Jn den pflanzenreichen, seeartigen Stellen des Abiadt verläßt das Nilpferd auch zur Nachtzeit das Strombett nicht oder nur höchst selten. Es frißt dort bei Tage und bei Nacht von den im Strome selbst wachsenden Pflanzen. Wie das Zarte und Erhabene so oft dem Rohen und Ge- meinen unterliegen muß, so auch hier: Der durch die Sinnigkeit längst vergangener Völker geheiligte, als Bild der Gottheit betrachtete Lotos, der herrliche, königliche Bruder unserer stillen, lieblichen Wasserrose, dient zur Hauptnahrung der Nilpferde. Die Pflanzen, deren Gestalt allein schon ein Ge- dicht und deren Blüthen gleich ausgezeichnet sind durch ihre Farbe, wie durch ihren Duft werden von dem wüstesten, rohesten aller Säugethiere des festen Landes -- gefressen. Außerdem nähren sich an solchen Orten die Nilpferde auch noch von anderen Wasserpflanzen, zumal von den rankenden, welche tief unten im schlammigen Grunde wurzeln und halb über, halb unter dem Wasser ihre Blätter entfalten. Schilf und selbst Rohr dienen unter Umständen ebenfalls zur willkommenen Nahrung. Jener Jnsel- flur des Abiad, wo dieser bald zum stillen, klaren See, bald zum faulenden Sumpfe und bald wieder zum Bruche mit paradiesischer Pflanzenpracht und aller Tücke solchen Reichthums wird, sich selbst nur hier und da als langsam dahin schleichender Fluß bekundend, leben Nilpferd und Krokodil zu Hunderten ausschließlich im Strome, ohne sich um die Außenwelt viel zu bekümmern. Hier bieten dem Dickhäuter der uralte Papyrus, der Lotos, der flaumenleichte Ambath, die Neptunwasserlilie und hundert andere, uns zum geringsten Theile bekannte Pflanzen, Nahrung in Hülle und Fülle. Man sieht es an solchen Stellen fortwährend auf- und niedertauchen, um sich Nahrung vom Grunde loszureißen. Und dazu leisten ihm die langen Stoßzähne sehr gute Dienste. Ein der Art fressendes Nilpferd ist ein wahrhaft ekelhafter Anblick. Auf die Entfernung einer Zehntelmeile kann man das Aufreißen des Rachens mit blosen Augen sehen, auf ein Paar Hundert Schritte hin nimmt man deutlich alle Bewegungen am Fressen wahr. Der ungeschlachtete Kopf verschwindet in der Tiefe und wühlt unter den Pflanzen herum. Weithin trübt sich das Wasser von sich auflösendem Schlamme. Dann erscheint das Vieh wieder mit einem großen, dicken Bündel abgerissener Pflanzen, welches für ihn eben ein Maul voll ist, legt das Bündel auf die Oberfläche des Wassers und zerkaut und zermalmt es nun langsam und behaglich. Zu beiden Seiten des Maules häugen die Ranken und Stengel der Gewächse weit heraus; grünlicher Pflanzen- saft läuft mit Speichel untermischt beständig über die wulstigen Lippen herab; einige halb zerkaute Grasballen werden ausgestoßen und von neuem verschlungen. Die blöden Augen glotzen bewegungs- los ins Weite, und die ungeheuren Stoß- und Eckzähne zeigen sich in ihrer ganzen Größe.
Anders ist es in allen Gegenden, wo steile Ufer die Flüsse begrenzen, z. B. am Asrak, dessen rascher Lauf keine Seebildung gestattet. Hier muß das Nilpferd an das Land gehen, um zu weiden. Etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang, dem in den Tropen bekauntlich fast zauberisch schnell die lichte, schöne Nacht folgt, entsteigt es, mit größter Vorsicht lauschend und spähend, dem Strome und klettert an den erwähnten steilen Uferpfaden empor. Jm Urwald sieht man seine Wege überall, wo der Reichthum der Pflanzenwelt gute Beute verspricht. Jn der Nähe bewohnter Ortschaften richten sich die Pfade nach den Fruchtfeldern. Hier fällt es verheerend ein, hier vernichtet es in einer einzigen Nacht oft ein ganzes Feld. Seine Gefräßigkeit ist ungeheuer groß und trotz der Fruchtbarkeit seiner Heimat kann es, wenn es nur einigermaßen zahlreich wird, zur wahren Landplage werden; denn weit mehr noch als es wirklich zur Nahrung bedarf, zerstampft es mit den plumpen Füßen oder knickt es um, wenn es sich, nachdem es satt geworden, nach Schweineart behaglich in einer seichten Vertiefung hin und her wälzt. Und nicht blos durch seine Verheerungen unter den Pflanzen schadet dann das Rilpferd: es wird auch zu einem das Leben des Menschen und der Thiere bedrohenden Geschöpfe; denn mit blinder Wuth stürzt es auf seinen Weidegängen auf alle sich bewegenden Gestalten und ver- nichtet sie, wenn es dieselben erreicht. Zumal an Orten, wo es irgendwie schon mit dem Menschen in Berührung kam, wird es höchst gefährlich. Die vier gewaltigen Eckzähne der Kiefern sind, anderen Thieren gegenüber, furchtbare Wassen. Mit ihnen zermalmt es ein Rind. Wo Nilpferde hausen, werden die Herden sorgfältig bewacht; denn auch die harmlosesten geschöpfe reizen das abscheuliche Thier zu blindwüthendem Zorn. Rüppell berichtet, daß ein Nilpferd vier Zugochsen zermalmte,
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Das Nil- oder Flußpferd.
Jn den pflanzenreichen, ſeeartigen Stellen des Abiadt verläßt das Nilpferd auch zur Nachtzeit das Strombett nicht oder nur höchſt ſelten. Es frißt dort bei Tage und bei Nacht von den im Strome ſelbſt wachſenden Pflanzen. Wie das Zarte und Erhabene ſo oft dem Rohen und Ge- meinen unterliegen muß, ſo auch hier: Der durch die Sinnigkeit längſt vergangener Völker geheiligte, als Bild der Gottheit betrachtete Lotos, der herrliche, königliche Bruder unſerer ſtillen, lieblichen Waſſerroſe, dient zur Hauptnahrung der Nilpferde. Die Pflanzen, deren Geſtalt allein ſchon ein Ge- dicht und deren Blüthen gleich ausgezeichnet ſind durch ihre Farbe, wie durch ihren Duft werden von dem wüſteſten, roheſten aller Säugethiere des feſten Landes — gefreſſen. Außerdem nähren ſich an ſolchen Orten die Nilpferde auch noch von anderen Waſſerpflanzen, zumal von den rankenden, welche tief unten im ſchlammigen Grunde wurzeln und halb über, halb unter dem Waſſer ihre Blätter entfalten. Schilf und ſelbſt Rohr dienen unter Umſtänden ebenfalls zur willkommenen Nahrung. Jener Jnſel- flur des Abiad, wo dieſer bald zum ſtillen, klaren See, bald zum faulenden Sumpfe und bald wieder zum Bruche mit paradieſiſcher Pflanzenpracht und aller Tücke ſolchen Reichthums wird, ſich ſelbſt nur hier und da als langſam dahin ſchleichender Fluß bekundend, leben Nilpferd und Krokodil zu Hunderten ausſchließlich im Strome, ohne ſich um die Außenwelt viel zu bekümmern. Hier bieten dem Dickhäuter der uralte Papyrus, der Lotos, der flaumenleichte Ambath, die Neptunwaſſerlilie und hundert andere, uns zum geringſten Theile bekannte Pflanzen, Nahrung in Hülle und Fülle. Man ſieht es an ſolchen Stellen fortwährend auf- und niedertauchen, um ſich Nahrung vom Grunde loszureißen. Und dazu leiſten ihm die langen Stoßzähne ſehr gute Dienſte. Ein der Art freſſendes Nilpferd iſt ein wahrhaft ekelhafter Anblick. Auf die Entfernung einer Zehntelmeile kann man das Aufreißen des Rachens mit bloſen Augen ſehen, auf ein Paar Hundert Schritte hin nimmt man deutlich alle Bewegungen am Freſſen wahr. Der ungeſchlachtete Kopf verſchwindet in der Tiefe und wühlt unter den Pflanzen herum. Weithin trübt ſich das Waſſer von ſich auflöſendem Schlamme. Dann erſcheint das Vieh wieder mit einem großen, dicken Bündel abgeriſſener Pflanzen, welches für ihn eben ein Maul voll iſt, legt das Bündel auf die Oberfläche des Waſſers und zerkaut und zermalmt es nun langſam und behaglich. Zu beiden Seiten des Maules häugen die Ranken und Stengel der Gewächſe weit heraus; grünlicher Pflanzen- ſaft läuft mit Speichel untermiſcht beſtändig über die wulſtigen Lippen herab; einige halb zerkaute Grasballen werden ausgeſtoßen und von neuem verſchlungen. Die blöden Augen glotzen bewegungs- los ins Weite, und die ungeheuren Stoß- und Eckzähne zeigen ſich in ihrer ganzen Größe.
Anders iſt es in allen Gegenden, wo ſteile Ufer die Flüſſe begrenzen, z. B. am Asrak, deſſen raſcher Lauf keine Seebildung geſtattet. Hier muß das Nilpferd an das Land gehen, um zu weiden. Etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang, dem in den Tropen bekauntlich faſt zauberiſch ſchnell die lichte, ſchöne Nacht folgt, entſteigt es, mit größter Vorſicht lauſchend und ſpähend, dem Strome und klettert an den erwähnten ſteilen Uferpfaden empor. Jm Urwald ſieht man ſeine Wege überall, wo der Reichthum der Pflanzenwelt gute Beute verſpricht. Jn der Nähe bewohnter Ortſchaften richten ſich die Pfade nach den Fruchtfeldern. Hier fällt es verheerend ein, hier vernichtet es in einer einzigen Nacht oft ein ganzes Feld. Seine Gefräßigkeit iſt ungeheuer groß und trotz der Fruchtbarkeit ſeiner Heimat kann es, wenn es nur einigermaßen zahlreich wird, zur wahren Landplage werden; denn weit mehr noch als es wirklich zur Nahrung bedarf, zerſtampft es mit den plumpen Füßen oder knickt es um, wenn es ſich, nachdem es ſatt geworden, nach Schweineart behaglich in einer ſeichten Vertiefung hin und her wälzt. Und nicht blos durch ſeine Verheerungen unter den Pflanzen ſchadet dann das Rilpferd: es wird auch zu einem das Leben des Menſchen und der Thiere bedrohenden Geſchöpfe; denn mit blinder Wuth ſtürzt es auf ſeinen Weidegängen auf alle ſich bewegenden Geſtalten und ver- nichtet ſie, wenn es dieſelben erreicht. Zumal an Orten, wo es irgendwie ſchon mit dem Menſchen in Berührung kam, wird es höchſt gefährlich. Die vier gewaltigen Eckzähne der Kiefern ſind, anderen Thieren gegenüber, furchtbare Waſſen. Mit ihnen zermalmt es ein Rind. Wo Nilpferde hauſen, werden die Herden ſorgfältig bewacht; denn auch die harmloſeſten geſchöpfe reizen das abſcheuliche Thier zu blindwüthendem Zorn. Rüppell berichtet, daß ein Nilpferd vier Zugochſen zermalmte,
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Das Nil- oder Flußpferd.
Jn den pflanzenreichen, ſeeartigen Stellen des Abiadt verläßt das Nilpferd auch zur Nachtzeit
das Strombett nicht oder nur höchſt ſelten. Es frißt dort bei Tage und bei Nacht von den im
Strome ſelbſt wachſenden Pflanzen. Wie das Zarte und Erhabene ſo oft dem Rohen und Ge-
meinen unterliegen muß, ſo auch hier: Der durch die Sinnigkeit längſt vergangener Völker geheiligte,
als Bild der Gottheit betrachtete Lotos, der herrliche, königliche Bruder unſerer ſtillen, lieblichen
Waſſerroſe, dient zur Hauptnahrung der Nilpferde. Die Pflanzen, deren Geſtalt allein ſchon ein Ge-
dicht und deren Blüthen gleich ausgezeichnet ſind durch ihre Farbe, wie durch ihren Duft werden von dem
wüſteſten, roheſten aller Säugethiere des feſten Landes — gefreſſen. Außerdem nähren ſich an ſolchen
Orten die Nilpferde auch noch von anderen Waſſerpflanzen, zumal von den rankenden, welche tief
unten im ſchlammigen Grunde wurzeln und halb über, halb unter dem Waſſer ihre Blätter entfalten.
Schilf und ſelbſt Rohr dienen unter Umſtänden ebenfalls zur willkommenen Nahrung. Jener Jnſel-
flur des Abiad, wo dieſer bald zum ſtillen, klaren See, bald zum faulenden Sumpfe und bald wieder
zum Bruche mit paradieſiſcher Pflanzenpracht und aller Tücke ſolchen Reichthums wird, ſich ſelbſt nur
hier und da als langſam dahin ſchleichender Fluß bekundend, leben Nilpferd und Krokodil zu Hunderten
ausſchließlich im Strome, ohne ſich um die Außenwelt viel zu bekümmern. Hier bieten dem Dickhäuter
der uralte Papyrus, der Lotos, der flaumenleichte Ambath, die Neptunwaſſerlilie und hundert andere,
uns zum geringſten Theile bekannte Pflanzen, Nahrung in Hülle und Fülle. Man ſieht es an ſolchen
Stellen fortwährend auf- und niedertauchen, um ſich Nahrung vom Grunde loszureißen. Und dazu
leiſten ihm die langen Stoßzähne ſehr gute Dienſte. Ein der Art freſſendes Nilpferd iſt ein wahrhaft
ekelhafter Anblick. Auf die Entfernung einer Zehntelmeile kann man das Aufreißen des Rachens
mit bloſen Augen ſehen, auf ein Paar Hundert Schritte hin nimmt man deutlich alle Bewegungen am
Freſſen wahr. Der ungeſchlachtete Kopf verſchwindet in der Tiefe und wühlt unter den Pflanzen herum.
Weithin trübt ſich das Waſſer von ſich auflöſendem Schlamme. Dann erſcheint das Vieh wieder mit
einem großen, dicken Bündel abgeriſſener Pflanzen, welches für ihn eben ein Maul voll iſt, legt das Bündel
auf die Oberfläche des Waſſers und zerkaut und zermalmt es nun langſam und behaglich. Zu beiden
Seiten des Maules häugen die Ranken und Stengel der Gewächſe weit heraus; grünlicher Pflanzen-
ſaft läuft mit Speichel untermiſcht beſtändig über die wulſtigen Lippen herab; einige halb zerkaute
Grasballen werden ausgeſtoßen und von neuem verſchlungen. Die blöden Augen glotzen bewegungs-
los ins Weite, und die ungeheuren Stoß- und Eckzähne zeigen ſich in ihrer ganzen Größe.
Anders iſt es in allen Gegenden, wo ſteile Ufer die Flüſſe begrenzen, z. B. am Asrak, deſſen
raſcher Lauf keine Seebildung geſtattet. Hier muß das Nilpferd an das Land gehen, um zu weiden.
Etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang, dem in den Tropen bekauntlich faſt zauberiſch ſchnell die
lichte, ſchöne Nacht folgt, entſteigt es, mit größter Vorſicht lauſchend und ſpähend, dem Strome und
klettert an den erwähnten ſteilen Uferpfaden empor. Jm Urwald ſieht man ſeine Wege überall, wo
der Reichthum der Pflanzenwelt gute Beute verſpricht. Jn der Nähe bewohnter Ortſchaften richten
ſich die Pfade nach den Fruchtfeldern. Hier fällt es verheerend ein, hier vernichtet es in einer einzigen
Nacht oft ein ganzes Feld. Seine Gefräßigkeit iſt ungeheuer groß und trotz der Fruchtbarkeit ſeiner
Heimat kann es, wenn es nur einigermaßen zahlreich wird, zur wahren Landplage werden; denn weit
mehr noch als es wirklich zur Nahrung bedarf, zerſtampft es mit den plumpen Füßen oder knickt es
um, wenn es ſich, nachdem es ſatt geworden, nach Schweineart behaglich in einer ſeichten Vertiefung
hin und her wälzt. Und nicht blos durch ſeine Verheerungen unter den Pflanzen ſchadet dann das
Rilpferd: es wird auch zu einem das Leben des Menſchen und der Thiere bedrohenden Geſchöpfe;
denn mit blinder Wuth ſtürzt es auf ſeinen Weidegängen auf alle ſich bewegenden Geſtalten und ver-
nichtet ſie, wenn es dieſelben erreicht. Zumal an Orten, wo es irgendwie ſchon mit dem Menſchen in
Berührung kam, wird es höchſt gefährlich. Die vier gewaltigen Eckzähne der Kiefern ſind, anderen
Thieren gegenüber, furchtbare Waſſen. Mit ihnen zermalmt es ein Rind. Wo Nilpferde hauſen,
werden die Herden ſorgfältig bewacht; denn auch die harmloſeſten geſchöpfe reizen das abſcheuliche
Thier zu blindwüthendem Zorn. Rüppell berichtet, daß ein Nilpferd vier Zugochſen zermalmte,
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 771. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/817>, abgerufen am 23.11.2024.
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