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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Sperber.
muthig, wie das andere. Freilich hat das Weibchen mehr Stärke und kann einen Kampf mit Glück
bestehen, in welchem das Männchen unterliegen müßte. So sah ich ein merkwürdiges Schauspiel vor
meinem Fenster. Ein Sperberweibchen hatte einen Sperling gefangen, und ihn hinter den Zaun
meines Gartens, kaum zehn Schritte von meiner Wohnung, getragen, um ihn hier zu verzehren. Jch
bemerkte Dies aus meinem Fenster und ließ es ruhig geschehen. Als es noch nicht halb fertig war,
kam eine Krähe, um ihm die Beute abzunehmen. Sogleich breitete der Sperber seine Flügel aus
und bedeckte damit seinen Raub. Als aber die Krähe zu wiederholten Malen auf ihn stieß, flog er
auf, hielt den Sperling in dem einen Fange, wendete sich im Flug so geschickt, daß der Rücken fast der
Erde zugekehrt war und griff mit dem freien Fange der Krähe so heftig in die Brust, daß diese abziehen
mußte. Aber auch das Männchen zeigt gleiche Dreistigkeit, wie das Weibchen, und kommt, wie dieses,
in die Dörfer."

Man kennt sehr viele Beispiele, daß Sperber im Jnnern von Häusern oder selbst von Wagen
gefangen wurden: sie hatten ihre Beute bis dahin so gierig verfolgt, daß sie alles Uebrige vergaßen.
Ganz neuerdings wurde erzählt, daß ein Sperber bei Verfolgung eines Vogels in einen in voller Fahrt
begriffenen Eisenbahnwagen flog und hier gefangen wurde.

Der Sperber ist der fürchterlichste Feind aller kleinen Vögel; er wagt sich aber auch gar nicht
selten an größere. Vom Rebhuhn an bis zum Goldhähnchen herab scheint kein Vogel vor seinen
Angriffen gesichert zu sein, und kleine Säugethiere verschmäht er ebenso wenig. Seine Kühnheit ist
zuweilen wirklich großartig. Es liegen Beobachtungen vor, daß er Haushähne angriff, und man hat
wiederholt gesehen, wie er auf Hasen stieß. Doch schien es, als ob er sich dann nur einen Spaß
machen wollte, diese furchtsamen Thiere zu ängstigen. Zuweilen wagt er sich aber auch an wehrhafte
Geschöpfe. "Jch ging einst", sagt Naumann, "in meinem Wäldchen umher und sah einem Reiher
nach, der ruhig und dicht über den Bäumen hin davonfliegen wollte. Plötzlich stürzte sich aus den
dichten Zweigen eines der letzten Bäume ein Sperber hervor, packte den erschrockenen Reiher augen-
blicklich am Halse, und beide kamen nun mit gräßlichem Geschrei aus der Höhe herab. Jch lief sogleich
hinzu, ward aber zu früh von dem Sperber bemerlt; er erschrak darüber und ließ den Reiher los,
worauf dann jeder ruhig seine Straße zog. Wohl möchte ich wissen, was aus diesem ungleichen
Kampfe geworden wäre, wenn ich beide nicht gestört hätte. Ob wohl der kleine tollkühne Räuber den
Reiher überwältigt und wirklich getödtet haben würde?"

Mit seiner Klugheit verbindet der Sperber die größte List: er lauert förmlich auf die Vögel.
Wenn er jagt, fliegt er regelmäßig ganz nah an den Gebüschen oder an Zäunen dicht über den Boden
dahin, schwenkt sich plötzlich zwischen denselben hindurch, jagt der andern Seite entlang, macht von
neuem eine Schwenkung und erscheint so immer urplötzlich in unmittelbarer Nähe vor seinem Wilde,
schwingt sich hier jählings in die Höhe und stürzt blitzschnell unter die Harmlosen. Er jagt im
Fliegen, nimmt die Vögel im Sitzen weg und verfolgt sie selbst laufend. "Ein von mir beobachtetes
Sperbermännchen", sagt mein Vater, "verfolgte einen Sperling an einem Zaune. Dieser, wohl
wissend, daß er im Fluge verloren gewesen wäre, lief immer durch den dünnen Zaun hin und her.
Der Sperber verfolgte ihn hüpfend eine Zeit so schnell und so weit wie er konnte, bis er endlich, der
fruchtlosen Jagd müde, sich auf einen Zwetschenbaum setzte und herabgeschossen wurde."

Alle kleinen Vögel kennen und fürchten ihren furchtbarsten Feind im hohen Grade. Die
Sperlinge treibt, wie Naumann sagt, "die Angst vor ihm in die Mäuselöcher", und alle übrigen
suchen sich in ähnlicher Weise zu retten, so gut ihnen Dies gelingen will. Manche verfahren dabei
mit großer Klugheit. Sie beschreiben z. B. enge Kreise um Baumzweige oder Baumstämme, wobei
ihnen der Sperber trotz seiner Gewandtheit doch nicht so schnell folgen kann, gewinnen hierdurch einen
kleinen Vorsprung und schlüpfen dann blitzschnell in ein dichtes Gebüsch; andere werfen sich beim
Erscheinen des Räubers platt auf den Voden, verharren regungslos und werden oft übersehen -- kurz,
jeder sucht sich nach besten Kräften zu retten. Nur im Sitzen fürchten die Vögel nach meines Vaters
Beobachtungen den Sperber nicht: sie verweilen manchmal längere Zeit auf demselben Baume, welchen

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Sperber.
muthig, wie das andere. Freilich hat das Weibchen mehr Stärke und kann einen Kampf mit Glück
beſtehen, in welchem das Männchen unterliegen müßte. So ſah ich ein merkwürdiges Schauſpiel vor
meinem Fenſter. Ein Sperberweibchen hatte einen Sperling gefangen, und ihn hinter den Zaun
meines Gartens, kaum zehn Schritte von meiner Wohnung, getragen, um ihn hier zu verzehren. Jch
bemerkte Dies aus meinem Fenſter und ließ es ruhig geſchehen. Als es noch nicht halb fertig war,
kam eine Krähe, um ihm die Beute abzunehmen. Sogleich breitete der Sperber ſeine Flügel aus
und bedeckte damit ſeinen Raub. Als aber die Krähe zu wiederholten Malen auf ihn ſtieß, flog er
auf, hielt den Sperling in dem einen Fange, wendete ſich im Flug ſo geſchickt, daß der Rücken faſt der
Erde zugekehrt war und griff mit dem freien Fange der Krähe ſo heftig in die Bruſt, daß dieſe abziehen
mußte. Aber auch das Männchen zeigt gleiche Dreiſtigkeit, wie das Weibchen, und kommt, wie dieſes,
in die Dörfer.‟

Man kennt ſehr viele Beiſpiele, daß Sperber im Jnnern von Häuſern oder ſelbſt von Wagen
gefangen wurden: ſie hatten ihre Beute bis dahin ſo gierig verfolgt, daß ſie alles Uebrige vergaßen.
Ganz neuerdings wurde erzählt, daß ein Sperber bei Verfolgung eines Vogels in einen in voller Fahrt
begriffenen Eiſenbahnwagen flog und hier gefangen wurde.

Der Sperber iſt der fürchterlichſte Feind aller kleinen Vögel; er wagt ſich aber auch gar nicht
ſelten an größere. Vom Rebhuhn an bis zum Goldhähnchen herab ſcheint kein Vogel vor ſeinen
Angriffen geſichert zu ſein, und kleine Säugethiere verſchmäht er ebenſo wenig. Seine Kühnheit iſt
zuweilen wirklich großartig. Es liegen Beobachtungen vor, daß er Haushähne angriff, und man hat
wiederholt geſehen, wie er auf Haſen ſtieß. Doch ſchien es, als ob er ſich dann nur einen Spaß
machen wollte, dieſe furchtſamen Thiere zu ängſtigen. Zuweilen wagt er ſich aber auch an wehrhafte
Geſchöpfe. „Jch ging einſt‟, ſagt Naumann, „in meinem Wäldchen umher und ſah einem Reiher
nach, der ruhig und dicht über den Bäumen hin davonfliegen wollte. Plötzlich ſtürzte ſich aus den
dichten Zweigen eines der letzten Bäume ein Sperber hervor, packte den erſchrockenen Reiher augen-
blicklich am Halſe, und beide kamen nun mit gräßlichem Geſchrei aus der Höhe herab. Jch lief ſogleich
hinzu, ward aber zu früh von dem Sperber bemerlt; er erſchrak darüber und ließ den Reiher los,
worauf dann jeder ruhig ſeine Straße zog. Wohl möchte ich wiſſen, was aus dieſem ungleichen
Kampfe geworden wäre, wenn ich beide nicht geſtört hätte. Ob wohl der kleine tollkühne Räuber den
Reiher überwältigt und wirklich getödtet haben würde?‟

Mit ſeiner Klugheit verbindet der Sperber die größte Liſt: er lauert förmlich auf die Vögel.
Wenn er jagt, fliegt er regelmäßig ganz nah an den Gebüſchen oder an Zäunen dicht über den Boden
dahin, ſchwenkt ſich plötzlich zwiſchen denſelben hindurch, jagt der andern Seite entlang, macht von
neuem eine Schwenkung und erſcheint ſo immer urplötzlich in unmittelbarer Nähe vor ſeinem Wilde,
ſchwingt ſich hier jählings in die Höhe und ſtürzt blitzſchnell unter die Harmloſen. Er jagt im
Fliegen, nimmt die Vögel im Sitzen weg und verfolgt ſie ſelbſt laufend. „Ein von mir beobachtetes
Sperbermännchen‟, ſagt mein Vater, „verfolgte einen Sperling an einem Zaune. Dieſer, wohl
wiſſend, daß er im Fluge verloren geweſen wäre, lief immer durch den dünnen Zaun hin und her.
Der Sperber verfolgte ihn hüpfend eine Zeit ſo ſchnell und ſo weit wie er konnte, bis er endlich, der
fruchtloſen Jagd müde, ſich auf einen Zwetſchenbaum ſetzte und herabgeſchoſſen wurde.‟

Alle kleinen Vögel kennen und fürchten ihren furchtbarſten Feind im hohen Grade. Die
Sperlinge treibt, wie Naumann ſagt, „die Angſt vor ihm in die Mäuſelöcher‟, und alle übrigen
ſuchen ſich in ähnlicher Weiſe zu retten, ſo gut ihnen Dies gelingen will. Manche verfahren dabei
mit großer Klugheit. Sie beſchreiben z. B. enge Kreiſe um Baumzweige oder Baumſtämme, wobei
ihnen der Sperber trotz ſeiner Gewandtheit doch nicht ſo ſchnell folgen kann, gewinnen hierdurch einen
kleinen Vorſprung und ſchlüpfen dann blitzſchnell in ein dichtes Gebüſch; andere werfen ſich beim
Erſcheinen des Räubers platt auf den Voden, verharren regungslos und werden oft überſehen — kurz,
jeder ſucht ſich nach beſten Kräften zu retten. Nur im Sitzen fürchten die Vögel nach meines Vaters
Beobachtungen den Sperber nicht: ſie verweilen manchmal längere Zeit auf demſelben Baume, welchen

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[435/0465] Sperber. muthig, wie das andere. Freilich hat das Weibchen mehr Stärke und kann einen Kampf mit Glück beſtehen, in welchem das Männchen unterliegen müßte. So ſah ich ein merkwürdiges Schauſpiel vor meinem Fenſter. Ein Sperberweibchen hatte einen Sperling gefangen, und ihn hinter den Zaun meines Gartens, kaum zehn Schritte von meiner Wohnung, getragen, um ihn hier zu verzehren. Jch bemerkte Dies aus meinem Fenſter und ließ es ruhig geſchehen. Als es noch nicht halb fertig war, kam eine Krähe, um ihm die Beute abzunehmen. Sogleich breitete der Sperber ſeine Flügel aus und bedeckte damit ſeinen Raub. Als aber die Krähe zu wiederholten Malen auf ihn ſtieß, flog er auf, hielt den Sperling in dem einen Fange, wendete ſich im Flug ſo geſchickt, daß der Rücken faſt der Erde zugekehrt war und griff mit dem freien Fange der Krähe ſo heftig in die Bruſt, daß dieſe abziehen mußte. Aber auch das Männchen zeigt gleiche Dreiſtigkeit, wie das Weibchen, und kommt, wie dieſes, in die Dörfer.‟ Man kennt ſehr viele Beiſpiele, daß Sperber im Jnnern von Häuſern oder ſelbſt von Wagen gefangen wurden: ſie hatten ihre Beute bis dahin ſo gierig verfolgt, daß ſie alles Uebrige vergaßen. Ganz neuerdings wurde erzählt, daß ein Sperber bei Verfolgung eines Vogels in einen in voller Fahrt begriffenen Eiſenbahnwagen flog und hier gefangen wurde. Der Sperber iſt der fürchterlichſte Feind aller kleinen Vögel; er wagt ſich aber auch gar nicht ſelten an größere. Vom Rebhuhn an bis zum Goldhähnchen herab ſcheint kein Vogel vor ſeinen Angriffen geſichert zu ſein, und kleine Säugethiere verſchmäht er ebenſo wenig. Seine Kühnheit iſt zuweilen wirklich großartig. Es liegen Beobachtungen vor, daß er Haushähne angriff, und man hat wiederholt geſehen, wie er auf Haſen ſtieß. Doch ſchien es, als ob er ſich dann nur einen Spaß machen wollte, dieſe furchtſamen Thiere zu ängſtigen. Zuweilen wagt er ſich aber auch an wehrhafte Geſchöpfe. „Jch ging einſt‟, ſagt Naumann, „in meinem Wäldchen umher und ſah einem Reiher nach, der ruhig und dicht über den Bäumen hin davonfliegen wollte. Plötzlich ſtürzte ſich aus den dichten Zweigen eines der letzten Bäume ein Sperber hervor, packte den erſchrockenen Reiher augen- blicklich am Halſe, und beide kamen nun mit gräßlichem Geſchrei aus der Höhe herab. Jch lief ſogleich hinzu, ward aber zu früh von dem Sperber bemerlt; er erſchrak darüber und ließ den Reiher los, worauf dann jeder ruhig ſeine Straße zog. Wohl möchte ich wiſſen, was aus dieſem ungleichen Kampfe geworden wäre, wenn ich beide nicht geſtört hätte. Ob wohl der kleine tollkühne Räuber den Reiher überwältigt und wirklich getödtet haben würde?‟ Mit ſeiner Klugheit verbindet der Sperber die größte Liſt: er lauert förmlich auf die Vögel. Wenn er jagt, fliegt er regelmäßig ganz nah an den Gebüſchen oder an Zäunen dicht über den Boden dahin, ſchwenkt ſich plötzlich zwiſchen denſelben hindurch, jagt der andern Seite entlang, macht von neuem eine Schwenkung und erſcheint ſo immer urplötzlich in unmittelbarer Nähe vor ſeinem Wilde, ſchwingt ſich hier jählings in die Höhe und ſtürzt blitzſchnell unter die Harmloſen. Er jagt im Fliegen, nimmt die Vögel im Sitzen weg und verfolgt ſie ſelbſt laufend. „Ein von mir beobachtetes Sperbermännchen‟, ſagt mein Vater, „verfolgte einen Sperling an einem Zaune. Dieſer, wohl wiſſend, daß er im Fluge verloren geweſen wäre, lief immer durch den dünnen Zaun hin und her. Der Sperber verfolgte ihn hüpfend eine Zeit ſo ſchnell und ſo weit wie er konnte, bis er endlich, der fruchtloſen Jagd müde, ſich auf einen Zwetſchenbaum ſetzte und herabgeſchoſſen wurde.‟ Alle kleinen Vögel kennen und fürchten ihren furchtbarſten Feind im hohen Grade. Die Sperlinge treibt, wie Naumann ſagt, „die Angſt vor ihm in die Mäuſelöcher‟, und alle übrigen ſuchen ſich in ähnlicher Weiſe zu retten, ſo gut ihnen Dies gelingen will. Manche verfahren dabei mit großer Klugheit. Sie beſchreiben z. B. enge Kreiſe um Baumzweige oder Baumſtämme, wobei ihnen der Sperber trotz ſeiner Gewandtheit doch nicht ſo ſchnell folgen kann, gewinnen hierdurch einen kleinen Vorſprung und ſchlüpfen dann blitzſchnell in ein dichtes Gebüſch; andere werfen ſich beim Erſcheinen des Räubers platt auf den Voden, verharren regungslos und werden oft überſehen — kurz, jeder ſucht ſich nach beſten Kräften zu retten. Nur im Sitzen fürchten die Vögel nach meines Vaters Beobachtungen den Sperber nicht: ſie verweilen manchmal längere Zeit auf demſelben Baume, welchen 28*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/465>, abgerufen am 20.05.2024.