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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Antilopen. -- Die Gazelle.
und her; sowie es aber Verfolgungen erfährt, vertauscht es augenblicklich seinen Stand. Auch der
Wind schon ist hinreichend, um die Gazelle zu solchem Wechsel zu bewegen. Sie steht stets unter dem
Wind, am liebsten so, daß sie von dem Berghang aus die vor ihr liegende Ebene überschauen und
durch den Wind von einer Gefahr im Rücken Kunde erhalten kann. Bei Gefahr flüchtet sie zunächst
auf die Höhe des Hügels oder Berges, stellt sich auf dem Kamm auf und prüft nun sorgfältig die
Gegend, um den geeignetsten Ort zu erspähen.

Es läßt sich nicht verkennen, daß die Gazelle ein in jeder Hinsicht hochbegabtes Thier ist. Sie
ist so bewegungsfähig, wie irgend eine andere Antilope, dabei lebhaft, behend und überaus anmu-
thig. Jhr Lauf ist außerordentlich leicht; sie scheint kaum den Boden zu berühren. Ein flüchtiges
Rudel gewährt einen wahrhaft prachtvollen Anblick: selbst wenn die Gefahr ihm nahe kommt, scheint
es noch mit ihrer herrlichen Befähigung zu spielen. Oft springt mit zierlichen Sätzen von vier bis
sechs Fuß Höhe eine Gazelle, gleichsam aus reinem Uebermuth, über die andere hinweg, und ebenso
oft sieht man sie über Steine und Büsche setzen, welche ihr gerade im Wege liegen, aber sehr leicht
umgangen werden könnten. Alle Sinne sind vortrefflich ausgebildet. Die Gazelle wittert aus-
gezeichnet; sie äugt scharf und vernimmt weit. Dabei ist sie klug, schlau und selbst listig; sie be-
sitzt ein vortreffliches Gedächtniß und wird, wenn sie Erfahrung gemacht hat, immer verständiger.
Jhr Betragen hat sehr viel Liebenswürdiges. Sie ist ein harmloses und etwas furchtsames Geschöpf,
keineswegs aber so muthlos, als man gewöhnlich glaubt. Unter dem Rudel gibt es Streit und
Kampf genug, wenn auch blos unter den gleichgeschlechtigen Gliedern desselben, zumal unter Böcken,
welche gerne zu Ehren der Schönheit einen Kampf ausfechten; während sie dagegen die Ricken immer
mit großer Liebenswürdigkeit, ja mit Zärtlichkeit behandeln und Gleiches von diesen empfangen.
Mit allen übrigen Thieren lebt die Gazelle in Frieden; deshalb sieht man sie auch gar nicht selten in
Gesellschaft mit anderen ihr nahestehenden Antilopen.

Man kann nicht eben sagen, daß die Gazelle scheu wäre; aber sie ist vorsichtig und meidet jeden
ihr auffallenden Gegenstand oder jedes ihr gefährlich scheinende Thier mit großer Sorgfalt. Jn
Kordofahn ritt ich einmal durch eine von der gewöhnlichen Straße abgelegene Gegend, welche nur
wenig bevölkert ist und ausgedehnte Graswälder besitzt. Hier sah ich während des einen Tages wohl
zwanzig verschiedene und zwar ausnahmslos sehr starke Rudel der Gazelle. Wahrscheinlich hatten diese
Thiere das Feuergewehr noch nicht kennen gelernt. Sie ließen mich etwa bis auf vierzig Schritt
herankommen, ungefähr soweit, als ein Sudahnese seine Lanze zu schleudern vermag. Dann zogen
sie vertraut weiter, ohne mich groß zu beachten. Jm Anfange fesselten mich die schönen Thiere so,
daß ich nicht daran dachte, auf sie zu feuern. Aber der Jäger in mir beseitigte bald jedes Bedenken.
Jch feuerte auf den ersten besten Bock, welcher sich mir zur Zielscheibe bot, und schoß ihn zusammen.
Die anderen flüchteten, blieben aber schon nach hundert Schritten Entfernung stehen und trollten
gemächlich weiter. Jch konnte mich von neuem bis auf achtzig Schritte nähern und erlegte den zwei-
ten Bock, und schließlich schoß ich noch einen dritten aus demselben Rudel, bevor es eigentlich
flüchtig wurde.

Die Verschiedenheit der klimatischen Verhältnisse Nordostafrikas bedingt auch eine sehr verschie-
dene Brunstzeit der Gazellen. Jm Norden fällt sie etwa in die Monate August bis Oktober; in den
Gleicherländern beginnt sie erst Ende Oktobers und währt dann bis Ende Dezembers. Die Böcke for-
dern einander mit lautem blöckenden Schrei zum Kampfe auf und streiten sich so heftig, daß sie sich
gegenseitig die Hörner abstoßen: -- ich habe viele Böcke geschossen, bei denen die eine Stange an der
Wurzel abgebrochen worden war. Von dem Thiere vernimmt man nur ein sanftes, helles Mahnen.
Der stärkste Bock wird natürlich von ihm bevorzugt; er duldet schon keinen Nebenbuhler. Traulich
zieht das Thier mit ihm hin und her, und gern nimmt es verschiedene Liebkosungen von Seiten des
Herrn Gemahls entgegen. Der Bock folgt seiner Schönen auf Schritt und Tritt nach, beriecht sie
von allen Seiten, reibt den Kopf zart an ihrem Halse, beleckt ihr das Gesicht und sucht ihr über-
haupt seine Liebe auf alle Weise zu erkennen zu geben. Beim Beschlage hebt er sich plötzlich auf die

Die Antilopen. — Die Gazelle.
und her; ſowie es aber Verfolgungen erfährt, vertauſcht es augenblicklich ſeinen Stand. Auch der
Wind ſchon iſt hinreichend, um die Gazelle zu ſolchem Wechſel zu bewegen. Sie ſteht ſtets unter dem
Wind, am liebſten ſo, daß ſie von dem Berghang aus die vor ihr liegende Ebene überſchauen und
durch den Wind von einer Gefahr im Rücken Kunde erhalten kann. Bei Gefahr flüchtet ſie zunächſt
auf die Höhe des Hügels oder Berges, ſtellt ſich auf dem Kamm auf und prüft nun ſorgfältig die
Gegend, um den geeignetſten Ort zu erſpähen.

Es läßt ſich nicht verkennen, daß die Gazelle ein in jeder Hinſicht hochbegabtes Thier iſt. Sie
iſt ſo bewegungsfähig, wie irgend eine andere Antilope, dabei lebhaft, behend und überaus anmu-
thig. Jhr Lauf iſt außerordentlich leicht; ſie ſcheint kaum den Boden zu berühren. Ein flüchtiges
Rudel gewährt einen wahrhaft prachtvollen Anblick: ſelbſt wenn die Gefahr ihm nahe kommt, ſcheint
es noch mit ihrer herrlichen Befähigung zu ſpielen. Oft ſpringt mit zierlichen Sätzen von vier bis
ſechs Fuß Höhe eine Gazelle, gleichſam aus reinem Uebermuth, über die andere hinweg, und ebenſo
oft ſieht man ſie über Steine und Büſche ſetzen, welche ihr gerade im Wege liegen, aber ſehr leicht
umgangen werden könnten. Alle Sinne ſind vortrefflich ausgebildet. Die Gazelle wittert aus-
gezeichnet; ſie äugt ſcharf und vernimmt weit. Dabei iſt ſie klug, ſchlau und ſelbſt liſtig; ſie be-
ſitzt ein vortreffliches Gedächtniß und wird, wenn ſie Erfahrung gemacht hat, immer verſtändiger.
Jhr Betragen hat ſehr viel Liebenswürdiges. Sie iſt ein harmloſes und etwas furchtſames Geſchöpf,
keineswegs aber ſo muthlos, als man gewöhnlich glaubt. Unter dem Rudel gibt es Streit und
Kampf genug, wenn auch blos unter den gleichgeſchlechtigen Gliedern deſſelben, zumal unter Böcken,
welche gerne zu Ehren der Schönheit einen Kampf ausfechten; während ſie dagegen die Ricken immer
mit großer Liebenswürdigkeit, ja mit Zärtlichkeit behandeln und Gleiches von dieſen empfangen.
Mit allen übrigen Thieren lebt die Gazelle in Frieden; deshalb ſieht man ſie auch gar nicht ſelten in
Geſellſchaft mit anderen ihr naheſtehenden Antilopen.

Man kann nicht eben ſagen, daß die Gazelle ſcheu wäre; aber ſie iſt vorſichtig und meidet jeden
ihr auffallenden Gegenſtand oder jedes ihr gefährlich ſcheinende Thier mit großer Sorgfalt. Jn
Kordofahn ritt ich einmal durch eine von der gewöhnlichen Straße abgelegene Gegend, welche nur
wenig bevölkert iſt und ausgedehnte Graswälder beſitzt. Hier ſah ich während des einen Tages wohl
zwanzig verſchiedene und zwar ausnahmslos ſehr ſtarke Rudel der Gazelle. Wahrſcheinlich hatten dieſe
Thiere das Feuergewehr noch nicht kennen gelernt. Sie ließen mich etwa bis auf vierzig Schritt
herankommen, ungefähr ſoweit, als ein Sudahneſe ſeine Lanze zu ſchleudern vermag. Dann zogen
ſie vertraut weiter, ohne mich groß zu beachten. Jm Anfange feſſelten mich die ſchönen Thiere ſo,
daß ich nicht daran dachte, auf ſie zu feuern. Aber der Jäger in mir beſeitigte bald jedes Bedenken.
Jch feuerte auf den erſten beſten Bock, welcher ſich mir zur Zielſcheibe bot, und ſchoß ihn zuſammen.
Die anderen flüchteten, blieben aber ſchon nach hundert Schritten Entfernung ſtehen und trollten
gemächlich weiter. Jch konnte mich von neuem bis auf achtzig Schritte nähern und erlegte den zwei-
ten Bock, und ſchließlich ſchoß ich noch einen dritten aus demſelben Rudel, bevor es eigentlich
flüchtig wurde.

Die Verſchiedenheit der klimatiſchen Verhältniſſe Nordoſtafrikas bedingt auch eine ſehr verſchie-
dene Brunſtzeit der Gazellen. Jm Norden fällt ſie etwa in die Monate Auguſt bis Oktober; in den
Gleicherländern beginnt ſie erſt Ende Oktobers und währt dann bis Ende Dezembers. Die Böcke for-
dern einander mit lautem blöckenden Schrei zum Kampfe auf und ſtreiten ſich ſo heftig, daß ſie ſich
gegenſeitig die Hörner abſtoßen: — ich habe viele Böcke geſchoſſen, bei denen die eine Stange an der
Wurzel abgebrochen worden war. Von dem Thiere vernimmt man nur ein ſanftes, helles Mahnen.
Der ſtärkſte Bock wird natürlich von ihm bevorzugt; er duldet ſchon keinen Nebenbuhler. Traulich
zieht das Thier mit ihm hin und her, und gern nimmt es verſchiedene Liebkoſungen von Seiten des
Herrn Gemahls entgegen. Der Bock folgt ſeiner Schönen auf Schritt und Tritt nach, beriecht ſie
von allen Seiten, reibt den Kopf zart an ihrem Halſe, beleckt ihr das Geſicht und ſucht ihr über-
haupt ſeine Liebe auf alle Weiſe zu erkennen zu geben. Beim Beſchlage hebt er ſich plötzlich auf die

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[504/0534] Die Antilopen. — Die Gazelle. und her; ſowie es aber Verfolgungen erfährt, vertauſcht es augenblicklich ſeinen Stand. Auch der Wind ſchon iſt hinreichend, um die Gazelle zu ſolchem Wechſel zu bewegen. Sie ſteht ſtets unter dem Wind, am liebſten ſo, daß ſie von dem Berghang aus die vor ihr liegende Ebene überſchauen und durch den Wind von einer Gefahr im Rücken Kunde erhalten kann. Bei Gefahr flüchtet ſie zunächſt auf die Höhe des Hügels oder Berges, ſtellt ſich auf dem Kamm auf und prüft nun ſorgfältig die Gegend, um den geeignetſten Ort zu erſpähen. Es läßt ſich nicht verkennen, daß die Gazelle ein in jeder Hinſicht hochbegabtes Thier iſt. Sie iſt ſo bewegungsfähig, wie irgend eine andere Antilope, dabei lebhaft, behend und überaus anmu- thig. Jhr Lauf iſt außerordentlich leicht; ſie ſcheint kaum den Boden zu berühren. Ein flüchtiges Rudel gewährt einen wahrhaft prachtvollen Anblick: ſelbſt wenn die Gefahr ihm nahe kommt, ſcheint es noch mit ihrer herrlichen Befähigung zu ſpielen. Oft ſpringt mit zierlichen Sätzen von vier bis ſechs Fuß Höhe eine Gazelle, gleichſam aus reinem Uebermuth, über die andere hinweg, und ebenſo oft ſieht man ſie über Steine und Büſche ſetzen, welche ihr gerade im Wege liegen, aber ſehr leicht umgangen werden könnten. Alle Sinne ſind vortrefflich ausgebildet. Die Gazelle wittert aus- gezeichnet; ſie äugt ſcharf und vernimmt weit. Dabei iſt ſie klug, ſchlau und ſelbſt liſtig; ſie be- ſitzt ein vortreffliches Gedächtniß und wird, wenn ſie Erfahrung gemacht hat, immer verſtändiger. Jhr Betragen hat ſehr viel Liebenswürdiges. Sie iſt ein harmloſes und etwas furchtſames Geſchöpf, keineswegs aber ſo muthlos, als man gewöhnlich glaubt. Unter dem Rudel gibt es Streit und Kampf genug, wenn auch blos unter den gleichgeſchlechtigen Gliedern deſſelben, zumal unter Böcken, welche gerne zu Ehren der Schönheit einen Kampf ausfechten; während ſie dagegen die Ricken immer mit großer Liebenswürdigkeit, ja mit Zärtlichkeit behandeln und Gleiches von dieſen empfangen. Mit allen übrigen Thieren lebt die Gazelle in Frieden; deshalb ſieht man ſie auch gar nicht ſelten in Geſellſchaft mit anderen ihr naheſtehenden Antilopen. Man kann nicht eben ſagen, daß die Gazelle ſcheu wäre; aber ſie iſt vorſichtig und meidet jeden ihr auffallenden Gegenſtand oder jedes ihr gefährlich ſcheinende Thier mit großer Sorgfalt. Jn Kordofahn ritt ich einmal durch eine von der gewöhnlichen Straße abgelegene Gegend, welche nur wenig bevölkert iſt und ausgedehnte Graswälder beſitzt. Hier ſah ich während des einen Tages wohl zwanzig verſchiedene und zwar ausnahmslos ſehr ſtarke Rudel der Gazelle. Wahrſcheinlich hatten dieſe Thiere das Feuergewehr noch nicht kennen gelernt. Sie ließen mich etwa bis auf vierzig Schritt herankommen, ungefähr ſoweit, als ein Sudahneſe ſeine Lanze zu ſchleudern vermag. Dann zogen ſie vertraut weiter, ohne mich groß zu beachten. Jm Anfange feſſelten mich die ſchönen Thiere ſo, daß ich nicht daran dachte, auf ſie zu feuern. Aber der Jäger in mir beſeitigte bald jedes Bedenken. Jch feuerte auf den erſten beſten Bock, welcher ſich mir zur Zielſcheibe bot, und ſchoß ihn zuſammen. Die anderen flüchteten, blieben aber ſchon nach hundert Schritten Entfernung ſtehen und trollten gemächlich weiter. Jch konnte mich von neuem bis auf achtzig Schritte nähern und erlegte den zwei- ten Bock, und ſchließlich ſchoß ich noch einen dritten aus demſelben Rudel, bevor es eigentlich flüchtig wurde. Die Verſchiedenheit der klimatiſchen Verhältniſſe Nordoſtafrikas bedingt auch eine ſehr verſchie- dene Brunſtzeit der Gazellen. Jm Norden fällt ſie etwa in die Monate Auguſt bis Oktober; in den Gleicherländern beginnt ſie erſt Ende Oktobers und währt dann bis Ende Dezembers. Die Böcke for- dern einander mit lautem blöckenden Schrei zum Kampfe auf und ſtreiten ſich ſo heftig, daß ſie ſich gegenſeitig die Hörner abſtoßen: — ich habe viele Böcke geſchoſſen, bei denen die eine Stange an der Wurzel abgebrochen worden war. Von dem Thiere vernimmt man nur ein ſanftes, helles Mahnen. Der ſtärkſte Bock wird natürlich von ihm bevorzugt; er duldet ſchon keinen Nebenbuhler. Traulich zieht das Thier mit ihm hin und her, und gern nimmt es verſchiedene Liebkoſungen von Seiten des Herrn Gemahls entgegen. Der Bock folgt ſeiner Schönen auf Schritt und Tritt nach, beriecht ſie von allen Seiten, reibt den Kopf zart an ihrem Halſe, beleckt ihr das Geſicht und ſucht ihr über- haupt ſeine Liebe auf alle Weiſe zu erkennen zu geben. Beim Beſchlage hebt er ſich plötzlich auf die

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/534>, abgerufen am 23.11.2024.