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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Girafe.
Jagd eilten zehn gewaltige Girafen vor mir her. Sie galoppirten ganz gemächlich dahin, während
mein Pferd genöthigt war, seine äußerste Schnelligkeit aufzubieten, um nicht hinter ihnen zurückzu-
bleiben. Meine Empfindungen bei dieser Jagd waren verschieden von Allem, was ich während einer
langen Jägerlaufbahn bisjetzt erfahren; ich war durch den wunderschönen Anblick vor mir so in An-
spruch genommen, daß ich gleichsam wie bezaubert entlang ritt und fast nicht glauben konnte, daß
ich wirklich lebende, dieser Welt angehörende Geschöpfe vor mir herjagte. Der Boden war fest und
zum Reiten günstig. Mit jedem Satz meines Pferdes kam ich der Herde näher, schoß endlich mitten
unter sie hinein und sonderte das schönste Weibchen von ihr ab. Als die eine Girafe sich von ihren
Genossen getrennt und hitzig verfolgt sah, lief sie noch schneller und galoppirte in furchtbar weiten
Sprüngen, während ihr Hals und ihre Brust mit den dürren, alten Zweigen der Bäume in Berüh-
rung kamen, sie abrissen und fortwährend meinen Weg damit bestreuten. Bald war ich etwa noch
acht Schritt hinter ihr, feuerte im Galopp ihr eine Kugel in den Rücken, ritt dann noch schneller, so
daß ich ihr zur Seite kam, hielt die Mündung meiner Büchse nur wenige Fuß von ihr entfernt und
schoß ihr meine zweite Kugel hinter das Blatt, ohne daß diese jedoch große Wirkung zu äußern
schien. Da stellte ich mich gerade vor sie, während sie begann im Schritt zu gehen, stieg ab und
lud schnell beide Läufe meiner Büchse wieder. Jm trockenen Bett eines Baches brachte ich sie
nochmals zum Stehen und feuerte auf die Stelle, wo ich das Herz vermuthete. Sie lief so-
gleich weiter; ich lud nochmals, folgte und brachte sie wiederum zum Stehen. Jetzt stieg ich ab
und schaute verwundert sie an. Jhre außerordentliche Schönheit bezauberte mich, ihr sanftes, dunk-
les Auge mit seinen seidenen Wimpern schienen bittend auf mich herabzuschauen. Jch fühlte in die-
sem Augenblick wirklich Reue über das Blut, welches ich vergoß. Aber der Jagdtrieb behielt die
Oberhand. Nochmals richtete ich meine Büchse empor und schoß der Girafe eine Kugel in den Hals.
Sie bäumte hoch auf den Hinterbeinen in die Höhe und stürzte dann wieder nach vorn zu Boden,
daß die Erde erzitterte. Ein dicker Strom schwarzes Blut sprudelte aus der Wunde hervor, die rie-
sigen Glieder zuckten -- noch ein Augenblick und das Thier hatte verendet."

Vielfach ist die Verwendung der erlegten Girafe. Man benutzt die Haut zu allerlei Lederwerk,
die Schwanzquaste zu Fliegenwedeln, die Hufe zu Hornarbeiten und genießt das vortreffliche Fleisch.
Noch lieber aber sieht man es, wenn man eine Girafe lebend bekommen kann. Ueberall hat man
das auffallende Thier gern, überall freut man sich, es um sich zu haben. Jn den innerafrikanischen
Städten sieht man oft ein paar Girafenhäupter über die hohen Umfangsmauern eines Gartens her-
vorragen, und nicht selten begegnet man in der Nähe von Ortschaften gezähmten Thieren, welche
nach Belieben umhergehen. Bei unserer Ankunft in Karkodj, einer Ortschaft am blauen Flusse,
kam zuerst eine Girafe an unsere Barke, gleichsam in der Absicht, uns zu begrüßen. Sie ging ver-
traulich auf uns zu, trat dicht an unser Bot heran, fraß uns Brod und Durrahkörner aus der
Hand und behandelte uns so freundlich, als wären wir ihre alten Bekannten. Gar bald merkte sie,
wie große Freude wir an ihr hatten; denn sie kam nun alle Tage, solange wir uns in der Nähe
dieser Ortschaft aufhielten, mehrmals zu uns, um sich liebkosen zu lassen. Der arabische Name
"Serahfe" -- die Liebliche -- welchen unser Wort Girafe verstümmelt wiedergibt, wurde mir
verständlich. Jch freute mich unaussprechlich, einmal ein so sonderbares Thier in allen seinen
Bewegungen beobachten zu können; denn im freien Zustande hatte ich es nur ein Mal ganz von
fern gesehen, obgleich ich mich wochenlang in Gegenden herumtrieb, welche reich an Girafen genannt
werden müssen.

Es ist ewig schade, daß die Girafe nicht ebenso brauchbar ist, wie ein Rind oder Schaf: sie wäre
ein Hausthier, so liebenswürdig, wie kaum ein anderes!

Leider ertragen die nach Europa gebrachten Girafen die Gefangenschaft nur bei bester Pflege
längere Zeit. Die meisten gehen an einem eigenthümlichen Knochenleiden zu Grunde, welches man
"Girafenkrankheit" genannt hat. Ursachen dieser Krankheit dürften Mangel an Bewegung und unge-
eignete Nahrung sein. Nach den Erfahrungen, welche ich am Elch gemacht habe, glaube ich, daß

Die Girafe.
Jagd eilten zehn gewaltige Girafen vor mir her. Sie galoppirten ganz gemächlich dahin, während
mein Pferd genöthigt war, ſeine äußerſte Schnelligkeit aufzubieten, um nicht hinter ihnen zurückzu-
bleiben. Meine Empfindungen bei dieſer Jagd waren verſchieden von Allem, was ich während einer
langen Jägerlaufbahn bisjetzt erfahren; ich war durch den wunderſchönen Anblick vor mir ſo in An-
ſpruch genommen, daß ich gleichſam wie bezaubert entlang ritt und faſt nicht glauben konnte, daß
ich wirklich lebende, dieſer Welt angehörende Geſchöpfe vor mir herjagte. Der Boden war feſt und
zum Reiten günſtig. Mit jedem Satz meines Pferdes kam ich der Herde näher, ſchoß endlich mitten
unter ſie hinein und ſonderte das ſchönſte Weibchen von ihr ab. Als die eine Girafe ſich von ihren
Genoſſen getrennt und hitzig verfolgt ſah, lief ſie noch ſchneller und galoppirte in furchtbar weiten
Sprüngen, während ihr Hals und ihre Bruſt mit den dürren, alten Zweigen der Bäume in Berüh-
rung kamen, ſie abriſſen und fortwährend meinen Weg damit beſtreuten. Bald war ich etwa noch
acht Schritt hinter ihr, feuerte im Galopp ihr eine Kugel in den Rücken, ritt dann noch ſchneller, ſo
daß ich ihr zur Seite kam, hielt die Mündung meiner Büchſe nur wenige Fuß von ihr entfernt und
ſchoß ihr meine zweite Kugel hinter das Blatt, ohne daß dieſe jedoch große Wirkung zu äußern
ſchien. Da ſtellte ich mich gerade vor ſie, während ſie begann im Schritt zu gehen, ſtieg ab und
lud ſchnell beide Läufe meiner Büchſe wieder. Jm trockenen Bett eines Baches brachte ich ſie
nochmals zum Stehen und feuerte auf die Stelle, wo ich das Herz vermuthete. Sie lief ſo-
gleich weiter; ich lud nochmals, folgte und brachte ſie wiederum zum Stehen. Jetzt ſtieg ich ab
und ſchaute verwundert ſie an. Jhre außerordentliche Schönheit bezauberte mich, ihr ſanftes, dunk-
les Auge mit ſeinen ſeidenen Wimpern ſchienen bittend auf mich herabzuſchauen. Jch fühlte in die-
ſem Augenblick wirklich Reue über das Blut, welches ich vergoß. Aber der Jagdtrieb behielt die
Oberhand. Nochmals richtete ich meine Büchſe empor und ſchoß der Girafe eine Kugel in den Hals.
Sie bäumte hoch auf den Hinterbeinen in die Höhe und ſtürzte dann wieder nach vorn zu Boden,
daß die Erde erzitterte. Ein dicker Strom ſchwarzes Blut ſprudelte aus der Wunde hervor, die rie-
ſigen Glieder zuckten — noch ein Augenblick und das Thier hatte verendet.‟

Vielfach iſt die Verwendung der erlegten Girafe. Man benutzt die Haut zu allerlei Lederwerk,
die Schwanzquaſte zu Fliegenwedeln, die Hufe zu Hornarbeiten und genießt das vortreffliche Fleiſch.
Noch lieber aber ſieht man es, wenn man eine Girafe lebend bekommen kann. Ueberall hat man
das auffallende Thier gern, überall freut man ſich, es um ſich zu haben. Jn den innerafrikaniſchen
Städten ſieht man oft ein paar Girafenhäupter über die hohen Umfangsmauern eines Gartens her-
vorragen, und nicht ſelten begegnet man in der Nähe von Ortſchaften gezähmten Thieren, welche
nach Belieben umhergehen. Bei unſerer Ankunft in Karkodj, einer Ortſchaft am blauen Fluſſe,
kam zuerſt eine Girafe an unſere Barke, gleichſam in der Abſicht, uns zu begrüßen. Sie ging ver-
traulich auf uns zu, trat dicht an unſer Bot heran, fraß uns Brod und Durrahkörner aus der
Hand und behandelte uns ſo freundlich, als wären wir ihre alten Bekannten. Gar bald merkte ſie,
wie große Freude wir an ihr hatten; denn ſie kam nun alle Tage, ſolange wir uns in der Nähe
dieſer Ortſchaft aufhielten, mehrmals zu uns, um ſich liebkoſen zu laſſen. Der arabiſche Name
„Serahfe‟ — die Liebliche — welchen unſer Wort Girafe verſtümmelt wiedergibt, wurde mir
verſtändlich. Jch freute mich unausſprechlich, einmal ein ſo ſonderbares Thier in allen ſeinen
Bewegungen beobachten zu können; denn im freien Zuſtande hatte ich es nur ein Mal ganz von
fern geſehen, obgleich ich mich wochenlang in Gegenden herumtrieb, welche reich an Girafen genannt
werden müſſen.

Es iſt ewig ſchade, daß die Girafe nicht ebenſo brauchbar iſt, wie ein Rind oder Schaf: ſie wäre
ein Hausthier, ſo liebenswürdig, wie kaum ein anderes!

Leider ertragen die nach Europa gebrachten Girafen die Gefangenſchaft nur bei beſter Pflege
längere Zeit. Die meiſten gehen an einem eigenthümlichen Knochenleiden zu Grunde, welches man
„Girafenkrankheit‟ genannt hat. Urſachen dieſer Krankheit dürften Mangel an Bewegung und unge-
eignete Nahrung ſein. Nach den Erfahrungen, welche ich am Elch gemacht habe, glaube ich, daß

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[494/0522] Die Girafe. Jagd eilten zehn gewaltige Girafen vor mir her. Sie galoppirten ganz gemächlich dahin, während mein Pferd genöthigt war, ſeine äußerſte Schnelligkeit aufzubieten, um nicht hinter ihnen zurückzu- bleiben. Meine Empfindungen bei dieſer Jagd waren verſchieden von Allem, was ich während einer langen Jägerlaufbahn bisjetzt erfahren; ich war durch den wunderſchönen Anblick vor mir ſo in An- ſpruch genommen, daß ich gleichſam wie bezaubert entlang ritt und faſt nicht glauben konnte, daß ich wirklich lebende, dieſer Welt angehörende Geſchöpfe vor mir herjagte. Der Boden war feſt und zum Reiten günſtig. Mit jedem Satz meines Pferdes kam ich der Herde näher, ſchoß endlich mitten unter ſie hinein und ſonderte das ſchönſte Weibchen von ihr ab. Als die eine Girafe ſich von ihren Genoſſen getrennt und hitzig verfolgt ſah, lief ſie noch ſchneller und galoppirte in furchtbar weiten Sprüngen, während ihr Hals und ihre Bruſt mit den dürren, alten Zweigen der Bäume in Berüh- rung kamen, ſie abriſſen und fortwährend meinen Weg damit beſtreuten. Bald war ich etwa noch acht Schritt hinter ihr, feuerte im Galopp ihr eine Kugel in den Rücken, ritt dann noch ſchneller, ſo daß ich ihr zur Seite kam, hielt die Mündung meiner Büchſe nur wenige Fuß von ihr entfernt und ſchoß ihr meine zweite Kugel hinter das Blatt, ohne daß dieſe jedoch große Wirkung zu äußern ſchien. Da ſtellte ich mich gerade vor ſie, während ſie begann im Schritt zu gehen, ſtieg ab und lud ſchnell beide Läufe meiner Büchſe wieder. Jm trockenen Bett eines Baches brachte ich ſie nochmals zum Stehen und feuerte auf die Stelle, wo ich das Herz vermuthete. Sie lief ſo- gleich weiter; ich lud nochmals, folgte und brachte ſie wiederum zum Stehen. Jetzt ſtieg ich ab und ſchaute verwundert ſie an. Jhre außerordentliche Schönheit bezauberte mich, ihr ſanftes, dunk- les Auge mit ſeinen ſeidenen Wimpern ſchienen bittend auf mich herabzuſchauen. Jch fühlte in die- ſem Augenblick wirklich Reue über das Blut, welches ich vergoß. Aber der Jagdtrieb behielt die Oberhand. Nochmals richtete ich meine Büchſe empor und ſchoß der Girafe eine Kugel in den Hals. Sie bäumte hoch auf den Hinterbeinen in die Höhe und ſtürzte dann wieder nach vorn zu Boden, daß die Erde erzitterte. Ein dicker Strom ſchwarzes Blut ſprudelte aus der Wunde hervor, die rie- ſigen Glieder zuckten — noch ein Augenblick und das Thier hatte verendet.‟ Vielfach iſt die Verwendung der erlegten Girafe. Man benutzt die Haut zu allerlei Lederwerk, die Schwanzquaſte zu Fliegenwedeln, die Hufe zu Hornarbeiten und genießt das vortreffliche Fleiſch. Noch lieber aber ſieht man es, wenn man eine Girafe lebend bekommen kann. Ueberall hat man das auffallende Thier gern, überall freut man ſich, es um ſich zu haben. Jn den innerafrikaniſchen Städten ſieht man oft ein paar Girafenhäupter über die hohen Umfangsmauern eines Gartens her- vorragen, und nicht ſelten begegnet man in der Nähe von Ortſchaften gezähmten Thieren, welche nach Belieben umhergehen. Bei unſerer Ankunft in Karkodj, einer Ortſchaft am blauen Fluſſe, kam zuerſt eine Girafe an unſere Barke, gleichſam in der Abſicht, uns zu begrüßen. Sie ging ver- traulich auf uns zu, trat dicht an unſer Bot heran, fraß uns Brod und Durrahkörner aus der Hand und behandelte uns ſo freundlich, als wären wir ihre alten Bekannten. Gar bald merkte ſie, wie große Freude wir an ihr hatten; denn ſie kam nun alle Tage, ſolange wir uns in der Nähe dieſer Ortſchaft aufhielten, mehrmals zu uns, um ſich liebkoſen zu laſſen. Der arabiſche Name „Serahfe‟ — die Liebliche — welchen unſer Wort Girafe verſtümmelt wiedergibt, wurde mir verſtändlich. Jch freute mich unausſprechlich, einmal ein ſo ſonderbares Thier in allen ſeinen Bewegungen beobachten zu können; denn im freien Zuſtande hatte ich es nur ein Mal ganz von fern geſehen, obgleich ich mich wochenlang in Gegenden herumtrieb, welche reich an Girafen genannt werden müſſen. Es iſt ewig ſchade, daß die Girafe nicht ebenſo brauchbar iſt, wie ein Rind oder Schaf: ſie wäre ein Hausthier, ſo liebenswürdig, wie kaum ein anderes! Leider ertragen die nach Europa gebrachten Girafen die Gefangenſchaft nur bei beſter Pflege längere Zeit. Die meiſten gehen an einem eigenthümlichen Knochenleiden zu Grunde, welches man „Girafenkrankheit‟ genannt hat. Urſachen dieſer Krankheit dürften Mangel an Bewegung und unge- eignete Nahrung ſein. Nach den Erfahrungen, welche ich am Elch gemacht habe, glaube ich, daß

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/522>, abgerufen am 23.11.2024.