oder Schmalrehe, im dritten Jahre Gabelböcke und fertige Rehe. Eine Gesellschaft der Thiere wird Sprung genannt. Jm übrigen gelten fast alle Ausdrücke, welche der Jäger vom Edelwild gebraucht, auch vom Reh.
Man jagt dieses fast in derselben Weise, als anderes Hochwild, obwohl man gegenwärtig mehr das glattläufige Schrotgewehr, als die Kugelbüchse zu seiner Erlegung anwendet. Zuweilen umstellt man ausgedehnte Waldstriche mit Tüchern und treibt dann das Wild dem Jäger zu. Auch werden Treibjagden angestellt etc. Der einzelne Waidmann geht pirschen. Von geübten Jägern wird der Bock in der Brunstzeit durch Nachahmung des zirpenden Liebeslautes seines Weibchens herbeigelockt und dann erlegt. Nur in höchst seltenen Fällen vertheidigt sich das furchtsame Thier mit seinem Geweih, und niemals kommt es vor, daß es einen Menschen angreift. Dieser muß entschieden als der Haupt- feind des schmucken Geschöpfes betrachtet werden. Außerdem stellen Luchs und Wolf, Wildkatze und Fuchs den Rehen nach, erstere großen und kleinen ohne Unterschied, letztere namentlich den Reh- kälbern, welche zuweilen auch dem zwerghaften blutgierigen Wiesel zum Opfer fallen sollen.
Der Nutzen, welchen das Reh durch Wildpret, Decke und Gehörn dem Menschen gewährt, ist beziehentlich derselbe, als der des übrigen Hochwilds; der Schaden, welchen es anrichtet, ist aber verhältnißmäßig viel geringer, und deshalb wird das Reh im ganzen überall gern gesehen. Thier- freunde, denen es nicht darauf ankommt, wenn einige Bäume des Waldes zu Grunde gehen, sind ihm leidenschaftlich zugethan, weil es da, wo es sich der Schonung gewiß fühlt, schon bei guter Zeit auf Waldwiesen und Felder heraustritt und so der Landschaft eine außerordentliche Zierde gewährt. Jn großen Parks und Thiergärten hält man dieses Wild eigentlich blos zu diesem Zwecke.
Jung eingefangene Kälber werden bald sehr zahm, gleichsam zu wirklichen Hausthieren, ob- wohl sie in der Gefangenschaft niemals die Größe erreichen, als im freien Walde. Nicht einmal größere Gehege sagen ihnen zu; es scheint, als ob sie keine Beschränkung vertragen könnten. Wie weit die Zähmung des Thieres gehen kann, mag folgende Angabe Winckells lehren.
"Einer meiner Brüder besaß eine gezähmte Ricke, welche sich in der menschlichen Gesellschaft fast am besten zu gefallen schien. Oft lag sie zu unsern Füßen, und gern machte sie sich die Erlaubniß, welche sie nur zuweilen erhielt, zu Nutze, auf dem Sofa an der Seite meiner Schwägerin zu ruhen. Hund und Katze waren ihre Gespielen. Fand sie sich von ihnen beleidigt, so wurden sie durch tüchtige Schläge mit den Läufen hart gestraft. Die liebe Ricke ging mit uns, oder auch für sich allein im Freien spazieren. Hier gesellte sich zuweilen ein Bock zu ihr, welchen sie dann oft bis an den Eingang des Ortes mitbrachte. Zur Brunstzeit blieb sie gewöhnlich, kurze Besuche abgerechnet, welche sie ihrem Wohlthäter abzustatten nicht vergaß, einige Tage und Nächte hindurch im Walde, kam dann, wenn sie sich hochbeschlagen fühlte, nach Hause und setzte zur gehörigen Zeit. Die Kälber aber, mit der Muttermilch dieses zahmen Rehes genährt, blieben wild und wurden deshalb im folgenden Oktober ausgesetzt. Sogar während der Brunstzeit verließ unsere Ricke, wenn sie von ihrem Herrn beim Namen gerufen war, den Bock und folgte dem Herrn bis ans Ende des Waldes; hier aber trennte sie sich von ihm und gab dem Gatten den gewöhnlichen Ruf, ein Zeichen zur Annäherung."
"Wird es der Leser wohl glauben, wenn ich ihm sage, daß dieses herrliche, durch ein helltönen- des Schellenhalsband ausgezeichnete Geschöpf von einem, uns leider unbekannt gebliebenen, boshaf- ten Menschen todtgeschossen worden ist? Wir fanden die Ricke von Schroten durchbohrt im Getreide, zu einer Zeit, wo, auf unserem Gebiet wenigstens, von Denen, welche dazu berechtigt waren, gewiß kein Schuß auf weibliche Rehe geschah."
Ein so trauriges Ende haben leider die meisten Rehe, welche, durch die Gefangenschaft an den Menschen gewöhnt, einem Sonntagsschützen oder boshaften, rohen Leuten in den Weg laufen. Jch könnte mehrere derartige Beispiele anführen, welche den Menschen so recht von seiner abscheuungs- würdigen Seite zeigen. Einige mir bekannte Forstleute zähmen gar keine Rehe mehr, aus Furcht, später den Schmerz erleben zu müssen, das befreundete Thier meuchlings gemordet irgendwo auf- zufinden.
31 *
Unſer Reh.
oder Schmalrehe, im dritten Jahre Gabelböcke und fertige Rehe. Eine Geſellſchaft der Thiere wird Sprung genannt. Jm übrigen gelten faſt alle Ausdrücke, welche der Jäger vom Edelwild gebraucht, auch vom Reh.
Man jagt dieſes faſt in derſelben Weiſe, als anderes Hochwild, obwohl man gegenwärtig mehr das glattläufige Schrotgewehr, als die Kugelbüchſe zu ſeiner Erlegung anwendet. Zuweilen umſtellt man ausgedehnte Waldſtriche mit Tüchern und treibt dann das Wild dem Jäger zu. Auch werden Treibjagden angeſtellt ꝛc. Der einzelne Waidmann geht pirſchen. Von geübten Jägern wird der Bock in der Brunſtzeit durch Nachahmung des zirpenden Liebeslautes ſeines Weibchens herbeigelockt und dann erlegt. Nur in höchſt ſeltenen Fällen vertheidigt ſich das furchtſame Thier mit ſeinem Geweih, und niemals kommt es vor, daß es einen Menſchen angreift. Dieſer muß entſchieden als der Haupt- feind des ſchmucken Geſchöpfes betrachtet werden. Außerdem ſtellen Luchs und Wolf, Wildkatze und Fuchs den Rehen nach, erſtere großen und kleinen ohne Unterſchied, letztere namentlich den Reh- kälbern, welche zuweilen auch dem zwerghaften blutgierigen Wieſel zum Opfer fallen ſollen.
Der Nutzen, welchen das Reh durch Wildpret, Decke und Gehörn dem Menſchen gewährt, iſt beziehentlich derſelbe, als der des übrigen Hochwilds; der Schaden, welchen es anrichtet, iſt aber verhältnißmäßig viel geringer, und deshalb wird das Reh im ganzen überall gern geſehen. Thier- freunde, denen es nicht darauf ankommt, wenn einige Bäume des Waldes zu Grunde gehen, ſind ihm leidenſchaftlich zugethan, weil es da, wo es ſich der Schonung gewiß fühlt, ſchon bei guter Zeit auf Waldwieſen und Felder heraustritt und ſo der Landſchaft eine außerordentliche Zierde gewährt. Jn großen Parks und Thiergärten hält man dieſes Wild eigentlich blos zu dieſem Zwecke.
Jung eingefangene Kälber werden bald ſehr zahm, gleichſam zu wirklichen Hausthieren, ob- wohl ſie in der Gefangenſchaft niemals die Größe erreichen, als im freien Walde. Nicht einmal größere Gehege ſagen ihnen zu; es ſcheint, als ob ſie keine Beſchränkung vertragen könnten. Wie weit die Zähmung des Thieres gehen kann, mag folgende Angabe Winckells lehren.
„Einer meiner Brüder beſaß eine gezähmte Ricke, welche ſich in der menſchlichen Geſellſchaft faſt am beſten zu gefallen ſchien. Oft lag ſie zu unſern Füßen, und gern machte ſie ſich die Erlaubniß, welche ſie nur zuweilen erhielt, zu Nutze, auf dem Sofa an der Seite meiner Schwägerin zu ruhen. Hund und Katze waren ihre Geſpielen. Fand ſie ſich von ihnen beleidigt, ſo wurden ſie durch tüchtige Schläge mit den Läufen hart geſtraft. Die liebe Ricke ging mit uns, oder auch für ſich allein im Freien ſpazieren. Hier geſellte ſich zuweilen ein Bock zu ihr, welchen ſie dann oft bis an den Eingang des Ortes mitbrachte. Zur Brunſtzeit blieb ſie gewöhnlich, kurze Beſuche abgerechnet, welche ſie ihrem Wohlthäter abzuſtatten nicht vergaß, einige Tage und Nächte hindurch im Walde, kam dann, wenn ſie ſich hochbeſchlagen fühlte, nach Hauſe und ſetzte zur gehörigen Zeit. Die Kälber aber, mit der Muttermilch dieſes zahmen Rehes genährt, blieben wild und wurden deshalb im folgenden Oktober ausgeſetzt. Sogar während der Brunſtzeit verließ unſere Ricke, wenn ſie von ihrem Herrn beim Namen gerufen war, den Bock und folgte dem Herrn bis ans Ende des Waldes; hier aber trennte ſie ſich von ihm und gab dem Gatten den gewöhnlichen Ruf, ein Zeichen zur Annäherung.‟
„Wird es der Leſer wohl glauben, wenn ich ihm ſage, daß dieſes herrliche, durch ein helltönen- des Schellenhalsband ausgezeichnete Geſchöpf von einem, uns leider unbekannt gebliebenen, boshaf- ten Menſchen todtgeſchoſſen worden iſt? Wir fanden die Ricke von Schroten durchbohrt im Getreide, zu einer Zeit, wo, auf unſerem Gebiet wenigſtens, von Denen, welche dazu berechtigt waren, gewiß kein Schuß auf weibliche Rehe geſchah.‟
Ein ſo trauriges Ende haben leider die meiſten Rehe, welche, durch die Gefangenſchaft an den Menſchen gewöhnt, einem Sonntagsſchützen oder boshaften, rohen Leuten in den Weg laufen. Jch könnte mehrere derartige Beiſpiele anführen, welche den Menſchen ſo recht von ſeiner abſcheuungs- würdigen Seite zeigen. Einige mir bekannte Forſtleute zähmen gar keine Rehe mehr, aus Furcht, ſpäter den Schmerz erleben zu müſſen, das befreundete Thier meuchlings gemordet irgendwo auf- zufinden.
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[483/0509]
Unſer Reh.
oder Schmalrehe, im dritten Jahre Gabelböcke und fertige Rehe. Eine Geſellſchaft der
Thiere wird Sprung genannt. Jm übrigen gelten faſt alle Ausdrücke, welche der Jäger vom
Edelwild gebraucht, auch vom Reh.
Man jagt dieſes faſt in derſelben Weiſe, als anderes Hochwild, obwohl man gegenwärtig mehr
das glattläufige Schrotgewehr, als die Kugelbüchſe zu ſeiner Erlegung anwendet. Zuweilen umſtellt
man ausgedehnte Waldſtriche mit Tüchern und treibt dann das Wild dem Jäger zu. Auch werden
Treibjagden angeſtellt ꝛc. Der einzelne Waidmann geht pirſchen. Von geübten Jägern wird der Bock
in der Brunſtzeit durch Nachahmung des zirpenden Liebeslautes ſeines Weibchens herbeigelockt und
dann erlegt. Nur in höchſt ſeltenen Fällen vertheidigt ſich das furchtſame Thier mit ſeinem Geweih,
und niemals kommt es vor, daß es einen Menſchen angreift. Dieſer muß entſchieden als der Haupt-
feind des ſchmucken Geſchöpfes betrachtet werden. Außerdem ſtellen Luchs und Wolf, Wildkatze
und Fuchs den Rehen nach, erſtere großen und kleinen ohne Unterſchied, letztere namentlich den Reh-
kälbern, welche zuweilen auch dem zwerghaften blutgierigen Wieſel zum Opfer fallen ſollen.
Der Nutzen, welchen das Reh durch Wildpret, Decke und Gehörn dem Menſchen gewährt, iſt
beziehentlich derſelbe, als der des übrigen Hochwilds; der Schaden, welchen es anrichtet, iſt aber
verhältnißmäßig viel geringer, und deshalb wird das Reh im ganzen überall gern geſehen. Thier-
freunde, denen es nicht darauf ankommt, wenn einige Bäume des Waldes zu Grunde gehen, ſind
ihm leidenſchaftlich zugethan, weil es da, wo es ſich der Schonung gewiß fühlt, ſchon bei guter Zeit
auf Waldwieſen und Felder heraustritt und ſo der Landſchaft eine außerordentliche Zierde gewährt.
Jn großen Parks und Thiergärten hält man dieſes Wild eigentlich blos zu dieſem Zwecke.
Jung eingefangene Kälber werden bald ſehr zahm, gleichſam zu wirklichen Hausthieren, ob-
wohl ſie in der Gefangenſchaft niemals die Größe erreichen, als im freien Walde. Nicht einmal größere
Gehege ſagen ihnen zu; es ſcheint, als ob ſie keine Beſchränkung vertragen könnten. Wie weit die
Zähmung des Thieres gehen kann, mag folgende Angabe Winckells lehren.
„Einer meiner Brüder beſaß eine gezähmte Ricke, welche ſich in der menſchlichen Geſellſchaft faſt
am beſten zu gefallen ſchien. Oft lag ſie zu unſern Füßen, und gern machte ſie ſich die Erlaubniß,
welche ſie nur zuweilen erhielt, zu Nutze, auf dem Sofa an der Seite meiner Schwägerin zu ruhen.
Hund und Katze waren ihre Geſpielen. Fand ſie ſich von ihnen beleidigt, ſo wurden ſie durch tüchtige
Schläge mit den Läufen hart geſtraft. Die liebe Ricke ging mit uns, oder auch für ſich allein im
Freien ſpazieren. Hier geſellte ſich zuweilen ein Bock zu ihr, welchen ſie dann oft bis an den Eingang
des Ortes mitbrachte. Zur Brunſtzeit blieb ſie gewöhnlich, kurze Beſuche abgerechnet, welche ſie
ihrem Wohlthäter abzuſtatten nicht vergaß, einige Tage und Nächte hindurch im Walde, kam dann,
wenn ſie ſich hochbeſchlagen fühlte, nach Hauſe und ſetzte zur gehörigen Zeit. Die Kälber aber, mit
der Muttermilch dieſes zahmen Rehes genährt, blieben wild und wurden deshalb im folgenden
Oktober ausgeſetzt. Sogar während der Brunſtzeit verließ unſere Ricke, wenn ſie von ihrem Herrn
beim Namen gerufen war, den Bock und folgte dem Herrn bis ans Ende des Waldes; hier aber
trennte ſie ſich von ihm und gab dem Gatten den gewöhnlichen Ruf, ein Zeichen zur Annäherung.‟
„Wird es der Leſer wohl glauben, wenn ich ihm ſage, daß dieſes herrliche, durch ein helltönen-
des Schellenhalsband ausgezeichnete Geſchöpf von einem, uns leider unbekannt gebliebenen, boshaf-
ten Menſchen todtgeſchoſſen worden iſt? Wir fanden die Ricke von Schroten durchbohrt im Getreide,
zu einer Zeit, wo, auf unſerem Gebiet wenigſtens, von Denen, welche dazu berechtigt waren, gewiß
kein Schuß auf weibliche Rehe geſchah.‟
Ein ſo trauriges Ende haben leider die meiſten Rehe, welche, durch die Gefangenſchaft an den
Menſchen gewöhnt, einem Sonntagsſchützen oder boshaften, rohen Leuten in den Weg laufen. Jch
könnte mehrere derartige Beiſpiele anführen, welche den Menſchen ſo recht von ſeiner abſcheuungs-
würdigen Seite zeigen. Einige mir bekannte Forſtleute zähmen gar keine Rehe mehr, aus Furcht,
ſpäter den Schmerz erleben zu müſſen, das befreundete Thier meuchlings gemordet irgendwo auf-
zufinden.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/509>, abgerufen am 23.11.2024.
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