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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Vielhufer oder Dickhäuter. -- Das Nil- oder Flußpferd.
zu. Freilich ließ unsere Nachsucht fortan die hier und da erscheinenden Köpfe als Scheiben ansehen,
nach denen wir, so oft es anging, eine Kugel entsendeten. Jch wußte aus Erfahrung, daß meine
schwache Büchsenkugel selbst bei einer Entfernung von noch nicht vierzig Schritten kaum die Haut des
Kopfes durchbohren konnte, wollte mir aber gleichwohl das Vergnügen nicht entsagen, dem "Abgesandten
der Hölle" unseren Aerger fühlen zu lassen.

Auf unserer Reise kamen wir, wenige Tage nach diesem Vorfalle, wieder zu demselben See und
trieben während der Jagd das Zielschießen nach den Nilpferdköpfen wie vorher. Jn das Wasser durften
wir uns allerdings nicht mehr wagen; dafür aber schienen die Nilpferde auch das Land zu achten, und
so herrschte jeder Gegner in seinem eigenen Kreise, wir auf dem Lande, die Nilpferde im Wasser. Nach
einer sehr ergiebigen Jagd kehrten wir nachmittags auf das Bot zurück, mit der Absicht, die Jagd am
anderen Morgen fortzusetzen. Da wurden wir gegen Sonnenuntergang benachrichtigt, daß soeben
eine zahlreiche Herde von Pelekanen im See angekommen sei, um dort zu übernachten. Wir gingen
deshalb nochmals zum See und begannen unsere Jagd auf die Vögel, welche im letzten Strahl der
Sonne auf dem dunklen, hier und da vergoldeten Wasserspiegel wie große weiße Seerosen erschienen.
Jn wenig Minuten hatte ich zwei Pelekane erlegt; Tomboldo jagte auf der anderen Seite und feuerte
ebenfalls lebhaft. Jhn erwartend, verweilte ich bis nach Sonnenuntergang auf meinem Stande, als
er jedoch nicht erschien, trat ich mit meinem nubischen Begleiter und Beuteträger den Rückweg an. Unser
Pfad führte durch ein Baumwollenfeld, welches bereits wieder vom Urwalde in Besitz genommen,
gänzlich verwildert und arg von Dornenranken und anderen Stachelgewächsen durchzogen war. Froh
unserer Beute und der schönen lauen Nacht nach dem heißen Tage, zogen wir unseres Wegs dahin.

"Effendi, schau, was ist das?" fragte der Rubier. Er deutete dabei auf drei dunkle, hügelartige
Gegenstände, welche ich, soviel ich mich erinnerte, bei Tage nicht gesehen hatte; ich blieb stehen und
blickte scharf nach ihnen hin: da bekam plötzlich der eine der Hügel Bewegung und Leben, -- das
nicht zu verkennende Wuthgebrüll des Nilpferdes tönte uns grauenvoll nahe in die Ohren und be-
lehrte uns vollständig über den Jrrthum, seinen Urheber für einen Erdhaufen gehalten zu haben --
denn in Sätzen stürzte sich derselbe auf uns zu. Weg warf der Nubier Büchse und Beute; -- "hauen
aleihn ja rabbi!" -- "Hilf uns, o Herr des Himmels", rief er schaudernd, "flieh, Effendi, bei der
Gnade des Allmächtigen -- sonst sind wir verloren!" Und verschwunden war die dunkle Gestalt im
Gebüsch; ich aber wurde mir bewußt, daß ich in meiner lichten Jagdkleidung nothwendigerweise die
Augen des Ungethüms auf mich lenken mußte -- und, waffenlos wie ich war -- denn meine Waffen
waren eben keine Waffen gegen den hautgepanzerten Riesen! -- stürzte ich mich blindlings in das
dornige Gestrüpp. Hinter mir her brüllte, tobte und stampfte das wüste Vieh, vor mir und rechts
und links verflochten sich Dornen und Ranken zu einem fast undurchdringlichen Gewirr; die Stacheln
der Nilmimose oder Rharrat verwundeten mich an allen Theilen des Körpers, die gebogenen Dornen
des Nabakh rissen mir Fetzen auf Fetzen von meiner Kleidung herab -- und weiter floh ich keuchend,
schweißtriefend, blutend, -- immer geradeaus, ohne Ziel, ohne Richtung gejagt von Verderben und
Tod in Gestalt des Scheusals hinter mir. Es gab keine Hindernisse für mich. Wie sehr auch die
Dornen mich verwundeten und die Wunden schmerzten, ich achtete ihrer nicht, sondern hetzte verzweif-
lungsvoll weiter, weiter, weiter! Jch weiß es nicht, wie lange die wilde Jagd gedauert haben mag;
jedenfalls währte sie nicht lange; -- denn sonst hätte das rasende Ungeheuer mich doch wohl einge-
holt; -- gleichwohl dünkte mich die dabei verlaufene Zeit eine Ewigkeit zu sein. Vor mir dunkle
Nacht, hinter mir mein entsetzlicher Feind, -- ich wußte nicht mehr, wo ich mich befand. Da, Himmel!
ich stürzte und stürzte tief. Aber ich fiel weich; ich lag im Strome. Als ich wieder an die Oberfläche
des Wassers kam, sah ich oben auf der Höhe des Uferrandes, von welchem ich herabgestürzt war, das
Nilpferd stehen. Auf der anderen Seite aber schimmerte mir das Feuer unserer Barke freundlich ent-
gegen. Jch durchschwamm eine schmale Bucht und war gerettet, obwohl ich noch Tage lang die Folgen
dieser Flucht verspürte. Von meinem Anzuge hatte ich bloß noch Lumpen mit zu Schiffe gebracht. --
Tomboldo war auf seinem Heimwege in dieselbe Lebensgefahr gekommen; er wurde ebenfalls von dem

Die Vielhufer oder Dickhäuter. — Das Nil- oder Flußpferd.
zu. Freilich ließ unſere Nachſucht fortan die hier und da erſcheinenden Köpfe als Scheiben anſehen,
nach denen wir, ſo oft es anging, eine Kugel entſendeten. Jch wußte aus Erfahrung, daß meine
ſchwache Büchſenkugel ſelbſt bei einer Entfernung von noch nicht vierzig Schritten kaum die Haut des
Kopfes durchbohren konnte, wollte mir aber gleichwohl das Vergnügen nicht entſagen, dem „Abgeſandten
der Hölle‟ unſeren Aerger fühlen zu laſſen.

Auf unſerer Reiſe kamen wir, wenige Tage nach dieſem Vorfalle, wieder zu demſelben See und
trieben während der Jagd das Zielſchießen nach den Nilpferdköpfen wie vorher. Jn das Waſſer durften
wir uns allerdings nicht mehr wagen; dafür aber ſchienen die Nilpferde auch das Land zu achten, und
ſo herrſchte jeder Gegner in ſeinem eigenen Kreiſe, wir auf dem Lande, die Nilpferde im Waſſer. Nach
einer ſehr ergiebigen Jagd kehrten wir nachmittags auf das Bot zurück, mit der Abſicht, die Jagd am
anderen Morgen fortzuſetzen. Da wurden wir gegen Sonnenuntergang benachrichtigt, daß ſoeben
eine zahlreiche Herde von Pelekanen im See angekommen ſei, um dort zu übernachten. Wir gingen
deshalb nochmals zum See und begannen unſere Jagd auf die Vögel, welche im letzten Strahl der
Sonne auf dem dunklen, hier und da vergoldeten Waſſerſpiegel wie große weiße Seeroſen erſchienen.
Jn wenig Minuten hatte ich zwei Pelekane erlegt; Tomboldo jagte auf der anderen Seite und feuerte
ebenfalls lebhaft. Jhn erwartend, verweilte ich bis nach Sonnenuntergang auf meinem Stande, als
er jedoch nicht erſchien, trat ich mit meinem nubiſchen Begleiter und Beuteträger den Rückweg an. Unſer
Pfad führte durch ein Baumwollenfeld, welches bereits wieder vom Urwalde in Beſitz genommen,
gänzlich verwildert und arg von Dornenranken und anderen Stachelgewächſen durchzogen war. Froh
unſerer Beute und der ſchönen lauen Nacht nach dem heißen Tage, zogen wir unſeres Wegs dahin.

„Effendi, ſchau, was iſt das?‟ fragte der Rubier. Er deutete dabei auf drei dunkle, hügelartige
Gegenſtände, welche ich, ſoviel ich mich erinnerte, bei Tage nicht geſehen hatte; ich blieb ſtehen und
blickte ſcharf nach ihnen hin: da bekam plötzlich der eine der Hügel Bewegung und Leben, — das
nicht zu verkennende Wuthgebrüll des Nilpferdes tönte uns grauenvoll nahe in die Ohren und be-
lehrte uns vollſtändig über den Jrrthum, ſeinen Urheber für einen Erdhaufen gehalten zu haben —
denn in Sätzen ſtürzte ſich derſelbe auf uns zu. Weg warf der Nubier Büchſe und Beute; — „hauen
âleihn ja rabbi!‟ — „Hilf uns, o Herr des Himmels‟, rief er ſchaudernd, „flieh, Effendi, bei der
Gnade des Allmächtigen — ſonſt ſind wir verloren!‟ Und verſchwunden war die dunkle Geſtalt im
Gebüſch; ich aber wurde mir bewußt, daß ich in meiner lichten Jagdkleidung nothwendigerweiſe die
Augen des Ungethüms auf mich lenken mußte — und, waffenlos wie ich war — denn meine Waffen
waren eben keine Waffen gegen den hautgepanzerten Rieſen! — ſtürzte ich mich blindlings in das
dornige Geſtrüpp. Hinter mir her brüllte, tobte und ſtampfte das wüſte Vieh, vor mir und rechts
und links verflochten ſich Dornen und Ranken zu einem faſt undurchdringlichen Gewirr; die Stacheln
der Nilmimoſe oder Rharrat verwundeten mich an allen Theilen des Körpers, die gebogenen Dornen
des Nabakh riſſen mir Fetzen auf Fetzen von meiner Kleidung herab — und weiter floh ich keuchend,
ſchweißtriefend, blutend, — immer geradeaus, ohne Ziel, ohne Richtung gejagt von Verderben und
Tod in Geſtalt des Scheuſals hinter mir. Es gab keine Hinderniſſe für mich. Wie ſehr auch die
Dornen mich verwundeten und die Wunden ſchmerzten, ich achtete ihrer nicht, ſondern hetzte verzweif-
lungsvoll weiter, weiter, weiter! Jch weiß es nicht, wie lange die wilde Jagd gedauert haben mag;
jedenfalls währte ſie nicht lange; — denn ſonſt hätte das raſende Ungeheuer mich doch wohl einge-
holt; — gleichwohl dünkte mich die dabei verlaufene Zeit eine Ewigkeit zu ſein. Vor mir dunkle
Nacht, hinter mir mein entſetzlicher Feind, — ich wußte nicht mehr, wo ich mich befand. Da, Himmel!
ich ſtürzte und ſtürzte tief. Aber ich fiel weich; ich lag im Strome. Als ich wieder an die Oberfläche
des Waſſers kam, ſah ich oben auf der Höhe des Uferrandes, von welchem ich herabgeſtürzt war, das
Nilpferd ſtehen. Auf der anderen Seite aber ſchimmerte mir das Feuer unſerer Barke freundlich ent-
gegen. Jch durchſchwamm eine ſchmale Bucht und war gerettet, obwohl ich noch Tage lang die Folgen
dieſer Flucht verſpürte. Von meinem Anzuge hatte ich bloß noch Lumpen mit zu Schiffe gebracht. —
Tomboldo war auf ſeinem Heimwege in dieſelbe Lebensgefahr gekommen; er wurde ebenfalls von dem

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[774/0820] Die Vielhufer oder Dickhäuter. — Das Nil- oder Flußpferd. zu. Freilich ließ unſere Nachſucht fortan die hier und da erſcheinenden Köpfe als Scheiben anſehen, nach denen wir, ſo oft es anging, eine Kugel entſendeten. Jch wußte aus Erfahrung, daß meine ſchwache Büchſenkugel ſelbſt bei einer Entfernung von noch nicht vierzig Schritten kaum die Haut des Kopfes durchbohren konnte, wollte mir aber gleichwohl das Vergnügen nicht entſagen, dem „Abgeſandten der Hölle‟ unſeren Aerger fühlen zu laſſen. Auf unſerer Reiſe kamen wir, wenige Tage nach dieſem Vorfalle, wieder zu demſelben See und trieben während der Jagd das Zielſchießen nach den Nilpferdköpfen wie vorher. Jn das Waſſer durften wir uns allerdings nicht mehr wagen; dafür aber ſchienen die Nilpferde auch das Land zu achten, und ſo herrſchte jeder Gegner in ſeinem eigenen Kreiſe, wir auf dem Lande, die Nilpferde im Waſſer. Nach einer ſehr ergiebigen Jagd kehrten wir nachmittags auf das Bot zurück, mit der Abſicht, die Jagd am anderen Morgen fortzuſetzen. Da wurden wir gegen Sonnenuntergang benachrichtigt, daß ſoeben eine zahlreiche Herde von Pelekanen im See angekommen ſei, um dort zu übernachten. Wir gingen deshalb nochmals zum See und begannen unſere Jagd auf die Vögel, welche im letzten Strahl der Sonne auf dem dunklen, hier und da vergoldeten Waſſerſpiegel wie große weiße Seeroſen erſchienen. Jn wenig Minuten hatte ich zwei Pelekane erlegt; Tomboldo jagte auf der anderen Seite und feuerte ebenfalls lebhaft. Jhn erwartend, verweilte ich bis nach Sonnenuntergang auf meinem Stande, als er jedoch nicht erſchien, trat ich mit meinem nubiſchen Begleiter und Beuteträger den Rückweg an. Unſer Pfad führte durch ein Baumwollenfeld, welches bereits wieder vom Urwalde in Beſitz genommen, gänzlich verwildert und arg von Dornenranken und anderen Stachelgewächſen durchzogen war. Froh unſerer Beute und der ſchönen lauen Nacht nach dem heißen Tage, zogen wir unſeres Wegs dahin. „Effendi, ſchau, was iſt das?‟ fragte der Rubier. Er deutete dabei auf drei dunkle, hügelartige Gegenſtände, welche ich, ſoviel ich mich erinnerte, bei Tage nicht geſehen hatte; ich blieb ſtehen und blickte ſcharf nach ihnen hin: da bekam plötzlich der eine der Hügel Bewegung und Leben, — das nicht zu verkennende Wuthgebrüll des Nilpferdes tönte uns grauenvoll nahe in die Ohren und be- lehrte uns vollſtändig über den Jrrthum, ſeinen Urheber für einen Erdhaufen gehalten zu haben — denn in Sätzen ſtürzte ſich derſelbe auf uns zu. Weg warf der Nubier Büchſe und Beute; — „hauen âleihn ja rabbi!‟ — „Hilf uns, o Herr des Himmels‟, rief er ſchaudernd, „flieh, Effendi, bei der Gnade des Allmächtigen — ſonſt ſind wir verloren!‟ Und verſchwunden war die dunkle Geſtalt im Gebüſch; ich aber wurde mir bewußt, daß ich in meiner lichten Jagdkleidung nothwendigerweiſe die Augen des Ungethüms auf mich lenken mußte — und, waffenlos wie ich war — denn meine Waffen waren eben keine Waffen gegen den hautgepanzerten Rieſen! — ſtürzte ich mich blindlings in das dornige Geſtrüpp. Hinter mir her brüllte, tobte und ſtampfte das wüſte Vieh, vor mir und rechts und links verflochten ſich Dornen und Ranken zu einem faſt undurchdringlichen Gewirr; die Stacheln der Nilmimoſe oder Rharrat verwundeten mich an allen Theilen des Körpers, die gebogenen Dornen des Nabakh riſſen mir Fetzen auf Fetzen von meiner Kleidung herab — und weiter floh ich keuchend, ſchweißtriefend, blutend, — immer geradeaus, ohne Ziel, ohne Richtung gejagt von Verderben und Tod in Geſtalt des Scheuſals hinter mir. Es gab keine Hinderniſſe für mich. Wie ſehr auch die Dornen mich verwundeten und die Wunden ſchmerzten, ich achtete ihrer nicht, ſondern hetzte verzweif- lungsvoll weiter, weiter, weiter! Jch weiß es nicht, wie lange die wilde Jagd gedauert haben mag; jedenfalls währte ſie nicht lange; — denn ſonſt hätte das raſende Ungeheuer mich doch wohl einge- holt; — gleichwohl dünkte mich die dabei verlaufene Zeit eine Ewigkeit zu ſein. Vor mir dunkle Nacht, hinter mir mein entſetzlicher Feind, — ich wußte nicht mehr, wo ich mich befand. Da, Himmel! ich ſtürzte und ſtürzte tief. Aber ich fiel weich; ich lag im Strome. Als ich wieder an die Oberfläche des Waſſers kam, ſah ich oben auf der Höhe des Uferrandes, von welchem ich herabgeſtürzt war, das Nilpferd ſtehen. Auf der anderen Seite aber ſchimmerte mir das Feuer unſerer Barke freundlich ent- gegen. Jch durchſchwamm eine ſchmale Bucht und war gerettet, obwohl ich noch Tage lang die Folgen dieſer Flucht verſpürte. Von meinem Anzuge hatte ich bloß noch Lumpen mit zu Schiffe gebracht. — Tomboldo war auf ſeinem Heimwege in dieſelbe Lebensgefahr gekommen; er wurde ebenfalls von dem

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 774. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/820>, abgerufen am 13.05.2024.