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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Girafe.
Schnauzenspitze bis zur Schwanzwurzel beträgt 13 Fuß, das Gewicht 10 Centner. Aus diesen
Maßen allein schon geht hervor, daß die Girafe hinsichtlich ihrer Gestaltung von allen übrigen
Säugethieren abweicht; der Leibesbau ist aber so merkwürdig, daß wir ihn noch besonders beschreiben
müssen. Die Girafe ist nicht blos ein sonderbares Zwittergeschöpf von Panther und Kamel, wie der
alte Horaz sagt, sondern gleichsam aus den Bestandtheilen verschiedener Thierleiber zusammengesetzt.
Der Kopf und der Leib scheinen vom Pferd, der Hals und die Schultern vom Kamel, die Ohren
vom Rind, der Schwanz vom Esel, die Beine von einer Antilope entlehnt zu sein, die Fär-
bung und Zeichnung des glatten Felles endlich sind es, welche an den Panther erinnern. Eine solche
Zusammensetzung kann nur Mißgestaltung des ganzen Thieres zur Folge haben, und wirklich wird
Niemand die Girafe schön oder ebenmäßig nennen mögen. Der kurze Leib steht mit den hohen Beinen
und dem langen Hals in keinem Verhältniß; der auffallend abschüssige Rücken muß nach allen kunst-
gerechten Begriffen häßlich genannt werden, und die ungeheure Höhe des Thieres trägt durchaus nicht
zu seiner Zierde bei. Schön ist nur der Kopf, wundervoll das Auge, angenehm die Zeichnung: alles
Uebrige ist auffallend und sonderbar.

Der Kopf der Girafe ist langgestreckt und erscheint, der ziemlich dünnen Schnauze wegen, noch
länger. Er trägt sehr große, lebhaft glänzende und doch ungemein sanfte, wirklich geistige Augen,
große, zierlich gebaute, äußerst bewegliche Ohren von beinahe einem halben Fuß Länge und die zwei
beschriebenen, sonderbaren Stirnzapfen, welche entfernt an Hörner erinnern und etwas kürzer sind,
als die Ohren. Zwischen beiden erhebt sich eine rundliche Knochenanschwellung, gleichsam als drittes
Horn. Der Hals ist etwa ebensolang, als die Vorderbeine, dünn, seitlich zusammengedrückt und
hinten mit einem hübschen Haarkamm geziert. Der Leib ist breit an der Brust, am Widerrist viel
höher, als am Kreuz, und längs der Mittellinie etwas eingesunken, vorn durch die fast rechtwinkelig
vorspringenden Schulterblätter sehr ausgezeichnet, hinten auffallend verschmälert, so daß man den
Hinterleib, wenn man das Thier gerade von vorn ansieht, gar nicht bemerkt. Die Beine sind ver-
hältnißmäßig zart und fast gleich lang; ihre Hufe sind zierlich gebaut. An den Beugegelenken der
Läufe zeigt sich eine nackte Schwiele, wie das Kamel sie besitzt. Die Haut ist sehr dick und, mit Aus-
nahme des erwähnten Hornkegels, des Halskammes und der Schwanzquaste, überall gleichmäßig be-
haart. Ein fahles Sandgelb, welches auf dem Rücken etwas dunkler wird und auf der Unterseite
ins Weißliche übergeht, bildet die Grundfarbe; auf ihr stehen ziemlich große, unregelmäßig gestaltete,
meist eckige Flecken von dunklerer oder lichterer rostbrauner Färbung, und zwar so dicht, daß der helle
Grund nur netzartig hervortritt. Am Hals und an den Beinen sind diese Flecken kleiner, als auf
dem übrigen Leibe. Die Mähne ist fahl und braun gebändert; die Ohren sind vorn und an der
Wurzel weiß, hinten bräunlich. Der Bauch und die Jnnenseite der Beine sind ungefleckt; die Haar-
quaste ist dunkelschwarz. Ungeborene, noch nicht völlig ausgetragene Girafen haben ein sehr weiches,
mausgrau gefärbtes Fell ohne Flecken; bei der Geburt sind diese aber schon vorhanden.

Gegenwärtig bewohnt die Girafe das mittlere und südliche Afrika oder denjenigen Theil des
Landes, welcher etwa zwischen dem 17. Grad nördlicher Breite und dem 24. Grad südlicher Breite
liegt. Jm Norden beginnt ihre Heimat an der südlichen Grenze der Sahara, im Süden verschwindet
sie in der Nähe des Orangenflusses. Wie weit sie von Osten hin in das Jnnere und nach Westen
geht, ist zur Zeit noch nicht ermittelt. Am Kongo und in Senegambien fehlt sie gänzlich, wahr-
scheinlich weil das Land dort gebirgig ist; denn sie hält sich nur in ebenen Steppengegenden, nie-
mals in den Gebirgen oder in den dichteren Urwaldungen auf.

Jn den schönen südafrikanischen Wäldern nimmt sich die Girafe freilich ganz anders aus, als
in dem engumzäunten Raum eines Thiergartens. Die merkwürdige Uebereinstimmung der Ge-
stalt und allgemeinen Erscheinung eines Thieres mit der Oertlichkeit, in welcher es lebt, macht
sich auch hier bemerklich. "Wenn man eine Herde Girafen," sagt Gordon Cumming, "in
einem Hain der malerischen und sonnenschirmförmigen Mimosen zerstreut sieht, welche ihre heimischen
Ebenen schmücken und an deren letzten Zweigen sie in Folge ihrer gewaltigen Höhe nagen können,

Die Girafe.
Schnauzenſpitze bis zur Schwanzwurzel beträgt 13 Fuß, das Gewicht 10 Centner. Aus dieſen
Maßen allein ſchon geht hervor, daß die Girafe hinſichtlich ihrer Geſtaltung von allen übrigen
Säugethieren abweicht; der Leibesbau iſt aber ſo merkwürdig, daß wir ihn noch beſonders beſchreiben
müſſen. Die Girafe iſt nicht blos ein ſonderbares Zwittergeſchöpf von Panther und Kamel, wie der
alte Horaz ſagt, ſondern gleichſam aus den Beſtandtheilen verſchiedener Thierleiber zuſammengeſetzt.
Der Kopf und der Leib ſcheinen vom Pferd, der Hals und die Schultern vom Kamel, die Ohren
vom Rind, der Schwanz vom Eſel, die Beine von einer Antilope entlehnt zu ſein, die Fär-
bung und Zeichnung des glatten Felles endlich ſind es, welche an den Panther erinnern. Eine ſolche
Zuſammenſetzung kann nur Mißgeſtaltung des ganzen Thieres zur Folge haben, und wirklich wird
Niemand die Girafe ſchön oder ebenmäßig nennen mögen. Der kurze Leib ſteht mit den hohen Beinen
und dem langen Hals in keinem Verhältniß; der auffallend abſchüſſige Rücken muß nach allen kunſt-
gerechten Begriffen häßlich genannt werden, und die ungeheure Höhe des Thieres trägt durchaus nicht
zu ſeiner Zierde bei. Schön iſt nur der Kopf, wundervoll das Auge, angenehm die Zeichnung: alles
Uebrige iſt auffallend und ſonderbar.

Der Kopf der Girafe iſt langgeſtreckt und erſcheint, der ziemlich dünnen Schnauze wegen, noch
länger. Er trägt ſehr große, lebhaft glänzende und doch ungemein ſanfte, wirklich geiſtige Augen,
große, zierlich gebaute, äußerſt bewegliche Ohren von beinahe einem halben Fuß Länge und die zwei
beſchriebenen, ſonderbaren Stirnzapfen, welche entfernt an Hörner erinnern und etwas kürzer ſind,
als die Ohren. Zwiſchen beiden erhebt ſich eine rundliche Knochenanſchwellung, gleichſam als drittes
Horn. Der Hals iſt etwa ebenſolang, als die Vorderbeine, dünn, ſeitlich zuſammengedrückt und
hinten mit einem hübſchen Haarkamm geziert. Der Leib iſt breit an der Bruſt, am Widerriſt viel
höher, als am Kreuz, und längs der Mittellinie etwas eingeſunken, vorn durch die faſt rechtwinkelig
vorſpringenden Schulterblätter ſehr ausgezeichnet, hinten auffallend verſchmälert, ſo daß man den
Hinterleib, wenn man das Thier gerade von vorn anſieht, gar nicht bemerkt. Die Beine ſind ver-
hältnißmäßig zart und faſt gleich lang; ihre Hufe ſind zierlich gebaut. An den Beugegelenken der
Läufe zeigt ſich eine nackte Schwiele, wie das Kamel ſie beſitzt. Die Haut iſt ſehr dick und, mit Aus-
nahme des erwähnten Hornkegels, des Halskammes und der Schwanzquaſte, überall gleichmäßig be-
haart. Ein fahles Sandgelb, welches auf dem Rücken etwas dunkler wird und auf der Unterſeite
ins Weißliche übergeht, bildet die Grundfarbe; auf ihr ſtehen ziemlich große, unregelmäßig geſtaltete,
meiſt eckige Flecken von dunklerer oder lichterer roſtbrauner Färbung, und zwar ſo dicht, daß der helle
Grund nur netzartig hervortritt. Am Hals und an den Beinen ſind dieſe Flecken kleiner, als auf
dem übrigen Leibe. Die Mähne iſt fahl und braun gebändert; die Ohren ſind vorn und an der
Wurzel weiß, hinten bräunlich. Der Bauch und die Jnnenſeite der Beine ſind ungefleckt; die Haar-
quaſte iſt dunkelſchwarz. Ungeborene, noch nicht völlig ausgetragene Girafen haben ein ſehr weiches,
mausgrau gefärbtes Fell ohne Flecken; bei der Geburt ſind dieſe aber ſchon vorhanden.

Gegenwärtig bewohnt die Girafe das mittlere und ſüdliche Afrika oder denjenigen Theil des
Landes, welcher etwa zwiſchen dem 17. Grad nördlicher Breite und dem 24. Grad ſüdlicher Breite
liegt. Jm Norden beginnt ihre Heimat an der ſüdlichen Grenze der Sahara, im Süden verſchwindet
ſie in der Nähe des Orangenfluſſes. Wie weit ſie von Oſten hin in das Jnnere und nach Weſten
geht, iſt zur Zeit noch nicht ermittelt. Am Kongo und in Senegambien fehlt ſie gänzlich, wahr-
ſcheinlich weil das Land dort gebirgig iſt; denn ſie hält ſich nur in ebenen Steppengegenden, nie-
mals in den Gebirgen oder in den dichteren Urwaldungen auf.

Jn den ſchönen ſüdafrikaniſchen Wäldern nimmt ſich die Girafe freilich ganz anders aus, als
in dem engumzäunten Raum eines Thiergartens. Die merkwürdige Uebereinſtimmung der Ge-
ſtalt und allgemeinen Erſcheinung eines Thieres mit der Oertlichkeit, in welcher es lebt, macht
ſich auch hier bemerklich. „Wenn man eine Herde Girafen,‟ ſagt Gordon Cumming, „in
einem Hain der maleriſchen und ſonnenſchirmförmigen Mimoſen zerſtreut ſieht, welche ihre heimiſchen
Ebenen ſchmücken und an deren letzten Zweigen ſie in Folge ihrer gewaltigen Höhe nagen können,

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[490/0516] Die Girafe. Schnauzenſpitze bis zur Schwanzwurzel beträgt 13 Fuß, das Gewicht 10 Centner. Aus dieſen Maßen allein ſchon geht hervor, daß die Girafe hinſichtlich ihrer Geſtaltung von allen übrigen Säugethieren abweicht; der Leibesbau iſt aber ſo merkwürdig, daß wir ihn noch beſonders beſchreiben müſſen. Die Girafe iſt nicht blos ein ſonderbares Zwittergeſchöpf von Panther und Kamel, wie der alte Horaz ſagt, ſondern gleichſam aus den Beſtandtheilen verſchiedener Thierleiber zuſammengeſetzt. Der Kopf und der Leib ſcheinen vom Pferd, der Hals und die Schultern vom Kamel, die Ohren vom Rind, der Schwanz vom Eſel, die Beine von einer Antilope entlehnt zu ſein, die Fär- bung und Zeichnung des glatten Felles endlich ſind es, welche an den Panther erinnern. Eine ſolche Zuſammenſetzung kann nur Mißgeſtaltung des ganzen Thieres zur Folge haben, und wirklich wird Niemand die Girafe ſchön oder ebenmäßig nennen mögen. Der kurze Leib ſteht mit den hohen Beinen und dem langen Hals in keinem Verhältniß; der auffallend abſchüſſige Rücken muß nach allen kunſt- gerechten Begriffen häßlich genannt werden, und die ungeheure Höhe des Thieres trägt durchaus nicht zu ſeiner Zierde bei. Schön iſt nur der Kopf, wundervoll das Auge, angenehm die Zeichnung: alles Uebrige iſt auffallend und ſonderbar. Der Kopf der Girafe iſt langgeſtreckt und erſcheint, der ziemlich dünnen Schnauze wegen, noch länger. Er trägt ſehr große, lebhaft glänzende und doch ungemein ſanfte, wirklich geiſtige Augen, große, zierlich gebaute, äußerſt bewegliche Ohren von beinahe einem halben Fuß Länge und die zwei beſchriebenen, ſonderbaren Stirnzapfen, welche entfernt an Hörner erinnern und etwas kürzer ſind, als die Ohren. Zwiſchen beiden erhebt ſich eine rundliche Knochenanſchwellung, gleichſam als drittes Horn. Der Hals iſt etwa ebenſolang, als die Vorderbeine, dünn, ſeitlich zuſammengedrückt und hinten mit einem hübſchen Haarkamm geziert. Der Leib iſt breit an der Bruſt, am Widerriſt viel höher, als am Kreuz, und längs der Mittellinie etwas eingeſunken, vorn durch die faſt rechtwinkelig vorſpringenden Schulterblätter ſehr ausgezeichnet, hinten auffallend verſchmälert, ſo daß man den Hinterleib, wenn man das Thier gerade von vorn anſieht, gar nicht bemerkt. Die Beine ſind ver- hältnißmäßig zart und faſt gleich lang; ihre Hufe ſind zierlich gebaut. An den Beugegelenken der Läufe zeigt ſich eine nackte Schwiele, wie das Kamel ſie beſitzt. Die Haut iſt ſehr dick und, mit Aus- nahme des erwähnten Hornkegels, des Halskammes und der Schwanzquaſte, überall gleichmäßig be- haart. Ein fahles Sandgelb, welches auf dem Rücken etwas dunkler wird und auf der Unterſeite ins Weißliche übergeht, bildet die Grundfarbe; auf ihr ſtehen ziemlich große, unregelmäßig geſtaltete, meiſt eckige Flecken von dunklerer oder lichterer roſtbrauner Färbung, und zwar ſo dicht, daß der helle Grund nur netzartig hervortritt. Am Hals und an den Beinen ſind dieſe Flecken kleiner, als auf dem übrigen Leibe. Die Mähne iſt fahl und braun gebändert; die Ohren ſind vorn und an der Wurzel weiß, hinten bräunlich. Der Bauch und die Jnnenſeite der Beine ſind ungefleckt; die Haar- quaſte iſt dunkelſchwarz. Ungeborene, noch nicht völlig ausgetragene Girafen haben ein ſehr weiches, mausgrau gefärbtes Fell ohne Flecken; bei der Geburt ſind dieſe aber ſchon vorhanden. Gegenwärtig bewohnt die Girafe das mittlere und ſüdliche Afrika oder denjenigen Theil des Landes, welcher etwa zwiſchen dem 17. Grad nördlicher Breite und dem 24. Grad ſüdlicher Breite liegt. Jm Norden beginnt ihre Heimat an der ſüdlichen Grenze der Sahara, im Süden verſchwindet ſie in der Nähe des Orangenfluſſes. Wie weit ſie von Oſten hin in das Jnnere und nach Weſten geht, iſt zur Zeit noch nicht ermittelt. Am Kongo und in Senegambien fehlt ſie gänzlich, wahr- ſcheinlich weil das Land dort gebirgig iſt; denn ſie hält ſich nur in ebenen Steppengegenden, nie- mals in den Gebirgen oder in den dichteren Urwaldungen auf. Jn den ſchönen ſüdafrikaniſchen Wäldern nimmt ſich die Girafe freilich ganz anders aus, als in dem engumzäunten Raum eines Thiergartens. Die merkwürdige Uebereinſtimmung der Ge- ſtalt und allgemeinen Erſcheinung eines Thieres mit der Oertlichkeit, in welcher es lebt, macht ſich auch hier bemerklich. „Wenn man eine Herde Girafen,‟ ſagt Gordon Cumming, „in einem Hain der maleriſchen und ſonnenſchirmförmigen Mimoſen zerſtreut ſieht, welche ihre heimiſchen Ebenen ſchmücken und an deren letzten Zweigen ſie in Folge ihrer gewaltigen Höhe nagen können,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/516>, abgerufen am 23.11.2024.