dunkles Rothbraun übergeht. Ein noch dunklerer Streifen verläuft längs der beiden Leibesseiten und trennt die blendend weißgefärbte untere Seite von der dunkleren oberen. Der Kopf ist lichter als der Rücken; der Nasenrücken, die Kehle, die Lippen, ein Ring um die Augen und ein Streifen zu beiden Seiten des Nasenrückens sind gelblichweiß; dagegen zieht sich ein brauner Streifen von den Augenwinkeln an bis zur Oberlippe herab. Die Ohren sind gelblichgrau, schwarz gesäumt und mit drei Längsreihen ziemlich dicht aneinanderstehender Haare besetzt. Der Schwanz ist an seiner Wurzel dunkelbraun, wie der Rücken, in seiner letzten Hälfte aber schwarz. Bei manchen Abarten zieht die Färbung mehr ins Graue und ähnelt dann sehr dem Kleide der persischen Gazelle, welche von einigen Forschern auch als besondere Art betrachtet wird.
Nordostafrika ist die Heimat der Gazelle. Sie reicht von der Berberei an bis nach dem steinig- ten Arabien und von der Küste des Mittelmeeres bis an die Berge Abissiniens und in die Steppen des inneren Afrika. Der ganze Wüstenzug und das ihn begrenzende Steppengebiet kann als ihre Heimat betrachtet werden. Je pflanzenreicher die Einöde ist, um so häufiger findet man das Thier; jedoch ist bei dieser Angabe festzuhalten, daß eine pflanzenreiche Gegend nach afrikanischen Begriffen von einer gleichbezeichneten in unserem Klima sehr verschieden ist. Man würde sich sehr irren, wenn man die Gazelle in wirklich fruchtbaren Thalniederungen als ständigen Bewohner ver- muthen wollte; solche Strecken berührt sie nur flüchtig, ungezwungen, wohl kaum. Sie zieht die Niederungen den durchglühten Hochebenen vor, aber nur die Niederungen der Wüste: in Fluß- thälern findet man sie ebenso selten, als auf dem Hochgebirge. Mimosenhaine und noch mehr jene sandigen Gegenden, in denen Hügelreihen mit Thälern abwechseln und die Mimosen überall sich finden, ohne eigentlich einen Hain oder Buschwald zu bilden, sind ihre Lieblingsplätze, weil die Mimose als ihre eigentliche Nährpflanze angesehen werden muß. Jn den Steppen kommt sie ebenfalls und zwar an manchen Orten sehr häufig vor; allein auch hier bevorzugt sie dünnbestandene Busch- gegenden vor dem wogenden Halmenwalde. Jn den Steppen Kordofahns fieht man Rudel von vierzig bis funfzig Stücken, welche, und vielleicht nicht das ganze Jahr hindurch, ziemlich weit umherstreifen. An ihren Lieblingsplätzen gewahrt man sie nur in kleinen Trupps, von zwei, drei bis acht Stücken, sehr oft auch einzeln. Nahe der Mittelmeerküste ist sie selten. Je weiter man nach Nubien hin vor- dringt, um so häufiger wird sie, und am gemeinsten dürfte sie in den zwischen dem rothen Meer und dem Nil gelegenen Wüsten und Steppen zu finden sein. Die schwachen Rudel sind gewöhnlich Fa- milien, bestehend aus einem Bock mit seinem Thier und dem jungen Nachkommen, welcher bis zur nächsten Brunstzeit bei den Eltern verweilen darf. Ebenso häufig aber findet man auch Trupps, welche nur aus Böcken und zwar wahrscheinlich aus solchen bestehen, welche von den stärkeren abge- trieben wurden. Diese Junggesellen halten bis gegen die Brunstzeit hin sehr treu zusammen.
Jeder Reisende, welcher auch nur auf einige Stunden hin die Wüste durchzieht, kann eine Ga- zelle zu sehen bekommen: und wer erst ihre Lebensweise kennt, findet sie mit Sicherheit in allen Theilen ihres Heimatskreises auf. Sie ist ein echtes Tagthier und zeigt sich also gerade zur günstig- sten Zeit dem Auge. Nur während der größten Hitze des Tages, in den Mittagstunden bis etwa vier Uhr Abends, ruht sie gern wiederkäuend im Schatten einer Mimose; sonst ist sie fast immer in Bewegung. Aber sie ist nicht so leicht zu sehen, als man wohl glauben möchte: die Gleichförmigkeit ihres Kleides mit der herrschenden Bodenfärbung erschwert ihr Auffinden. Schon auf eine Viertel- stunde hin entschwindet sie unserem schwächlichen Gesichte, während die Falkenaugen der Afrikaner sie oft in mehr als meilenweiter Entfernung noch wahrnehmen. Gewöhnlich steht der Trupp unmit- telbar neben oder unter den niederen Mimosenbüschen, deren Kronen sich von unten aus schirmförmig nach oben ausbreiten und somit den Thieren unter ihnen ein schützendes Dach gewähren. Die wach- habende Gazelle äßt sich, die anderen liegen wiederkäuend oder sonst sich ausruhend unweit von ihr. Nur die stehende fällt ins Auge; die liegende gleicht einem Stein der Wüste so außerordentlich, daß selbst der Jäger sich oft täuschen kann. Solange nicht etwas Ungewöhnliches geschieht, bleibt das Rudel auf der einmal gewählten Stelle und wechselt höchstens von einem Ort zu dem anderen hin
Die Gazelle.
dunkles Rothbraun übergeht. Ein noch dunklerer Streifen verläuft längs der beiden Leibesſeiten und trennt die blendend weißgefärbte untere Seite von der dunkleren oberen. Der Kopf iſt lichter als der Rücken; der Naſenrücken, die Kehle, die Lippen, ein Ring um die Augen und ein Streifen zu beiden Seiten des Naſenrückens ſind gelblichweiß; dagegen zieht ſich ein brauner Streifen von den Augenwinkeln an bis zur Oberlippe herab. Die Ohren ſind gelblichgrau, ſchwarz geſäumt und mit drei Längsreihen ziemlich dicht aneinanderſtehender Haare beſetzt. Der Schwanz iſt an ſeiner Wurzel dunkelbraun, wie der Rücken, in ſeiner letzten Hälfte aber ſchwarz. Bei manchen Abarten zieht die Färbung mehr ins Graue und ähnelt dann ſehr dem Kleide der perſiſchen Gazelle, welche von einigen Forſchern auch als beſondere Art betrachtet wird.
Nordoſtafrika iſt die Heimat der Gazelle. Sie reicht von der Berberei an bis nach dem ſteinig- ten Arabien und von der Küſte des Mittelmeeres bis an die Berge Abiſſiniens und in die Steppen des inneren Afrika. Der ganze Wüſtenzug und das ihn begrenzende Steppengebiet kann als ihre Heimat betrachtet werden. Je pflanzenreicher die Einöde iſt, um ſo häufiger findet man das Thier; jedoch iſt bei dieſer Angabe feſtzuhalten, daß eine pflanzenreiche Gegend nach afrikaniſchen Begriffen von einer gleichbezeichneten in unſerem Klima ſehr verſchieden iſt. Man würde ſich ſehr irren, wenn man die Gazelle in wirklich fruchtbaren Thalniederungen als ſtändigen Bewohner ver- muthen wollte; ſolche Strecken berührt ſie nur flüchtig, ungezwungen, wohl kaum. Sie zieht die Niederungen den durchglühten Hochebenen vor, aber nur die Niederungen der Wüſte: in Fluß- thälern findet man ſie ebenſo ſelten, als auf dem Hochgebirge. Mimoſenhaine und noch mehr jene ſandigen Gegenden, in denen Hügelreihen mit Thälern abwechſeln und die Mimoſen überall ſich finden, ohne eigentlich einen Hain oder Buſchwald zu bilden, ſind ihre Lieblingsplätze, weil die Mimoſe als ihre eigentliche Nährpflanze angeſehen werden muß. Jn den Steppen kommt ſie ebenfalls und zwar an manchen Orten ſehr häufig vor; allein auch hier bevorzugt ſie dünnbeſtandene Buſch- gegenden vor dem wogenden Halmenwalde. Jn den Steppen Kordofahns fieht man Rudel von vierzig bis funfzig Stücken, welche, und vielleicht nicht das ganze Jahr hindurch, ziemlich weit umherſtreifen. An ihren Lieblingsplätzen gewahrt man ſie nur in kleinen Trupps, von zwei, drei bis acht Stücken, ſehr oft auch einzeln. Nahe der Mittelmeerküſte iſt ſie ſelten. Je weiter man nach Nubien hin vor- dringt, um ſo häufiger wird ſie, und am gemeinſten dürfte ſie in den zwiſchen dem rothen Meer und dem Nil gelegenen Wüſten und Steppen zu finden ſein. Die ſchwachen Rudel ſind gewöhnlich Fa- milien, beſtehend aus einem Bock mit ſeinem Thier und dem jungen Nachkommen, welcher bis zur nächſten Brunſtzeit bei den Eltern verweilen darf. Ebenſo häufig aber findet man auch Trupps, welche nur aus Böcken und zwar wahrſcheinlich aus ſolchen beſtehen, welche von den ſtärkeren abge- trieben wurden. Dieſe Junggeſellen halten bis gegen die Brunſtzeit hin ſehr treu zuſammen.
Jeder Reiſende, welcher auch nur auf einige Stunden hin die Wüſte durchzieht, kann eine Ga- zelle zu ſehen bekommen: und wer erſt ihre Lebensweiſe kennt, findet ſie mit Sicherheit in allen Theilen ihres Heimatskreiſes auf. Sie iſt ein echtes Tagthier und zeigt ſich alſo gerade zur günſtig- ſten Zeit dem Auge. Nur während der größten Hitze des Tages, in den Mittagſtunden bis etwa vier Uhr Abends, ruht ſie gern wiederkäuend im Schatten einer Mimoſe; ſonſt iſt ſie faſt immer in Bewegung. Aber ſie iſt nicht ſo leicht zu ſehen, als man wohl glauben möchte: die Gleichförmigkeit ihres Kleides mit der herrſchenden Bodenfärbung erſchwert ihr Auffinden. Schon auf eine Viertel- ſtunde hin entſchwindet ſie unſerem ſchwächlichen Geſichte, während die Falkenaugen der Afrikaner ſie oft in mehr als meilenweiter Entfernung noch wahrnehmen. Gewöhnlich ſteht der Trupp unmit- telbar neben oder unter den niederen Mimoſenbüſchen, deren Kronen ſich von unten aus ſchirmförmig nach oben ausbreiten und ſomit den Thieren unter ihnen ein ſchützendes Dach gewähren. Die wach- habende Gazelle äßt ſich, die anderen liegen wiederkäuend oder ſonſt ſich ausruhend unweit von ihr. Nur die ſtehende fällt ins Auge; die liegende gleicht einem Stein der Wüſte ſo außerordentlich, daß ſelbſt der Jäger ſich oft täuſchen kann. Solange nicht etwas Ungewöhnliches geſchieht, bleibt das Rudel auf der einmal gewählten Stelle und wechſelt höchſtens von einem Ort zu dem anderen hin
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[503/0533]
Die Gazelle.
dunkles Rothbraun übergeht. Ein noch dunklerer Streifen verläuft längs der beiden Leibesſeiten
und trennt die blendend weißgefärbte untere Seite von der dunkleren oberen. Der Kopf iſt lichter
als der Rücken; der Naſenrücken, die Kehle, die Lippen, ein Ring um die Augen und ein Streifen
zu beiden Seiten des Naſenrückens ſind gelblichweiß; dagegen zieht ſich ein brauner Streifen von den
Augenwinkeln an bis zur Oberlippe herab. Die Ohren ſind gelblichgrau, ſchwarz geſäumt und mit
drei Längsreihen ziemlich dicht aneinanderſtehender Haare beſetzt. Der Schwanz iſt an ſeiner Wurzel
dunkelbraun, wie der Rücken, in ſeiner letzten Hälfte aber ſchwarz. Bei manchen Abarten zieht die
Färbung mehr ins Graue und ähnelt dann ſehr dem Kleide der perſiſchen Gazelle, welche von einigen
Forſchern auch als beſondere Art betrachtet wird.
Nordoſtafrika iſt die Heimat der Gazelle. Sie reicht von der Berberei an bis nach dem ſteinig-
ten Arabien und von der Küſte des Mittelmeeres bis an die Berge Abiſſiniens und in die Steppen
des inneren Afrika. Der ganze Wüſtenzug und das ihn begrenzende Steppengebiet kann als
ihre Heimat betrachtet werden. Je pflanzenreicher die Einöde iſt, um ſo häufiger findet man das
Thier; jedoch iſt bei dieſer Angabe feſtzuhalten, daß eine pflanzenreiche Gegend nach afrikaniſchen
Begriffen von einer gleichbezeichneten in unſerem Klima ſehr verſchieden iſt. Man würde ſich ſehr
irren, wenn man die Gazelle in wirklich fruchtbaren Thalniederungen als ſtändigen Bewohner ver-
muthen wollte; ſolche Strecken berührt ſie nur flüchtig, ungezwungen, wohl kaum. Sie zieht die
Niederungen den durchglühten Hochebenen vor, aber nur die Niederungen der Wüſte: in Fluß-
thälern findet man ſie ebenſo ſelten, als auf dem Hochgebirge. Mimoſenhaine und noch mehr jene
ſandigen Gegenden, in denen Hügelreihen mit Thälern abwechſeln und die Mimoſen überall ſich
finden, ohne eigentlich einen Hain oder Buſchwald zu bilden, ſind ihre Lieblingsplätze, weil die
Mimoſe als ihre eigentliche Nährpflanze angeſehen werden muß. Jn den Steppen kommt ſie ebenfalls
und zwar an manchen Orten ſehr häufig vor; allein auch hier bevorzugt ſie dünnbeſtandene Buſch-
gegenden vor dem wogenden Halmenwalde. Jn den Steppen Kordofahns fieht man Rudel von vierzig
bis funfzig Stücken, welche, und vielleicht nicht das ganze Jahr hindurch, ziemlich weit umherſtreifen.
An ihren Lieblingsplätzen gewahrt man ſie nur in kleinen Trupps, von zwei, drei bis acht Stücken,
ſehr oft auch einzeln. Nahe der Mittelmeerküſte iſt ſie ſelten. Je weiter man nach Nubien hin vor-
dringt, um ſo häufiger wird ſie, und am gemeinſten dürfte ſie in den zwiſchen dem rothen Meer und
dem Nil gelegenen Wüſten und Steppen zu finden ſein. Die ſchwachen Rudel ſind gewöhnlich Fa-
milien, beſtehend aus einem Bock mit ſeinem Thier und dem jungen Nachkommen, welcher bis zur
nächſten Brunſtzeit bei den Eltern verweilen darf. Ebenſo häufig aber findet man auch Trupps,
welche nur aus Böcken und zwar wahrſcheinlich aus ſolchen beſtehen, welche von den ſtärkeren abge-
trieben wurden. Dieſe Junggeſellen halten bis gegen die Brunſtzeit hin ſehr treu zuſammen.
Jeder Reiſende, welcher auch nur auf einige Stunden hin die Wüſte durchzieht, kann eine Ga-
zelle zu ſehen bekommen: und wer erſt ihre Lebensweiſe kennt, findet ſie mit Sicherheit in allen
Theilen ihres Heimatskreiſes auf. Sie iſt ein echtes Tagthier und zeigt ſich alſo gerade zur günſtig-
ſten Zeit dem Auge. Nur während der größten Hitze des Tages, in den Mittagſtunden bis etwa
vier Uhr Abends, ruht ſie gern wiederkäuend im Schatten einer Mimoſe; ſonſt iſt ſie faſt immer in
Bewegung. Aber ſie iſt nicht ſo leicht zu ſehen, als man wohl glauben möchte: die Gleichförmigkeit
ihres Kleides mit der herrſchenden Bodenfärbung erſchwert ihr Auffinden. Schon auf eine Viertel-
ſtunde hin entſchwindet ſie unſerem ſchwächlichen Geſichte, während die Falkenaugen der Afrikaner
ſie oft in mehr als meilenweiter Entfernung noch wahrnehmen. Gewöhnlich ſteht der Trupp unmit-
telbar neben oder unter den niederen Mimoſenbüſchen, deren Kronen ſich von unten aus ſchirmförmig
nach oben ausbreiten und ſomit den Thieren unter ihnen ein ſchützendes Dach gewähren. Die wach-
habende Gazelle äßt ſich, die anderen liegen wiederkäuend oder ſonſt ſich ausruhend unweit von ihr.
Nur die ſtehende fällt ins Auge; die liegende gleicht einem Stein der Wüſte ſo außerordentlich, daß
ſelbſt der Jäger ſich oft täuſchen kann. Solange nicht etwas Ungewöhnliches geſchieht, bleibt das
Rudel auf der einmal gewählten Stelle und wechſelt höchſtens von einem Ort zu dem anderen hin
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/533>, abgerufen am 23.11.2024.
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