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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Schnee- und Winterfink.
Das Nest, ein dichter und großer Bau, wird aus feinen Halmen zusammengetragen und sorgsam mit
Wolle, Pferdehaaren, Schneehuhnfedern und dgl. ausgefüttert. Die Eier, welche die unseres Edel-
finken an Größe übertreffen, sind schneeweiß. Beide Eltern füttern gemeinschaftlich ihre Jungen
groß und zwar hauptsächlich mit Larven, Spinnen und Würmchen, beweisen sich äußerst zärtlich gegen
sie und bewachen sie mit größter Sorgfalt. Haben sie mehr in der Tiefe gebrütet, so führen sie die
Ausgeflogenen baldmöglichst nach den Gefilden des "ewigen Schnees" empor. Während des Winters
bilden verschiedene Sämereien ihre Nahrung, und wie es scheint, leiden sie auch in dieser armen Jah-
reszeit keinen Mangel. Jn den Hospizen werden sie regelmäßig gefüttert und sammeln sich deshalb
oft in Scharen um diese gastlichen Häuser.



Amerikanische Forscher haben mit dem Schneefinken einen Vogel verwechselt, welcher mit ihm
wohl den Namen, sonst aber Nichts weiter gemein hat.

Der Winter- oder Ammerfink, wie wir ihn nennen wollen (Nyphaea hyemalis), gilt als
Vertreter einer eigenen Sippe der Finkenfamilie, welche mein Vater durch die wenigen Worte kenn-
zeichnet: "Ammer mit finkenartigem Schnabel und sehr unscheinbarer Zeichnung." Der Leib ist kräf-
tig, der Hals kurz, der Kopf groß, der Schnabel kurz, sehr spitzig. Die Läufe sind mittellang und
dünn, die Flügel kurz, aber gewölbt und gerundet, die dritte und vierte Schwinge am längsten (die
zweite ist fast ebensolang, die erste ein wenig kürzer); der Schwanz ist lang und gegabelt, das Gefieder
sanft und zerschlissen. Beim Männchen sind Kopf, Nacken, Rücken, Schwingen, Schwanz und Vor-
derbrust schwarzgrau, auf dem Kopf etwas tiefer, als übrigens; die Schwingen sind weißlich gerändert,
die beiden äußersten Schwanzfedern, wie die Unterbrust und der Bauch weiß. Der Schnabel ist
röthlichweiß, dunkel an der Spitze, der Augenstern schwärzlich braun. Das Weibchen unterscheidet
sich vom Männchen durch seine lichtere Färbung, welche auf dem Rücken bräunlich überlaufen ist.
Bei ersterem beträgt die Länge 53/4 Zoll, die Breite gegen 9 Zoll, bei letzterem die Länge 51/2 Zoll, die
Breite 81/4 Zoll.

Wilson, Audubon, Nuttall und der Prinz von Wied haben uns über das Leben des
Winterfinken unterrichtet. Der Vogel gehört zu den gemeinsten Arten seiner Familie und kommt im
größten Theile Nordamerikas, wenigstens zeitweilig häufig vor. "Jch habe", sagt Wilson, "vom
Norden Maines bis Georgia das Land durchwandert und ungefähr 1800 Meilen zurückgelegt; aber ich
erinnere mich keines Tages und kaum einer Meile, ohne daß ich Scharen dieser Vögel, zuweilen solche von
vielen Tausenden gesehen hätte, und auch alle andern Reisenden, mit denen ich gesprochen habe, be-
stätigten mir Dasselbe: auch sie hatten überall diese Vögel gesehen." Dem entgegen sagen andere ameri-
kanische Forscher, daß der Winterfink seinen Namen bethätigt, d. h. nur im Winter in solcher Häufigkeit
auftritt, im Sommer aber wenigstens in dem südlichen Theil der vereinigten Staaten fehlt. Er ist ein
Bewohner der Gebirge und des Nordens von Amerika. Hier gründet er sein Nest, und vonhieraus
wandert er nach dem Süden, wenn der Winter sich einstellt. Gelegentlich solcher Wanderungen soll er
auch in Europa vorgekommen sein; wenigstens versichert Temminck, daß verschiedene Winterfinken
auf Jsland gefangen worden seien. Auf diese Gewähr hin hat der Winterfink in den Verzeichnissen
der europäischen Vögel seine Stelle erhalten.

Der Winterfink erscheint in den vereinigten Staaten Ende Oktobers und verläßt dieselben wieder
Ende Aprils. Er wandert bei Nacht: man sieht ihn eines schönen Morgens plötzlich in Menge da,
wo man am Tag vorher keinen einzigen bemerkte. Anfänglich hält er sich in kleinen Trupps von
zwanzig bis dreißig Stück zusammen und treibt sich an Waldrändern, Hecken und Zäunen umher;
später vereinigt er sich zu größeren Scharen und namentlich vor Stürmen zu Flügen von Tausenden.
Solange der Boden noch unbedeckt ist, nährt er sich von Grassämereien, Beeren und Kerbthieren,

Schnee- und Winterfink.
Das Neſt, ein dichter und großer Bau, wird aus feinen Halmen zuſammengetragen und ſorgſam mit
Wolle, Pferdehaaren, Schneehuhnfedern und dgl. ausgefüttert. Die Eier, welche die unſeres Edel-
finken an Größe übertreffen, ſind ſchneeweiß. Beide Eltern füttern gemeinſchaftlich ihre Jungen
groß und zwar hauptſächlich mit Larven, Spinnen und Würmchen, beweiſen ſich äußerſt zärtlich gegen
ſie und bewachen ſie mit größter Sorgfalt. Haben ſie mehr in der Tiefe gebrütet, ſo führen ſie die
Ausgeflogenen baldmöglichſt nach den Gefilden des „ewigen Schnees‟ empor. Während des Winters
bilden verſchiedene Sämereien ihre Nahrung, und wie es ſcheint, leiden ſie auch in dieſer armen Jah-
reszeit keinen Mangel. Jn den Hoſpizen werden ſie regelmäßig gefüttert und ſammeln ſich deshalb
oft in Scharen um dieſe gaſtlichen Häuſer.



Amerikaniſche Forſcher haben mit dem Schneefinken einen Vogel verwechſelt, welcher mit ihm
wohl den Namen, ſonſt aber Nichts weiter gemein hat.

Der Winter- oder Ammerfink, wie wir ihn nennen wollen (Nyphaea hyemalis), gilt als
Vertreter einer eigenen Sippe der Finkenfamilie, welche mein Vater durch die wenigen Worte kenn-
zeichnet: „Ammer mit finkenartigem Schnabel und ſehr unſcheinbarer Zeichnung.‟ Der Leib iſt kräf-
tig, der Hals kurz, der Kopf groß, der Schnabel kurz, ſehr ſpitzig. Die Läufe ſind mittellang und
dünn, die Flügel kurz, aber gewölbt und gerundet, die dritte und vierte Schwinge am längſten (die
zweite iſt faſt ebenſolang, die erſte ein wenig kürzer); der Schwanz iſt lang und gegabelt, das Gefieder
ſanft und zerſchliſſen. Beim Männchen ſind Kopf, Nacken, Rücken, Schwingen, Schwanz und Vor-
derbruſt ſchwarzgrau, auf dem Kopf etwas tiefer, als übrigens; die Schwingen ſind weißlich gerändert,
die beiden äußerſten Schwanzfedern, wie die Unterbruſt und der Bauch weiß. Der Schnabel iſt
röthlichweiß, dunkel an der Spitze, der Augenſtern ſchwärzlich braun. Das Weibchen unterſcheidet
ſich vom Männchen durch ſeine lichtere Färbung, welche auf dem Rücken bräunlich überlaufen iſt.
Bei erſterem beträgt die Länge 5¾ Zoll, die Breite gegen 9 Zoll, bei letzterem die Länge 5½ Zoll, die
Breite 8¼ Zoll.

Wilſon, Audubon, Nuttall und der Prinz von Wied haben uns über das Leben des
Winterfinken unterrichtet. Der Vogel gehört zu den gemeinſten Arten ſeiner Familie und kommt im
größten Theile Nordamerikas, wenigſtens zeitweilig häufig vor. „Jch habe‟, ſagt Wilſon, „vom
Norden Maines bis Georgia das Land durchwandert und ungefähr 1800 Meilen zurückgelegt; aber ich
erinnere mich keines Tages und kaum einer Meile, ohne daß ich Scharen dieſer Vögel, zuweilen ſolche von
vielen Tauſenden geſehen hätte, und auch alle andern Reiſenden, mit denen ich geſprochen habe, be-
ſtätigten mir Daſſelbe: auch ſie hatten überall dieſe Vögel geſehen.‟ Dem entgegen ſagen andere ameri-
kaniſche Forſcher, daß der Winterfink ſeinen Namen bethätigt, d. h. nur im Winter in ſolcher Häufigkeit
auftritt, im Sommer aber wenigſtens in dem ſüdlichen Theil der vereinigten Staaten fehlt. Er iſt ein
Bewohner der Gebirge und des Nordens von Amerika. Hier gründet er ſein Neſt, und vonhieraus
wandert er nach dem Süden, wenn der Winter ſich einſtellt. Gelegentlich ſolcher Wanderungen ſoll er
auch in Europa vorgekommen ſein; wenigſtens verſichert Temminck, daß verſchiedene Winterfinken
auf Jsland gefangen worden ſeien. Auf dieſe Gewähr hin hat der Winterfink in den Verzeichniſſen
der europäiſchen Vögel ſeine Stelle erhalten.

Der Winterfink erſcheint in den vereinigten Staaten Ende Oktobers und verläßt dieſelben wieder
Ende Aprils. Er wandert bei Nacht: man ſieht ihn eines ſchönen Morgens plötzlich in Menge da,
wo man am Tag vorher keinen einzigen bemerkte. Anfänglich hält er ſich in kleinen Trupps von
zwanzig bis dreißig Stück zuſammen und treibt ſich an Waldrändern, Hecken und Zäunen umher;
ſpäter vereinigt er ſich zu größeren Scharen und namentlich vor Stürmen zu Flügen von Tauſenden.
Solange der Boden noch unbedeckt iſt, nährt er ſich von Grasſämereien, Beeren und Kerbthieren,

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[139/0157] Schnee- und Winterfink. Das Neſt, ein dichter und großer Bau, wird aus feinen Halmen zuſammengetragen und ſorgſam mit Wolle, Pferdehaaren, Schneehuhnfedern und dgl. ausgefüttert. Die Eier, welche die unſeres Edel- finken an Größe übertreffen, ſind ſchneeweiß. Beide Eltern füttern gemeinſchaftlich ihre Jungen groß und zwar hauptſächlich mit Larven, Spinnen und Würmchen, beweiſen ſich äußerſt zärtlich gegen ſie und bewachen ſie mit größter Sorgfalt. Haben ſie mehr in der Tiefe gebrütet, ſo führen ſie die Ausgeflogenen baldmöglichſt nach den Gefilden des „ewigen Schnees‟ empor. Während des Winters bilden verſchiedene Sämereien ihre Nahrung, und wie es ſcheint, leiden ſie auch in dieſer armen Jah- reszeit keinen Mangel. Jn den Hoſpizen werden ſie regelmäßig gefüttert und ſammeln ſich deshalb oft in Scharen um dieſe gaſtlichen Häuſer. Amerikaniſche Forſcher haben mit dem Schneefinken einen Vogel verwechſelt, welcher mit ihm wohl den Namen, ſonſt aber Nichts weiter gemein hat. Der Winter- oder Ammerfink, wie wir ihn nennen wollen (Nyphaea hyemalis), gilt als Vertreter einer eigenen Sippe der Finkenfamilie, welche mein Vater durch die wenigen Worte kenn- zeichnet: „Ammer mit finkenartigem Schnabel und ſehr unſcheinbarer Zeichnung.‟ Der Leib iſt kräf- tig, der Hals kurz, der Kopf groß, der Schnabel kurz, ſehr ſpitzig. Die Läufe ſind mittellang und dünn, die Flügel kurz, aber gewölbt und gerundet, die dritte und vierte Schwinge am längſten (die zweite iſt faſt ebenſolang, die erſte ein wenig kürzer); der Schwanz iſt lang und gegabelt, das Gefieder ſanft und zerſchliſſen. Beim Männchen ſind Kopf, Nacken, Rücken, Schwingen, Schwanz und Vor- derbruſt ſchwarzgrau, auf dem Kopf etwas tiefer, als übrigens; die Schwingen ſind weißlich gerändert, die beiden äußerſten Schwanzfedern, wie die Unterbruſt und der Bauch weiß. Der Schnabel iſt röthlichweiß, dunkel an der Spitze, der Augenſtern ſchwärzlich braun. Das Weibchen unterſcheidet ſich vom Männchen durch ſeine lichtere Färbung, welche auf dem Rücken bräunlich überlaufen iſt. Bei erſterem beträgt die Länge 5¾ Zoll, die Breite gegen 9 Zoll, bei letzterem die Länge 5½ Zoll, die Breite 8¼ Zoll. Wilſon, Audubon, Nuttall und der Prinz von Wied haben uns über das Leben des Winterfinken unterrichtet. Der Vogel gehört zu den gemeinſten Arten ſeiner Familie und kommt im größten Theile Nordamerikas, wenigſtens zeitweilig häufig vor. „Jch habe‟, ſagt Wilſon, „vom Norden Maines bis Georgia das Land durchwandert und ungefähr 1800 Meilen zurückgelegt; aber ich erinnere mich keines Tages und kaum einer Meile, ohne daß ich Scharen dieſer Vögel, zuweilen ſolche von vielen Tauſenden geſehen hätte, und auch alle andern Reiſenden, mit denen ich geſprochen habe, be- ſtätigten mir Daſſelbe: auch ſie hatten überall dieſe Vögel geſehen.‟ Dem entgegen ſagen andere ameri- kaniſche Forſcher, daß der Winterfink ſeinen Namen bethätigt, d. h. nur im Winter in ſolcher Häufigkeit auftritt, im Sommer aber wenigſtens in dem ſüdlichen Theil der vereinigten Staaten fehlt. Er iſt ein Bewohner der Gebirge und des Nordens von Amerika. Hier gründet er ſein Neſt, und vonhieraus wandert er nach dem Süden, wenn der Winter ſich einſtellt. Gelegentlich ſolcher Wanderungen ſoll er auch in Europa vorgekommen ſein; wenigſtens verſichert Temminck, daß verſchiedene Winterfinken auf Jsland gefangen worden ſeien. Auf dieſe Gewähr hin hat der Winterfink in den Verzeichniſſen der europäiſchen Vögel ſeine Stelle erhalten. Der Winterfink erſcheint in den vereinigten Staaten Ende Oktobers und verläßt dieſelben wieder Ende Aprils. Er wandert bei Nacht: man ſieht ihn eines ſchönen Morgens plötzlich in Menge da, wo man am Tag vorher keinen einzigen bemerkte. Anfänglich hält er ſich in kleinen Trupps von zwanzig bis dreißig Stück zuſammen und treibt ſich an Waldrändern, Hecken und Zäunen umher; ſpäter vereinigt er ſich zu größeren Scharen und namentlich vor Stürmen zu Flügen von Tauſenden. Solange der Boden noch unbedeckt iſt, nährt er ſich von Grasſämereien, Beeren und Kerbthieren,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/157>, abgerufen am 27.04.2024.