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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Der Seebär.
müthig, daß sie lieber sterben, als von ihrem Orte weichen. Sehen sie Menschen, so gehen sie den-
selben entgegen, halten sie auf und ein jeder besetzt seinen Ort und macht sich fertig zum Schlagen.
Auf einer Reise, wo wir sie nicht umgehen konnten, mußten wir uns in Streit einlassen und Steine
nach ihnen werfen. Sie bissen in diese wie Hunde, erfüllten die Luft mit einem Gebrüll und setzten
uns immer heftiger zu. Wir trachteten daher, ihnen die hervorragenden Augen auszuschlagen und
die Zähne mit Steinen entzwei zu werfen. Ein auf diese Weise von uns verwundetes und geblende-
tes Thier wich aber dennoch nicht von seinem Platze. Es darf auch nicht zurückwerfen; denn sonst
wird es von den Zähnen der anderen übel zugerichtet. Manchmal kann man auf weite Strecken hin
eine Menge von Zweikämpfen sehen. Während dieser Zeit darf man frei neben ihnen vorbeigehen.
Die im Meere befindlichen sehen eine Zeitlang dem Kampfe zu, gerathen aber dann auch in Wuth,
kommen heraus und mengen sich in die Schlacht."

"Jch habe mit meinem Kosaken oft einen angegriffen und ihm nur die Augen ausgeworfen, so-
dann vier bis fünf andere mit Steinen geworfen, daß sie mich verfolgten. Jch floh nun zu dem
blinden, und da dieser nicht wußte, ob seine Kameraden ebenfalls flohen, so biß er an und biß sich
einige Stunden mit ihnen, während ich von einem erhöhten Orte zusah. Floh er ins Wasser, so
wurde er herausgezogen und endlich todt gebissen. Oft fraß ihn schon während seiner letzten Züge
der Eisfuchs an. Zuweilen streiten ihrer Zwei eine Stunde lang mit einander; dann legen sie sich hin,
lechzen und erholen sich, stehen wieder auf, stellen sich wie Fechter gegen einander, neigen die Köpfe
und schlagen die Hauer wie die Eber von unten nach oben. Solange Beide bei Kräften sind, hauen sie
nur nach den Vorderfüßen; dann packt der Stärkere den anderen mit dem Rachen am Leibe und wirft
ihn zu Boden. Sobald Dies die Zuschauer erblicken, eilen sie herbei, um dem Unterdrückten Hilfe
zu leisten. Nach dem Streite gehen sie ins Wasser, um ihren Leib abzuspühlen. Ende Julis ist
selten einer zu sehen, der nicht mit Wunden bezeichnet wäre."

"Sie liefern ihre Schlachten aus dreierlei Ursachen: die allerblutigsten der Weibchen wegen, die
andere des Lagerplatzes halber und eine andere, um Frieden zu stiften. Die Weibchen tragen ihre
Jungen im Maule fort, lassen sie aber dieselben beim Angriff im Stich, so werden sie von den
Männchen in die Höhe und an den Felsen geworfen, daß sie halbtodt liegen bleiben; sind sie dann
wieder zu sich gekommen, so kriechen sie wie ein Wurm den Männchen demüthig zu Fußen, küssen sie
und vergießen Thränen in solcher Menge, daß sie ununterbrochen auf die Brust herabtröpfeln und
diese ganz naß machen. Dabei geht das Männchen unter beständigem Brummen hin und her, wen-
det die Augen greulich herum, und wirft den Kopf von einer Seite zur anderen nach Art der Land-
bären. Sieht das Männchen, daß man seine Jungen fortträgt, so weint es wie das Weibchen.
Schwer Verwundete oder Beleidigte weinen ebenfalls, wenn sie sich nicht rächen können."

"Sie haben dreierlei Laute. Auf dem Lande plärren sie zum Zeitvertreib wie die Kühe, wenn
man ihnen die Kälber genommen hat; im Kampfe brüllen und brummen sie wie Bären; nach erhal-
tenem Siege bringen sie wiederholt ein lautes Geräusch hervor wie Hausgrillen. Ein verwundeter und
von Feinden überwältigter seufzt und faucht laut wie eine Katze oder wie eine Meerotter. Jndem sie
aus dem Meere gehen, schütteln sie den Leib, streicheln die Brust mit den Hinterfinnen und legen die
Haare zurecht. Das Männchen legt die Lippen an die des Weibchens, als wenn es dasselbe küssen
wollte. Wenn die Sonne scheint, legen sie sich in die Wärme, halten die Hinterfüße in die Höhe und
wedeln damit wie schmeichelnde Hunde; bald liegen sie auf dem Rücken, bald auf dem Bauche, bald
auf der Seite, bald zusammengerollt. Während des Juni, Juli und August bleiben sie auf der-
selben Stelle wie ein Stein liegen, sehen einander an, schlafen, gähnen, strecken sich und brüllen
ohne das Geringste zu fressen. Dann werden sie so mager, daß die Haut um sie häugt, locker wie
ein Sack. Die Jungen paaren sich im Juli und tummeln sich munter herum. Sie benehmen sich
dabei nicht wie andere Thiere, sondern wie Menschen. Jch habe einmal einem eine Maulschelle gege-
ben, worüber er zwar zornig wurde und brummte, aber doch sein Geschäft noch 1/4 Stunde lang
fortsetzte."

Brehm, Thierleben. II. 50

Der Seebär.
müthig, daß ſie lieber ſterben, als von ihrem Orte weichen. Sehen ſie Menſchen, ſo gehen ſie den-
ſelben entgegen, halten ſie auf und ein jeder beſetzt ſeinen Ort und macht ſich fertig zum Schlagen.
Auf einer Reiſe, wo wir ſie nicht umgehen konnten, mußten wir uns in Streit einlaſſen und Steine
nach ihnen werfen. Sie biſſen in dieſe wie Hunde, erfüllten die Luft mit einem Gebrüll und ſetzten
uns immer heftiger zu. Wir trachteten daher, ihnen die hervorragenden Augen auszuſchlagen und
die Zähne mit Steinen entzwei zu werfen. Ein auf dieſe Weiſe von uns verwundetes und geblende-
tes Thier wich aber dennoch nicht von ſeinem Platze. Es darf auch nicht zurückwerfen; denn ſonſt
wird es von den Zähnen der anderen übel zugerichtet. Manchmal kann man auf weite Strecken hin
eine Menge von Zweikämpfen ſehen. Während dieſer Zeit darf man frei neben ihnen vorbeigehen.
Die im Meere befindlichen ſehen eine Zeitlang dem Kampfe zu, gerathen aber dann auch in Wuth,
kommen heraus und mengen ſich in die Schlacht.‟

„Jch habe mit meinem Koſaken oft einen angegriffen und ihm nur die Augen ausgeworfen, ſo-
dann vier bis fünf andere mit Steinen geworfen, daß ſie mich verfolgten. Jch floh nun zu dem
blinden, und da dieſer nicht wußte, ob ſeine Kameraden ebenfalls flohen, ſo biß er an und biß ſich
einige Stunden mit ihnen, während ich von einem erhöhten Orte zuſah. Floh er ins Waſſer, ſo
wurde er herausgezogen und endlich todt gebiſſen. Oft fraß ihn ſchon während ſeiner letzten Züge
der Eisfuchs an. Zuweilen ſtreiten ihrer Zwei eine Stunde lang mit einander; dann legen ſie ſich hin,
lechzen und erholen ſich, ſtehen wieder auf, ſtellen ſich wie Fechter gegen einander, neigen die Köpfe
und ſchlagen die Hauer wie die Eber von unten nach oben. Solange Beide bei Kräften ſind, hauen ſie
nur nach den Vorderfüßen; dann packt der Stärkere den anderen mit dem Rachen am Leibe und wirft
ihn zu Boden. Sobald Dies die Zuſchauer erblicken, eilen ſie herbei, um dem Unterdrückten Hilfe
zu leiſten. Nach dem Streite gehen ſie ins Waſſer, um ihren Leib abzuſpühlen. Ende Julis iſt
ſelten einer zu ſehen, der nicht mit Wunden bezeichnet wäre.‟

„Sie liefern ihre Schlachten aus dreierlei Urſachen: die allerblutigſten der Weibchen wegen, die
andere des Lagerplatzes halber und eine andere, um Frieden zu ſtiften. Die Weibchen tragen ihre
Jungen im Maule fort, laſſen ſie aber dieſelben beim Angriff im Stich, ſo werden ſie von den
Männchen in die Höhe und an den Felſen geworfen, daß ſie halbtodt liegen bleiben; ſind ſie dann
wieder zu ſich gekommen, ſo kriechen ſie wie ein Wurm den Männchen demüthig zu Fußen, küſſen ſie
und vergießen Thränen in ſolcher Menge, daß ſie ununterbrochen auf die Bruſt herabtröpfeln und
dieſe ganz naß machen. Dabei geht das Männchen unter beſtändigem Brummen hin und her, wen-
det die Augen greulich herum, und wirft den Kopf von einer Seite zur anderen nach Art der Land-
bären. Sieht das Männchen, daß man ſeine Jungen fortträgt, ſo weint es wie das Weibchen.
Schwer Verwundete oder Beleidigte weinen ebenfalls, wenn ſie ſich nicht rächen können.‟

„Sie haben dreierlei Laute. Auf dem Lande plärren ſie zum Zeitvertreib wie die Kühe, wenn
man ihnen die Kälber genommen hat; im Kampfe brüllen und brummen ſie wie Bären; nach erhal-
tenem Siege bringen ſie wiederholt ein lautes Geräuſch hervor wie Hausgrillen. Ein verwundeter und
von Feinden überwältigter ſeufzt und faucht laut wie eine Katze oder wie eine Meerotter. Jndem ſie
aus dem Meere gehen, ſchütteln ſie den Leib, ſtreicheln die Bruſt mit den Hinterfinnen und legen die
Haare zurecht. Das Männchen legt die Lippen an die des Weibchens, als wenn es daſſelbe küſſen
wollte. Wenn die Sonne ſcheint, legen ſie ſich in die Wärme, halten die Hinterfüße in die Höhe und
wedeln damit wie ſchmeichelnde Hunde; bald liegen ſie auf dem Rücken, bald auf dem Bauche, bald
auf der Seite, bald zuſammengerollt. Während des Juni, Juli und Auguſt bleiben ſie auf der-
ſelben Stelle wie ein Stein liegen, ſehen einander an, ſchlafen, gähnen, ſtrecken ſich und brüllen
ohne das Geringſte zu freſſen. Dann werden ſie ſo mager, daß die Haut um ſie häugt, locker wie
ein Sack. Die Jungen paaren ſich im Juli und tummeln ſich munter herum. Sie benehmen ſich
dabei nicht wie andere Thiere, ſondern wie Menſchen. Jch habe einmal einem eine Maulſchelle gege-
ben, worüber er zwar zornig wurde und brummte, aber doch ſein Geſchäft noch ¼ Stunde lang
fortſetzte.‟

Brehm, Thierleben. II. 50
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[785/0833] Der Seebär. müthig, daß ſie lieber ſterben, als von ihrem Orte weichen. Sehen ſie Menſchen, ſo gehen ſie den- ſelben entgegen, halten ſie auf und ein jeder beſetzt ſeinen Ort und macht ſich fertig zum Schlagen. Auf einer Reiſe, wo wir ſie nicht umgehen konnten, mußten wir uns in Streit einlaſſen und Steine nach ihnen werfen. Sie biſſen in dieſe wie Hunde, erfüllten die Luft mit einem Gebrüll und ſetzten uns immer heftiger zu. Wir trachteten daher, ihnen die hervorragenden Augen auszuſchlagen und die Zähne mit Steinen entzwei zu werfen. Ein auf dieſe Weiſe von uns verwundetes und geblende- tes Thier wich aber dennoch nicht von ſeinem Platze. Es darf auch nicht zurückwerfen; denn ſonſt wird es von den Zähnen der anderen übel zugerichtet. Manchmal kann man auf weite Strecken hin eine Menge von Zweikämpfen ſehen. Während dieſer Zeit darf man frei neben ihnen vorbeigehen. Die im Meere befindlichen ſehen eine Zeitlang dem Kampfe zu, gerathen aber dann auch in Wuth, kommen heraus und mengen ſich in die Schlacht.‟ „Jch habe mit meinem Koſaken oft einen angegriffen und ihm nur die Augen ausgeworfen, ſo- dann vier bis fünf andere mit Steinen geworfen, daß ſie mich verfolgten. Jch floh nun zu dem blinden, und da dieſer nicht wußte, ob ſeine Kameraden ebenfalls flohen, ſo biß er an und biß ſich einige Stunden mit ihnen, während ich von einem erhöhten Orte zuſah. Floh er ins Waſſer, ſo wurde er herausgezogen und endlich todt gebiſſen. Oft fraß ihn ſchon während ſeiner letzten Züge der Eisfuchs an. Zuweilen ſtreiten ihrer Zwei eine Stunde lang mit einander; dann legen ſie ſich hin, lechzen und erholen ſich, ſtehen wieder auf, ſtellen ſich wie Fechter gegen einander, neigen die Köpfe und ſchlagen die Hauer wie die Eber von unten nach oben. Solange Beide bei Kräften ſind, hauen ſie nur nach den Vorderfüßen; dann packt der Stärkere den anderen mit dem Rachen am Leibe und wirft ihn zu Boden. Sobald Dies die Zuſchauer erblicken, eilen ſie herbei, um dem Unterdrückten Hilfe zu leiſten. Nach dem Streite gehen ſie ins Waſſer, um ihren Leib abzuſpühlen. Ende Julis iſt ſelten einer zu ſehen, der nicht mit Wunden bezeichnet wäre.‟ „Sie liefern ihre Schlachten aus dreierlei Urſachen: die allerblutigſten der Weibchen wegen, die andere des Lagerplatzes halber und eine andere, um Frieden zu ſtiften. Die Weibchen tragen ihre Jungen im Maule fort, laſſen ſie aber dieſelben beim Angriff im Stich, ſo werden ſie von den Männchen in die Höhe und an den Felſen geworfen, daß ſie halbtodt liegen bleiben; ſind ſie dann wieder zu ſich gekommen, ſo kriechen ſie wie ein Wurm den Männchen demüthig zu Fußen, küſſen ſie und vergießen Thränen in ſolcher Menge, daß ſie ununterbrochen auf die Bruſt herabtröpfeln und dieſe ganz naß machen. Dabei geht das Männchen unter beſtändigem Brummen hin und her, wen- det die Augen greulich herum, und wirft den Kopf von einer Seite zur anderen nach Art der Land- bären. Sieht das Männchen, daß man ſeine Jungen fortträgt, ſo weint es wie das Weibchen. Schwer Verwundete oder Beleidigte weinen ebenfalls, wenn ſie ſich nicht rächen können.‟ „Sie haben dreierlei Laute. Auf dem Lande plärren ſie zum Zeitvertreib wie die Kühe, wenn man ihnen die Kälber genommen hat; im Kampfe brüllen und brummen ſie wie Bären; nach erhal- tenem Siege bringen ſie wiederholt ein lautes Geräuſch hervor wie Hausgrillen. Ein verwundeter und von Feinden überwältigter ſeufzt und faucht laut wie eine Katze oder wie eine Meerotter. Jndem ſie aus dem Meere gehen, ſchütteln ſie den Leib, ſtreicheln die Bruſt mit den Hinterfinnen und legen die Haare zurecht. Das Männchen legt die Lippen an die des Weibchens, als wenn es daſſelbe küſſen wollte. Wenn die Sonne ſcheint, legen ſie ſich in die Wärme, halten die Hinterfüße in die Höhe und wedeln damit wie ſchmeichelnde Hunde; bald liegen ſie auf dem Rücken, bald auf dem Bauche, bald auf der Seite, bald zuſammengerollt. Während des Juni, Juli und Auguſt bleiben ſie auf der- ſelben Stelle wie ein Stein liegen, ſehen einander an, ſchlafen, gähnen, ſtrecken ſich und brüllen ohne das Geringſte zu freſſen. Dann werden ſie ſo mager, daß die Haut um ſie häugt, locker wie ein Sack. Die Jungen paaren ſich im Juli und tummeln ſich munter herum. Sie benehmen ſich dabei nicht wie andere Thiere, ſondern wie Menſchen. Jch habe einmal einem eine Maulſchelle gege- ben, worüber er zwar zornig wurde und brummte, aber doch ſein Geſchäft noch ¼ Stunde lang fortſetzte.‟ Brehm, Thierleben. II. 50

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 785. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/833>, abgerufen am 23.11.2024.