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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Abendkernbeißer.
Ebenen des Saskatchewan. Townsend fand ihn häufig an dem Columbiafluß, und von diesem For-
scher erhielten wir auch den ausführlichsten Bericht über das Leben.

"Der Abendkernbeißer", so schreibt er an Audubon, "ist sehr zahlreich in den Fichtenwäldern.
Man kann kaum einen Fichtenhain betreten, ohne Scharen von ihm zu sehen. Sie sind so vertrauens-
selig und zahm, daß man leicht eine Menge aus ihnen erbeuten kann. Es ist behauptet worden, daß
sie sich während des Tages still und zurückgezogen hielten und nur gegen den Abend hin sängen; hier
aber vernimmt man ihre bemerkenswerthe Stimme während des ganzen Tages, von Sonnenaufgang
bis Sonnenuntergang. Dann ziehen sie sich zu ihren Schlupfplätzen in den Wipfeln alter Fichten
zurück und rühren sich nicht mehr, bis der neue Morgen wieder anbricht. So habe ich es beobachtet;
doch will ich nicht sagen, daß Dies zu allen Jahreszeiten und unter allen Umständen so sein möge.
Jetzt (im Mai) sind die Vögel im Begriff zu brüten."

"Es scheint, als ob sie sehr gesellschaftlich wären; wenigstens sieht man nur selten einen einzel-
nen. Sie nähren sich von dem Samen der Fichten und anderer Bäume, welche sie von den starken
Aesten auflesen und durch wiederholtes Aufspringen auf die äußersten Zweige ausschütteln. Ebenso-
wohl aber als Sämereien verzehren sie eine Menge von den Larven der großen schwarzen Ameise, und
wahrscheinlich deshalb sieht man sie oft auch auf den Stämmen der niederen Eichen sitzen, welche hier
die Wälder umgürten. Jhre gewöhnliche Stimme, welche man sicher vernimmt, wenn sie Futter
suchen, besteht in einem kreischenden Ton, den als Warnungsruf zu deuten ich anfänglich geneigt
war. Gegen Mittag erheben sich die Männchen auf die luftigen Zweige der Fichten und beginnen
hier zu singen. Der Gesang ist erbärmlich, und sie scheinen Dies zu fühlen; denn sie schweigen
oft und sehen dann sehr unzufrieden aus. Nach längerem Schweigen fangen sie wieder an, ohne
aber einen bessern Erfolg zu erzielen. Der Ton ist ein einziger, trillernder Ruf, außerordentlich ähn-
lich dem ersten Theile von dem Gesang unserer Wanderdrossel, aber nicht so sanft, und stockend, als
ob der Sänger außer Athem wäre. Der Gesang, falls man ihn so nennen darf, ist nach meinen
Begriffen langweilig und ermüdend. Jch lauschte stets nach der Fortsetzung und wurde regelmäßig
getäuscht."

Ueber das Brutgeschäft des Abendkernbeißers erfahren wir leider Nichts durch die mir bekannten
Schriftsteller, und ich weiß auch nicht, ob hierüber neuerdings Beobachtungen veröffentlicht worden
sind. Es scheint, daß man den schönen Vogel nicht oft erlegt; denn er gehört in allen Sammlun-
gen zu den größten Seltenheiten.



Beiläufig nur will ich des auffallendsten aller Kernbeißer gedenken. Er heißt Geospiza magni-
rostris
und findet sich mit mehreren Verwandten auf den Gallopagos-Jnseln. Sein ungeheurer
Schnabel und der kurze Schwanz zeichnen ihn sehr aus; das Gefieder ist bei dem alten Männchen
rabenschwarz, beim Weibchen braun; der Schnabel ist hornfarbig, der Fuß dunkel. Gedachter
Kernbeißer lebt, wie seine nächsten Verwandten, hauptsächlich auf dem Boden und sucht sich hier aller-
hand Nahrung zusammen. Darwin sah einen furchtlos und gleichgiltig auf dem Rücken einer
großen Eidechse sitzen.



Amerika und namentlich der Süden dieses Erdtheils ist reich an dickschnäbligen Finken; sie aber
werden nicht zu den eigentlichen Kernbeißern gerechnet, sondern in einer eigenen Familie vereinigt.
Wir können die hierher zu zählenden Kegelschnäbler nach Burmeister's Vorgange Papageifinken
(Pityli) nennen. Sie sind Kernbeißer mit Hakenschnabel, kurzen Flügeln und langem Schwanze.
Der Schnabel ist gewöhnlich sehr stark, dick, bauchig, kegelförmig, die Spitze des Oberschnabels hakig,

Brehm, Thierleben. III. 12

Abendkernbeißer.
Ebenen des Saskatchewan. Townsend fand ihn häufig an dem Columbiafluß, und von dieſem For-
ſcher erhielten wir auch den ausführlichſten Bericht über das Leben.

„Der Abendkernbeißer‟, ſo ſchreibt er an Audubon, „iſt ſehr zahlreich in den Fichtenwäldern.
Man kann kaum einen Fichtenhain betreten, ohne Scharen von ihm zu ſehen. Sie ſind ſo vertrauens-
ſelig und zahm, daß man leicht eine Menge aus ihnen erbeuten kann. Es iſt behauptet worden, daß
ſie ſich während des Tages ſtill und zurückgezogen hielten und nur gegen den Abend hin ſängen; hier
aber vernimmt man ihre bemerkenswerthe Stimme während des ganzen Tages, von Sonnenaufgang
bis Sonnenuntergang. Dann ziehen ſie ſich zu ihren Schlupfplätzen in den Wipfeln alter Fichten
zurück und rühren ſich nicht mehr, bis der neue Morgen wieder anbricht. So habe ich es beobachtet;
doch will ich nicht ſagen, daß Dies zu allen Jahreszeiten und unter allen Umſtänden ſo ſein möge.
Jetzt (im Mai) ſind die Vögel im Begriff zu brüten.‟

„Es ſcheint, als ob ſie ſehr geſellſchaftlich wären; wenigſtens ſieht man nur ſelten einen einzel-
nen. Sie nähren ſich von dem Samen der Fichten und anderer Bäume, welche ſie von den ſtarken
Aeſten aufleſen und durch wiederholtes Aufſpringen auf die äußerſten Zweige ausſchütteln. Ebenſo-
wohl aber als Sämereien verzehren ſie eine Menge von den Larven der großen ſchwarzen Ameiſe, und
wahrſcheinlich deshalb ſieht man ſie oft auch auf den Stämmen der niederen Eichen ſitzen, welche hier
die Wälder umgürten. Jhre gewöhnliche Stimme, welche man ſicher vernimmt, wenn ſie Futter
ſuchen, beſteht in einem kreiſchenden Ton, den als Warnungsruf zu deuten ich anfänglich geneigt
war. Gegen Mittag erheben ſich die Männchen auf die luftigen Zweige der Fichten und beginnen
hier zu ſingen. Der Geſang iſt erbärmlich, und ſie ſcheinen Dies zu fühlen; denn ſie ſchweigen
oft und ſehen dann ſehr unzufrieden aus. Nach längerem Schweigen fangen ſie wieder an, ohne
aber einen beſſern Erfolg zu erzielen. Der Ton iſt ein einziger, trillernder Ruf, außerordentlich ähn-
lich dem erſten Theile von dem Geſang unſerer Wanderdroſſel, aber nicht ſo ſanft, und ſtockend, als
ob der Sänger außer Athem wäre. Der Geſang, falls man ihn ſo nennen darf, iſt nach meinen
Begriffen langweilig und ermüdend. Jch lauſchte ſtets nach der Fortſetzung und wurde regelmäßig
getäuſcht.‟

Ueber das Brutgeſchäft des Abendkernbeißers erfahren wir leider Nichts durch die mir bekannten
Schriftſteller, und ich weiß auch nicht, ob hierüber neuerdings Beobachtungen veröffentlicht worden
ſind. Es ſcheint, daß man den ſchönen Vogel nicht oft erlegt; denn er gehört in allen Sammlun-
gen zu den größten Seltenheiten.



Beiläufig nur will ich des auffallendſten aller Kernbeißer gedenken. Er heißt Geospiza magni-
rostris
und findet ſich mit mehreren Verwandten auf den Gallopagos-Jnſeln. Sein ungeheurer
Schnabel und der kurze Schwanz zeichnen ihn ſehr aus; das Gefieder iſt bei dem alten Männchen
rabenſchwarz, beim Weibchen braun; der Schnabel iſt hornfarbig, der Fuß dunkel. Gedachter
Kernbeißer lebt, wie ſeine nächſten Verwandten, hauptſächlich auf dem Boden und ſucht ſich hier aller-
hand Nahrung zuſammen. Darwin ſah einen furchtlos und gleichgiltig auf dem Rücken einer
großen Eidechſe ſitzen.



Amerika und namentlich der Süden dieſes Erdtheils iſt reich an dickſchnäbligen Finken; ſie aber
werden nicht zu den eigentlichen Kernbeißern gerechnet, ſondern in einer eigenen Familie vereinigt.
Wir können die hierher zu zählenden Kegelſchnäbler nach Burmeiſter’s Vorgange Papageifinken
(Pityli) nennen. Sie ſind Kernbeißer mit Hakenſchnabel, kurzen Flügeln und langem Schwanze.
Der Schnabel iſt gewöhnlich ſehr ſtark, dick, bauchig, kegelförmig, die Spitze des Oberſchnabels hakig,

Brehm, Thierleben. III. 12
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[177/0197] Abendkernbeißer. Ebenen des Saskatchewan. Townsend fand ihn häufig an dem Columbiafluß, und von dieſem For- ſcher erhielten wir auch den ausführlichſten Bericht über das Leben. „Der Abendkernbeißer‟, ſo ſchreibt er an Audubon, „iſt ſehr zahlreich in den Fichtenwäldern. Man kann kaum einen Fichtenhain betreten, ohne Scharen von ihm zu ſehen. Sie ſind ſo vertrauens- ſelig und zahm, daß man leicht eine Menge aus ihnen erbeuten kann. Es iſt behauptet worden, daß ſie ſich während des Tages ſtill und zurückgezogen hielten und nur gegen den Abend hin ſängen; hier aber vernimmt man ihre bemerkenswerthe Stimme während des ganzen Tages, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Dann ziehen ſie ſich zu ihren Schlupfplätzen in den Wipfeln alter Fichten zurück und rühren ſich nicht mehr, bis der neue Morgen wieder anbricht. So habe ich es beobachtet; doch will ich nicht ſagen, daß Dies zu allen Jahreszeiten und unter allen Umſtänden ſo ſein möge. Jetzt (im Mai) ſind die Vögel im Begriff zu brüten.‟ „Es ſcheint, als ob ſie ſehr geſellſchaftlich wären; wenigſtens ſieht man nur ſelten einen einzel- nen. Sie nähren ſich von dem Samen der Fichten und anderer Bäume, welche ſie von den ſtarken Aeſten aufleſen und durch wiederholtes Aufſpringen auf die äußerſten Zweige ausſchütteln. Ebenſo- wohl aber als Sämereien verzehren ſie eine Menge von den Larven der großen ſchwarzen Ameiſe, und wahrſcheinlich deshalb ſieht man ſie oft auch auf den Stämmen der niederen Eichen ſitzen, welche hier die Wälder umgürten. Jhre gewöhnliche Stimme, welche man ſicher vernimmt, wenn ſie Futter ſuchen, beſteht in einem kreiſchenden Ton, den als Warnungsruf zu deuten ich anfänglich geneigt war. Gegen Mittag erheben ſich die Männchen auf die luftigen Zweige der Fichten und beginnen hier zu ſingen. Der Geſang iſt erbärmlich, und ſie ſcheinen Dies zu fühlen; denn ſie ſchweigen oft und ſehen dann ſehr unzufrieden aus. Nach längerem Schweigen fangen ſie wieder an, ohne aber einen beſſern Erfolg zu erzielen. Der Ton iſt ein einziger, trillernder Ruf, außerordentlich ähn- lich dem erſten Theile von dem Geſang unſerer Wanderdroſſel, aber nicht ſo ſanft, und ſtockend, als ob der Sänger außer Athem wäre. Der Geſang, falls man ihn ſo nennen darf, iſt nach meinen Begriffen langweilig und ermüdend. Jch lauſchte ſtets nach der Fortſetzung und wurde regelmäßig getäuſcht.‟ Ueber das Brutgeſchäft des Abendkernbeißers erfahren wir leider Nichts durch die mir bekannten Schriftſteller, und ich weiß auch nicht, ob hierüber neuerdings Beobachtungen veröffentlicht worden ſind. Es ſcheint, daß man den ſchönen Vogel nicht oft erlegt; denn er gehört in allen Sammlun- gen zu den größten Seltenheiten. Beiläufig nur will ich des auffallendſten aller Kernbeißer gedenken. Er heißt Geospiza magni- rostris und findet ſich mit mehreren Verwandten auf den Gallopagos-Jnſeln. Sein ungeheurer Schnabel und der kurze Schwanz zeichnen ihn ſehr aus; das Gefieder iſt bei dem alten Männchen rabenſchwarz, beim Weibchen braun; der Schnabel iſt hornfarbig, der Fuß dunkel. Gedachter Kernbeißer lebt, wie ſeine nächſten Verwandten, hauptſächlich auf dem Boden und ſucht ſich hier aller- hand Nahrung zuſammen. Darwin ſah einen furchtlos und gleichgiltig auf dem Rücken einer großen Eidechſe ſitzen. Amerika und namentlich der Süden dieſes Erdtheils iſt reich an dickſchnäbligen Finken; ſie aber werden nicht zu den eigentlichen Kernbeißern gerechnet, ſondern in einer eigenen Familie vereinigt. Wir können die hierher zu zählenden Kegelſchnäbler nach Burmeiſter’s Vorgange Papageifinken (Pityli) nennen. Sie ſind Kernbeißer mit Hakenſchnabel, kurzen Flügeln und langem Schwanze. Der Schnabel iſt gewöhnlich ſehr ſtark, dick, bauchig, kegelförmig, die Spitze des Oberſchnabels hakig, Brehm, Thierleben. III. 12

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/197>, abgerufen am 24.11.2024.