schränkte Freiheit. Die Herden im Thüringer Walde erinnern noch lebhaft an jene, welche auf den Alpen weiden. Jn keinem größeren Walde dieses lieblichen Gebirges wird man die Rinder vermissen. Jede Herde besitzt ihr eigenes vollstimmiges Geläut, und gerade in ihm suchen die Hirten ihren größ- ten Stolz. Es gibt gewisse Tonkünstler, die Schellenrichter, welche im Frühjahr von Dorf zu Dorf ziehen, um das Geläut zu stimmen. Jede Herde muß wenigstens acht verschiedene Glocken haben, welche großer, mittler und kleiner Baß, Halbstampf, Auchschell, Beischlag, Lammschlag und Gitzer genannt werden. Man hat beobachtet, daß die Rinder das Geläut ihrer Herde genau kennen und verirrte Kühe sich durch dasselbe zurückfinden. Die Thiere weiden während des ganzen Sommers im Walde; erst im Spätherbst stallt man sie ein.
Jn dem Alpenlande Norwegen lebt das Rindvieh in ähnlichen Verhältnissen, wie in der Schweiz; und in dem südlichen Theile des Landes haben es die Thiere vielleicht noch besser, als die schweizer Kühe. Das norwegische Rind ist abgehärtet, wie alle Hausthiere dort es sind, und treibt sich sehr viel im Freien umher; immer aber kehrt es abends in seinen warmen Stall zurück. Das Leben auf dem Hochgebirge in den Sennerwirthschaften hat sicherlich für Menschen und Thiere diesel- ben Reize, wie das Hirten- und Herdenleben in den eigentlichen Alpen; aber nicht alle Kühe ge- nießen die liebevolle Pflege der schmucken und reinlichen Sennerinnen, welche das Gebirge des Nor- dens in so anmuthiger Weise zu beleben wissen. Jn den Waldgegenden z. B. läßt man die Thiere ohne Aufsicht umherstreifen, und da kommt es oft genug vor, daß ein Stück tagelang verirrt in den Wäldern umherstreift, mühselig durch Sumpf und Mor sich arbeitet und nur im günstigsten Falle wieder zu den Menschen kommt, abgemattet, mager, halbverhungert.
Weiter im Norden ist namentlich der Winter eine gar böse Zeit für das Rindvieh. Der kurze Sommer kann in Norland und in Lappland nicht genug Weide mehr erzeugen, und deshalb ist man auf ein sonderbares Hilfsmittel gekommen. Man füttert nämlich nicht blos Heu und Stroh, Laub und Birkenzweige, Renthiermos und Pferdemist, Meerespflanzen, Algen und dergleichen, son- dern auch Fische und namentlich die Köpfe der Dorsche, welche man gerade zur Zeit des Futter- mangels in großen Mengen fängt. Diese Fischköpfe werden in Kesseln mit Tangen aller Art und Mosen zusammengekocht, und zwar solange, als möglich, damit die Knochen weich oder zur Gallerte werden; dann schüttelt man die breiige Masse den Kühen vor, und diese fressen die ihnen so unna- türliche Nahrung mit Begierde. Die Bewohner der Lofodden haben mir versichert, daß man die Gerüste, auf denen die Dorsche getrocknet werden, vor den Kühen bewahren müsse, weil diese ohne Umstände sich an den halbtrockenen Fischen satt zu fressen pflegen.
Jn den meisten übrigen Ländern Europas ist das Rindvieh ein trauriger Sklave des Menschen; doch dürfte es unnöthig sein, hierauf weiter einzugehen. Dagegen glaube ich nichts Ueberflüssiges zu thun, wenn ich von einer der eigenthümlichsten und rohesten Benutzungen des Rindes, von den spanischen Stierhatzen und Stiergefechten noch Einiges und zwar aus eigener Anschauung mittheile. Alle Spanier, ebensowohl die, welche ihr ursprüngliches Vaterland, als diejenigen, welche die neue Welt bewohnen, sind leidenschaftliche Freunde von Schauspielen, wie sie wohl die alten Römer auf- führten, nicht aber gebildete und gesittete Völker leiden mögen. Jn Spanien kommt der Ochse zur Geltung. Er genießt hier eine Achtung, wie sie nur einem indischen Zehn zu Theil werden mag; er kann sich zum Helden des Tages emporschwingen und unter Umständen weit mehr Theilnahme erre- gen, als alles Uebrige, was den Spanier näher angeht. Dieser hat für die Schönheiten eines Stieres ein ganz besonderes Auge; er prüft und schätzt ihn, wie bei uns ein Kundiger ein edles Pferd oder einen guten Hund. Nicht einmal an einem frommen Zugstiere geht er gleichgiltig vor- über; gegen ein vielversprechendes Kalb zeigt er sich sogar zärtlich.
Die Stierhatzen sind Vergnügungen, welche einen Sonntagsnachmittag in erwünschter Weise ausfüllen und der Menge erlauben, thätig mit einzugreifen; bei den Stiergefechten kämpfen geübte Leute, die Toreros, falls nicht junge vornehme Nichtsthuer als besonderen Beweis ihrer Gesittung
Die eigentlichen Rinder.
ſchränkte Freiheit. Die Herden im Thüringer Walde erinnern noch lebhaft an jene, welche auf den Alpen weiden. Jn keinem größeren Walde dieſes lieblichen Gebirges wird man die Rinder vermiſſen. Jede Herde beſitzt ihr eigenes vollſtimmiges Geläut, und gerade in ihm ſuchen die Hirten ihren größ- ten Stolz. Es gibt gewiſſe Tonkünſtler, die Schellenrichter, welche im Frühjahr von Dorf zu Dorf ziehen, um das Geläut zu ſtimmen. Jede Herde muß wenigſtens acht verſchiedene Glocken haben, welche großer, mittler und kleiner Baß, Halbſtampf, Auchſchell, Beiſchlag, Lammſchlag und Gitzer genannt werden. Man hat beobachtet, daß die Rinder das Geläut ihrer Herde genau kennen und verirrte Kühe ſich durch daſſelbe zurückfinden. Die Thiere weiden während des ganzen Sommers im Walde; erſt im Spätherbſt ſtallt man ſie ein.
Jn dem Alpenlande Norwegen lebt das Rindvieh in ähnlichen Verhältniſſen, wie in der Schweiz; und in dem ſüdlichen Theile des Landes haben es die Thiere vielleicht noch beſſer, als die ſchweizer Kühe. Das norwegiſche Rind iſt abgehärtet, wie alle Hausthiere dort es ſind, und treibt ſich ſehr viel im Freien umher; immer aber kehrt es abends in ſeinen warmen Stall zurück. Das Leben auf dem Hochgebirge in den Sennerwirthſchaften hat ſicherlich für Menſchen und Thiere dieſel- ben Reize, wie das Hirten- und Herdenleben in den eigentlichen Alpen; aber nicht alle Kühe ge- nießen die liebevolle Pflege der ſchmucken und reinlichen Sennerinnen, welche das Gebirge des Nor- dens in ſo anmuthiger Weiſe zu beleben wiſſen. Jn den Waldgegenden z. B. läßt man die Thiere ohne Aufſicht umherſtreifen, und da kommt es oft genug vor, daß ein Stück tagelang verirrt in den Wäldern umherſtreift, mühſelig durch Sumpf und Mor ſich arbeitet und nur im günſtigſten Falle wieder zu den Menſchen kommt, abgemattet, mager, halbverhungert.
Weiter im Norden iſt namentlich der Winter eine gar böſe Zeit für das Rindvieh. Der kurze Sommer kann in Norland und in Lappland nicht genug Weide mehr erzeugen, und deshalb iſt man auf ein ſonderbares Hilfsmittel gekommen. Man füttert nämlich nicht blos Heu und Stroh, Laub und Birkenzweige, Renthiermos und Pferdemiſt, Meerespflanzen, Algen und dergleichen, ſon- dern auch Fiſche und namentlich die Köpfe der Dorſche, welche man gerade zur Zeit des Futter- mangels in großen Mengen fängt. Dieſe Fiſchköpfe werden in Keſſeln mit Tangen aller Art und Moſen zuſammengekocht, und zwar ſolange, als möglich, damit die Knochen weich oder zur Gallerte werden; dann ſchüttelt man die breiige Maſſe den Kühen vor, und dieſe freſſen die ihnen ſo unna- türliche Nahrung mit Begierde. Die Bewohner der Lofodden haben mir verſichert, daß man die Gerüſte, auf denen die Dorſche getrocknet werden, vor den Kühen bewahren müſſe, weil dieſe ohne Umſtände ſich an den halbtrockenen Fiſchen ſatt zu freſſen pflegen.
Jn den meiſten übrigen Ländern Europas iſt das Rindvieh ein trauriger Sklave des Menſchen; doch dürfte es unnöthig ſein, hierauf weiter einzugehen. Dagegen glaube ich nichts Ueberflüſſiges zu thun, wenn ich von einer der eigenthümlichſten und roheſten Benutzungen des Rindes, von den ſpaniſchen Stierhatzen und Stiergefechten noch Einiges und zwar aus eigener Anſchauung mittheile. Alle Spanier, ebenſowohl die, welche ihr urſprüngliches Vaterland, als diejenigen, welche die neue Welt bewohnen, ſind leidenſchaftliche Freunde von Schauſpielen, wie ſie wohl die alten Römer auf- führten, nicht aber gebildete und geſittete Völker leiden mögen. Jn Spanien kommt der Ochſe zur Geltung. Er genießt hier eine Achtung, wie ſie nur einem indiſchen Zehn zu Theil werden mag; er kann ſich zum Helden des Tages emporſchwingen und unter Umſtänden weit mehr Theilnahme erre- gen, als alles Uebrige, was den Spanier näher angeht. Dieſer hat für die Schönheiten eines Stieres ein ganz beſonderes Auge; er prüft und ſchätzt ihn, wie bei uns ein Kundiger ein edles Pferd oder einen guten Hund. Nicht einmal an einem frommen Zugſtiere geht er gleichgiltig vor- über; gegen ein vielverſprechendes Kalb zeigt er ſich ſogar zärtlich.
Die Stierhatzen ſind Vergnügungen, welche einen Sonntagsnachmittag in erwünſchter Weiſe ausfüllen und der Menge erlauben, thätig mit einzugreifen; bei den Stiergefechten kämpfen geübte Leute, die Toreros, falls nicht junge vornehme Nichtsthuer als beſonderen Beweis ihrer Geſittung
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[676/0710]
Die eigentlichen Rinder.
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Alpen weiden. Jn keinem größeren Walde dieſes lieblichen Gebirges wird man die Rinder vermiſſen.
Jede Herde beſitzt ihr eigenes vollſtimmiges Geläut, und gerade in ihm ſuchen die Hirten ihren größ-
ten Stolz. Es gibt gewiſſe Tonkünſtler, die Schellenrichter, welche im Frühjahr von Dorf zu Dorf
ziehen, um das Geläut zu ſtimmen. Jede Herde muß wenigſtens acht verſchiedene Glocken haben,
welche großer, mittler und kleiner Baß, Halbſtampf, Auchſchell, Beiſchlag, Lammſchlag und Gitzer
genannt werden. Man hat beobachtet, daß die Rinder das Geläut ihrer Herde genau kennen und
verirrte Kühe ſich durch daſſelbe zurückfinden. Die Thiere weiden während des ganzen Sommers im
Walde; erſt im Spätherbſt ſtallt man ſie ein.
Jn dem Alpenlande Norwegen lebt das Rindvieh in ähnlichen Verhältniſſen, wie in der
Schweiz; und in dem ſüdlichen Theile des Landes haben es die Thiere vielleicht noch beſſer, als die
ſchweizer Kühe. Das norwegiſche Rind iſt abgehärtet, wie alle Hausthiere dort es ſind, und treibt
ſich ſehr viel im Freien umher; immer aber kehrt es abends in ſeinen warmen Stall zurück. Das
Leben auf dem Hochgebirge in den Sennerwirthſchaften hat ſicherlich für Menſchen und Thiere dieſel-
ben Reize, wie das Hirten- und Herdenleben in den eigentlichen Alpen; aber nicht alle Kühe ge-
nießen die liebevolle Pflege der ſchmucken und reinlichen Sennerinnen, welche das Gebirge des Nor-
dens in ſo anmuthiger Weiſe zu beleben wiſſen. Jn den Waldgegenden z. B. läßt man die Thiere
ohne Aufſicht umherſtreifen, und da kommt es oft genug vor, daß ein Stück tagelang verirrt in den
Wäldern umherſtreift, mühſelig durch Sumpf und Mor ſich arbeitet und nur im günſtigſten Falle
wieder zu den Menſchen kommt, abgemattet, mager, halbverhungert.
Weiter im Norden iſt namentlich der Winter eine gar böſe Zeit für das Rindvieh. Der kurze
Sommer kann in Norland und in Lappland nicht genug Weide mehr erzeugen, und deshalb iſt man
auf ein ſonderbares Hilfsmittel gekommen. Man füttert nämlich nicht blos Heu und Stroh, Laub
und Birkenzweige, Renthiermos und Pferdemiſt, Meerespflanzen, Algen und dergleichen, ſon-
dern auch Fiſche und namentlich die Köpfe der Dorſche, welche man gerade zur Zeit des Futter-
mangels in großen Mengen fängt. Dieſe Fiſchköpfe werden in Keſſeln mit Tangen aller Art und
Moſen zuſammengekocht, und zwar ſolange, als möglich, damit die Knochen weich oder zur Gallerte
werden; dann ſchüttelt man die breiige Maſſe den Kühen vor, und dieſe freſſen die ihnen ſo unna-
türliche Nahrung mit Begierde. Die Bewohner der Lofodden haben mir verſichert, daß man die
Gerüſte, auf denen die Dorſche getrocknet werden, vor den Kühen bewahren müſſe, weil dieſe ohne
Umſtände ſich an den halbtrockenen Fiſchen ſatt zu freſſen pflegen.
Jn den meiſten übrigen Ländern Europas iſt das Rindvieh ein trauriger Sklave des Menſchen;
doch dürfte es unnöthig ſein, hierauf weiter einzugehen. Dagegen glaube ich nichts Ueberflüſſiges
zu thun, wenn ich von einer der eigenthümlichſten und roheſten Benutzungen des Rindes, von den
ſpaniſchen Stierhatzen und Stiergefechten noch Einiges und zwar aus eigener Anſchauung mittheile.
Alle Spanier, ebenſowohl die, welche ihr urſprüngliches Vaterland, als diejenigen, welche die neue
Welt bewohnen, ſind leidenſchaftliche Freunde von Schauſpielen, wie ſie wohl die alten Römer auf-
führten, nicht aber gebildete und geſittete Völker leiden mögen. Jn Spanien kommt der Ochſe zur
Geltung. Er genießt hier eine Achtung, wie ſie nur einem indiſchen Zehn zu Theil werden mag; er
kann ſich zum Helden des Tages emporſchwingen und unter Umſtänden weit mehr Theilnahme erre-
gen, als alles Uebrige, was den Spanier näher angeht. Dieſer hat für die Schönheiten eines
Stieres ein ganz beſonderes Auge; er prüft und ſchätzt ihn, wie bei uns ein Kundiger ein edles
Pferd oder einen guten Hund. Nicht einmal an einem frommen Zugſtiere geht er gleichgiltig vor-
über; gegen ein vielverſprechendes Kalb zeigt er ſich ſogar zärtlich.
Die Stierhatzen ſind Vergnügungen, welche einen Sonntagsnachmittag in erwünſchter Weiſe
ausfüllen und der Menge erlauben, thätig mit einzugreifen; bei den Stiergefechten kämpfen geübte
Leute, die Toreros, falls nicht junge vornehme Nichtsthuer als beſonderen Beweis ihrer Geſittung
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 676. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/710>, abgerufen am 23.11.2024.
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