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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Kardinal. Dominikanerfink.
wendet sich abwechselnd zur Rechten und zur Linken, als müsse er sein eigenes Entzücken über die
wundervollen Töne seiner Stimme kundgeben. Von neuem und immer von neuem werden diese
Melodien wiederholt; denn der Vogel schweigt nur, um Luft zu schöpfen. Man hört ihn lange
bevor, ehe die Sonne den Himmel im Osten vergoldet, bis zu der Zeit, wenn das flammende Gestirn
Licht und Wärme herniedersendet und alle Vögel zu zeitweiliger Ruhe zwingt, und sobald die Natur
wieder aufathmet, beginnt der Sänger von neuem, und, als habe er niemals seine Brust angestrengt,
ruft er das Echo wach in der ganzen Nachbarschaft und ruht nicht eher, als bis die Abendschatten um
ihn sich verbreiten. Tag für Tag verkürzt der Rothvogel das langweilige Geschäft des brütenden
Weibchens, und von Zeit zu Zeit stimmt auch dieses mit ein mit der Bescheidenheit ihres Geschlechts.
Wenige von uns verweigern diesem süßen Sänger den Zoll der Bewunderung. Wie erfreulich ist es,
wenn bei bedecktem Himmel Dunkel die Wälder deckt, so daß man meint, die Nacht sei schon herein-
gebrochen, wie erfreulich, plötzlich die wohlbekannten Töne dieses Lieblingsvogels zu vernehmen!
Wie oft habe ich mich dieses Vergnügens erfreut, und wie oft möchte ich mich dessen noch erfreuen!"

Dieser dichterischen Auslassung gegenüber nehmen sich die Urtheile europäischer Forscher eigen-
thümlich aus. "Sein Gesang", sagt Prinz von Wied, "ist nicht ausgezeichnet und klingt mehr
sonderbar, als angenehm." "Sein Gesang", versichert Gerhardt, "entspricht keineswegs seiner
Schönheit. Er klingt wie "Dihu, duiduiduiduiduiduiduidi". Der Lockton ist ein kurz ausgestoßenes
"Zip" oder "Tip".

Jm Käsig läßt sich der Kardinal ohne Mühe erhalten. Er nimmt mit dem einfachsten Körner-
futter vorlieb, ist hart und ausdauernd und kann, in einem größeren Raum freigelassen, zur Fort-
pflanzung gebracht werden. Aber auch er hat Etwas von den Eigenschaften seines deutschen Ver-
wandten: er ist zänkisch im Bauer und beunruhigt die andern Brutvögel. Jch glaube nicht, ihm
Unrecht zu thun, wenn ich annehme, daß er es war, welcher in unserm Gesellschaftsbauer die Brut
eines seiner Verwandten aus Japan vernichtete.



Die Südamerikaner bezeichnen mit dem Namen Kardinal einen andern dickschnäbligen Kern-
beißer, welchen wir Dominikanerfink zu nennen pflegen. Er bildet mit einigen andern die Gruppe
der Graufinken (Paroaria), so genannt, weil das Gefieder bleifarben ist. So pflegt mindestens
der Rücken gefärbt zu sein, während die Bauchseite weiß und der Kopf gewöhnlich roth ist. Die Ge-
stalt dieser Vögel ist verhältnißmäßig schlank, der Flügel ziemlich spitz, fast bis zur Mitte des mäßig
langen, abgerundeten Schwanzes reichend. Der Schnabel ist noch ziemlich dick, aber gerade, die
Spitze kaum hakig, der Mundrand etwas eingebogen, mit leichter Winkelung neben der Mitte, das
Bein mittellang und kräftig.

Der Dominikanerfink (Paroaria dominicana) wird 61/2 Zoll lang und 101/2 Zoll breit;
der Fittig mißt 31/2 Zoll, der Schwanz 3 Zoll. Das Gefieder ist auf Nacken, Rücken, Flügel und
Schwanz dunkelschiefergrau, auf der Unterseite weiß, längs der Brustseiten hier und da schiefergrau
gefleckt; der Kopf, die Kehle und die Mitte des Vorderhalses mit Ausnahme der schwarzen Ohrdecken
aber sind dunkelblutroth, am Hinterhalse durch ein weißes Band von dem grauen Nacken getrennt.
Der Oberschnabel ist schieferschwarz, der Unterschnabel weißlich, der Augenring braun, das Bein
fleischbraun. Das Weibchen soll von dem Männchen nicht bedeutend verschieden sein.

Auch dieser schöne Kernbeißer kommt sehr oft nach Europa herüber und ist deshalb hier wohl
bekannt. Jn seinem Vaterlande wird er häufig im Käfig gehalten, obgleich er ein langweiliger, ein-
fältiger Gesell ist und nicht einmal seine Landsleute zu ähnlichen Lobeserhebungen veranlaßt hat, wie
sein nördlicher Verwandter die Nordamerikaner. Er verbreitet sich über ganz Nordbrasilien und wird
namentlich bei Bahia, Para und am Amazonenstrome gesunden. Wie alle seine Sippschaftsgenossen

Kardinal. Dominikanerfink.
wendet ſich abwechſelnd zur Rechten und zur Linken, als müſſe er ſein eigenes Entzücken über die
wundervollen Töne ſeiner Stimme kundgeben. Von neuem und immer von neuem werden dieſe
Melodien wiederholt; denn der Vogel ſchweigt nur, um Luft zu ſchöpfen. Man hört ihn lange
bevor, ehe die Sonne den Himmel im Oſten vergoldet, bis zu der Zeit, wenn das flammende Geſtirn
Licht und Wärme herniederſendet und alle Vögel zu zeitweiliger Ruhe zwingt, und ſobald die Natur
wieder aufathmet, beginnt der Sänger von neuem, und, als habe er niemals ſeine Bruſt angeſtrengt,
ruft er das Echo wach in der ganzen Nachbarſchaft und ruht nicht eher, als bis die Abendſchatten um
ihn ſich verbreiten. Tag für Tag verkürzt der Rothvogel das langweilige Geſchäft des brütenden
Weibchens, und von Zeit zu Zeit ſtimmt auch dieſes mit ein mit der Beſcheidenheit ihres Geſchlechts.
Wenige von uns verweigern dieſem ſüßen Sänger den Zoll der Bewunderung. Wie erfreulich iſt es,
wenn bei bedecktem Himmel Dunkel die Wälder deckt, ſo daß man meint, die Nacht ſei ſchon herein-
gebrochen, wie erfreulich, plötzlich die wohlbekannten Töne dieſes Lieblingsvogels zu vernehmen!
Wie oft habe ich mich dieſes Vergnügens erfreut, und wie oft möchte ich mich deſſen noch erfreuen!‟

Dieſer dichteriſchen Auslaſſung gegenüber nehmen ſich die Urtheile europäiſcher Forſcher eigen-
thümlich aus. „Sein Geſang‟, ſagt Prinz von Wied, „iſt nicht ausgezeichnet und klingt mehr
ſonderbar, als angenehm.‟ „Sein Geſang‟, verſichert Gerhardt, „entſpricht keineswegs ſeiner
Schönheit. Er klingt wie „Dihu, duiduiduiduiduiduiduidi‟. Der Lockton iſt ein kurz ausgeſtoßenes
„Zip‟ oder „Tip‟.

Jm Käſig läßt ſich der Kardinal ohne Mühe erhalten. Er nimmt mit dem einfachſten Körner-
futter vorlieb, iſt hart und ausdauernd und kann, in einem größeren Raum freigelaſſen, zur Fort-
pflanzung gebracht werden. Aber auch er hat Etwas von den Eigenſchaften ſeines deutſchen Ver-
wandten: er iſt zänkiſch im Bauer und beunruhigt die andern Brutvögel. Jch glaube nicht, ihm
Unrecht zu thun, wenn ich annehme, daß er es war, welcher in unſerm Geſellſchaftsbauer die Brut
eines ſeiner Verwandten aus Japan vernichtete.



Die Südamerikaner bezeichnen mit dem Namen Kardinal einen andern dickſchnäbligen Kern-
beißer, welchen wir Dominikanerfink zu nennen pflegen. Er bildet mit einigen andern die Gruppe
der Graufinken (Paroaria), ſo genannt, weil das Gefieder bleifarben iſt. So pflegt mindeſtens
der Rücken gefärbt zu ſein, während die Bauchſeite weiß und der Kopf gewöhnlich roth iſt. Die Ge-
ſtalt dieſer Vögel iſt verhältnißmäßig ſchlank, der Flügel ziemlich ſpitz, faſt bis zur Mitte des mäßig
langen, abgerundeten Schwanzes reichend. Der Schnabel iſt noch ziemlich dick, aber gerade, die
Spitze kaum hakig, der Mundrand etwas eingebogen, mit leichter Winkelung neben der Mitte, das
Bein mittellang und kräftig.

Der Dominikanerfink (Paroaria dominicana) wird 6½ Zoll lang und 10½ Zoll breit;
der Fittig mißt 3½ Zoll, der Schwanz 3 Zoll. Das Gefieder iſt auf Nacken, Rücken, Flügel und
Schwanz dunkelſchiefergrau, auf der Unterſeite weiß, längs der Bruſtſeiten hier und da ſchiefergrau
gefleckt; der Kopf, die Kehle und die Mitte des Vorderhalſes mit Ausnahme der ſchwarzen Ohrdecken
aber ſind dunkelblutroth, am Hinterhalſe durch ein weißes Band von dem grauen Nacken getrennt.
Der Oberſchnabel iſt ſchieferſchwarz, der Unterſchnabel weißlich, der Augenring braun, das Bein
fleiſchbraun. Das Weibchen ſoll von dem Männchen nicht bedeutend verſchieden ſein.

Auch dieſer ſchöne Kernbeißer kommt ſehr oft nach Europa herüber und iſt deshalb hier wohl
bekannt. Jn ſeinem Vaterlande wird er häufig im Käfig gehalten, obgleich er ein langweiliger, ein-
fältiger Geſell iſt und nicht einmal ſeine Landsleute zu ähnlichen Lobeserhebungen veranlaßt hat, wie
ſein nördlicher Verwandter die Nordamerikaner. Er verbreitet ſich über ganz Nordbraſilien und wird
namentlich bei Bahia, Para und am Amazonenſtrome geſunden. Wie alle ſeine Sippſchaftsgenoſſen

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[183/0203] Kardinal. Dominikanerfink. wendet ſich abwechſelnd zur Rechten und zur Linken, als müſſe er ſein eigenes Entzücken über die wundervollen Töne ſeiner Stimme kundgeben. Von neuem und immer von neuem werden dieſe Melodien wiederholt; denn der Vogel ſchweigt nur, um Luft zu ſchöpfen. Man hört ihn lange bevor, ehe die Sonne den Himmel im Oſten vergoldet, bis zu der Zeit, wenn das flammende Geſtirn Licht und Wärme herniederſendet und alle Vögel zu zeitweiliger Ruhe zwingt, und ſobald die Natur wieder aufathmet, beginnt der Sänger von neuem, und, als habe er niemals ſeine Bruſt angeſtrengt, ruft er das Echo wach in der ganzen Nachbarſchaft und ruht nicht eher, als bis die Abendſchatten um ihn ſich verbreiten. Tag für Tag verkürzt der Rothvogel das langweilige Geſchäft des brütenden Weibchens, und von Zeit zu Zeit ſtimmt auch dieſes mit ein mit der Beſcheidenheit ihres Geſchlechts. Wenige von uns verweigern dieſem ſüßen Sänger den Zoll der Bewunderung. Wie erfreulich iſt es, wenn bei bedecktem Himmel Dunkel die Wälder deckt, ſo daß man meint, die Nacht ſei ſchon herein- gebrochen, wie erfreulich, plötzlich die wohlbekannten Töne dieſes Lieblingsvogels zu vernehmen! Wie oft habe ich mich dieſes Vergnügens erfreut, und wie oft möchte ich mich deſſen noch erfreuen!‟ Dieſer dichteriſchen Auslaſſung gegenüber nehmen ſich die Urtheile europäiſcher Forſcher eigen- thümlich aus. „Sein Geſang‟, ſagt Prinz von Wied, „iſt nicht ausgezeichnet und klingt mehr ſonderbar, als angenehm.‟ „Sein Geſang‟, verſichert Gerhardt, „entſpricht keineswegs ſeiner Schönheit. Er klingt wie „Dihu, duiduiduiduiduiduiduidi‟. Der Lockton iſt ein kurz ausgeſtoßenes „Zip‟ oder „Tip‟. Jm Käſig läßt ſich der Kardinal ohne Mühe erhalten. Er nimmt mit dem einfachſten Körner- futter vorlieb, iſt hart und ausdauernd und kann, in einem größeren Raum freigelaſſen, zur Fort- pflanzung gebracht werden. Aber auch er hat Etwas von den Eigenſchaften ſeines deutſchen Ver- wandten: er iſt zänkiſch im Bauer und beunruhigt die andern Brutvögel. Jch glaube nicht, ihm Unrecht zu thun, wenn ich annehme, daß er es war, welcher in unſerm Geſellſchaftsbauer die Brut eines ſeiner Verwandten aus Japan vernichtete. Die Südamerikaner bezeichnen mit dem Namen Kardinal einen andern dickſchnäbligen Kern- beißer, welchen wir Dominikanerfink zu nennen pflegen. Er bildet mit einigen andern die Gruppe der Graufinken (Paroaria), ſo genannt, weil das Gefieder bleifarben iſt. So pflegt mindeſtens der Rücken gefärbt zu ſein, während die Bauchſeite weiß und der Kopf gewöhnlich roth iſt. Die Ge- ſtalt dieſer Vögel iſt verhältnißmäßig ſchlank, der Flügel ziemlich ſpitz, faſt bis zur Mitte des mäßig langen, abgerundeten Schwanzes reichend. Der Schnabel iſt noch ziemlich dick, aber gerade, die Spitze kaum hakig, der Mundrand etwas eingebogen, mit leichter Winkelung neben der Mitte, das Bein mittellang und kräftig. Der Dominikanerfink (Paroaria dominicana) wird 6½ Zoll lang und 10½ Zoll breit; der Fittig mißt 3½ Zoll, der Schwanz 3 Zoll. Das Gefieder iſt auf Nacken, Rücken, Flügel und Schwanz dunkelſchiefergrau, auf der Unterſeite weiß, längs der Bruſtſeiten hier und da ſchiefergrau gefleckt; der Kopf, die Kehle und die Mitte des Vorderhalſes mit Ausnahme der ſchwarzen Ohrdecken aber ſind dunkelblutroth, am Hinterhalſe durch ein weißes Band von dem grauen Nacken getrennt. Der Oberſchnabel iſt ſchieferſchwarz, der Unterſchnabel weißlich, der Augenring braun, das Bein fleiſchbraun. Das Weibchen ſoll von dem Männchen nicht bedeutend verſchieden ſein. Auch dieſer ſchöne Kernbeißer kommt ſehr oft nach Europa herüber und iſt deshalb hier wohl bekannt. Jn ſeinem Vaterlande wird er häufig im Käfig gehalten, obgleich er ein langweiliger, ein- fältiger Geſell iſt und nicht einmal ſeine Landsleute zu ähnlichen Lobeserhebungen veranlaßt hat, wie ſein nördlicher Verwandter die Nordamerikaner. Er verbreitet ſich über ganz Nordbraſilien und wird namentlich bei Bahia, Para und am Amazonenſtrome geſunden. Wie alle ſeine Sippſchaftsgenoſſen

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/203>, abgerufen am 22.11.2024.