Die mit Unrath gefüllten Gedärme läßt er liegen; alles Uebrige aber, welches er
zerbeißen kann, verſchluckt und verdaut er. Da er wie die Habichte und Edelfalken nur kleine
Stücke verſchlingt, bringt er mit dem Verzehren einer halben Krähe etwa zwanzig Minuten zu.
Er frißt mit größter Vorſicht, ſieht ſich von Zeit zu Zeit um und lauſcht nach allen Seiten hin. Bei
dem geringſten Geräuſch hält er inne, blickt lange nach der Gegend, von welcher es herkam und
fängt erſt dann wieder zu freſſen an, wenn Alles ruhig geworden iſt. Nach der Mahlzeit putzt
er ſich den Schnabel ſehr ſorgfältig. Haare und Federn ſind auch ihm ein dringendes Bedürfniß;
ſie ſcheinen ihm zur Reinigung des Magens unentbehrlich zu ſein. Nach vollendeter Verdauung
ballen ſie ſich zu einem Klumpen zuſammen, und dieſen, das Gewölle, ſpeit er aus, gewöhnlich alle
fünf bis acht Tage einmal. Bekommt er keine Haare oder Federn, ſo würgt er Heu oder Stroh
hinab. Knochen, welche er ſehr gern mit verſchlingt, werden vollſtändig verdaut.

Der Adler horſtet frühzeitig im Jahre, gewöhnlich ſchon Mitte oder Ende März. Die Eier
ſind verhältnißmäßig klein, ſehr rundlich, rauhſchalig und auf weißlichem oder grünlichgrauem Grunde
unregelmäßig mit größeren und kleineren Flecken und Punkten, welche oft zuſammenlaufen, gezeichnet.
Die Eier des Steinadlers ſind, wie zu erwarten, die größten, die Eier des Königsadlers die
kleinſten; letztere ſollen auch rundlicher ſein, als jene. Ueber das Fortpflanzungsgeſchäft des
Goldadlers ſcheint etwas Sicheres noch nicht bekannt zu ſein; wahrſcheinlich hat man ſeine Eier
oft mit denen des Steinadlers verwechſelt. Man findet zwei bis drei Eier in jedem Horſte, ſelten
aber mehr als zwei Junge, oft nur ein einziges. Das Weibchen brütet ungefähr fünf Wochen.
Die aus dem Ei geſchlüpften Jungen ſind wie andere Raubvögel dicht mit graulichweißem Woll-
flaum bedeckt. Jhre Ernährung geſchieht ganz wie bei anderen Raubvögeln, jedoch in großartigerem
Maßſtabe, falls ich ſo ſagen darf. Beide Adler ſchleppen von nah und fern ſo viele Thiere
herbei, als ſie erlangen können. Nach Bechſtein ſoll man in der Nähe eines Horſtes die Ueber-
bleibſel von vierzig Haſen und dreihundert Enten gefunden haben. Dieſe Schätzung iſt
unzweifelhaft übertrieben; ſchlimm genug aber hauſt das Adlerpaar unter den Thieren der Umgegend
und zwar einer Umgegend im weiteren Sinne des Worts; denn man hat beobachtet, daß es Reiher
drei bis vier Meilen weit ſeinem Horſte zuſchleppte. Dem kleineren Herdeuvieh wird der Adler
während der Brutzeit zu einer wahren Plage. Dies wiſſen die Gebirgsbewohner wohl und ſcheuen
deshalb keine Gefahr, die Jungen im Neſte auszuheben.

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[452/0482] Die Fänger. Raubvögel. Adler. ſie auch kleine Thiere nicht verſchmähen, iſt durch hinlängliche Beobachtung feſtgeſtellt worden. Gerade für dieſe Adler und insbeſondere für den Königsadler gilt Das, was ich im Eingang über die ſchma- rotzenden Bewohner des Adlerhorſtes ſagte. Jn ſeinem Neſte ſiedeln ſich namentlich Sperlinge an, und ſie wohnen dem Anſchein nach unbehelligt. Daß es aber dem Adler nicht an gutem Willen fehlt, ſie abzuwürgen, beweiſt eine Beobachtung Radde’s, welcher den Steinadler Lerchen fangen ſah. „Die Kalanderlerchen‟, ſagt er, „verfolgten ihn, ſobald er aufflog. Ließ er ſich nun auf der nächſten Erhöhung nieder, ſo ſetzten ſich die kleinen Vögel auf den Boden und waren gar nicht ſchen. Plötzlich aber ſprang der Adler in die Menge von ihnen hinein, griff blitzſchnell zu, und hielt gewöhnlich eine von ihnen als Beute feſt.‟ Aus meines Vaters Beobachtungen geht hervor, daß der Adler ſich nicht einmal ſcheut, einen Jgel anzugreifen, ſo unangenehm ihm das Stachelkleid deſſelben auch ſein mag. Viele Thiere, welche durch ihren Aufenthalt großen Schutz genießen, werden ihm dennoch zur Beute, weil er ſie ſo lange jagt, bis ſie ermattet ſich ihm hingeben. So ängſtigt er Schwimmvögel, welche ſich bei ſeinem Erſcheinen durch Tauchen zu retten ſuchen, bis ſie nicht mehr tauchen können, dann nimmt er ſie ohne Umſtände weg. Auch andere Räuber müſſen für ihn arbeiten; der Wanderfalk zumal muß ihm oft die eben gemachte Beute ablaſſen. Die gefangene und getödtete oder wenigſtens halb erwürgte Beute wird vor dem Verzehren von dem Adler erſt oberflächlich gerupft; nachdem Dies geſchehen, fängt er beim Kopf zu freſſen an, zer- trümmert die Knochen deſſelben und frißt auch ſie mit, falls ihm erſteres gelang. Bei größeren Vögeln läßt er nur den Schnabel liegen. Nach dem Kopfe wird der Hals verzehrt, ſodann der übrige Körper. Die mit Unrath gefüllten Gedärme läßt er liegen; alles Uebrige aber, welches er zerbeißen kann, verſchluckt und verdaut er. Da er wie die Habichte und Edelfalken nur kleine Stücke verſchlingt, bringt er mit dem Verzehren einer halben Krähe etwa zwanzig Minuten zu. Er frißt mit größter Vorſicht, ſieht ſich von Zeit zu Zeit um und lauſcht nach allen Seiten hin. Bei dem geringſten Geräuſch hält er inne, blickt lange nach der Gegend, von welcher es herkam und fängt erſt dann wieder zu freſſen an, wenn Alles ruhig geworden iſt. Nach der Mahlzeit putzt er ſich den Schnabel ſehr ſorgfältig. Haare und Federn ſind auch ihm ein dringendes Bedürfniß; ſie ſcheinen ihm zur Reinigung des Magens unentbehrlich zu ſein. Nach vollendeter Verdauung ballen ſie ſich zu einem Klumpen zuſammen, und dieſen, das Gewölle, ſpeit er aus, gewöhnlich alle fünf bis acht Tage einmal. Bekommt er keine Haare oder Federn, ſo würgt er Heu oder Stroh hinab. Knochen, welche er ſehr gern mit verſchlingt, werden vollſtändig verdaut. Der Adler horſtet frühzeitig im Jahre, gewöhnlich ſchon Mitte oder Ende März. Die Eier ſind verhältnißmäßig klein, ſehr rundlich, rauhſchalig und auf weißlichem oder grünlichgrauem Grunde unregelmäßig mit größeren und kleineren Flecken und Punkten, welche oft zuſammenlaufen, gezeichnet. Die Eier des Steinadlers ſind, wie zu erwarten, die größten, die Eier des Königsadlers die kleinſten; letztere ſollen auch rundlicher ſein, als jene. Ueber das Fortpflanzungsgeſchäft des Goldadlers ſcheint etwas Sicheres noch nicht bekannt zu ſein; wahrſcheinlich hat man ſeine Eier oft mit denen des Steinadlers verwechſelt. Man findet zwei bis drei Eier in jedem Horſte, ſelten aber mehr als zwei Junge, oft nur ein einziges. Das Weibchen brütet ungefähr fünf Wochen. Die aus dem Ei geſchlüpften Jungen ſind wie andere Raubvögel dicht mit graulichweißem Woll- flaum bedeckt. Jhre Ernährung geſchieht ganz wie bei anderen Raubvögeln, jedoch in großartigerem Maßſtabe, falls ich ſo ſagen darf. Beide Adler ſchleppen von nah und fern ſo viele Thiere herbei, als ſie erlangen können. Nach Bechſtein ſoll man in der Nähe eines Horſtes die Ueber- bleibſel von vierzig Haſen und dreihundert Enten gefunden haben. Dieſe Schätzung iſt unzweifelhaft übertrieben; ſchlimm genug aber hauſt das Adlerpaar unter den Thieren der Umgegend und zwar einer Umgegend im weiteren Sinne des Worts; denn man hat beobachtet, daß es Reiher drei bis vier Meilen weit ſeinem Horſte zuſchleppte. Dem kleineren Herdeuvieh wird der Adler während der Brutzeit zu einer wahren Plage. Dies wiſſen die Gebirgsbewohner wohl und ſcheuen deshalb keine Gefahr, die Jungen im Neſte auszuheben.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/482>, abgerufen am 20.05.2024.