mäßig zu ihm zurückkehrt, daß ein hannöverscher Forstbeamter nach einander vierundvierzig Junge ein und demselben Horste entnehmen konnte. Das Gelege besteht aus vier bis fünf ziemlich großen Eiern, welche auf grünlichem Grunde braun und grau gefleckt sind. Nach meines Vaters Beobach- tungen brütet das Weibchen allein, nach Naumann's Angaben mit dem Männchen wechselweise. Die Jungen werden von beiden Eltern mit Regenwürmern und Kerbthieren, Mäusen, Vögeln, jungen Eiern und Aas genügend versorgt; ihr Hunger aber scheint auch bei der reichlichsten Fütterung nicht gestillt zu werden, da sie fortwährend Nahrung heischen. Beide Eltern lieben die Brut ganz außer- ordentlich und verlassen die einmal ausgekrochenen Jungen nie. Sie können allerdings verscheucht werden, bleiben aber auch dann immer in der Nähe des Horstes und beweisen durch allerlei klagende Laute und ängstliches Hin- und Herfliegen ihre Sorge um die geliebten Kinder. Wiederholt ist beob- achtet worden, daß die alten Raben bei fortdauernder Nachstellung ihre Jungen dadurch mit Nahrung versorgt haben, daß sie die Atzung von oben auf das Nest herabwarfen. Werden einem Rabenpaare die Eier genommen, so schreitet es zur zweiten Brut, werden ihm aber die Jungen geraubt, so brütet es nicht zum zweiten Male in demselben Jahre. Unter günstigen Umständen verlassen die jungen Raben Ende Mai's oder Anfangs Juni den Horst, nicht aber die Gegend, in welcher er stand. Sie kehren noch längere Zeit allabendlich zu demselben zurück und halten sich noch wochenlang in der Nähe auf. Dann werden sie von den Eltern auf Anger, Wiesen und Aecker geführt, hier noch gefüttert, gleichzeitig aber in allen Künsten und Vortheilen des Gewerbes unterrichtet. Erst gegen den Herbst hin macht sich das junge Volk selbständig.
Jung dem Neste entnommene Raben werden nach kurzer Pflege außerordentlich zahm; selbst alt eingefangene gewöhnen sich an den Verlust der Freiheit. Ein Kolkrabe auf einem größeren Gehöft gibt Gelegenheit zu den anziehendsten Beobachtungen. Man lernt bald erkennen, daß er einer der klügsten aller Vögel ist. Sein Verstand schärft sich im Umgange mit dem Menschen in bewunderungswürdiger Weise. Er läßt sich abrichten wie ein Hund, sogar auf Thiere und Menschen hetzen; er führt die drolligsten und lustigsten Streiche aus, ersinnt sich fortwährend Neues und nimmt zu so wie an Alter, so auch an Weisheit, dagegen nicht immer auch an Gnade vor den Augen des Menschen. Auf Toll- heiten der verschiedensten Art darf der Besitzer gefaßt sein, und Dies ist der Grund, weshalb der Vogel nicht Jedermanns Freund ist. An das Aus- und Einfliegen kann man den Raben leicht gewöh- nen; er macht sich jedoch größerer Freiheit regelmäßig bald unwürdig. Er stiehlt und versteckt das Ge- stohlene, tödtet junge Hausthiere, Hühner und Gänse, beißt die Leute in die Füße, namentlich diejenigen, welche barfuß gehen, und wird unter Umständen selbst gefährlich, weil er seinen Muthwillen auch an Kindern ausübt. Mit Hunden geht er oft innige Freundschaft ein, sucht ihnen die Flöhe ab und macht sich ihnen sonst nützlich. Auch an Pferde und Rinder gewöhnt er sich und gewinnt sich deren Zuneigung. Er lernt prächtig sprechen, ahmt die Worte in richtiger Betonung nach und wendet sie mit Verstand an: er bellt wie ein Hund, lacht wie ein Mensch, knurrt wie die Haustaube u. s. w., kurz, sucht seine hohen Begabungen in jeder Weise zu bethätigen. Es würde viel zu weit führen, wollte ich alle Geschichten, welche mir über gezähmte Raben bekannt sind, hier wieder erzählen, und deshalb muß es genügen, wenn ich sage, daß der Vogel wahren Menschenverstand beweist und seinen Gebieter ebenso zu erfreuen, als andere Menschen zu ärgern weiß. Wer Thieren den Verstand abschwatzen will, braucht nur längere Zeit einen Raben zu beobachten, derselbe wird ihm beweisen, daß die abgeschmack- ten Redensarten von Jnstinkt, unbewußten Trieben und dergl., welche zu Gunsten der Halbgöttlichkeit des Menschen aufgestellt worden sind und werden, auch nicht einmal für die Klasse der Vögel Giltig- keit haben können.
Die Knacker. Rabenvögel. Raben.
mäßig zu ihm zurückkehrt, daß ein hannöverſcher Forſtbeamter nach einander vierundvierzig Junge ein und demſelben Horſte entnehmen konnte. Das Gelege beſteht aus vier bis fünf ziemlich großen Eiern, welche auf grünlichem Grunde braun und grau gefleckt ſind. Nach meines Vaters Beobach- tungen brütet das Weibchen allein, nach Naumann’s Angaben mit dem Männchen wechſelweiſe. Die Jungen werden von beiden Eltern mit Regenwürmern und Kerbthieren, Mäuſen, Vögeln, jungen Eiern und Aas genügend verſorgt; ihr Hunger aber ſcheint auch bei der reichlichſten Fütterung nicht geſtillt zu werden, da ſie fortwährend Nahrung heiſchen. Beide Eltern lieben die Brut ganz außer- ordentlich und verlaſſen die einmal ausgekrochenen Jungen nie. Sie können allerdings verſcheucht werden, bleiben aber auch dann immer in der Nähe des Horſtes und beweiſen durch allerlei klagende Laute und ängſtliches Hin- und Herfliegen ihre Sorge um die geliebten Kinder. Wiederholt iſt beob- achtet worden, daß die alten Raben bei fortdauernder Nachſtellung ihre Jungen dadurch mit Nahrung verſorgt haben, daß ſie die Atzung von oben auf das Neſt herabwarfen. Werden einem Rabenpaare die Eier genommen, ſo ſchreitet es zur zweiten Brut, werden ihm aber die Jungen geraubt, ſo brütet es nicht zum zweiten Male in demſelben Jahre. Unter günſtigen Umſtänden verlaſſen die jungen Raben Ende Mai’s oder Anfangs Juni den Horſt, nicht aber die Gegend, in welcher er ſtand. Sie kehren noch längere Zeit allabendlich zu demſelben zurück und halten ſich noch wochenlang in der Nähe auf. Dann werden ſie von den Eltern auf Anger, Wieſen und Aecker geführt, hier noch gefüttert, gleichzeitig aber in allen Künſten und Vortheilen des Gewerbes unterrichtet. Erſt gegen den Herbſt hin macht ſich das junge Volk ſelbſtändig.
Jung dem Neſte entnommene Raben werden nach kurzer Pflege außerordentlich zahm; ſelbſt alt eingefangene gewöhnen ſich an den Verluſt der Freiheit. Ein Kolkrabe auf einem größeren Gehöft gibt Gelegenheit zu den anziehendſten Beobachtungen. Man lernt bald erkennen, daß er einer der klügſten aller Vögel iſt. Sein Verſtand ſchärft ſich im Umgange mit dem Menſchen in bewunderungswürdiger Weiſe. Er läßt ſich abrichten wie ein Hund, ſogar auf Thiere und Menſchen hetzen; er führt die drolligſten und luſtigſten Streiche aus, erſinnt ſich fortwährend Neues und nimmt zu ſo wie an Alter, ſo auch an Weisheit, dagegen nicht immer auch an Gnade vor den Augen des Menſchen. Auf Toll- heiten der verſchiedenſten Art darf der Beſitzer gefaßt ſein, und Dies iſt der Grund, weshalb der Vogel nicht Jedermanns Freund iſt. An das Aus- und Einfliegen kann man den Raben leicht gewöh- nen; er macht ſich jedoch größerer Freiheit regelmäßig bald unwürdig. Er ſtiehlt und verſteckt das Ge- ſtohlene, tödtet junge Hausthiere, Hühner und Gänſe, beißt die Leute in die Füße, namentlich diejenigen, welche barfuß gehen, und wird unter Umſtänden ſelbſt gefährlich, weil er ſeinen Muthwillen auch an Kindern ausübt. Mit Hunden geht er oft innige Freundſchaft ein, ſucht ihnen die Flöhe ab und macht ſich ihnen ſonſt nützlich. Auch an Pferde und Rinder gewöhnt er ſich und gewinnt ſich deren Zuneigung. Er lernt prächtig ſprechen, ahmt die Worte in richtiger Betonung nach und wendet ſie mit Verſtand an: er bellt wie ein Hund, lacht wie ein Menſch, knurrt wie die Haustaube u. ſ. w., kurz, ſucht ſeine hohen Begabungen in jeder Weiſe zu bethätigen. Es würde viel zu weit führen, wollte ich alle Geſchichten, welche mir über gezähmte Raben bekannt ſind, hier wieder erzählen, und deshalb muß es genügen, wenn ich ſage, daß der Vogel wahren Menſchenverſtand beweiſt und ſeinen Gebieter ebenſo zu erfreuen, als andere Menſchen zu ärgern weiß. Wer Thieren den Verſtand abſchwatzen will, braucht nur längere Zeit einen Raben zu beobachten, derſelbe wird ihm beweiſen, daß die abgeſchmack- ten Redensarten von Jnſtinkt, unbewußten Trieben und dergl., welche zu Gunſten der Halbgöttlichkeit des Menſchen aufgeſtellt worden ſind und werden, auch nicht einmal für die Klaſſe der Vögel Giltig- keit haben können.
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[348/0376]
Die Knacker. Rabenvögel. Raben.
mäßig zu ihm zurückkehrt, daß ein hannöverſcher Forſtbeamter nach einander vierundvierzig Junge
ein und demſelben Horſte entnehmen konnte. Das Gelege beſteht aus vier bis fünf ziemlich großen
Eiern, welche auf grünlichem Grunde braun und grau gefleckt ſind. Nach meines Vaters Beobach-
tungen brütet das Weibchen allein, nach Naumann’s Angaben mit dem Männchen wechſelweiſe.
Die Jungen werden von beiden Eltern mit Regenwürmern und Kerbthieren, Mäuſen, Vögeln, jungen
Eiern und Aas genügend verſorgt; ihr Hunger aber ſcheint auch bei der reichlichſten Fütterung nicht
geſtillt zu werden, da ſie fortwährend Nahrung heiſchen. Beide Eltern lieben die Brut ganz außer-
ordentlich und verlaſſen die einmal ausgekrochenen Jungen nie. Sie können allerdings verſcheucht
werden, bleiben aber auch dann immer in der Nähe des Horſtes und beweiſen durch allerlei klagende
Laute und ängſtliches Hin- und Herfliegen ihre Sorge um die geliebten Kinder. Wiederholt iſt beob-
achtet worden, daß die alten Raben bei fortdauernder Nachſtellung ihre Jungen dadurch mit Nahrung
verſorgt haben, daß ſie die Atzung von oben auf das Neſt herabwarfen. Werden einem Rabenpaare
die Eier genommen, ſo ſchreitet es zur zweiten Brut, werden ihm aber die Jungen geraubt, ſo brütet
es nicht zum zweiten Male in demſelben Jahre. Unter günſtigen Umſtänden verlaſſen die jungen
Raben Ende Mai’s oder Anfangs Juni den Horſt, nicht aber die Gegend, in welcher er ſtand. Sie
kehren noch längere Zeit allabendlich zu demſelben zurück und halten ſich noch wochenlang in der Nähe
auf. Dann werden ſie von den Eltern auf Anger, Wieſen und Aecker geführt, hier noch gefüttert,
gleichzeitig aber in allen Künſten und Vortheilen des Gewerbes unterrichtet. Erſt gegen den Herbſt
hin macht ſich das junge Volk ſelbſtändig.
Jung dem Neſte entnommene Raben werden nach kurzer Pflege außerordentlich zahm; ſelbſt alt
eingefangene gewöhnen ſich an den Verluſt der Freiheit. Ein Kolkrabe auf einem größeren Gehöft gibt
Gelegenheit zu den anziehendſten Beobachtungen. Man lernt bald erkennen, daß er einer der klügſten
aller Vögel iſt. Sein Verſtand ſchärft ſich im Umgange mit dem Menſchen in bewunderungswürdiger
Weiſe. Er läßt ſich abrichten wie ein Hund, ſogar auf Thiere und Menſchen hetzen; er führt die
drolligſten und luſtigſten Streiche aus, erſinnt ſich fortwährend Neues und nimmt zu ſo wie an Alter,
ſo auch an Weisheit, dagegen nicht immer auch an Gnade vor den Augen des Menſchen. Auf Toll-
heiten der verſchiedenſten Art darf der Beſitzer gefaßt ſein, und Dies iſt der Grund, weshalb der
Vogel nicht Jedermanns Freund iſt. An das Aus- und Einfliegen kann man den Raben leicht gewöh-
nen; er macht ſich jedoch größerer Freiheit regelmäßig bald unwürdig. Er ſtiehlt und verſteckt das Ge-
ſtohlene, tödtet junge Hausthiere, Hühner und Gänſe, beißt die Leute in die Füße, namentlich diejenigen,
welche barfuß gehen, und wird unter Umſtänden ſelbſt gefährlich, weil er ſeinen Muthwillen auch an
Kindern ausübt. Mit Hunden geht er oft innige Freundſchaft ein, ſucht ihnen die Flöhe ab und macht
ſich ihnen ſonſt nützlich. Auch an Pferde und Rinder gewöhnt er ſich und gewinnt ſich deren Zuneigung.
Er lernt prächtig ſprechen, ahmt die Worte in richtiger Betonung nach und wendet ſie mit Verſtand
an: er bellt wie ein Hund, lacht wie ein Menſch, knurrt wie die Haustaube u. ſ. w., kurz, ſucht ſeine
hohen Begabungen in jeder Weiſe zu bethätigen. Es würde viel zu weit führen, wollte ich alle
Geſchichten, welche mir über gezähmte Raben bekannt ſind, hier wieder erzählen, und deshalb muß es
genügen, wenn ich ſage, daß der Vogel wahren Menſchenverſtand beweiſt und ſeinen Gebieter ebenſo
zu erfreuen, als andere Menſchen zu ärgern weiß. Wer Thieren den Verſtand abſchwatzen will,
braucht nur längere Zeit einen Raben zu beobachten, derſelbe wird ihm beweiſen, daß die abgeſchmack-
ten Redensarten von Jnſtinkt, unbewußten Trieben und dergl., welche zu Gunſten der Halbgöttlichkeit
des Menſchen aufgeſtellt worden ſind und werden, auch nicht einmal für die Klaſſe der Vögel Giltig-
keit haben können.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/376>, abgerufen am 22.07.2024.
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