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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Schafe. Allgemeines.
ihnen die Häuser und Strohhaufen gewährten, krochen sie mit wahnsinniger Wuth zusammen, dräng-
ten, drückten und klebten sich in erstickenden Haufen an einander, als wenn der Sturmteufel noch
hinter ihnen säße. Wir selber dankten Gott und den guten Deutschen für unsere Rettung, denn
kaum eine Viertelstunde hinter dem gastfreundlichen Hause ging es zwanzig Klaftern tief zum Meere
hinab." --

Ganz ähnlich benehmen sich bei uns zu Lande die Schafe während heftiger Gewitter, bei Hoch-
wasser oder bei Feuersbrünsten. Beim Gewitter drängen sie sich dicht zusammen und sind nicht von
der Stelle zu bringen. "Schlägt der Blitz in den Klumpen," sagt Lenz, "so werden gleich viele
getödtet; kommt Feuer im Stalle aus, so laufen die Schafe nicht hinaus oder rennen wohl gar ins
Feuer. Jch habe einmal einen großen abgebrannten Stall voll von gebratenen Schafen gesehen;
man hatte trotz aller Mühe nur wenige mit Gewalt retten können. Vor einigen Jahren erstickte
fast eine ganze Herde, weil zwei Jagdhunde in den Stall sprangen und sie in solche Angst setzten,
daß sie sich fast übermäßig zusammendrängten. Eine andere Herde wurde durch den Hund eines
Vorübergehenden so aus einander gejagt und zerstreut, daß viele im Walde verloren gingen." --
Diese Geschichten genügen, um das Schaf zu kennzeichnen; ähnliche ließen sich noch viele erzählen.

Jn gewissem Grade freilich zeigt auch das Schaf eine geistige Befähigung. Es lernt seinen
Pfleger kennen, folgt seinem Rufe und zeigt sich einigermaßen gehorsam gegen ihn. Es hat einen
gewissen Sinn für Musik und hört aufmerksam dem Gedudel des Hirten zu u. s. w. Eine Eigen-
thümlichkeit von ihm ist, daß es Veränderungen der Witterung vorher merkt.

Das Schaf liebt mehr trockene und hoch gelegene Gegenden, als niedere und feuchte. Nach
Linne's Angabe frißt es von den gewöhnlichen mitteleuropäischen Pflanzen 327 Arten, wäh-
rend es 141 verschmäht. Hahnfuß, Wolfsmilch, Zeitlose, Schachtelhalme, Fett-
kraut, Riedgras
und Binsen sind ihm Gift. Jm Winter erhält es Heu, Stroh, dürres
Laub, und am besten gedeiht es, wenn man ihm verschiedenerlei getrocknete Pflanzen vorlegt. Die
Getreidefütterung macht es zu fett und schadet der Wolle. Das Salz liebt es sehr, und frisches Trink-
wasser ist ihm ein unentbehrliches Bedürfniß.

Jm März regt sich der Fortpflanzungstrieb, von da an währt er den ganzen Sommer hindurch
fort. Die alten Römer ließen ihre Schafe zwischen Mai und Juni zur Paarung; die Landwirthe
in kälteren Gegenden ziehen die Zeit von September bis Oktober vor. Dann werden die Lämmer,
weil das Schaf 150 bis 154 Tage trächtig geht, in der zweiten Hälfte des Februars geworfen und
haben bald gutes und frisches Futter. Gewöhnlich bringt das Schaf nur ein einziges Lamm zur
Welt; zwei Junge sind schon ziemlich, drei sehr selten. Jn warmen Himmelsstrichen lammen kräf-
tige Mutterschafe zwei Mal im Jahre. Anfangs müssen die kleinen Thiere sorgfältig gegen Wit-
terungseinflüsse gehütet werden, später dürfen sie mit auf die Weide gehen. Jm ersten Monat ihres
Lebens brechen die Milchzähne durch, im sechsten Monat stellt sich der erste bleibende Backzahn ein;
im zweiten Lebensjahre fallen die beiden Milchschneidezähne aus und werden durch bleibende ersetzt.
Gegen Ende dieses Jahres erscheint der sechste oder dritte bleibende Backzahn, zugleich fallen
sämmtliche Milchbackzähne nach und nach aus, und die Ersatzzähne treten an ihre Stelle. Erst im
fünften Jahre werden die seitlichen Milchvorderbackzähne gewechselt und damit die Zahnungen be-
endet. Der Landwirth benennt die Schafe nach diesen Vorgängen, als Jungvieh, Zweischaufler,
Zweijährige oder Zweizähnige, Vierschaufler, Dreijährige, Zeitvieh oder Vierzähnige und als
Sechsschaufler oder Sechszähnige und Vierjährige, endlich als Achtschaufler, Abgezähnte oder fünf-
jährige Schafe. Eigentlich müßte man das Thier erst nachdem alle Zahnungen vorüber sind, als
erwachsen erklären; allein das Schaf ist schon mit einem Jahre, der Widder mit dem achtzehnten
Monate paarungs- und zeugungsfähig, und mit zwei Jahren werden sie fast überall zur Paarung
zugelassen. Alle Rassen unter sich pflanzen sich ohne Schwierigkeit fort, und eben deshalb kann
man kein Hausthier leichter veredeln, als eben das Schaf.

Die Schafe. Allgemeines.
ihnen die Häuſer und Strohhaufen gewährten, krochen ſie mit wahnſinniger Wuth zuſammen, dräng-
ten, drückten und klebten ſich in erſtickenden Haufen an einander, als wenn der Sturmteufel noch
hinter ihnen ſäße. Wir ſelber dankten Gott und den guten Deutſchen für unſere Rettung, denn
kaum eine Viertelſtunde hinter dem gaſtfreundlichen Hauſe ging es zwanzig Klaftern tief zum Meere
hinab.‟ —

Ganz ähnlich benehmen ſich bei uns zu Lande die Schafe während heftiger Gewitter, bei Hoch-
waſſer oder bei Feuersbrünſten. Beim Gewitter drängen ſie ſich dicht zuſammen und ſind nicht von
der Stelle zu bringen. „Schlägt der Blitz in den Klumpen,‟ ſagt Lenz, „ſo werden gleich viele
getödtet; kommt Feuer im Stalle aus, ſo laufen die Schafe nicht hinaus oder rennen wohl gar ins
Feuer. Jch habe einmal einen großen abgebrannten Stall voll von gebratenen Schafen geſehen;
man hatte trotz aller Mühe nur wenige mit Gewalt retten können. Vor einigen Jahren erſtickte
faſt eine ganze Herde, weil zwei Jagdhunde in den Stall ſprangen und ſie in ſolche Angſt ſetzten,
daß ſie ſich faſt übermäßig zuſammendrängten. Eine andere Herde wurde durch den Hund eines
Vorübergehenden ſo aus einander gejagt und zerſtreut, daß viele im Walde verloren gingen.‟ —
Dieſe Geſchichten genügen, um das Schaf zu kennzeichnen; ähnliche ließen ſich noch viele erzählen.

Jn gewiſſem Grade freilich zeigt auch das Schaf eine geiſtige Befähigung. Es lernt ſeinen
Pfleger kennen, folgt ſeinem Rufe und zeigt ſich einigermaßen gehorſam gegen ihn. Es hat einen
gewiſſen Sinn für Muſik und hört aufmerkſam dem Gedudel des Hirten zu u. ſ. w. Eine Eigen-
thümlichkeit von ihm iſt, daß es Veränderungen der Witterung vorher merkt.

Das Schaf liebt mehr trockene und hoch gelegene Gegenden, als niedere und feuchte. Nach
Linné’s Angabe frißt es von den gewöhnlichen mitteleuropäiſchen Pflanzen 327 Arten, wäh-
rend es 141 verſchmäht. Hahnfuß, Wolfsmilch, Zeitloſe, Schachtelhalme, Fett-
kraut, Riedgras
und Binſen ſind ihm Gift. Jm Winter erhält es Heu, Stroh, dürres
Laub, und am beſten gedeiht es, wenn man ihm verſchiedenerlei getrocknete Pflanzen vorlegt. Die
Getreidefütterung macht es zu fett und ſchadet der Wolle. Das Salz liebt es ſehr, und friſches Trink-
waſſer iſt ihm ein unentbehrliches Bedürfniß.

Jm März regt ſich der Fortpflanzungstrieb, von da an währt er den ganzen Sommer hindurch
fort. Die alten Römer ließen ihre Schafe zwiſchen Mai und Juni zur Paarung; die Landwirthe
in kälteren Gegenden ziehen die Zeit von September bis Oktober vor. Dann werden die Lämmer,
weil das Schaf 150 bis 154 Tage trächtig geht, in der zweiten Hälfte des Februars geworfen und
haben bald gutes und friſches Futter. Gewöhnlich bringt das Schaf nur ein einziges Lamm zur
Welt; zwei Junge ſind ſchon ziemlich, drei ſehr ſelten. Jn warmen Himmelsſtrichen lammen kräf-
tige Mutterſchafe zwei Mal im Jahre. Anfangs müſſen die kleinen Thiere ſorgfältig gegen Wit-
terungseinflüſſe gehütet werden, ſpäter dürfen ſie mit auf die Weide gehen. Jm erſten Monat ihres
Lebens brechen die Milchzähne durch, im ſechſten Monat ſtellt ſich der erſte bleibende Backzahn ein;
im zweiten Lebensjahre fallen die beiden Milchſchneidezähne aus und werden durch bleibende erſetzt.
Gegen Ende dieſes Jahres erſcheint der ſechſte oder dritte bleibende Backzahn, zugleich fallen
ſämmtliche Milchbackzähne nach und nach aus, und die Erſatzzähne treten an ihre Stelle. Erſt im
fünften Jahre werden die ſeitlichen Milchvorderbackzähne gewechſelt und damit die Zahnungen be-
endet. Der Landwirth benennt die Schafe nach dieſen Vorgängen, als Jungvieh, Zweiſchaufler,
Zweijährige oder Zweizähnige, Vierſchaufler, Dreijährige, Zeitvieh oder Vierzähnige und als
Sechsſchaufler oder Sechszähnige und Vierjährige, endlich als Achtſchaufler, Abgezähnte oder fünf-
jährige Schafe. Eigentlich müßte man das Thier erſt nachdem alle Zahnungen vorüber ſind, als
erwachſen erklären; allein das Schaf iſt ſchon mit einem Jahre, der Widder mit dem achtzehnten
Monate paarungs- und zeugungsfähig, und mit zwei Jahren werden ſie faſt überall zur Paarung
zugelaſſen. Alle Raſſen unter ſich pflanzen ſich ohne Schwierigkeit fort, und eben deshalb kann
man kein Hausthier leichter veredeln, als eben das Schaf.

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[614/0646] Die Schafe. Allgemeines. ihnen die Häuſer und Strohhaufen gewährten, krochen ſie mit wahnſinniger Wuth zuſammen, dräng- ten, drückten und klebten ſich in erſtickenden Haufen an einander, als wenn der Sturmteufel noch hinter ihnen ſäße. Wir ſelber dankten Gott und den guten Deutſchen für unſere Rettung, denn kaum eine Viertelſtunde hinter dem gaſtfreundlichen Hauſe ging es zwanzig Klaftern tief zum Meere hinab.‟ — Ganz ähnlich benehmen ſich bei uns zu Lande die Schafe während heftiger Gewitter, bei Hoch- waſſer oder bei Feuersbrünſten. Beim Gewitter drängen ſie ſich dicht zuſammen und ſind nicht von der Stelle zu bringen. „Schlägt der Blitz in den Klumpen,‟ ſagt Lenz, „ſo werden gleich viele getödtet; kommt Feuer im Stalle aus, ſo laufen die Schafe nicht hinaus oder rennen wohl gar ins Feuer. Jch habe einmal einen großen abgebrannten Stall voll von gebratenen Schafen geſehen; man hatte trotz aller Mühe nur wenige mit Gewalt retten können. Vor einigen Jahren erſtickte faſt eine ganze Herde, weil zwei Jagdhunde in den Stall ſprangen und ſie in ſolche Angſt ſetzten, daß ſie ſich faſt übermäßig zuſammendrängten. Eine andere Herde wurde durch den Hund eines Vorübergehenden ſo aus einander gejagt und zerſtreut, daß viele im Walde verloren gingen.‟ — Dieſe Geſchichten genügen, um das Schaf zu kennzeichnen; ähnliche ließen ſich noch viele erzählen. Jn gewiſſem Grade freilich zeigt auch das Schaf eine geiſtige Befähigung. Es lernt ſeinen Pfleger kennen, folgt ſeinem Rufe und zeigt ſich einigermaßen gehorſam gegen ihn. Es hat einen gewiſſen Sinn für Muſik und hört aufmerkſam dem Gedudel des Hirten zu u. ſ. w. Eine Eigen- thümlichkeit von ihm iſt, daß es Veränderungen der Witterung vorher merkt. Das Schaf liebt mehr trockene und hoch gelegene Gegenden, als niedere und feuchte. Nach Linné’s Angabe frißt es von den gewöhnlichen mitteleuropäiſchen Pflanzen 327 Arten, wäh- rend es 141 verſchmäht. Hahnfuß, Wolfsmilch, Zeitloſe, Schachtelhalme, Fett- kraut, Riedgras und Binſen ſind ihm Gift. Jm Winter erhält es Heu, Stroh, dürres Laub, und am beſten gedeiht es, wenn man ihm verſchiedenerlei getrocknete Pflanzen vorlegt. Die Getreidefütterung macht es zu fett und ſchadet der Wolle. Das Salz liebt es ſehr, und friſches Trink- waſſer iſt ihm ein unentbehrliches Bedürfniß. Jm März regt ſich der Fortpflanzungstrieb, von da an währt er den ganzen Sommer hindurch fort. Die alten Römer ließen ihre Schafe zwiſchen Mai und Juni zur Paarung; die Landwirthe in kälteren Gegenden ziehen die Zeit von September bis Oktober vor. Dann werden die Lämmer, weil das Schaf 150 bis 154 Tage trächtig geht, in der zweiten Hälfte des Februars geworfen und haben bald gutes und friſches Futter. Gewöhnlich bringt das Schaf nur ein einziges Lamm zur Welt; zwei Junge ſind ſchon ziemlich, drei ſehr ſelten. Jn warmen Himmelsſtrichen lammen kräf- tige Mutterſchafe zwei Mal im Jahre. Anfangs müſſen die kleinen Thiere ſorgfältig gegen Wit- terungseinflüſſe gehütet werden, ſpäter dürfen ſie mit auf die Weide gehen. Jm erſten Monat ihres Lebens brechen die Milchzähne durch, im ſechſten Monat ſtellt ſich der erſte bleibende Backzahn ein; im zweiten Lebensjahre fallen die beiden Milchſchneidezähne aus und werden durch bleibende erſetzt. Gegen Ende dieſes Jahres erſcheint der ſechſte oder dritte bleibende Backzahn, zugleich fallen ſämmtliche Milchbackzähne nach und nach aus, und die Erſatzzähne treten an ihre Stelle. Erſt im fünften Jahre werden die ſeitlichen Milchvorderbackzähne gewechſelt und damit die Zahnungen be- endet. Der Landwirth benennt die Schafe nach dieſen Vorgängen, als Jungvieh, Zweiſchaufler, Zweijährige oder Zweizähnige, Vierſchaufler, Dreijährige, Zeitvieh oder Vierzähnige und als Sechsſchaufler oder Sechszähnige und Vierjährige, endlich als Achtſchaufler, Abgezähnte oder fünf- jährige Schafe. Eigentlich müßte man das Thier erſt nachdem alle Zahnungen vorüber ſind, als erwachſen erklären; allein das Schaf iſt ſchon mit einem Jahre, der Widder mit dem achtzehnten Monate paarungs- und zeugungsfähig, und mit zwei Jahren werden ſie faſt überall zur Paarung zugelaſſen. Alle Raſſen unter ſich pflanzen ſich ohne Schwierigkeit fort, und eben deshalb kann man kein Hausthier leichter veredeln, als eben das Schaf.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 614. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/646>, abgerufen am 23.11.2024.