kann er nicht gut aus den Zapfen herausklauben und liest ihn deshalb gewöhnlich vom Boden auf. Die Kerne der Beeren trennt er mit großer Geschicklichkeit von dem Fleische derselben, welches er als ungenießbar wegwirft. Jm Winter erkennt man das Vorhandensein von Gimpeln unter beeren- tragenden Bäumen sehr leicht; denn dann ist der Boden unten mit den Ueberbleibseln der Beeren wie besäet. Doch geht der Vogel nur im Nothfall an solches Futter und zieht ihm immer die Sämereien vor. Zur Beförderung der Verdauung liest er Sandkörner auf. Seine Jungen füttert er vorzugs- weise mit Kerbthieren groß.
Auch bei uns nistet der Gimpel regelmäßig, besonders in gebirgigen Gegenden, wo große Strecken mit Wald bestanden sind und dieser heimliche, wenig besuchte Dickichte enthält. Ausnahms- weise siedelt sich der Gimpel aber auch in Parks und großen Gärten an, vorausgesetzt, daß er sich hier vom Wohlwollen der Besitzer überzeugt hat. So brütet ein Paar alljährlich in dem Epheu, welcher ein Gärtnerhäuschen eines Parks in Anhalt umrankt; andere hat man in Auenwaldungen gefunden. Das Nest wird regelmäßig an einer wohlverborgenen Stelle angelegt; es steht auf Bäu- men, gewöhnlich in geringer Höhe, entweder in einer Gabel des höheren Buschholzes, oder auf einem Seitenästchen dicht am Baumschafte. Auf hochbewipfelten Bäumen hat man es, soweit bekannt, nie gefunden. Hinsichtlich der Bauart ähnelt es dem Neste des Grünlings. Es besteht äußerlich aus dürren Fichten-, Tannen- und Birkenreischen, auf welchen eine zweite Lage äußerst feiner Wurzelfasern und Bartflechten folgen, welche innerlich mit Reh- und Pferdehaaren oder auch nur mit zarten Grasblättchen und feinen Flechtentheilen ausgefüttert werden. Zuweilen wird der innern Wand auch wohl Pferdehaar oder Schafwolle beigemischt. Jm Mai findet man in diesem Neste vier bis fünf verhältnißmäßig kleine, rundliche, glattschalige Eier, welche auf bleich- grünlichem oder grünlichbläulichem Grunde mattviolette oder schwarze Flecken und rothbraune Punkte, Züge und Schnörkel zeigen. Das Weibchen zeitigt die Eier binnen zwei Wochen und wird, so lange es auf dem Neste sitzt, von dem Männchen ernährt. Beide Eltern theilen sich dann in die Erziehung ihrer Kinder, welche sie äußerst zärtlich lieben und mit Lebensgefahr zu vertheidigen suchen. Die Jungen erhalten anfänglich Kerbthiere, später allerhand im Kropfe erweichte Sämereien und schließlich die letzteren hauptsächlich. Auch nach dem Ausfliegen werden die Jungen noch längere Zeit von den Eltern geführt, falls diese nicht zur zweiten Brut schreiten.
Jm Gebirge werden die jungen Gimpel, noch ehe sie flügge sind, aus dem Neste genommen und im Zimmer erzogen und gelehrt. Je früher man nämlich den Unterricht an ihnen beginnen kann, um so günstiger ist das Ergebniß. Ein guter Lehrer gehört selbstverständlich auch dazu; denn ein schlech- ter verdirbt mehr, als er lehrt. Auf dem Thüringerwalde werden jährlich Hunderte junger Gimpel erzogen und dann durch besondere Vogelhändler nach Berlin, Warschau, Petersburg, Amsterdam, London, Wien, ja selbst nach Amerika gebracht. Der Unterricht beginnt vom ersten Tage ihrer Ge- fangenschaft an, und die hauptsächlichste Kunst des Unterrichts besteht darin, daß der Lehrer selbst das einzuübende Lied möglichst rein und immer gleichmäßig vorträgt. Man hat versucht, die Gimpel mit Hilfe von Drehorgeln zu lehren, aber nur wenig Erfolg erzielt. Selbst die Flöte kann Das nicht leisten, was ein gut pfeifender Mund vorträgt. Einzelne Gimpel lernen ohne große Mühe zwei bis drei Stückchen, während andere immer Stümper bleiben; einzelne behalten das Gelehrte zeitlebens, andere vergessen es namentlich während der Mauser wieder. Auch die Weibchen lernen ihr Stücklein, obwohl selten annähernd so voll und rein, wie die Männchen. Von diesen werden einzelne zu wirk- lichen Künstlern. "Jch habe", sagt mein Vater, "Bluthänflinge und Schwarzdrosseln manches Lied nicht übel pfeifen hören; aber dem Gimpel kommt an Reinheit, Weichheit und Fülle des Tons kein deutscher Vogel gleich. Es ist unglaublich, wie weit er gebracht werden kann. Er lernt oft die Weisen zweier Lieder und trägt sie so flötend vor, daß man sich nicht satt daran hören kann." Das Liebenswürdige des zahmen Gimpels wird durch seine außerordentliche Zahmheit und durch die An- hänglichkeit an seinen Herrn vermehrt. Unter allen Vögeln dieser Art verdient einer genauer geschil- dert zu werden. Ein Freund meines Vaters besaß ihn und hatte ihn selbst aufgezogen und gelehrt.
Die Knacker. Sperlingsvögel. Gimpel.
kann er nicht gut aus den Zapfen herausklauben und lieſt ihn deshalb gewöhnlich vom Boden auf. Die Kerne der Beeren trennt er mit großer Geſchicklichkeit von dem Fleiſche derſelben, welches er als ungenießbar wegwirft. Jm Winter erkennt man das Vorhandenſein von Gimpeln unter beeren- tragenden Bäumen ſehr leicht; denn dann iſt der Boden unten mit den Ueberbleibſeln der Beeren wie beſäet. Doch geht der Vogel nur im Nothfall an ſolches Futter und zieht ihm immer die Sämereien vor. Zur Beförderung der Verdauung lieſt er Sandkörner auf. Seine Jungen füttert er vorzugs- weiſe mit Kerbthieren groß.
Auch bei uns niſtet der Gimpel regelmäßig, beſonders in gebirgigen Gegenden, wo große Strecken mit Wald beſtanden ſind und dieſer heimliche, wenig beſuchte Dickichte enthält. Ausnahms- weiſe ſiedelt ſich der Gimpel aber auch in Parks und großen Gärten an, vorausgeſetzt, daß er ſich hier vom Wohlwollen der Beſitzer überzeugt hat. So brütet ein Paar alljährlich in dem Epheu, welcher ein Gärtnerhäuschen eines Parks in Anhalt umrankt; andere hat man in Auenwaldungen gefunden. Das Neſt wird regelmäßig an einer wohlverborgenen Stelle angelegt; es ſteht auf Bäu- men, gewöhnlich in geringer Höhe, entweder in einer Gabel des höheren Buſchholzes, oder auf einem Seitenäſtchen dicht am Baumſchafte. Auf hochbewipfelten Bäumen hat man es, ſoweit bekannt, nie gefunden. Hinſichtlich der Bauart ähnelt es dem Neſte des Grünlings. Es beſteht äußerlich aus dürren Fichten-, Tannen- und Birkenreischen, auf welchen eine zweite Lage äußerſt feiner Wurzelfaſern und Bartflechten folgen, welche innerlich mit Reh- und Pferdehaaren oder auch nur mit zarten Grasblättchen und feinen Flechtentheilen ausgefüttert werden. Zuweilen wird der innern Wand auch wohl Pferdehaar oder Schafwolle beigemiſcht. Jm Mai findet man in dieſem Neſte vier bis fünf verhältnißmäßig kleine, rundliche, glattſchalige Eier, welche auf bleich- grünlichem oder grünlichbläulichem Grunde mattviolette oder ſchwarze Flecken und rothbraune Punkte, Züge und Schnörkel zeigen. Das Weibchen zeitigt die Eier binnen zwei Wochen und wird, ſo lange es auf dem Neſte ſitzt, von dem Männchen ernährt. Beide Eltern theilen ſich dann in die Erziehung ihrer Kinder, welche ſie äußerſt zärtlich lieben und mit Lebensgefahr zu vertheidigen ſuchen. Die Jungen erhalten anfänglich Kerbthiere, ſpäter allerhand im Kropfe erweichte Sämereien und ſchließlich die letzteren hauptſächlich. Auch nach dem Ausfliegen werden die Jungen noch längere Zeit von den Eltern geführt, falls dieſe nicht zur zweiten Brut ſchreiten.
Jm Gebirge werden die jungen Gimpel, noch ehe ſie flügge ſind, aus dem Neſte genommen und im Zimmer erzogen und gelehrt. Je früher man nämlich den Unterricht an ihnen beginnen kann, um ſo günſtiger iſt das Ergebniß. Ein guter Lehrer gehört ſelbſtverſtändlich auch dazu; denn ein ſchlech- ter verdirbt mehr, als er lehrt. Auf dem Thüringerwalde werden jährlich Hunderte junger Gimpel erzogen und dann durch beſondere Vogelhändler nach Berlin, Warſchau, Petersburg, Amſterdam, London, Wien, ja ſelbſt nach Amerika gebracht. Der Unterricht beginnt vom erſten Tage ihrer Ge- fangenſchaft an, und die hauptſächlichſte Kunſt des Unterrichts beſteht darin, daß der Lehrer ſelbſt das einzuübende Lied möglichſt rein und immer gleichmäßig vorträgt. Man hat verſucht, die Gimpel mit Hilfe von Drehorgeln zu lehren, aber nur wenig Erfolg erzielt. Selbſt die Flöte kann Das nicht leiſten, was ein gut pfeifender Mund vorträgt. Einzelne Gimpel lernen ohne große Mühe zwei bis drei Stückchen, während andere immer Stümper bleiben; einzelne behalten das Gelehrte zeitlebens, andere vergeſſen es namentlich während der Mauſer wieder. Auch die Weibchen lernen ihr Stücklein, obwohl ſelten annähernd ſo voll und rein, wie die Männchen. Von dieſen werden einzelne zu wirk- lichen Künſtlern. „Jch habe‟, ſagt mein Vater, „Bluthänflinge und Schwarzdroſſeln manches Lied nicht übel pfeifen hören; aber dem Gimpel kommt an Reinheit, Weichheit und Fülle des Tons kein deutſcher Vogel gleich. Es iſt unglaublich, wie weit er gebracht werden kann. Er lernt oft die Weiſen zweier Lieder und trägt ſie ſo flötend vor, daß man ſich nicht ſatt daran hören kann.‟ Das Liebenswürdige des zahmen Gimpels wird durch ſeine außerordentliche Zahmheit und durch die An- hänglichkeit an ſeinen Herrn vermehrt. Unter allen Vögeln dieſer Art verdient einer genauer geſchil- dert zu werden. Ein Freund meines Vaters beſaß ihn und hatte ihn ſelbſt aufgezogen und gelehrt.
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[114/0132]
Die Knacker. Sperlingsvögel. Gimpel.
kann er nicht gut aus den Zapfen herausklauben und lieſt ihn deshalb gewöhnlich vom Boden auf.
Die Kerne der Beeren trennt er mit großer Geſchicklichkeit von dem Fleiſche derſelben, welches er als
ungenießbar wegwirft. Jm Winter erkennt man das Vorhandenſein von Gimpeln unter beeren-
tragenden Bäumen ſehr leicht; denn dann iſt der Boden unten mit den Ueberbleibſeln der Beeren wie
beſäet. Doch geht der Vogel nur im Nothfall an ſolches Futter und zieht ihm immer die Sämereien
vor. Zur Beförderung der Verdauung lieſt er Sandkörner auf. Seine Jungen füttert er vorzugs-
weiſe mit Kerbthieren groß.
Auch bei uns niſtet der Gimpel regelmäßig, beſonders in gebirgigen Gegenden, wo große
Strecken mit Wald beſtanden ſind und dieſer heimliche, wenig beſuchte Dickichte enthält. Ausnahms-
weiſe ſiedelt ſich der Gimpel aber auch in Parks und großen Gärten an, vorausgeſetzt, daß er ſich
hier vom Wohlwollen der Beſitzer überzeugt hat. So brütet ein Paar alljährlich in dem Epheu,
welcher ein Gärtnerhäuschen eines Parks in Anhalt umrankt; andere hat man in Auenwaldungen
gefunden. Das Neſt wird regelmäßig an einer wohlverborgenen Stelle angelegt; es ſteht auf Bäu-
men, gewöhnlich in geringer Höhe, entweder in einer Gabel des höheren Buſchholzes, oder auf
einem Seitenäſtchen dicht am Baumſchafte. Auf hochbewipfelten Bäumen hat man es, ſoweit
bekannt, nie gefunden. Hinſichtlich der Bauart ähnelt es dem Neſte des Grünlings. Es
beſteht äußerlich aus dürren Fichten-, Tannen- und Birkenreischen, auf welchen eine zweite Lage
äußerſt feiner Wurzelfaſern und Bartflechten folgen, welche innerlich mit Reh- und Pferdehaaren
oder auch nur mit zarten Grasblättchen und feinen Flechtentheilen ausgefüttert werden. Zuweilen
wird der innern Wand auch wohl Pferdehaar oder Schafwolle beigemiſcht. Jm Mai findet man in
dieſem Neſte vier bis fünf verhältnißmäßig kleine, rundliche, glattſchalige Eier, welche auf bleich-
grünlichem oder grünlichbläulichem Grunde mattviolette oder ſchwarze Flecken und rothbraune Punkte,
Züge und Schnörkel zeigen. Das Weibchen zeitigt die Eier binnen zwei Wochen und wird, ſo lange
es auf dem Neſte ſitzt, von dem Männchen ernährt. Beide Eltern theilen ſich dann in die Erziehung
ihrer Kinder, welche ſie äußerſt zärtlich lieben und mit Lebensgefahr zu vertheidigen ſuchen. Die
Jungen erhalten anfänglich Kerbthiere, ſpäter allerhand im Kropfe erweichte Sämereien und ſchließlich
die letzteren hauptſächlich. Auch nach dem Ausfliegen werden die Jungen noch längere Zeit von den
Eltern geführt, falls dieſe nicht zur zweiten Brut ſchreiten.
Jm Gebirge werden die jungen Gimpel, noch ehe ſie flügge ſind, aus dem Neſte genommen und
im Zimmer erzogen und gelehrt. Je früher man nämlich den Unterricht an ihnen beginnen kann, um
ſo günſtiger iſt das Ergebniß. Ein guter Lehrer gehört ſelbſtverſtändlich auch dazu; denn ein ſchlech-
ter verdirbt mehr, als er lehrt. Auf dem Thüringerwalde werden jährlich Hunderte junger Gimpel
erzogen und dann durch beſondere Vogelhändler nach Berlin, Warſchau, Petersburg, Amſterdam,
London, Wien, ja ſelbſt nach Amerika gebracht. Der Unterricht beginnt vom erſten Tage ihrer Ge-
fangenſchaft an, und die hauptſächlichſte Kunſt des Unterrichts beſteht darin, daß der Lehrer ſelbſt das
einzuübende Lied möglichſt rein und immer gleichmäßig vorträgt. Man hat verſucht, die Gimpel mit
Hilfe von Drehorgeln zu lehren, aber nur wenig Erfolg erzielt. Selbſt die Flöte kann Das nicht
leiſten, was ein gut pfeifender Mund vorträgt. Einzelne Gimpel lernen ohne große Mühe zwei bis
drei Stückchen, während andere immer Stümper bleiben; einzelne behalten das Gelehrte zeitlebens,
andere vergeſſen es namentlich während der Mauſer wieder. Auch die Weibchen lernen ihr Stücklein,
obwohl ſelten annähernd ſo voll und rein, wie die Männchen. Von dieſen werden einzelne zu wirk-
lichen Künſtlern. „Jch habe‟, ſagt mein Vater, „Bluthänflinge und Schwarzdroſſeln manches
Lied nicht übel pfeifen hören; aber dem Gimpel kommt an Reinheit, Weichheit und Fülle des Tons kein
deutſcher Vogel gleich. Es iſt unglaublich, wie weit er gebracht werden kann. Er lernt oft die
Weiſen zweier Lieder und trägt ſie ſo flötend vor, daß man ſich nicht ſatt daran hören kann.‟ Das
Liebenswürdige des zahmen Gimpels wird durch ſeine außerordentliche Zahmheit und durch die An-
hänglichkeit an ſeinen Herrn vermehrt. Unter allen Vögeln dieſer Art verdient einer genauer geſchil-
dert zu werden. Ein Freund meines Vaters beſaß ihn und hatte ihn ſelbſt aufgezogen und gelehrt.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/132>, abgerufen am 16.02.2025.
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