Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

Lebensweise.
einen ganzen Schnabel voll, trug sie in das Nest und brachte sie in die gehörige Lage. Als die Run-
dung des Nestes fertig war, verweilte das Weibchen länger darin und brachte alles durch Drücken
mit der Brust und durch Drehen des Körpers in Ordnung. Es nahm fast alle Stoffe des Nestes von
einem einzigen benachbarten Baum und war so emsig, daß es auch in den Nachmittagsstunden baute
und in Zeit von zwei bis drei Minuten mit dem Herbeischaffen und Verarbeiten einer Tracht fertig
war. Das Männchen blieb immer bei seinem Weibchen, betrat es alle Tage entweder auf den Aesten
oder auf dem Neste, fütterte es, als es zu brüten oder doch das erste Ei zu wärmen anfing (denn
sobald das erste Ei gelegt war, verließ es das Nest nicht mehr), sang beständig in seiner Nähe und
schien es so für die Beschwerden des Bauens und Brütens, die es nicht mit ihm theilen konnte, ent-
schädigen zu wollen."

Das Gelege der Kreuzschnäbel besteht aus drei bis vier verhältnißmäßig kleinen Eiern, welche
auf graulich- oder bläulichweißem Grunde mit verloschenen Flecken und Stricheln von blutrother,
blutbräunlicher oder schwarzbrauner Farbe besetzt sind. Zuweilen stehen diese Fleckchen kranzartig an
dem stumpfen Ende, zuweilen verbreiten sie sich über das ganze Ei; dieses aber ist, aller Aenderung
ungeachtet, immer als Kreuzschnabelei zu erkennen. Die sorgsame Mutter gibt sich dem Brutgeschäft
mit großem Eifer hin, während das Männchen auch seinerseits durch Aezung der Mutter die ihm zu-
fallende Arbeit freudig übernimmt. Die Jungen, welche von den Eltern sehr geliebt werden, erhalten
vom ersten Tage ihres Lebens an Fichten- oder Kiefernsamen zur Aezung, zuerst solchen, welcher im
Kropfe der Alten erweicht und bezüglich halb verdaut ist, später härteren. Sie wachsen rasch heran
und sind bald recht gewandt und munter, bedürfen aber länger, als alle andern Sperlingsvögel, be-
sondere Pflege der Eltern. Jhr Schnabel nämlich wird erst nach dem Ausfliegen zum Kreuzschnabel,
und bevor dieser sich ausgebildet, sind die Jungen nicht im Stande, die Kiefern- oder Fichtenzapfen
zu öffnen, müssen deshalb also von den Eltern noch ernährt werden. Nach dem Ausfliegen halten
sie sich auf den dichten Bäumen auf, am liebsten auf Tannen, immer in möglichster Nähe bei den
Alten. Wenn diese den Samen ausklauben, sitzen sie neben ihnen, schreien ununterbrochen, wie un-
artige Kinder, fliegen den Alten eilig nach, wenn diese den Baum verlassen, oder locken so lange
und so ängstlich, bis jene zurückkommen. Nach und nach gewöhnen die Alten sie aus Arbeiten.
Zuerst werden ihnen deshalb halbgeöffnete Zapfen vorgelegt, damit sie sich im Aufbrechen der Schup-
pen üben; später erhalten sie die abgebissenen Zapfen vorgelegt, wie diese sind. Auch wenn sie allein
fressen können, werden sie von den Alten noch eine Zeitlang geführt, endlich aber sich selbst über-
lassen. Sie bilden hierauf eigene Flüge oder schließen sich denjenigen Alten an, welche nicht durch die
Brut in Anspruch genommen worden sind.

Jch habe schon erwähnt, daß Jagd und Fang der Kreuzschnäbel durchaus keine Schwierigkeiten
verursachen. Die neu bei uns angekommenen lassen sich, ohne wegzufliegen, von dem Schützen unter-
laufen, ja sie bleiben oft dann noch auf demselben Baume sitzen, wenn einer oder der andere ihrer
Gefährten herabgeschossen wurde. Der Fang ist, wenn man erst einen von ihnen berückte, noch leich-
ter, als die Jagd. Jn Thüringen nimmt man hohe Stangen, bekleidet sie oben buschartig mit Fich-
tenzweigen und befestigt an diesen Leimruthen. Die Stangen werden auf freien Blößen im Walde
vor Tagesanbruch aufgestellt und ein Lockvogel im Bauer unten an ihnen befestigt. Alle vorüber-
fliegenden Kreuzschnäbel nähern sich wenigstens dieser Stange, um nach dem rufenden und lockenden
Genossen zu schauen. Viele setzen sich auch auf den Busch und dabei gewöhnlich auf eine der Leim-
ruthen. Auf diese Weise kann man oft Viele von ihnen an einem Morgen fangen.

Man darf wohl behaupten, daß der Nutzen, welchen die Kreuzschnäbel bringen, den geringen
Schaden, welchen sie uns bereiten können, reichlich aufwiegt. Ganz abgesehen von dem Vergnügen,
welches sie jedem Thierliebhaber gewähren, ganz abgesehen von der Zierde, welche sie im Winter den
Nadelbäumen verleihen, nützen die Kreuzschnäbel dadurch, daß sie in samenreichen Jahren die über-
ladenen Wipfel durch Abbeißen der Fichten erleichtern und diese hierdurch erhalten. Neuerdings hat

Brehm, Thierleben. III. 7

Lebensweiſe.
einen ganzen Schnabel voll, trug ſie in das Neſt und brachte ſie in die gehörige Lage. Als die Run-
dung des Neſtes fertig war, verweilte das Weibchen länger darin und brachte alles durch Drücken
mit der Bruſt und durch Drehen des Körpers in Ordnung. Es nahm faſt alle Stoffe des Neſtes von
einem einzigen benachbarten Baum und war ſo emſig, daß es auch in den Nachmittagsſtunden baute
und in Zeit von zwei bis drei Minuten mit dem Herbeiſchaffen und Verarbeiten einer Tracht fertig
war. Das Männchen blieb immer bei ſeinem Weibchen, betrat es alle Tage entweder auf den Aeſten
oder auf dem Neſte, fütterte es, als es zu brüten oder doch das erſte Ei zu wärmen anfing (denn
ſobald das erſte Ei gelegt war, verließ es das Neſt nicht mehr), ſang beſtändig in ſeiner Nähe und
ſchien es ſo für die Beſchwerden des Bauens und Brütens, die es nicht mit ihm theilen konnte, ent-
ſchädigen zu wollen.‟

Das Gelege der Kreuzſchnäbel beſteht aus drei bis vier verhältnißmäßig kleinen Eiern, welche
auf graulich- oder bläulichweißem Grunde mit verloſchenen Flecken und Stricheln von blutrother,
blutbräunlicher oder ſchwarzbrauner Farbe beſetzt ſind. Zuweilen ſtehen dieſe Fleckchen kranzartig an
dem ſtumpfen Ende, zuweilen verbreiten ſie ſich über das ganze Ei; dieſes aber iſt, aller Aenderung
ungeachtet, immer als Kreuzſchnabelei zu erkennen. Die ſorgſame Mutter gibt ſich dem Brutgeſchäft
mit großem Eifer hin, während das Männchen auch ſeinerſeits durch Aezung der Mutter die ihm zu-
fallende Arbeit freudig übernimmt. Die Jungen, welche von den Eltern ſehr geliebt werden, erhalten
vom erſten Tage ihres Lebens an Fichten- oder Kiefernſamen zur Aezung, zuerſt ſolchen, welcher im
Kropfe der Alten erweicht und bezüglich halb verdaut iſt, ſpäter härteren. Sie wachſen raſch heran
und ſind bald recht gewandt und munter, bedürfen aber länger, als alle andern Sperlingsvögel, be-
ſondere Pflege der Eltern. Jhr Schnabel nämlich wird erſt nach dem Ausfliegen zum Kreuzſchnabel,
und bevor dieſer ſich ausgebildet, ſind die Jungen nicht im Stande, die Kiefern- oder Fichtenzapfen
zu öffnen, müſſen deshalb alſo von den Eltern noch ernährt werden. Nach dem Ausfliegen halten
ſie ſich auf den dichten Bäumen auf, am liebſten auf Tannen, immer in möglichſter Nähe bei den
Alten. Wenn dieſe den Samen ausklauben, ſitzen ſie neben ihnen, ſchreien ununterbrochen, wie un-
artige Kinder, fliegen den Alten eilig nach, wenn dieſe den Baum verlaſſen, oder locken ſo lange
und ſo ängſtlich, bis jene zurückkommen. Nach und nach gewöhnen die Alten ſie aus Arbeiten.
Zuerſt werden ihnen deshalb halbgeöffnete Zapfen vorgelegt, damit ſie ſich im Aufbrechen der Schup-
pen üben; ſpäter erhalten ſie die abgebiſſenen Zapfen vorgelegt, wie dieſe ſind. Auch wenn ſie allein
freſſen können, werden ſie von den Alten noch eine Zeitlang geführt, endlich aber ſich ſelbſt über-
laſſen. Sie bilden hierauf eigene Flüge oder ſchließen ſich denjenigen Alten an, welche nicht durch die
Brut in Anſpruch genommen worden ſind.

Jch habe ſchon erwähnt, daß Jagd und Fang der Kreuzſchnäbel durchaus keine Schwierigkeiten
verurſachen. Die neu bei uns angekommenen laſſen ſich, ohne wegzufliegen, von dem Schützen unter-
laufen, ja ſie bleiben oft dann noch auf demſelben Baume ſitzen, wenn einer oder der andere ihrer
Gefährten herabgeſchoſſen wurde. Der Fang iſt, wenn man erſt einen von ihnen berückte, noch leich-
ter, als die Jagd. Jn Thüringen nimmt man hohe Stangen, bekleidet ſie oben buſchartig mit Fich-
tenzweigen und befeſtigt an dieſen Leimruthen. Die Stangen werden auf freien Blößen im Walde
vor Tagesanbruch aufgeſtellt und ein Lockvogel im Bauer unten an ihnen befeſtigt. Alle vorüber-
fliegenden Kreuzſchnäbel nähern ſich wenigſtens dieſer Stange, um nach dem rufenden und lockenden
Genoſſen zu ſchauen. Viele ſetzen ſich auch auf den Buſch und dabei gewöhnlich auf eine der Leim-
ruthen. Auf dieſe Weiſe kann man oft Viele von ihnen an einem Morgen fangen.

Man darf wohl behaupten, daß der Nutzen, welchen die Kreuzſchnäbel bringen, den geringen
Schaden, welchen ſie uns bereiten können, reichlich aufwiegt. Ganz abgeſehen von dem Vergnügen,
welches ſie jedem Thierliebhaber gewähren, ganz abgeſehen von der Zierde, welche ſie im Winter den
Nadelbäumen verleihen, nützen die Kreuzſchnäbel dadurch, daß ſie in ſamenreichen Jahren die über-
ladenen Wipfel durch Abbeißen der Fichten erleichtern und dieſe hierdurch erhalten. Neuerdings hat

Brehm, Thierleben. III. 7
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0115" n="97"/><fw place="top" type="header">Lebenswei&#x017F;e.</fw><lb/>
einen ganzen Schnabel voll, trug &#x017F;ie in das Ne&#x017F;t und brachte &#x017F;ie in die gehörige Lage. Als die Run-<lb/>
dung des Ne&#x017F;tes fertig war, verweilte das Weibchen länger darin und brachte alles durch Drücken<lb/>
mit der Bru&#x017F;t und durch Drehen des Körpers in Ordnung. Es nahm fa&#x017F;t alle Stoffe des Ne&#x017F;tes von<lb/>
einem einzigen benachbarten Baum und war &#x017F;o em&#x017F;ig, daß es auch in den Nachmittags&#x017F;tunden baute<lb/>
und in Zeit von zwei bis drei Minuten mit dem Herbei&#x017F;chaffen und Verarbeiten einer Tracht fertig<lb/>
war. Das Männchen blieb immer bei &#x017F;einem Weibchen, betrat es alle Tage entweder auf den Ae&#x017F;ten<lb/>
oder auf dem Ne&#x017F;te, fütterte es, als es zu brüten oder doch das er&#x017F;te Ei zu wärmen anfing (denn<lb/>
&#x017F;obald das er&#x017F;te Ei gelegt war, verließ es das Ne&#x017F;t nicht mehr), &#x017F;ang be&#x017F;tändig in &#x017F;einer Nähe und<lb/>
&#x017F;chien es &#x017F;o für die Be&#x017F;chwerden des Bauens und Brütens, die es nicht mit ihm theilen konnte, ent-<lb/>
&#x017F;chädigen zu wollen.&#x201F;</p><lb/>
          <p>Das Gelege der Kreuz&#x017F;chnäbel be&#x017F;teht aus drei bis vier verhältnißmäßig kleinen Eiern, welche<lb/>
auf graulich- oder bläulichweißem Grunde mit verlo&#x017F;chenen Flecken und Stricheln von blutrother,<lb/>
blutbräunlicher oder &#x017F;chwarzbrauner Farbe be&#x017F;etzt &#x017F;ind. Zuweilen &#x017F;tehen die&#x017F;e Fleckchen kranzartig an<lb/>
dem &#x017F;tumpfen Ende, zuweilen verbreiten &#x017F;ie &#x017F;ich über das ganze Ei; die&#x017F;es aber i&#x017F;t, aller Aenderung<lb/>
ungeachtet, immer als Kreuz&#x017F;chnabelei zu erkennen. Die &#x017F;org&#x017F;ame Mutter gibt &#x017F;ich dem Brutge&#x017F;chäft<lb/>
mit großem Eifer hin, während das Männchen auch &#x017F;einer&#x017F;eits durch Aezung der Mutter die ihm zu-<lb/>
fallende Arbeit freudig übernimmt. Die Jungen, welche von den Eltern &#x017F;ehr geliebt werden, erhalten<lb/>
vom er&#x017F;ten Tage ihres Lebens an Fichten- oder Kiefern&#x017F;amen zur Aezung, zuer&#x017F;t &#x017F;olchen, welcher im<lb/>
Kropfe der Alten erweicht und bezüglich halb verdaut i&#x017F;t, &#x017F;päter härteren. Sie wach&#x017F;en ra&#x017F;ch heran<lb/>
und &#x017F;ind bald recht gewandt und munter, bedürfen aber länger, als alle andern Sperlingsvögel, be-<lb/>
&#x017F;ondere Pflege der Eltern. Jhr Schnabel nämlich wird er&#x017F;t nach dem Ausfliegen zum Kreuz&#x017F;chnabel,<lb/>
und bevor die&#x017F;er &#x017F;ich ausgebildet, &#x017F;ind die Jungen nicht im Stande, die Kiefern- oder Fichtenzapfen<lb/>
zu öffnen, mü&#x017F;&#x017F;en deshalb al&#x017F;o von den Eltern noch ernährt werden. Nach dem Ausfliegen halten<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich auf den dichten Bäumen auf, am lieb&#x017F;ten auf Tannen, immer in möglich&#x017F;ter Nähe bei den<lb/>
Alten. Wenn die&#x017F;e den Samen ausklauben, &#x017F;itzen &#x017F;ie neben ihnen, &#x017F;chreien ununterbrochen, wie un-<lb/>
artige Kinder, fliegen den Alten eilig nach, wenn die&#x017F;e den Baum verla&#x017F;&#x017F;en, oder locken &#x017F;o lange<lb/>
und &#x017F;o äng&#x017F;tlich, bis jene zurückkommen. Nach und nach gewöhnen die Alten &#x017F;ie aus Arbeiten.<lb/>
Zuer&#x017F;t werden ihnen deshalb halbgeöffnete Zapfen vorgelegt, damit &#x017F;ie &#x017F;ich im Aufbrechen der Schup-<lb/>
pen üben; &#x017F;päter erhalten &#x017F;ie die abgebi&#x017F;&#x017F;enen Zapfen vorgelegt, wie die&#x017F;e &#x017F;ind. Auch wenn &#x017F;ie allein<lb/>
fre&#x017F;&#x017F;en können, werden &#x017F;ie von den Alten noch eine Zeitlang geführt, endlich aber &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t über-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en. Sie bilden hierauf eigene Flüge oder &#x017F;chließen &#x017F;ich denjenigen Alten an, welche nicht durch die<lb/>
Brut in An&#x017F;pruch genommen worden &#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>Jch habe &#x017F;chon erwähnt, daß Jagd und Fang der Kreuz&#x017F;chnäbel durchaus keine Schwierigkeiten<lb/>
verur&#x017F;achen. Die neu bei uns angekommenen la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich, ohne wegzufliegen, von dem Schützen unter-<lb/>
laufen, ja &#x017F;ie bleiben oft dann noch auf dem&#x017F;elben Baume &#x017F;itzen, wenn einer oder der andere ihrer<lb/>
Gefährten herabge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en wurde. Der Fang i&#x017F;t, wenn man er&#x017F;t einen von ihnen berückte, noch leich-<lb/>
ter, als die Jagd. Jn Thüringen nimmt man hohe Stangen, bekleidet &#x017F;ie oben bu&#x017F;chartig mit Fich-<lb/>
tenzweigen und befe&#x017F;tigt an die&#x017F;en Leimruthen. Die Stangen werden auf freien Blößen im Walde<lb/>
vor Tagesanbruch aufge&#x017F;tellt und ein Lockvogel im Bauer unten an ihnen befe&#x017F;tigt. Alle vorüber-<lb/>
fliegenden Kreuz&#x017F;chnäbel nähern &#x017F;ich wenig&#x017F;tens die&#x017F;er Stange, um nach dem rufenden und lockenden<lb/>
Geno&#x017F;&#x017F;en zu &#x017F;chauen. Viele &#x017F;etzen &#x017F;ich auch auf den Bu&#x017F;ch und dabei gewöhnlich auf eine der Leim-<lb/>
ruthen. Auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e kann man oft Viele von ihnen an einem Morgen fangen.</p><lb/>
          <p>Man darf wohl behaupten, daß der Nutzen, welchen die Kreuz&#x017F;chnäbel bringen, den geringen<lb/>
Schaden, welchen &#x017F;ie uns bereiten können, reichlich aufwiegt. Ganz abge&#x017F;ehen von dem Vergnügen,<lb/>
welches &#x017F;ie jedem Thierliebhaber gewähren, ganz abge&#x017F;ehen von der Zierde, welche &#x017F;ie im Winter den<lb/>
Nadelbäumen verleihen, nützen die Kreuz&#x017F;chnäbel dadurch, daß &#x017F;ie in &#x017F;amenreichen Jahren die über-<lb/>
ladenen Wipfel durch Abbeißen der Fichten erleichtern und die&#x017F;e hierdurch erhalten. Neuerdings hat<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Brehm,</hi> Thierleben. <hi rendition="#aq">III.</hi> 7</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[97/0115] Lebensweiſe. einen ganzen Schnabel voll, trug ſie in das Neſt und brachte ſie in die gehörige Lage. Als die Run- dung des Neſtes fertig war, verweilte das Weibchen länger darin und brachte alles durch Drücken mit der Bruſt und durch Drehen des Körpers in Ordnung. Es nahm faſt alle Stoffe des Neſtes von einem einzigen benachbarten Baum und war ſo emſig, daß es auch in den Nachmittagsſtunden baute und in Zeit von zwei bis drei Minuten mit dem Herbeiſchaffen und Verarbeiten einer Tracht fertig war. Das Männchen blieb immer bei ſeinem Weibchen, betrat es alle Tage entweder auf den Aeſten oder auf dem Neſte, fütterte es, als es zu brüten oder doch das erſte Ei zu wärmen anfing (denn ſobald das erſte Ei gelegt war, verließ es das Neſt nicht mehr), ſang beſtändig in ſeiner Nähe und ſchien es ſo für die Beſchwerden des Bauens und Brütens, die es nicht mit ihm theilen konnte, ent- ſchädigen zu wollen.‟ Das Gelege der Kreuzſchnäbel beſteht aus drei bis vier verhältnißmäßig kleinen Eiern, welche auf graulich- oder bläulichweißem Grunde mit verloſchenen Flecken und Stricheln von blutrother, blutbräunlicher oder ſchwarzbrauner Farbe beſetzt ſind. Zuweilen ſtehen dieſe Fleckchen kranzartig an dem ſtumpfen Ende, zuweilen verbreiten ſie ſich über das ganze Ei; dieſes aber iſt, aller Aenderung ungeachtet, immer als Kreuzſchnabelei zu erkennen. Die ſorgſame Mutter gibt ſich dem Brutgeſchäft mit großem Eifer hin, während das Männchen auch ſeinerſeits durch Aezung der Mutter die ihm zu- fallende Arbeit freudig übernimmt. Die Jungen, welche von den Eltern ſehr geliebt werden, erhalten vom erſten Tage ihres Lebens an Fichten- oder Kiefernſamen zur Aezung, zuerſt ſolchen, welcher im Kropfe der Alten erweicht und bezüglich halb verdaut iſt, ſpäter härteren. Sie wachſen raſch heran und ſind bald recht gewandt und munter, bedürfen aber länger, als alle andern Sperlingsvögel, be- ſondere Pflege der Eltern. Jhr Schnabel nämlich wird erſt nach dem Ausfliegen zum Kreuzſchnabel, und bevor dieſer ſich ausgebildet, ſind die Jungen nicht im Stande, die Kiefern- oder Fichtenzapfen zu öffnen, müſſen deshalb alſo von den Eltern noch ernährt werden. Nach dem Ausfliegen halten ſie ſich auf den dichten Bäumen auf, am liebſten auf Tannen, immer in möglichſter Nähe bei den Alten. Wenn dieſe den Samen ausklauben, ſitzen ſie neben ihnen, ſchreien ununterbrochen, wie un- artige Kinder, fliegen den Alten eilig nach, wenn dieſe den Baum verlaſſen, oder locken ſo lange und ſo ängſtlich, bis jene zurückkommen. Nach und nach gewöhnen die Alten ſie aus Arbeiten. Zuerſt werden ihnen deshalb halbgeöffnete Zapfen vorgelegt, damit ſie ſich im Aufbrechen der Schup- pen üben; ſpäter erhalten ſie die abgebiſſenen Zapfen vorgelegt, wie dieſe ſind. Auch wenn ſie allein freſſen können, werden ſie von den Alten noch eine Zeitlang geführt, endlich aber ſich ſelbſt über- laſſen. Sie bilden hierauf eigene Flüge oder ſchließen ſich denjenigen Alten an, welche nicht durch die Brut in Anſpruch genommen worden ſind. Jch habe ſchon erwähnt, daß Jagd und Fang der Kreuzſchnäbel durchaus keine Schwierigkeiten verurſachen. Die neu bei uns angekommenen laſſen ſich, ohne wegzufliegen, von dem Schützen unter- laufen, ja ſie bleiben oft dann noch auf demſelben Baume ſitzen, wenn einer oder der andere ihrer Gefährten herabgeſchoſſen wurde. Der Fang iſt, wenn man erſt einen von ihnen berückte, noch leich- ter, als die Jagd. Jn Thüringen nimmt man hohe Stangen, bekleidet ſie oben buſchartig mit Fich- tenzweigen und befeſtigt an dieſen Leimruthen. Die Stangen werden auf freien Blößen im Walde vor Tagesanbruch aufgeſtellt und ein Lockvogel im Bauer unten an ihnen befeſtigt. Alle vorüber- fliegenden Kreuzſchnäbel nähern ſich wenigſtens dieſer Stange, um nach dem rufenden und lockenden Genoſſen zu ſchauen. Viele ſetzen ſich auch auf den Buſch und dabei gewöhnlich auf eine der Leim- ruthen. Auf dieſe Weiſe kann man oft Viele von ihnen an einem Morgen fangen. Man darf wohl behaupten, daß der Nutzen, welchen die Kreuzſchnäbel bringen, den geringen Schaden, welchen ſie uns bereiten können, reichlich aufwiegt. Ganz abgeſehen von dem Vergnügen, welches ſie jedem Thierliebhaber gewähren, ganz abgeſehen von der Zierde, welche ſie im Winter den Nadelbäumen verleihen, nützen die Kreuzſchnäbel dadurch, daß ſie in ſamenreichen Jahren die über- ladenen Wipfel durch Abbeißen der Fichten erleichtern und dieſe hierdurch erhalten. Neuerdings hat Brehm, Thierleben. III. 7

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/115
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/115>, abgerufen am 04.12.2024.