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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Flossenfüßer. Die Seehunde.
treibt sie der Hunger aber doch auf und in das Meer, wo sie ihren inzwischen abgemagerten Leib
bald wieder runden, glätten und mit Fett auspolstern. Je älter die Thiere werden, um so fauler
zeigen sie sich. Die Jungen sind lebhafte, spiellustige und fröhliche Geschöpfe, die Alten hingegen
oft höchst mürrische, in ihrer Faulheit ganz verkommene Thiere. Freilich muß man zu ihrer Ent-
schuldigung sagen, daß ihre Unbehilflichkeit auf dem Lande sie noch fauler erscheinen läßt, als sie
wirklich sind. Wenn sie sich gefährdet sehen, gehen sie, wie bemerkt, sehr eilig und schnell in das Was-
ser; kommt ihnen die Gefahr aber plötzlich über den Hals, so überfällt sie die Angst und der Schreck in
so hohem Grade, daß sie seufzen und zittern und vergeblich alle mögliche Anstrengungen machen, um
dem Verderben zu entrinnen. Wenn es gilt, Weibchen und Junge zu vertheidigen, zeigen übrigens
manche einen großen Muth. Auf den einsamsten Eilanden sind gewisse Arten, z. B. die Seebären
und Seeelefanten, so gleichgiltig gegen fremde Besucher, daß sie diese ruhig unter sich herum-
gehen lassen, ohne zu flüchten: sie werden aber ganz anders, wenn sie den Menschen, diesen Verderber
der Thierwelt, erst kennen gelernt haben.

Unter ihren Sinnen ist das Gehör, trotz der kleinen Ohrmuscheln, vorzüglich, Gesicht und Geruch
dagegen weniger entwickelt. Die Stimme besteht in heiseren Lauten, welche bald dem Gebell eines
Hundes, bald dem Blöcken eines Kalbes oder dem Brüllen eines Rindes ähneln.

Jede Robbengesellschaft ist eine Familie. Das Männchen ist immer mit mehreren Weibchen
verbunden, und mancher dieser Seesultane besitzt einen Harem von dreißig bis vierzig Schönen. Die
Eifersucht gegen andere Bewerber seiner Art geht ins Großartige. Jeder Robbe würde der Weiber
halber auf Tod und Leben kämpfen, wenn ihm dieses möglich wäre. Das dicke Fell und die Fett-
lagen unter ihm sind der beste Schild beider Kämpen gegen die Biffe und Risse, welche sie sich in
der Hitze des Gefechts gegenseitig beibringen.

Etwa acht bis zehn Monate nach der Paarung -- genaue Beobachtungen hierüber fehlen --
bringt das Weibchen eins, seltener zwei Junge zur Welt. Die Kleinen sind zierliche und muntere
Geschöpfe. Von den Reisenden wird angegeben, daß sie wegen ihrer dicken Behaarung noch nicht zu
allen Schwimm- und Tauchkünsten geeignet wären und deshalb in Gesellschaft ihrer Mütter auf dem
Lande bleiben müßten, bis das erste Haarkleid gewechselt sei: -- diese Angabe bedarf meiner Mei-
nung nach jedoch noch der Bestätigung; eigene Beobachtungen, welche weiter unten ihre Stelle fin-
den werden, stehen ihr entgegen.

Alte und Junge lieben sich mit gleicher Zärtlichkeit, und die Mutter schützt ihren Sprößling
mit Gefahr ihres Lebens gegen jede Gefahr. Der Vater, erfreut an seinen lustigen Spielen, gibt
sein Wohlgefallen durch vergnügliches Brummen und Knurren zu erkennen und folgt, weil ihm
die Leibesbeschaffenheit die thätige Mithilfe am Spiel verbietet, dem rasch hin- und hergleitenden
und Purzelbäume werfenden Kleinen wenigstens mit den Augen. Schon nach höchstens zwei
Monaten sind die jungen Robben soweit entwickelt, daß sie entwöhnt werden können. Das
Wachsthum geht unglaublich schnell vor sich, und bereits nach Verlauf eines Jahres haben die Jun-
gen mehr als die halbe Größe der Alten erreicht. Nach 2 bis 6 Jahren sind sie erwachsen, im
Alter von 25 bis 40 Jahren abgelebt und greisenhaft geworden.

Thierische Stoffe aller Art, zumeist aber Fische, Schal-, Krusten- und Strahlthiere, bilden
die Nahrung der Robben. Um ihren gesegneten Appetit zu befördern, verschlucken einige, wie die
Vögel es thun, Steine; andere füllen sich den bellenden Magen im Nothfalle mit Tangen an.

Nächst dem Menschen haben die Robben in dem Eisbären ihren schlimmsten Feind, obgleich
dieser selbstverständlich nur den kleineren Arten gefährlich werden kann. Der Mensch zeigt sich jeden-
falls weit grausamer und abscheulicher, als dieses Raubthier. Alle Robbenjagd ist eine gemeine,
erbarmungslose Schlächterei, bei welcher sich Rohheit und Gefühllosigkeit verbinden. Deshalb wird
auch der Ausdruck "Jagd" vermieden: man spricht von Schlächterei und Schlägerei, nicht aber von
edlem Waidwerk. Eine grenzenlose und leidenschaftliche Blutgier bemächtigt sich in kurzer Zeit der
Matrosen, welche auf Robbenjagd ausgehen, und treibt sie an, Alt und Jung, Groß und Klein

Floſſenfüßer. Die Seehunde.
treibt ſie der Hunger aber doch auf und in das Meer, wo ſie ihren inzwiſchen abgemagerten Leib
bald wieder runden, glätten und mit Fett auspolſtern. Je älter die Thiere werden, um ſo fauler
zeigen ſie ſich. Die Jungen ſind lebhafte, ſpielluſtige und fröhliche Geſchöpfe, die Alten hingegen
oft höchſt mürriſche, in ihrer Faulheit ganz verkommene Thiere. Freilich muß man zu ihrer Ent-
ſchuldigung ſagen, daß ihre Unbehilflichkeit auf dem Lande ſie noch fauler erſcheinen läßt, als ſie
wirklich ſind. Wenn ſie ſich gefährdet ſehen, gehen ſie, wie bemerkt, ſehr eilig und ſchnell in das Waſ-
ſer; kommt ihnen die Gefahr aber plötzlich über den Hals, ſo überfällt ſie die Angſt und der Schreck in
ſo hohem Grade, daß ſie ſeufzen und zittern und vergeblich alle mögliche Anſtrengungen machen, um
dem Verderben zu entrinnen. Wenn es gilt, Weibchen und Junge zu vertheidigen, zeigen übrigens
manche einen großen Muth. Auf den einſamſten Eilanden ſind gewiſſe Arten, z. B. die Seebären
und Seeelefanten, ſo gleichgiltig gegen fremde Beſucher, daß ſie dieſe ruhig unter ſich herum-
gehen laſſen, ohne zu flüchten: ſie werden aber ganz anders, wenn ſie den Menſchen, dieſen Verderber
der Thierwelt, erſt kennen gelernt haben.

Unter ihren Sinnen iſt das Gehör, trotz der kleinen Ohrmuſcheln, vorzüglich, Geſicht und Geruch
dagegen weniger entwickelt. Die Stimme beſteht in heiſeren Lauten, welche bald dem Gebell eines
Hundes, bald dem Blöcken eines Kalbes oder dem Brüllen eines Rindes ähneln.

Jede Robbengeſellſchaft iſt eine Familie. Das Männchen iſt immer mit mehreren Weibchen
verbunden, und mancher dieſer Seeſultane beſitzt einen Harem von dreißig bis vierzig Schönen. Die
Eiferſucht gegen andere Bewerber ſeiner Art geht ins Großartige. Jeder Robbe würde der Weiber
halber auf Tod und Leben kämpfen, wenn ihm dieſes möglich wäre. Das dicke Fell und die Fett-
lagen unter ihm ſind der beſte Schild beider Kämpen gegen die Biffe und Riſſe, welche ſie ſich in
der Hitze des Gefechts gegenſeitig beibringen.

Etwa acht bis zehn Monate nach der Paarung — genaue Beobachtungen hierüber fehlen —
bringt das Weibchen eins, ſeltener zwei Junge zur Welt. Die Kleinen ſind zierliche und muntere
Geſchöpfe. Von den Reiſenden wird angegeben, daß ſie wegen ihrer dicken Behaarung noch nicht zu
allen Schwimm- und Tauchkünſten geeignet wären und deshalb in Geſellſchaft ihrer Mütter auf dem
Lande bleiben müßten, bis das erſte Haarkleid gewechſelt ſei: — dieſe Angabe bedarf meiner Mei-
nung nach jedoch noch der Beſtätigung; eigene Beobachtungen, welche weiter unten ihre Stelle fin-
den werden, ſtehen ihr entgegen.

Alte und Junge lieben ſich mit gleicher Zärtlichkeit, und die Mutter ſchützt ihren Sprößling
mit Gefahr ihres Lebens gegen jede Gefahr. Der Vater, erfreut an ſeinen luſtigen Spielen, gibt
ſein Wohlgefallen durch vergnügliches Brummen und Knurren zu erkennen und folgt, weil ihm
die Leibesbeſchaffenheit die thätige Mithilfe am Spiel verbietet, dem raſch hin- und hergleitenden
und Purzelbäume werfenden Kleinen wenigſtens mit den Augen. Schon nach höchſtens zwei
Monaten ſind die jungen Robben ſoweit entwickelt, daß ſie entwöhnt werden können. Das
Wachsthum geht unglaublich ſchnell vor ſich, und bereits nach Verlauf eines Jahres haben die Jun-
gen mehr als die halbe Größe der Alten erreicht. Nach 2 bis 6 Jahren ſind ſie erwachſen, im
Alter von 25 bis 40 Jahren abgelebt und greiſenhaft geworden.

Thieriſche Stoffe aller Art, zumeiſt aber Fiſche, Schal-, Kruſten- und Strahlthiere, bilden
die Nahrung der Robben. Um ihren geſegneten Appetit zu befördern, verſchlucken einige, wie die
Vögel es thun, Steine; andere füllen ſich den bellenden Magen im Nothfalle mit Tangen an.

Nächſt dem Menſchen haben die Robben in dem Eisbären ihren ſchlimmſten Feind, obgleich
dieſer ſelbſtverſtändlich nur den kleineren Arten gefährlich werden kann. Der Menſch zeigt ſich jeden-
falls weit grauſamer und abſcheulicher, als dieſes Raubthier. Alle Robbenjagd iſt eine gemeine,
erbarmungsloſe Schlächterei, bei welcher ſich Rohheit und Gefühlloſigkeit verbinden. Deshalb wird
auch der Ausdruck „Jagd‟ vermieden: man ſpricht von Schlächterei und Schlägerei, nicht aber von
edlem Waidwerk. Eine grenzenloſe und leidenſchaftliche Blutgier bemächtigt ſich in kurzer Zeit der
Matroſen, welche auf Robbenjagd ausgehen, und treibt ſie an, Alt und Jung, Groß und Klein

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[782/0830] Floſſenfüßer. Die Seehunde. treibt ſie der Hunger aber doch auf und in das Meer, wo ſie ihren inzwiſchen abgemagerten Leib bald wieder runden, glätten und mit Fett auspolſtern. Je älter die Thiere werden, um ſo fauler zeigen ſie ſich. Die Jungen ſind lebhafte, ſpielluſtige und fröhliche Geſchöpfe, die Alten hingegen oft höchſt mürriſche, in ihrer Faulheit ganz verkommene Thiere. Freilich muß man zu ihrer Ent- ſchuldigung ſagen, daß ihre Unbehilflichkeit auf dem Lande ſie noch fauler erſcheinen läßt, als ſie wirklich ſind. Wenn ſie ſich gefährdet ſehen, gehen ſie, wie bemerkt, ſehr eilig und ſchnell in das Waſ- ſer; kommt ihnen die Gefahr aber plötzlich über den Hals, ſo überfällt ſie die Angſt und der Schreck in ſo hohem Grade, daß ſie ſeufzen und zittern und vergeblich alle mögliche Anſtrengungen machen, um dem Verderben zu entrinnen. Wenn es gilt, Weibchen und Junge zu vertheidigen, zeigen übrigens manche einen großen Muth. Auf den einſamſten Eilanden ſind gewiſſe Arten, z. B. die Seebären und Seeelefanten, ſo gleichgiltig gegen fremde Beſucher, daß ſie dieſe ruhig unter ſich herum- gehen laſſen, ohne zu flüchten: ſie werden aber ganz anders, wenn ſie den Menſchen, dieſen Verderber der Thierwelt, erſt kennen gelernt haben. Unter ihren Sinnen iſt das Gehör, trotz der kleinen Ohrmuſcheln, vorzüglich, Geſicht und Geruch dagegen weniger entwickelt. Die Stimme beſteht in heiſeren Lauten, welche bald dem Gebell eines Hundes, bald dem Blöcken eines Kalbes oder dem Brüllen eines Rindes ähneln. Jede Robbengeſellſchaft iſt eine Familie. Das Männchen iſt immer mit mehreren Weibchen verbunden, und mancher dieſer Seeſultane beſitzt einen Harem von dreißig bis vierzig Schönen. Die Eiferſucht gegen andere Bewerber ſeiner Art geht ins Großartige. Jeder Robbe würde der Weiber halber auf Tod und Leben kämpfen, wenn ihm dieſes möglich wäre. Das dicke Fell und die Fett- lagen unter ihm ſind der beſte Schild beider Kämpen gegen die Biffe und Riſſe, welche ſie ſich in der Hitze des Gefechts gegenſeitig beibringen. Etwa acht bis zehn Monate nach der Paarung — genaue Beobachtungen hierüber fehlen — bringt das Weibchen eins, ſeltener zwei Junge zur Welt. Die Kleinen ſind zierliche und muntere Geſchöpfe. Von den Reiſenden wird angegeben, daß ſie wegen ihrer dicken Behaarung noch nicht zu allen Schwimm- und Tauchkünſten geeignet wären und deshalb in Geſellſchaft ihrer Mütter auf dem Lande bleiben müßten, bis das erſte Haarkleid gewechſelt ſei: — dieſe Angabe bedarf meiner Mei- nung nach jedoch noch der Beſtätigung; eigene Beobachtungen, welche weiter unten ihre Stelle fin- den werden, ſtehen ihr entgegen. Alte und Junge lieben ſich mit gleicher Zärtlichkeit, und die Mutter ſchützt ihren Sprößling mit Gefahr ihres Lebens gegen jede Gefahr. Der Vater, erfreut an ſeinen luſtigen Spielen, gibt ſein Wohlgefallen durch vergnügliches Brummen und Knurren zu erkennen und folgt, weil ihm die Leibesbeſchaffenheit die thätige Mithilfe am Spiel verbietet, dem raſch hin- und hergleitenden und Purzelbäume werfenden Kleinen wenigſtens mit den Augen. Schon nach höchſtens zwei Monaten ſind die jungen Robben ſoweit entwickelt, daß ſie entwöhnt werden können. Das Wachsthum geht unglaublich ſchnell vor ſich, und bereits nach Verlauf eines Jahres haben die Jun- gen mehr als die halbe Größe der Alten erreicht. Nach 2 bis 6 Jahren ſind ſie erwachſen, im Alter von 25 bis 40 Jahren abgelebt und greiſenhaft geworden. Thieriſche Stoffe aller Art, zumeiſt aber Fiſche, Schal-, Kruſten- und Strahlthiere, bilden die Nahrung der Robben. Um ihren geſegneten Appetit zu befördern, verſchlucken einige, wie die Vögel es thun, Steine; andere füllen ſich den bellenden Magen im Nothfalle mit Tangen an. Nächſt dem Menſchen haben die Robben in dem Eisbären ihren ſchlimmſten Feind, obgleich dieſer ſelbſtverſtändlich nur den kleineren Arten gefährlich werden kann. Der Menſch zeigt ſich jeden- falls weit grauſamer und abſcheulicher, als dieſes Raubthier. Alle Robbenjagd iſt eine gemeine, erbarmungsloſe Schlächterei, bei welcher ſich Rohheit und Gefühlloſigkeit verbinden. Deshalb wird auch der Ausdruck „Jagd‟ vermieden: man ſpricht von Schlächterei und Schlägerei, nicht aber von edlem Waidwerk. Eine grenzenloſe und leidenſchaftliche Blutgier bemächtigt ſich in kurzer Zeit der Matroſen, welche auf Robbenjagd ausgehen, und treibt ſie an, Alt und Jung, Groß und Klein

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 782. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/830>, abgerufen am 13.05.2024.