ist und gewöhnlich der ihr drohenden Gefahr entgeht. Sie setzt sich aber nicht nur, wie ihre Ver- wandten, fast immer auf den Boden, sondern auch auf die Wipfel und freistehenden Aeste der Bäume -- daher ihr Name Baumlerche."
"Jm Frühjahre lebt sie paarweise; weil es aber, wie bei den meisten Thieren, bei dieser Lerchen- art mehr Männchen als Weibchen gibt, so fehlt es nicht an heftigen Kämpfen, in welchen der Ein- dringling gewöhnlich in die Flucht geschlagen wird. Bei der Paarung zeigt das Männchen seine ganze Liebenswürdigkeit. Es läuft nahe um sein Weibchen herum, hebt den ausgebreiteten Schwanz etwas in die Höhe, zieht die Holle hoch empor, und macht allerliebste Verbeugungen, um ihm seine Ergebung und Zärtlichkeit zu bezeugen."
"Jhr zierliches Nest findet man nach der Beschaffenheit der Frühlingswitterung früher oder später, zuweilen schon in den letzten Tagen des März, unter einem Fichten- oder Wachholderbusche, oder im Grase. Es ist in einer gescharrten Vertiefung von zarten, dürren Grashalmen und Grasblättern gebaut, tiefer als eine Halbkugel und inwendig sehr glatt und schön. Es enthält vier bis fünf, selten drei weißliche mit grau- und hellbraunen Punkten und Fleckchen dicht bestreute Eier, welche das vom Männchen mit Nahrung versorgte Weibchen allein ausbrütet." --
"Nach der ersten Brut führen beide Eltern ihre Jungen nur kurze Zeit, denn sie machen bald zu einer zweiten Brut Anstalt. Nach dieser vereinigen sie sich mit allen ihren Kindern in eine kleine Gesellschaft und wandern entweder familienweise, oder in Flügen, welche aus zwei oder mehr Familien bestehen, die sich zusammengefunden haben. Sie verlassen uns in der letzten Hälfte des Oktobers oder zu Anfang Novembers."
"Das Herrlichste an der Haidelerche ist ihr vortrefflicher Gesang. Man ist auf einer Fußreise begriffen und befindet sich in einer öden Gegend, in welcher vielleicht nicht einmal eine Aussicht in eine schöne Ferne für den Anblick der ärmlichen Pflanzenwelt entschädigen kann. Alles Thierleben scheint gänzlich erstorben. Da erhebt sich die liebliche Haidelerche, läßt zuerst ihren sanften Lockton "Lullu" hören, steigt in die Höhe und schwebt laut flötend und trillernd halbe Stunden lang unter den Wolken herum, oder setzt sich auf einen Baum, um dort ihr angenehmes Lied zu Ende zu führen. Noch lieblicher aber klingt dieser Gesang des Nachts. Wenn ich in den stillen Mitternachtsstunden ihren ärmlichen Wohnplatz durchschritt, in weiter Ferne eine Ohreule heulen oder einen Ziegen- melker schnurren, oder einen nah vorüberfliegenden Käfer schwirren hörte und mich so recht einsam in der öden Gegend fühlte, war ich jeder Zeit hoch erfreut, wenn eine Haidelerche emporstieg und ihren schönen Triller erschallen ließ. Jch blieb lange stehen und lauschte auf diese gleichsam vom Himmel kommenden Töne. Gestärkt setzte ich dann meinen Wanderstab weiter. Jch weiß recht gut, daß die Haidelerche zu singen anfing, weil ein innerer Drang sie dazu trieb und sie ihr Weibchen durch ihren Gesang unterhalten und erfreuen wollte: allein es schien mir, als sei sie emporgestiegen, um mir, ihrem alten Freunde, ihre Aufmerksamkeit zu beweisen und ihm die Einsamkeit zu versüßen."
Die Haidelerche kann sich hinsichtlich ihres Gesanges mit der Nachtigall nicht messen, und dennoch ersetzt sie diese. Das Lied der Nachtigall erklingt nur während zweier Monate: die Haidelerche aber singt von Anfang des März bis August und nach der Mauser noch in der letzten Hälfte des Septem- ber und in der ersten des Oktober, und sie singt in den öden, armen Gegenden: sie singt im Gebirge, wo außer ihr nur wenige andere gute Sänger wohnen, -- da, wo sie lebt, kaum ein einziger! Sie ist der Liebling aller Gebirgsbewohner, der Stolz der Stubenvögelliebhaber, die Freude des während der ganzen Woche an die Stube gefesselten, in ihr, wie mein Vater sagt, gewissermaßen gefangen gehaltenen Handwerkers. Sie wird deshalb oft gefangen, gewöhnlich mit der Locke oder auch einfach, indem man im Frühjahre einen mit einer Leimruthe bespickten, auf einer Stange befestigten kleinen Busch inmitten einer freien Stelle des Wohnplatzes aufstellt. Einen solchen erhabenen Gegenstand sucht sie gern auf, um sich auf ihm für Augenblicke niederzulassen: dabei wird sie gefangen. Solche Vogelstellerei ist gewiß nicht blos zu entschuldigen, sondern vollständig zu rechtfertigen. Anders verhält sich die Sache mit dem Lerchenstreichen in den Ebenen, bei welchem auch das liebenswürdige Kind des
Die Knacker. Sperlingsvögel. Lerchen.
iſt und gewöhnlich der ihr drohenden Gefahr entgeht. Sie ſetzt ſich aber nicht nur, wie ihre Ver- wandten, faſt immer auf den Boden, ſondern auch auf die Wipfel und freiſtehenden Aeſte der Bäume — daher ihr Name Baumlerche.‟
„Jm Frühjahre lebt ſie paarweiſe; weil es aber, wie bei den meiſten Thieren, bei dieſer Lerchen- art mehr Männchen als Weibchen gibt, ſo fehlt es nicht an heftigen Kämpfen, in welchen der Ein- dringling gewöhnlich in die Flucht geſchlagen wird. Bei der Paarung zeigt das Männchen ſeine ganze Liebenswürdigkeit. Es läuft nahe um ſein Weibchen herum, hebt den ausgebreiteten Schwanz etwas in die Höhe, zieht die Holle hoch empor, und macht allerliebſte Verbeugungen, um ihm ſeine Ergebung und Zärtlichkeit zu bezeugen.‟
„Jhr zierliches Neſt findet man nach der Beſchaffenheit der Frühlingswitterung früher oder ſpäter, zuweilen ſchon in den letzten Tagen des März, unter einem Fichten- oder Wachholderbuſche, oder im Graſe. Es iſt in einer geſcharrten Vertiefung von zarten, dürren Grashalmen und Grasblättern gebaut, tiefer als eine Halbkugel und inwendig ſehr glatt und ſchön. Es enthält vier bis fünf, ſelten drei weißliche mit grau- und hellbraunen Punkten und Fleckchen dicht beſtreute Eier, welche das vom Männchen mit Nahrung verſorgte Weibchen allein ausbrütet.‟ —
„Nach der erſten Brut führen beide Eltern ihre Jungen nur kurze Zeit, denn ſie machen bald zu einer zweiten Brut Anſtalt. Nach dieſer vereinigen ſie ſich mit allen ihren Kindern in eine kleine Geſellſchaft und wandern entweder familienweiſe, oder in Flügen, welche aus zwei oder mehr Familien beſtehen, die ſich zuſammengefunden haben. Sie verlaſſen uns in der letzten Hälfte des Oktobers oder zu Anfang Novembers.‟
„Das Herrlichſte an der Haidelerche iſt ihr vortrefflicher Geſang. Man iſt auf einer Fußreiſe begriffen und befindet ſich in einer öden Gegend, in welcher vielleicht nicht einmal eine Ausſicht in eine ſchöne Ferne für den Anblick der ärmlichen Pflanzenwelt entſchädigen kann. Alles Thierleben ſcheint gänzlich erſtorben. Da erhebt ſich die liebliche Haidelerche, läßt zuerſt ihren ſanften Lockton „Lullu‟ hören, ſteigt in die Höhe und ſchwebt laut flötend und trillernd halbe Stunden lang unter den Wolken herum, oder ſetzt ſich auf einen Baum, um dort ihr angenehmes Lied zu Ende zu führen. Noch lieblicher aber klingt dieſer Geſang des Nachts. Wenn ich in den ſtillen Mitternachtsſtunden ihren ärmlichen Wohnplatz durchſchritt, in weiter Ferne eine Ohreule heulen oder einen Ziegen- melker ſchnurren, oder einen nah vorüberfliegenden Käfer ſchwirren hörte und mich ſo recht einſam in der öden Gegend fühlte, war ich jeder Zeit hoch erfreut, wenn eine Haidelerche emporſtieg und ihren ſchönen Triller erſchallen ließ. Jch blieb lange ſtehen und lauſchte auf dieſe gleichſam vom Himmel kommenden Töne. Geſtärkt ſetzte ich dann meinen Wanderſtab weiter. Jch weiß recht gut, daß die Haidelerche zu ſingen anfing, weil ein innerer Drang ſie dazu trieb und ſie ihr Weibchen durch ihren Geſang unterhalten und erfreuen wollte: allein es ſchien mir, als ſei ſie emporgeſtiegen, um mir, ihrem alten Freunde, ihre Aufmerkſamkeit zu beweiſen und ihm die Einſamkeit zu verſüßen.‟
Die Haidelerche kann ſich hinſichtlich ihres Geſanges mit der Nachtigall nicht meſſen, und dennoch erſetzt ſie dieſe. Das Lied der Nachtigall erklingt nur während zweier Monate: die Haidelerche aber ſingt von Anfang des März bis Auguſt und nach der Mauſer noch in der letzten Hälfte des Septem- ber und in der erſten des Oktober, und ſie ſingt in den öden, armen Gegenden: ſie ſingt im Gebirge, wo außer ihr nur wenige andere gute Sänger wohnen, — da, wo ſie lebt, kaum ein einziger! Sie iſt der Liebling aller Gebirgsbewohner, der Stolz der Stubenvögelliebhaber, die Freude des während der ganzen Woche an die Stube gefeſſelten, in ihr, wie mein Vater ſagt, gewiſſermaßen gefangen gehaltenen Handwerkers. Sie wird deshalb oft gefangen, gewöhnlich mit der Locke oder auch einfach, indem man im Frühjahre einen mit einer Leimruthe beſpickten, auf einer Stange befeſtigten kleinen Buſch inmitten einer freien Stelle des Wohnplatzes aufſtellt. Einen ſolchen erhabenen Gegenſtand ſucht ſie gern auf, um ſich auf ihm für Augenblicke niederzulaſſen: dabei wird ſie gefangen. Solche Vogelſtellerei iſt gewiß nicht blos zu entſchuldigen, ſondern vollſtändig zu rechtfertigen. Anders verhält ſich die Sache mit dem Lerchenſtreichen in den Ebenen, bei welchem auch das liebenswürdige Kind des
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0292"n="270"/><fwplace="top"type="header">Die Knacker. Sperlingsvögel. Lerchen.</fw><lb/>
iſt und gewöhnlich der ihr drohenden Gefahr entgeht. Sie ſetzt ſich aber nicht nur, wie ihre Ver-<lb/>
wandten, faſt immer auf den Boden, ſondern auch auf die Wipfel und freiſtehenden Aeſte der Bäume<lb/>— daher ihr Name <hirendition="#g">Baumlerche.</hi>‟</p><lb/><p>„Jm Frühjahre lebt ſie paarweiſe; weil es aber, wie bei den meiſten Thieren, bei dieſer <hirendition="#g">Lerchen-<lb/>
art</hi> mehr Männchen als Weibchen gibt, ſo fehlt es nicht an heftigen Kämpfen, in welchen der Ein-<lb/>
dringling gewöhnlich in die Flucht geſchlagen wird. Bei der Paarung zeigt das Männchen ſeine<lb/>
ganze Liebenswürdigkeit. Es läuft nahe um ſein Weibchen herum, hebt den ausgebreiteten Schwanz<lb/>
etwas in die Höhe, zieht die Holle hoch empor, und macht allerliebſte Verbeugungen, um ihm ſeine<lb/>
Ergebung und Zärtlichkeit zu bezeugen.‟</p><lb/><p>„Jhr zierliches Neſt findet man nach der Beſchaffenheit der Frühlingswitterung früher oder ſpäter,<lb/>
zuweilen ſchon in den letzten Tagen des März, unter einem Fichten- oder Wachholderbuſche, oder im<lb/>
Graſe. Es iſt in einer geſcharrten Vertiefung von zarten, dürren Grashalmen und Grasblättern<lb/>
gebaut, tiefer als eine Halbkugel und inwendig ſehr glatt und ſchön. Es enthält vier bis fünf, ſelten<lb/>
drei weißliche mit grau- und hellbraunen Punkten und Fleckchen dicht beſtreute Eier, welche das vom<lb/>
Männchen mit Nahrung verſorgte Weibchen allein ausbrütet.‟—</p><lb/><p>„Nach der erſten Brut führen beide Eltern ihre Jungen nur kurze Zeit, denn ſie machen bald zu<lb/>
einer zweiten Brut Anſtalt. Nach dieſer vereinigen ſie ſich mit allen ihren Kindern in eine kleine<lb/>
Geſellſchaft und wandern entweder familienweiſe, oder in Flügen, welche aus zwei oder mehr Familien<lb/>
beſtehen, die ſich zuſammengefunden haben. Sie verlaſſen uns in der letzten Hälfte des Oktobers<lb/>
oder zu Anfang Novembers.‟</p><lb/><p>„Das Herrlichſte an der Haidelerche iſt ihr vortrefflicher Geſang. Man iſt auf einer Fußreiſe<lb/>
begriffen und befindet ſich in einer öden Gegend, in welcher vielleicht nicht einmal eine Ausſicht in eine<lb/>ſchöne Ferne für den Anblick der ärmlichen Pflanzenwelt entſchädigen kann. Alles Thierleben ſcheint<lb/>
gänzlich erſtorben. Da erhebt ſich die liebliche <hirendition="#g">Haidelerche,</hi> läßt zuerſt ihren ſanften Lockton<lb/><hirendition="#g">„Lullu‟</hi> hören, ſteigt in die Höhe und ſchwebt laut flötend und trillernd halbe Stunden lang unter<lb/>
den Wolken herum, oder ſetzt ſich auf einen Baum, um dort ihr angenehmes Lied zu Ende zu führen.<lb/>
Noch lieblicher aber klingt dieſer Geſang des Nachts. Wenn ich in den ſtillen Mitternachtsſtunden<lb/>
ihren ärmlichen Wohnplatz durchſchritt, in weiter Ferne eine <hirendition="#g">Ohreule</hi> heulen oder einen <hirendition="#g">Ziegen-<lb/>
melker</hi>ſchnurren, oder einen nah vorüberfliegenden Käfer ſchwirren hörte und mich ſo recht einſam<lb/>
in der öden Gegend fühlte, war ich jeder Zeit hoch erfreut, wenn eine <hirendition="#g">Haidelerche</hi> emporſtieg und<lb/>
ihren ſchönen Triller erſchallen ließ. Jch blieb lange ſtehen und lauſchte auf dieſe gleichſam vom<lb/>
Himmel kommenden Töne. Geſtärkt ſetzte ich dann meinen Wanderſtab weiter. Jch weiß recht gut,<lb/>
daß die <hirendition="#g">Haidelerche</hi> zu ſingen anfing, weil ein innerer Drang ſie dazu trieb und ſie ihr Weibchen<lb/>
durch ihren Geſang unterhalten und erfreuen wollte: allein es ſchien mir, als ſei ſie emporgeſtiegen,<lb/>
um mir, ihrem alten Freunde, ihre Aufmerkſamkeit zu beweiſen und ihm die Einſamkeit zu verſüßen.‟</p><lb/><p>Die Haidelerche kann ſich hinſichtlich ihres Geſanges mit der Nachtigall nicht meſſen, und dennoch<lb/>
erſetzt ſie dieſe. Das Lied der Nachtigall erklingt nur während zweier Monate: die Haidelerche aber<lb/>ſingt von Anfang des März bis Auguſt und nach der Mauſer noch in der letzten Hälfte des Septem-<lb/>
ber und in der erſten des Oktober, und ſie ſingt in den öden, armen Gegenden: ſie ſingt im Gebirge,<lb/>
wo außer ihr nur wenige andere gute Sänger wohnen, — da, wo ſie lebt, kaum ein einziger! Sie<lb/>
iſt der Liebling aller Gebirgsbewohner, der Stolz der Stubenvögelliebhaber, die Freude des während<lb/>
der ganzen Woche an die Stube gefeſſelten, in ihr, wie mein Vater ſagt, gewiſſermaßen gefangen<lb/>
gehaltenen Handwerkers. Sie wird deshalb oft gefangen, gewöhnlich mit der Locke oder auch einfach,<lb/>
indem man im Frühjahre einen mit einer Leimruthe beſpickten, auf einer Stange befeſtigten kleinen<lb/>
Buſch inmitten einer freien Stelle des Wohnplatzes aufſtellt. Einen ſolchen erhabenen Gegenſtand<lb/>ſucht ſie gern auf, um ſich auf ihm für Augenblicke niederzulaſſen: dabei wird ſie gefangen. Solche<lb/>
Vogelſtellerei iſt gewiß nicht blos zu entſchuldigen, ſondern vollſtändig zu rechtfertigen. Anders verhält<lb/>ſich die Sache mit dem Lerchenſtreichen in den Ebenen, bei welchem auch das liebenswürdige Kind des<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[270/0292]
Die Knacker. Sperlingsvögel. Lerchen.
iſt und gewöhnlich der ihr drohenden Gefahr entgeht. Sie ſetzt ſich aber nicht nur, wie ihre Ver-
wandten, faſt immer auf den Boden, ſondern auch auf die Wipfel und freiſtehenden Aeſte der Bäume
— daher ihr Name Baumlerche.‟
„Jm Frühjahre lebt ſie paarweiſe; weil es aber, wie bei den meiſten Thieren, bei dieſer Lerchen-
art mehr Männchen als Weibchen gibt, ſo fehlt es nicht an heftigen Kämpfen, in welchen der Ein-
dringling gewöhnlich in die Flucht geſchlagen wird. Bei der Paarung zeigt das Männchen ſeine
ganze Liebenswürdigkeit. Es läuft nahe um ſein Weibchen herum, hebt den ausgebreiteten Schwanz
etwas in die Höhe, zieht die Holle hoch empor, und macht allerliebſte Verbeugungen, um ihm ſeine
Ergebung und Zärtlichkeit zu bezeugen.‟
„Jhr zierliches Neſt findet man nach der Beſchaffenheit der Frühlingswitterung früher oder ſpäter,
zuweilen ſchon in den letzten Tagen des März, unter einem Fichten- oder Wachholderbuſche, oder im
Graſe. Es iſt in einer geſcharrten Vertiefung von zarten, dürren Grashalmen und Grasblättern
gebaut, tiefer als eine Halbkugel und inwendig ſehr glatt und ſchön. Es enthält vier bis fünf, ſelten
drei weißliche mit grau- und hellbraunen Punkten und Fleckchen dicht beſtreute Eier, welche das vom
Männchen mit Nahrung verſorgte Weibchen allein ausbrütet.‟ —
„Nach der erſten Brut führen beide Eltern ihre Jungen nur kurze Zeit, denn ſie machen bald zu
einer zweiten Brut Anſtalt. Nach dieſer vereinigen ſie ſich mit allen ihren Kindern in eine kleine
Geſellſchaft und wandern entweder familienweiſe, oder in Flügen, welche aus zwei oder mehr Familien
beſtehen, die ſich zuſammengefunden haben. Sie verlaſſen uns in der letzten Hälfte des Oktobers
oder zu Anfang Novembers.‟
„Das Herrlichſte an der Haidelerche iſt ihr vortrefflicher Geſang. Man iſt auf einer Fußreiſe
begriffen und befindet ſich in einer öden Gegend, in welcher vielleicht nicht einmal eine Ausſicht in eine
ſchöne Ferne für den Anblick der ärmlichen Pflanzenwelt entſchädigen kann. Alles Thierleben ſcheint
gänzlich erſtorben. Da erhebt ſich die liebliche Haidelerche, läßt zuerſt ihren ſanften Lockton
„Lullu‟ hören, ſteigt in die Höhe und ſchwebt laut flötend und trillernd halbe Stunden lang unter
den Wolken herum, oder ſetzt ſich auf einen Baum, um dort ihr angenehmes Lied zu Ende zu führen.
Noch lieblicher aber klingt dieſer Geſang des Nachts. Wenn ich in den ſtillen Mitternachtsſtunden
ihren ärmlichen Wohnplatz durchſchritt, in weiter Ferne eine Ohreule heulen oder einen Ziegen-
melker ſchnurren, oder einen nah vorüberfliegenden Käfer ſchwirren hörte und mich ſo recht einſam
in der öden Gegend fühlte, war ich jeder Zeit hoch erfreut, wenn eine Haidelerche emporſtieg und
ihren ſchönen Triller erſchallen ließ. Jch blieb lange ſtehen und lauſchte auf dieſe gleichſam vom
Himmel kommenden Töne. Geſtärkt ſetzte ich dann meinen Wanderſtab weiter. Jch weiß recht gut,
daß die Haidelerche zu ſingen anfing, weil ein innerer Drang ſie dazu trieb und ſie ihr Weibchen
durch ihren Geſang unterhalten und erfreuen wollte: allein es ſchien mir, als ſei ſie emporgeſtiegen,
um mir, ihrem alten Freunde, ihre Aufmerkſamkeit zu beweiſen und ihm die Einſamkeit zu verſüßen.‟
Die Haidelerche kann ſich hinſichtlich ihres Geſanges mit der Nachtigall nicht meſſen, und dennoch
erſetzt ſie dieſe. Das Lied der Nachtigall erklingt nur während zweier Monate: die Haidelerche aber
ſingt von Anfang des März bis Auguſt und nach der Mauſer noch in der letzten Hälfte des Septem-
ber und in der erſten des Oktober, und ſie ſingt in den öden, armen Gegenden: ſie ſingt im Gebirge,
wo außer ihr nur wenige andere gute Sänger wohnen, — da, wo ſie lebt, kaum ein einziger! Sie
iſt der Liebling aller Gebirgsbewohner, der Stolz der Stubenvögelliebhaber, die Freude des während
der ganzen Woche an die Stube gefeſſelten, in ihr, wie mein Vater ſagt, gewiſſermaßen gefangen
gehaltenen Handwerkers. Sie wird deshalb oft gefangen, gewöhnlich mit der Locke oder auch einfach,
indem man im Frühjahre einen mit einer Leimruthe beſpickten, auf einer Stange befeſtigten kleinen
Buſch inmitten einer freien Stelle des Wohnplatzes aufſtellt. Einen ſolchen erhabenen Gegenſtand
ſucht ſie gern auf, um ſich auf ihm für Augenblicke niederzulaſſen: dabei wird ſie gefangen. Solche
Vogelſtellerei iſt gewiß nicht blos zu entſchuldigen, ſondern vollſtändig zu rechtfertigen. Anders verhält
ſich die Sache mit dem Lerchenſtreichen in den Ebenen, bei welchem auch das liebenswürdige Kind des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/292>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.