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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die spanischen Stiergefechte.
ein solches Schauspiel veranstalten, d. h. das Amt der Stierkämpfer übernehmen und sich also auf die
Stufe dieses rohen Gesindels stellen.

Die Stierhatzen werden auf den Märkten der Städte abgehalten. Alle nach dem Platze führen-
den Straßen sind durch ziemlich feste Holzplanken geschlossen. Eine der Planken dient als Eingang
und hier entrichtet jeder Eintretende eine gewisse Summe. Ein Kaufmann in Jativa de San
Felipe,
hatte uns gelegentlich einer Stierhatze zu sich eingeladen, weil wir von seinem Haus aus
den ganzen Marktplatz übersehen konnten. Es war ein sehr eigenthümliches Schauspiel, welches wir
genossen. Die Hausthüren waren geschlossen, alle Erker aber geöffnet und gedrängt voll Menschen.
Selbstverständlich nahmen auch die Frauen den lebhaftesten Antheil. Jn der Mitte des Marktes
erhob sich ein Gerüst für die Musik, welche um so lauter spielte, je toller der Lärm wurde. Der ganze
Markt war voll von Menschen. Jch konnte mir gar nicht erklären, wo sie hergekommen und wohin
sie sich zurückziehen wollten, wenn der Held des Tages auf dem Platze erscheinen würde. Man sah
wohl einige Gerüste aufgeschlagen; aber diese konnten doch unmöglich die Menschenmenge fassen,
welche jetzt auf dem Markte herumwogte. Und doch war es nicht anders! Einige Schläge an die
Thür des Gehöftes, in welchem sich die Stiere befanden, benachrichtigte die Menschenmenge von dem
baldigen Erscheinen des vierfüßigen Schauspielers. Augenblicklich stob die Masse aus einander. Alle
Gerüste oder vielmehr die Pfahl- und Breterverbindungen waren im Nu bis oben hinauf mit Men-
schen besetzt. Wie Affen hockten die Leute über einander. Unten auf der Erde unter den Gerüsten
lag die liebe Jugend auf dem Bauche. An manchen Häusern waren andere Vorrichtungen getroffen
worden, um geschützte Plätze gegen den herannahenden Ochsen zu erhalten. Man hatte drei bis fünf
starke Stäbe oder Bohlen in Seile eingebunden und an den Erkern befestigt. Die Bohlen waren so
schmal, daß eben nur ein Fuß darauf Platz fand; sie genügten aber, wie ich bald sah, vollständig
zum Ausweichen. Von oben herab hingen so viele Leinen, als möglicherweise Leute auf diesen
Schieferdeckergerüsten Platz finden konnten. Die Leinen waren von Fuß zu Fuß Entfernung in
Knoten geschlungen und dienten zum rascheren und sicheren Erklettern des Gerüstes, sowie zum Sich-
festhalten da oben. Andere Zuschauer hatten auf den Bänken, welche man hier und da in den
Hausthüren sieht, Platz genommen, andere standen in den Thüren, immer bereit, dieselben augen-
blicks zu schließen; wieder andere hatten die Thore mittelst schwerer Tafeln befestigt. An dem Ge-
rüst, auf welchem die Musikbande thronte, hingen noch außerdem über hundert Menschen, und es
brach deshalb auch glücklich später zusammen.

Jetzt öffneten sich die Flügelthüren des Gehöftes. Der Gegenstand der allgemeinen Verehrung und
Unterhaltung, ein zünftiger Ochse, stürmte heraus. Augenblicklich saßen alle Menschen auf ihren
schwebenden Gerüsten. Die ehrbare Versammlung begrüßte den herausgetretenen Stier mit einem
endlosen Gebrüll. Verwundert sah der Ochse sich um. Die bunte Menschenmenge, der ungewohnte
Lärm machten ihn stutzig. Er stampfte mit dem Fuße und schüttelte das Haupt, die gewaltigen
Hörner zu zeigen, bewegte sich aber nicht von der Stelle. Das verdroß die Leute natürlich. Die
Frauen schimpften und schwenkten ihre Tücher, nannten entrüstet den Ochsen ein erbärmliches Weib, eine
elende Kuh; die Männer gebrauchten noch ganz andere Kraftworte und beschlossen endlich, den Faulen in
Trab zu setzen. Zuerst sollten Mißklänge aller Art ihn aus seiner Ruhe schrecken. Man war erfin-
dungsreich im Hervorbringen eines wahrhaft entsetzlichen Lärmes, pfiff auf wenigstens zwanzigfach ver-
schiedene Weise, brüllte, schrie, kreischte, klatschte in die Hände, schlug mit Stöcken auf den Boden, an
die Wände, an die Thüren, zischte, als ob Raketen in Brand gesetzt würden; man schwenkte Tücher,
schwenkte von neuem: -- der Ochse war viel zu sehr verwundert; er stand noch unbeweglich. Jch
fand Dies ganz natürlich. Sein Fassungsvermögen war eben schwach, und wenn es auch sonst bei der-
artigen Geistern gewöhnlich nicht lange dauert, um zu begreifen, daß man auch als Ochse der Held des
Tages sein kann, schien sich unser Stier doch noch nicht so leicht als mancher Mensch an seiner Stelle
in die ihm gewidmeten Ehrenbezeugungen finden zu können. Zudem war die Lage des guten Thieres
wirklich ungemüthlich. Ueberall Menschen, von denen man nicht wissen konnte, ob sie verrückt oder

Die ſpaniſchen Stiergefechte.
ein ſolches Schauſpiel veranſtalten, d. h. das Amt der Stierkämpfer übernehmen und ſich alſo auf die
Stufe dieſes rohen Geſindels ſtellen.

Die Stierhatzen werden auf den Märkten der Städte abgehalten. Alle nach dem Platze führen-
den Straßen ſind durch ziemlich feſte Holzplanken geſchloſſen. Eine der Planken dient als Eingang
und hier entrichtet jeder Eintretende eine gewiſſe Summe. Ein Kaufmann in Jativa de San
Felipe,
hatte uns gelegentlich einer Stierhatze zu ſich eingeladen, weil wir von ſeinem Haus aus
den ganzen Marktplatz überſehen konnten. Es war ein ſehr eigenthümliches Schauſpiel, welches wir
genoſſen. Die Hausthüren waren geſchloſſen, alle Erker aber geöffnet und gedrängt voll Menſchen.
Selbſtverſtändlich nahmen auch die Frauen den lebhafteſten Antheil. Jn der Mitte des Marktes
erhob ſich ein Gerüſt für die Muſik, welche um ſo lauter ſpielte, je toller der Lärm wurde. Der ganze
Markt war voll von Menſchen. Jch konnte mir gar nicht erklären, wo ſie hergekommen und wohin
ſie ſich zurückziehen wollten, wenn der Held des Tages auf dem Platze erſcheinen würde. Man ſah
wohl einige Gerüſte aufgeſchlagen; aber dieſe konnten doch unmöglich die Menſchenmenge faſſen,
welche jetzt auf dem Markte herumwogte. Und doch war es nicht anders! Einige Schläge an die
Thür des Gehöftes, in welchem ſich die Stiere befanden, benachrichtigte die Menſchenmenge von dem
baldigen Erſcheinen des vierfüßigen Schauſpielers. Augenblicklich ſtob die Maſſe aus einander. Alle
Gerüſte oder vielmehr die Pfahl- und Breterverbindungen waren im Nu bis oben hinauf mit Men-
ſchen beſetzt. Wie Affen hockten die Leute über einander. Unten auf der Erde unter den Gerüſten
lag die liebe Jugend auf dem Bauche. An manchen Häuſern waren andere Vorrichtungen getroffen
worden, um geſchützte Plätze gegen den herannahenden Ochſen zu erhalten. Man hatte drei bis fünf
ſtarke Stäbe oder Bohlen in Seile eingebunden und an den Erkern befeſtigt. Die Bohlen waren ſo
ſchmal, daß eben nur ein Fuß darauf Platz fand; ſie genügten aber, wie ich bald ſah, vollſtändig
zum Ausweichen. Von oben herab hingen ſo viele Leinen, als möglicherweiſe Leute auf dieſen
Schieferdeckergerüſten Platz finden konnten. Die Leinen waren von Fuß zu Fuß Entfernung in
Knoten geſchlungen und dienten zum raſcheren und ſicheren Erklettern des Gerüſtes, ſowie zum Sich-
feſthalten da oben. Andere Zuſchauer hatten auf den Bänken, welche man hier und da in den
Hausthüren ſieht, Platz genommen, andere ſtanden in den Thüren, immer bereit, dieſelben augen-
blicks zu ſchließen; wieder andere hatten die Thore mittelſt ſchwerer Tafeln befeſtigt. An dem Ge-
rüſt, auf welchem die Muſikbande thronte, hingen noch außerdem über hundert Menſchen, und es
brach deshalb auch glücklich ſpäter zuſammen.

Jetzt öffneten ſich die Flügelthüren des Gehöftes. Der Gegenſtand der allgemeinen Verehrung und
Unterhaltung, ein zünftiger Ochſe, ſtürmte heraus. Augenblicklich ſaßen alle Menſchen auf ihren
ſchwebenden Gerüſten. Die ehrbare Verſammlung begrüßte den herausgetretenen Stier mit einem
endloſen Gebrüll. Verwundert ſah der Ochſe ſich um. Die bunte Menſchenmenge, der ungewohnte
Lärm machten ihn ſtutzig. Er ſtampfte mit dem Fuße und ſchüttelte das Haupt, die gewaltigen
Hörner zu zeigen, bewegte ſich aber nicht von der Stelle. Das verdroß die Leute natürlich. Die
Frauen ſchimpften und ſchwenkten ihre Tücher, nannten entrüſtet den Ochſen ein erbärmliches Weib, eine
elende Kuh; die Männer gebrauchten noch ganz andere Kraftworte und beſchloſſen endlich, den Faulen in
Trab zu ſetzen. Zuerſt ſollten Mißklänge aller Art ihn aus ſeiner Ruhe ſchrecken. Man war erfin-
dungsreich im Hervorbringen eines wahrhaft entſetzlichen Lärmes, pfiff auf wenigſtens zwanzigfach ver-
ſchiedene Weiſe, brüllte, ſchrie, kreiſchte, klatſchte in die Hände, ſchlug mit Stöcken auf den Boden, an
die Wände, an die Thüren, ziſchte, als ob Raketen in Brand geſetzt würden; man ſchwenkte Tücher,
ſchwenkte von neuem: — der Ochſe war viel zu ſehr verwundert; er ſtand noch unbeweglich. Jch
fand Dies ganz natürlich. Sein Faſſungsvermögen war eben ſchwach, und wenn es auch ſonſt bei der-
artigen Geiſtern gewöhnlich nicht lange dauert, um zu begreifen, daß man auch als Ochſe der Held des
Tages ſein kann, ſchien ſich unſer Stier doch noch nicht ſo leicht als mancher Menſch an ſeiner Stelle
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[677/0711] Die ſpaniſchen Stiergefechte. ein ſolches Schauſpiel veranſtalten, d. h. das Amt der Stierkämpfer übernehmen und ſich alſo auf die Stufe dieſes rohen Geſindels ſtellen. Die Stierhatzen werden auf den Märkten der Städte abgehalten. Alle nach dem Platze führen- den Straßen ſind durch ziemlich feſte Holzplanken geſchloſſen. Eine der Planken dient als Eingang und hier entrichtet jeder Eintretende eine gewiſſe Summe. Ein Kaufmann in Jativa de San Felipe, hatte uns gelegentlich einer Stierhatze zu ſich eingeladen, weil wir von ſeinem Haus aus den ganzen Marktplatz überſehen konnten. Es war ein ſehr eigenthümliches Schauſpiel, welches wir genoſſen. Die Hausthüren waren geſchloſſen, alle Erker aber geöffnet und gedrängt voll Menſchen. Selbſtverſtändlich nahmen auch die Frauen den lebhafteſten Antheil. Jn der Mitte des Marktes erhob ſich ein Gerüſt für die Muſik, welche um ſo lauter ſpielte, je toller der Lärm wurde. Der ganze Markt war voll von Menſchen. Jch konnte mir gar nicht erklären, wo ſie hergekommen und wohin ſie ſich zurückziehen wollten, wenn der Held des Tages auf dem Platze erſcheinen würde. Man ſah wohl einige Gerüſte aufgeſchlagen; aber dieſe konnten doch unmöglich die Menſchenmenge faſſen, welche jetzt auf dem Markte herumwogte. Und doch war es nicht anders! Einige Schläge an die Thür des Gehöftes, in welchem ſich die Stiere befanden, benachrichtigte die Menſchenmenge von dem baldigen Erſcheinen des vierfüßigen Schauſpielers. Augenblicklich ſtob die Maſſe aus einander. Alle Gerüſte oder vielmehr die Pfahl- und Breterverbindungen waren im Nu bis oben hinauf mit Men- ſchen beſetzt. Wie Affen hockten die Leute über einander. Unten auf der Erde unter den Gerüſten lag die liebe Jugend auf dem Bauche. An manchen Häuſern waren andere Vorrichtungen getroffen worden, um geſchützte Plätze gegen den herannahenden Ochſen zu erhalten. Man hatte drei bis fünf ſtarke Stäbe oder Bohlen in Seile eingebunden und an den Erkern befeſtigt. Die Bohlen waren ſo ſchmal, daß eben nur ein Fuß darauf Platz fand; ſie genügten aber, wie ich bald ſah, vollſtändig zum Ausweichen. Von oben herab hingen ſo viele Leinen, als möglicherweiſe Leute auf dieſen Schieferdeckergerüſten Platz finden konnten. Die Leinen waren von Fuß zu Fuß Entfernung in Knoten geſchlungen und dienten zum raſcheren und ſicheren Erklettern des Gerüſtes, ſowie zum Sich- feſthalten da oben. Andere Zuſchauer hatten auf den Bänken, welche man hier und da in den Hausthüren ſieht, Platz genommen, andere ſtanden in den Thüren, immer bereit, dieſelben augen- blicks zu ſchließen; wieder andere hatten die Thore mittelſt ſchwerer Tafeln befeſtigt. An dem Ge- rüſt, auf welchem die Muſikbande thronte, hingen noch außerdem über hundert Menſchen, und es brach deshalb auch glücklich ſpäter zuſammen. Jetzt öffneten ſich die Flügelthüren des Gehöftes. Der Gegenſtand der allgemeinen Verehrung und Unterhaltung, ein zünftiger Ochſe, ſtürmte heraus. Augenblicklich ſaßen alle Menſchen auf ihren ſchwebenden Gerüſten. Die ehrbare Verſammlung begrüßte den herausgetretenen Stier mit einem endloſen Gebrüll. Verwundert ſah der Ochſe ſich um. Die bunte Menſchenmenge, der ungewohnte Lärm machten ihn ſtutzig. Er ſtampfte mit dem Fuße und ſchüttelte das Haupt, die gewaltigen Hörner zu zeigen, bewegte ſich aber nicht von der Stelle. Das verdroß die Leute natürlich. Die Frauen ſchimpften und ſchwenkten ihre Tücher, nannten entrüſtet den Ochſen ein erbärmliches Weib, eine elende Kuh; die Männer gebrauchten noch ganz andere Kraftworte und beſchloſſen endlich, den Faulen in Trab zu ſetzen. Zuerſt ſollten Mißklänge aller Art ihn aus ſeiner Ruhe ſchrecken. Man war erfin- dungsreich im Hervorbringen eines wahrhaft entſetzlichen Lärmes, pfiff auf wenigſtens zwanzigfach ver- ſchiedene Weiſe, brüllte, ſchrie, kreiſchte, klatſchte in die Hände, ſchlug mit Stöcken auf den Boden, an die Wände, an die Thüren, ziſchte, als ob Raketen in Brand geſetzt würden; man ſchwenkte Tücher, ſchwenkte von neuem: — der Ochſe war viel zu ſehr verwundert; er ſtand noch unbeweglich. Jch fand Dies ganz natürlich. Sein Faſſungsvermögen war eben ſchwach, und wenn es auch ſonſt bei der- artigen Geiſtern gewöhnlich nicht lange dauert, um zu begreifen, daß man auch als Ochſe der Held des Tages ſein kann, ſchien ſich unſer Stier doch noch nicht ſo leicht als mancher Menſch an ſeiner Stelle in die ihm gewidmeten Ehrenbezeugungen finden zu können. Zudem war die Lage des guten Thieres wirklich ungemüthlich. Ueberall Menſchen, von denen man nicht wiſſen konnte, ob ſie verrückt oder

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 677. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/711>, abgerufen am 23.11.2024.