größeren Wanderungen nöthigen, bleibt er im Vaterlande und schlägt sich hier durch schlecht und recht. Unter Umständen jedoch kommt es ihm nicht darauf an, seine Wanderungen bis nach Südspanien oder Griechenland auszudehnen. Er wandert meist bei Tage und fliegt wo möglich von einem Walde zum andern; denn Bäume sind ihm Bedürfniß. Erst wenn er in ihrem Gezweig kein Futter mehr findet, kommt er zum Boden herab.
Das Betragen ist sehr anmuthend. Der Vogel hat wirklich viele gute Eigenschaften, welche ihm sicherlich die Gunst jedes schärfer beobachtenden Menschen gewinnen müssen. "Der Name Gim- pel", sagt mein Vater, "ist als Schimpfwort eines als beschränkt zu bezeichnenden Menschen allbekannt und läßt auf die Dummheit unseres Vogels schließen. Es ist nicht zu leugnen, daß er ein argloser, den Nachstellungen der Menschen keineswegs gewachsener Vogel ist; er läßt sich leicht schießen und fangen. Doch ist seine Dummheit bei weitem nicht so groß, als die der Kreuzschnäbel; denn obgleich der noch übrige Theil einer Gesellschaft nach dem Schusse, welcher einen Vogel dieser Art tödtet, zu- weilen auf oder neben dem Baume, auf welchem sie erst saß, wieder Platz nimmt: so weiß ich doch kein Beispiel, daß auf den Schuß ein gesunder Gimpel sitzen geblieben wäre, was allerdings bei den Kreuzschnäbeln zuweilen vorkommt. Wäre der Gimpel wirklich so dumm, als man glaubt, wie könnte er Lieder so vollkommen nachpfeifen lernen? Ein hervorstechender Zug bei ihm ist die Liebe zu seines Gleichen. Wird einer von der Gesellschaft getödtet, so klagen die andern lange Zeit und können sich kaum entschließen, den Ort, wo ihr Gefährte geblieben ist, zu verlassen; sie wollen ihn durchaus mitnehmen. Dies ist am bemerkbarsten, wenn die Gesellschaft klein ist. Diese große Anhänglichkeit war mir oft rührend. Einst schoß ich von zwei Gimpelmännchen, welche in einer Hecke saßen, das eine, das andere flog fort, entfernte sich so weit, daß ich es aus den Augen verlor, kehrte aber doch wieder zurück und setzte sich in denselben Busch, in welchem es seinen Gefährten verloren hatte. Aehn- liche Beispiele könnte ich mehrere anführen."
"Der Gang unseres Gimpels ist hüpfend, auf der Erde ziemlich ungeschickt. Auf den Bäu- men ist er desto gewandter. Er sitzt auf ihnen bald mit wagerecht stehendem Leibe und angezogenen Fußwurzeln, bald aufgerichtet mit weit vorstehenden Füßen und hängt sich nicht selten unten an die Zweige an. Seine lockern und langen Federn legt er selten knapp an, und deswegen sieht er gewöhn- lich viel größer aus, als er ist. Jm Fluge, vor dem Fortfliegen, gleich nach dem Auffetzen und beim Ausklauben der Samenkörner oder Kerne trägt er sich schlank und schön; im Käfig läßt er die Federn fast immer etwas hängen. Ein Baum voll Gimpel gewährt einen prächtigen Anblick. Das Roth der Männchen sticht im Sommer gegen das Grün der Blätter und im Winter gegen den Reif und Schnee herrlich ab. Sie scheinen gegen die Kälte ganz unempfindlich zu sein; denn sie sind im härte- sten Winter, vorausgesetzt, daß es ihnen nicht an Nahrung fehlt, sehr munter. Jhr ungemein dichtes Gefieder schützt sie hinlänglich. Dieses hat auch auf den Flug großen Einfluß; denn er ist leicht, aber langsam, bogenförmig und hat mit dem des Edelfinken einige Aehnlichkeit. Wie bei die- sem ist das starke Ausbreiten und Zusammenziehen der Schwingen sehr bemerkbar. Vor dem Nieder- setzen schweben sie oft, stürzen sich aber auch zuweilen mit stark nach hinten gezogenen Flügeln plötzlich herab. Der Lockton, welchen beide Geschlechter hören lassen, ist ein klagendes "Jüg" oder "Lüi" und hat im Thüringischen unserm Vogel den Namen Lübich verschafft. Er wird am häufigsten im Fluge und im Sitzen vor dem Wegfliegen oder kurz nach dem Aufsetzen ausgestoßen, ist, nachdem er verschieden betont wird, bald Anlockungs-, bald Warnungsruf, bald Klageton. Er wird jedes Mal richtig verstanden. Man sieht hieraus, wie fein die Unterscheidungsgabe bei den Vögeln sein muß, da die Veränderungen des Locktons, welche vom Menschen oft kaum zu bemerken sind, in ihren verschiede- nen Bedeutungen stets richtig aufgefaßt werden. Der Gesang des Männchens ist nicht sonderlich; er zeichnet sich namentlich durch einige knarrende Töne aus und läßt sich kaum gehörig beschreiben. Jn der Freiheit ertönt er vor und in der Brutzeit und in der Gefangenschaft fast das ganze Jahr."
Baum- und Grassämereien bilden die Nahrung des Gimpels; nebenbei verzehrt er die Kerne mancher Beerenarten und im Sommer viele Kerbthiere. Den Fichten-, Tannen- und Kieferusamen
Brehm, Thierleben. III. 8
Gimpel oder Dompfaff.
größeren Wanderungen nöthigen, bleibt er im Vaterlande und ſchlägt ſich hier durch ſchlecht und recht. Unter Umſtänden jedoch kommt es ihm nicht darauf an, ſeine Wanderungen bis nach Südſpanien oder Griechenland auszudehnen. Er wandert meiſt bei Tage und fliegt wo möglich von einem Walde zum andern; denn Bäume ſind ihm Bedürfniß. Erſt wenn er in ihrem Gezweig kein Futter mehr findet, kommt er zum Boden herab.
Das Betragen iſt ſehr anmuthend. Der Vogel hat wirklich viele gute Eigenſchaften, welche ihm ſicherlich die Gunſt jedes ſchärfer beobachtenden Menſchen gewinnen müſſen. „Der Name Gim- pel‟, ſagt mein Vater, „iſt als Schimpfwort eines als beſchränkt zu bezeichnenden Menſchen allbekannt und läßt auf die Dummheit unſeres Vogels ſchließen. Es iſt nicht zu leugnen, daß er ein argloſer, den Nachſtellungen der Menſchen keineswegs gewachſener Vogel iſt; er läßt ſich leicht ſchießen und fangen. Doch iſt ſeine Dummheit bei weitem nicht ſo groß, als die der Kreuzſchnäbel; denn obgleich der noch übrige Theil einer Geſellſchaft nach dem Schuſſe, welcher einen Vogel dieſer Art tödtet, zu- weilen auf oder neben dem Baume, auf welchem ſie erſt ſaß, wieder Platz nimmt: ſo weiß ich doch kein Beiſpiel, daß auf den Schuß ein geſunder Gimpel ſitzen geblieben wäre, was allerdings bei den Kreuzſchnäbeln zuweilen vorkommt. Wäre der Gimpel wirklich ſo dumm, als man glaubt, wie könnte er Lieder ſo vollkommen nachpfeifen lernen? Ein hervorſtechender Zug bei ihm iſt die Liebe zu ſeines Gleichen. Wird einer von der Geſellſchaft getödtet, ſo klagen die andern lange Zeit und können ſich kaum entſchließen, den Ort, wo ihr Gefährte geblieben iſt, zu verlaſſen; ſie wollen ihn durchaus mitnehmen. Dies iſt am bemerkbarſten, wenn die Geſellſchaft klein iſt. Dieſe große Anhänglichkeit war mir oft rührend. Einſt ſchoß ich von zwei Gimpelmännchen, welche in einer Hecke ſaßen, das eine, das andere flog fort, entfernte ſich ſo weit, daß ich es aus den Augen verlor, kehrte aber doch wieder zurück und ſetzte ſich in denſelben Buſch, in welchem es ſeinen Gefährten verloren hatte. Aehn- liche Beiſpiele könnte ich mehrere anführen.‟
„Der Gang unſeres Gimpels iſt hüpfend, auf der Erde ziemlich ungeſchickt. Auf den Bäu- men iſt er deſto gewandter. Er ſitzt auf ihnen bald mit wagerecht ſtehendem Leibe und angezogenen Fußwurzeln, bald aufgerichtet mit weit vorſtehenden Füßen und hängt ſich nicht ſelten unten an die Zweige an. Seine lockern und langen Federn legt er ſelten knapp an, und deswegen ſieht er gewöhn- lich viel größer aus, als er iſt. Jm Fluge, vor dem Fortfliegen, gleich nach dem Auffetzen und beim Ausklauben der Samenkörner oder Kerne trägt er ſich ſchlank und ſchön; im Käfig läßt er die Federn faſt immer etwas hängen. Ein Baum voll Gimpel gewährt einen prächtigen Anblick. Das Roth der Männchen ſticht im Sommer gegen das Grün der Blätter und im Winter gegen den Reif und Schnee herrlich ab. Sie ſcheinen gegen die Kälte ganz unempfindlich zu ſein; denn ſie ſind im härte- ſten Winter, vorausgeſetzt, daß es ihnen nicht an Nahrung fehlt, ſehr munter. Jhr ungemein dichtes Gefieder ſchützt ſie hinlänglich. Dieſes hat auch auf den Flug großen Einfluß; denn er iſt leicht, aber langſam, bogenförmig und hat mit dem des Edelfinken einige Aehnlichkeit. Wie bei die- ſem iſt das ſtarke Ausbreiten und Zuſammenziehen der Schwingen ſehr bemerkbar. Vor dem Nieder- ſetzen ſchweben ſie oft, ſtürzen ſich aber auch zuweilen mit ſtark nach hinten gezogenen Flügeln plötzlich herab. Der Lockton, welchen beide Geſchlechter hören laſſen, iſt ein klagendes „Jüg‟ oder „Lüi‟ und hat im Thüringiſchen unſerm Vogel den Namen Lübich verſchafft. Er wird am häufigſten im Fluge und im Sitzen vor dem Wegfliegen oder kurz nach dem Aufſetzen ausgeſtoßen, iſt, nachdem er verſchieden betont wird, bald Anlockungs-, bald Warnungsruf, bald Klageton. Er wird jedes Mal richtig verſtanden. Man ſieht hieraus, wie fein die Unterſcheidungsgabe bei den Vögeln ſein muß, da die Veränderungen des Locktons, welche vom Menſchen oft kaum zu bemerken ſind, in ihren verſchiede- nen Bedeutungen ſtets richtig aufgefaßt werden. Der Geſang des Männchens iſt nicht ſonderlich; er zeichnet ſich namentlich durch einige knarrende Töne aus und läßt ſich kaum gehörig beſchreiben. Jn der Freiheit ertönt er vor und in der Brutzeit und in der Gefangenſchaft faſt das ganze Jahr.‟
Baum- und Grasſämereien bilden die Nahrung des Gimpels; nebenbei verzehrt er die Kerne mancher Beerenarten und im Sommer viele Kerbthiere. Den Fichten-, Tannen- und Kieferuſamen
Brehm, Thierleben. III. 8
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[113/0131]
Gimpel oder Dompfaff.
größeren Wanderungen nöthigen, bleibt er im Vaterlande und ſchlägt ſich hier durch ſchlecht und recht.
Unter Umſtänden jedoch kommt es ihm nicht darauf an, ſeine Wanderungen bis nach Südſpanien oder
Griechenland auszudehnen. Er wandert meiſt bei Tage und fliegt wo möglich von einem Walde zum
andern; denn Bäume ſind ihm Bedürfniß. Erſt wenn er in ihrem Gezweig kein Futter mehr findet,
kommt er zum Boden herab.
Das Betragen iſt ſehr anmuthend. Der Vogel hat wirklich viele gute Eigenſchaften, welche
ihm ſicherlich die Gunſt jedes ſchärfer beobachtenden Menſchen gewinnen müſſen. „Der Name Gim-
pel‟, ſagt mein Vater, „iſt als Schimpfwort eines als beſchränkt zu bezeichnenden Menſchen allbekannt
und läßt auf die Dummheit unſeres Vogels ſchließen. Es iſt nicht zu leugnen, daß er ein argloſer,
den Nachſtellungen der Menſchen keineswegs gewachſener Vogel iſt; er läßt ſich leicht ſchießen und
fangen. Doch iſt ſeine Dummheit bei weitem nicht ſo groß, als die der Kreuzſchnäbel; denn obgleich
der noch übrige Theil einer Geſellſchaft nach dem Schuſſe, welcher einen Vogel dieſer Art tödtet, zu-
weilen auf oder neben dem Baume, auf welchem ſie erſt ſaß, wieder Platz nimmt: ſo weiß ich doch
kein Beiſpiel, daß auf den Schuß ein geſunder Gimpel ſitzen geblieben wäre, was allerdings bei den
Kreuzſchnäbeln zuweilen vorkommt. Wäre der Gimpel wirklich ſo dumm, als man glaubt, wie könnte
er Lieder ſo vollkommen nachpfeifen lernen? Ein hervorſtechender Zug bei ihm iſt die Liebe zu ſeines
Gleichen. Wird einer von der Geſellſchaft getödtet, ſo klagen die andern lange Zeit und können ſich
kaum entſchließen, den Ort, wo ihr Gefährte geblieben iſt, zu verlaſſen; ſie wollen ihn durchaus
mitnehmen. Dies iſt am bemerkbarſten, wenn die Geſellſchaft klein iſt. Dieſe große Anhänglichkeit
war mir oft rührend. Einſt ſchoß ich von zwei Gimpelmännchen, welche in einer Hecke ſaßen, das
eine, das andere flog fort, entfernte ſich ſo weit, daß ich es aus den Augen verlor, kehrte aber doch
wieder zurück und ſetzte ſich in denſelben Buſch, in welchem es ſeinen Gefährten verloren hatte. Aehn-
liche Beiſpiele könnte ich mehrere anführen.‟
„Der Gang unſeres Gimpels iſt hüpfend, auf der Erde ziemlich ungeſchickt. Auf den Bäu-
men iſt er deſto gewandter. Er ſitzt auf ihnen bald mit wagerecht ſtehendem Leibe und angezogenen
Fußwurzeln, bald aufgerichtet mit weit vorſtehenden Füßen und hängt ſich nicht ſelten unten an die
Zweige an. Seine lockern und langen Federn legt er ſelten knapp an, und deswegen ſieht er gewöhn-
lich viel größer aus, als er iſt. Jm Fluge, vor dem Fortfliegen, gleich nach dem Auffetzen und beim
Ausklauben der Samenkörner oder Kerne trägt er ſich ſchlank und ſchön; im Käfig läßt er die Federn
faſt immer etwas hängen. Ein Baum voll Gimpel gewährt einen prächtigen Anblick. Das Roth
der Männchen ſticht im Sommer gegen das Grün der Blätter und im Winter gegen den Reif und
Schnee herrlich ab. Sie ſcheinen gegen die Kälte ganz unempfindlich zu ſein; denn ſie ſind im härte-
ſten Winter, vorausgeſetzt, daß es ihnen nicht an Nahrung fehlt, ſehr munter. Jhr ungemein
dichtes Gefieder ſchützt ſie hinlänglich. Dieſes hat auch auf den Flug großen Einfluß; denn er iſt
leicht, aber langſam, bogenförmig und hat mit dem des Edelfinken einige Aehnlichkeit. Wie bei die-
ſem iſt das ſtarke Ausbreiten und Zuſammenziehen der Schwingen ſehr bemerkbar. Vor dem Nieder-
ſetzen ſchweben ſie oft, ſtürzen ſich aber auch zuweilen mit ſtark nach hinten gezogenen Flügeln plötzlich
herab. Der Lockton, welchen beide Geſchlechter hören laſſen, iſt ein klagendes „Jüg‟ oder „Lüi‟ und
hat im Thüringiſchen unſerm Vogel den Namen Lübich verſchafft. Er wird am häufigſten im Fluge und
im Sitzen vor dem Wegfliegen oder kurz nach dem Aufſetzen ausgeſtoßen, iſt, nachdem er verſchieden
betont wird, bald Anlockungs-, bald Warnungsruf, bald Klageton. Er wird jedes Mal richtig
verſtanden. Man ſieht hieraus, wie fein die Unterſcheidungsgabe bei den Vögeln ſein muß, da die
Veränderungen des Locktons, welche vom Menſchen oft kaum zu bemerken ſind, in ihren verſchiede-
nen Bedeutungen ſtets richtig aufgefaßt werden. Der Geſang des Männchens iſt nicht ſonderlich; er
zeichnet ſich namentlich durch einige knarrende Töne aus und läßt ſich kaum gehörig beſchreiben. Jn
der Freiheit ertönt er vor und in der Brutzeit und in der Gefangenſchaft faſt das ganze Jahr.‟
Baum- und Grasſämereien bilden die Nahrung des Gimpels; nebenbei verzehrt er die Kerne
mancher Beerenarten und im Sommer viele Kerbthiere. Den Fichten-, Tannen- und Kieferuſamen
Brehm, Thierleben. III. 8
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/131>, abgerufen am 24.11.2024.
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