und noch häufiger als im Stalle selbst verunglücken sie in der angegebenen Weise, wenn sie scherzend in der Nähe der Gitter sich vergnügen oder während der Brunst sich gegenseitig treiben, ohne auf jeden Schritt zu achten. So sieht sich also der Pfleger dieser liebenswürdigen Thiere nur zu oft ge- nöthigt, einen derartigen verunglückten Mazamahirsch gewaltsam zu tödten, und Dies kommt dem wahren Thierfreunde, wie ich aus eigener Erfahrung versichern darf, so hart an, daß er bald schließ- lich lieber ganz auf solche Gefangene verzichtet.
Mit dem virginischen hat der weißschwänzige Hirsch (Reduncina leucura) täuschende Aehnlichkeit. Gestalt und Größe unterscheiden ihn kaum oder nicht von jenem. Auch die Art der Zeichnung, d. h. die Farbenvertheilung, ist fast genau dieselbe. Demungeachtet unterliegt es keinem Zweifel, daß beide Hirsche als verschiedene Arten betrachtet werden müssen. Besonders auffallend ist der Unterschied in der Färbung, obgleich die einzelnen Haare sehr ähnlich gezeichnet sind. Bei beiden Arten hat jedes einzelne Haar einen lichteren Ring vor der dunkleren Spitze; derselbe ist aber bei dem virginischen Hirsch über doppelt so breit, als beim weißschwänzigen, und rostroth gefärbt, während er bei letzterem fahlgelb erscheint. Dieser geringe Unterschied bedingt die Abweichung der Gesammtfärbung; denn im übrigen sind beider Haare gleichgefärbt: lichtgrau an der Wurzel, zuneh- mend dunkler gegen den Ring hin, schwarz an der Spitze. Weil aber die Ringe bei Bestimmung der Gesammtfärbung hauptsächlich zur Geltung kommen, erscheint der virginische Hirsch immer rostfar- bener, als der weißschwänzige, welcher fast genau die Färbung unseres Rehes hat. Doch muß man beide Arten neben einander haben, wenn man in der Bestimmung sicher sein will. Die ameri- kanischen Forscher glauben auf die größere Länge des Wedels im Vergleich zu jener des virginischen Hirsches besonderes Gewicht legen zu müssen: ich kann versichern, daß man bei dem lebenden Thiere den bezüglichen Unterschied nicht wahrnimmt.
Nach Audubon und Bachmann lebt der weißschwänzige Hirsch östlich von den Felsgebirgen, hauptsächlich im Flußgebiete des Kolumbia, hier vorzugsweise in den fruchtbaren Steppen, welche die kleineren Flüsse umgeben; er scheint also den virginischen Hirsch im Nordwesten zu vertreten. Die französischen Kanadier und die schottischen Hochländer, welche im Dienste der Hudsonsbaigesellschaft stehen, nennen ihn einfach Reh, und erzählen, daß er im ganzen diesem Thiere durchaus ähnlich lebe. Seine Lieblingsplätze sind die dichten Gebüsche der Steppen. Hier verbirgt er sich während des Tages; gegen Abend geht er auf Aeßung aus. Sein Gang ist schleichend, wird aber oft durch hohe, zierliche Sprünge unterbrochen. Der flüchtige Hirsch hebt seinen Wedel hoch in die Höhe und bewegt ihn von einer Seite zur anderen. Vom November bis zum April und Mai sieht man dieses Wild in zahlreichen Trupps; dann zertheilen sich diese, weil die Thiere ihre Kälber setzen. Letztere sind bis in den ersten Winter mit weißlichen Tupfen gefleckt und erhalten dann das Kleid ihrer El- tern. Gegen den November hin tritt der Hirsch auf die Brunst und ruft mit dumpfem Schreien das Thier oder andere Nebenbuhler herbei. Die Jndianer ahmen mit einem kurzen Rohrstücke dieses Schreien vortrefflich nach, um den Hirsch herbeizulocken. Das Thier ruft sein Kalb mit einem kurz ausgestoßenen "Mäh mäh". Jn allem übrigen scheint der weißschwänzige Hirsch nicht von dem vir- ginischen abzuweichen; doch muß ich hervorheben, daß die Berichte über jenen sehr dürftig lauten, wahrscheinlich weil auch die meisten Reisenden beide Hirsche für gleichartig ansahen.
An unserem Gefangenen ist mir vom ersten Tage an das sonderbare Schleichen aufgefallen. Der Thiergarten zu Hamburg besitzt allerdings nur ein einziges Thier dieses Hirsches; dasselbe steht aber mit einem virginischen in ein und demselben Gehege und gibt somit Gelegenheit, beide zu vergleichen. Bei allen virginischen Hirschen, welche ich sah, habe ich niemals jenes Schleichen beobachtet, welches der weißschwänzige Hirsch annimmt, sobald er getrieben wird oder sich irgendwie verfolgt glaubt. Er kriecht dann förmlich auf dem Boden dahin, den Rücken tief nach unten eingebogen, Hals und Kopf gerade vorgestreckt und jeden Schritt überlegend. Wahrscheinlich ähnelt er im Freien ganz gewissen Antilopen, welche unter dem Namen Ducker bekannt sind.
Der weißſchwänzige Hirſch.
und noch häufiger als im Stalle ſelbſt verunglücken ſie in der angegebenen Weiſe, wenn ſie ſcherzend in der Nähe der Gitter ſich vergnügen oder während der Brunſt ſich gegenſeitig treiben, ohne auf jeden Schritt zu achten. So ſieht ſich alſo der Pfleger dieſer liebenswürdigen Thiere nur zu oft ge- nöthigt, einen derartigen verunglückten Mazamahirſch gewaltſam zu tödten, und Dies kommt dem wahren Thierfreunde, wie ich aus eigener Erfahrung verſichern darf, ſo hart an, daß er bald ſchließ- lich lieber ganz auf ſolche Gefangene verzichtet.
Mit dem virginiſchen hat der weißſchwänzige Hirſch (Reduncina leucura) täuſchende Aehnlichkeit. Geſtalt und Größe unterſcheiden ihn kaum oder nicht von jenem. Auch die Art der Zeichnung, d. h. die Farbenvertheilung, iſt faſt genau dieſelbe. Demungeachtet unterliegt es keinem Zweifel, daß beide Hirſche als verſchiedene Arten betrachtet werden müſſen. Beſonders auffallend iſt der Unterſchied in der Färbung, obgleich die einzelnen Haare ſehr ähnlich gezeichnet ſind. Bei beiden Arten hat jedes einzelne Haar einen lichteren Ring vor der dunkleren Spitze; derſelbe iſt aber bei dem virginiſchen Hirſch über doppelt ſo breit, als beim weißſchwänzigen, und roſtroth gefärbt, während er bei letzterem fahlgelb erſcheint. Dieſer geringe Unterſchied bedingt die Abweichung der Geſammtfärbung; denn im übrigen ſind beider Haare gleichgefärbt: lichtgrau an der Wurzel, zuneh- mend dunkler gegen den Ring hin, ſchwarz an der Spitze. Weil aber die Ringe bei Beſtimmung der Geſammtfärbung hauptſächlich zur Geltung kommen, erſcheint der virginiſche Hirſch immer roſtfar- bener, als der weißſchwänzige, welcher faſt genau die Färbung unſeres Rehes hat. Doch muß man beide Arten neben einander haben, wenn man in der Beſtimmung ſicher ſein will. Die ameri- kaniſchen Forſcher glauben auf die größere Länge des Wedels im Vergleich zu jener des virginiſchen Hirſches beſonderes Gewicht legen zu müſſen: ich kann verſichern, daß man bei dem lebenden Thiere den bezüglichen Unterſchied nicht wahrnimmt.
Nach Audubon und Bachmann lebt der weißſchwänzige Hirſch öſtlich von den Felsgebirgen, hauptſächlich im Flußgebiete des Kolumbia, hier vorzugsweiſe in den fruchtbaren Steppen, welche die kleineren Flüſſe umgeben; er ſcheint alſo den virginiſchen Hirſch im Nordweſten zu vertreten. Die franzöſiſchen Kanadier und die ſchottiſchen Hochländer, welche im Dienſte der Hudſonsbaigeſellſchaft ſtehen, nennen ihn einfach Reh, und erzählen, daß er im ganzen dieſem Thiere durchaus ähnlich lebe. Seine Lieblingsplätze ſind die dichten Gebüſche der Steppen. Hier verbirgt er ſich während des Tages; gegen Abend geht er auf Aeßung aus. Sein Gang iſt ſchleichend, wird aber oft durch hohe, zierliche Sprünge unterbrochen. Der flüchtige Hirſch hebt ſeinen Wedel hoch in die Höhe und bewegt ihn von einer Seite zur anderen. Vom November bis zum April und Mai ſieht man dieſes Wild in zahlreichen Trupps; dann zertheilen ſich dieſe, weil die Thiere ihre Kälber ſetzen. Letztere ſind bis in den erſten Winter mit weißlichen Tupfen gefleckt und erhalten dann das Kleid ihrer El- tern. Gegen den November hin tritt der Hirſch auf die Brunſt und ruft mit dumpfem Schreien das Thier oder andere Nebenbuhler herbei. Die Jndianer ahmen mit einem kurzen Rohrſtücke dieſes Schreien vortrefflich nach, um den Hirſch herbeizulocken. Das Thier ruft ſein Kalb mit einem kurz ausgeſtoßenen „Mäh mäh‟. Jn allem übrigen ſcheint der weißſchwänzige Hirſch nicht von dem vir- giniſchen abzuweichen; doch muß ich hervorheben, daß die Berichte über jenen ſehr dürftig lauten, wahrſcheinlich weil auch die meiſten Reiſenden beide Hirſche für gleichartig anſahen.
An unſerem Gefangenen iſt mir vom erſten Tage an das ſonderbare Schleichen aufgefallen. Der Thiergarten zu Hamburg beſitzt allerdings nur ein einziges Thier dieſes Hirſches; daſſelbe ſteht aber mit einem virginiſchen in ein und demſelben Gehege und gibt ſomit Gelegenheit, beide zu vergleichen. Bei allen virginiſchen Hirſchen, welche ich ſah, habe ich niemals jenes Schleichen beobachtet, welches der weißſchwänzige Hirſch annimmt, ſobald er getrieben wird oder ſich irgendwie verfolgt glaubt. Er kriecht dann förmlich auf dem Boden dahin, den Rücken tief nach unten eingebogen, Hals und Kopf gerade vorgeſtreckt und jeden Schritt überlegend. Wahrſcheinlich ähnelt er im Freien ganz gewiſſen Antilopen, welche unter dem Namen Ducker bekannt ſind.
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Der weißſchwänzige Hirſch.
und noch häufiger als im Stalle ſelbſt verunglücken ſie in der angegebenen Weiſe, wenn ſie ſcherzend
in der Nähe der Gitter ſich vergnügen oder während der Brunſt ſich gegenſeitig treiben, ohne auf
jeden Schritt zu achten. So ſieht ſich alſo der Pfleger dieſer liebenswürdigen Thiere nur zu oft ge-
nöthigt, einen derartigen verunglückten Mazamahirſch gewaltſam zu tödten, und Dies kommt dem
wahren Thierfreunde, wie ich aus eigener Erfahrung verſichern darf, ſo hart an, daß er bald ſchließ-
lich lieber ganz auf ſolche Gefangene verzichtet.
Mit dem virginiſchen hat der weißſchwänzige Hirſch (Reduncina leucura) täuſchende
Aehnlichkeit. Geſtalt und Größe unterſcheiden ihn kaum oder nicht von jenem. Auch die Art der
Zeichnung, d. h. die Farbenvertheilung, iſt faſt genau dieſelbe. Demungeachtet unterliegt es keinem
Zweifel, daß beide Hirſche als verſchiedene Arten betrachtet werden müſſen. Beſonders auffallend
iſt der Unterſchied in der Färbung, obgleich die einzelnen Haare ſehr ähnlich gezeichnet ſind. Bei
beiden Arten hat jedes einzelne Haar einen lichteren Ring vor der dunkleren Spitze; derſelbe iſt aber
bei dem virginiſchen Hirſch über doppelt ſo breit, als beim weißſchwänzigen, und roſtroth gefärbt,
während er bei letzterem fahlgelb erſcheint. Dieſer geringe Unterſchied bedingt die Abweichung der
Geſammtfärbung; denn im übrigen ſind beider Haare gleichgefärbt: lichtgrau an der Wurzel, zuneh-
mend dunkler gegen den Ring hin, ſchwarz an der Spitze. Weil aber die Ringe bei Beſtimmung der
Geſammtfärbung hauptſächlich zur Geltung kommen, erſcheint der virginiſche Hirſch immer roſtfar-
bener, als der weißſchwänzige, welcher faſt genau die Färbung unſeres Rehes hat. Doch muß
man beide Arten neben einander haben, wenn man in der Beſtimmung ſicher ſein will. Die ameri-
kaniſchen Forſcher glauben auf die größere Länge des Wedels im Vergleich zu jener des virginiſchen
Hirſches beſonderes Gewicht legen zu müſſen: ich kann verſichern, daß man bei dem lebenden Thiere
den bezüglichen Unterſchied nicht wahrnimmt.
Nach Audubon und Bachmann lebt der weißſchwänzige Hirſch öſtlich von den Felsgebirgen,
hauptſächlich im Flußgebiete des Kolumbia, hier vorzugsweiſe in den fruchtbaren Steppen, welche
die kleineren Flüſſe umgeben; er ſcheint alſo den virginiſchen Hirſch im Nordweſten zu vertreten. Die
franzöſiſchen Kanadier und die ſchottiſchen Hochländer, welche im Dienſte der Hudſonsbaigeſellſchaft
ſtehen, nennen ihn einfach Reh, und erzählen, daß er im ganzen dieſem Thiere durchaus ähnlich
lebe. Seine Lieblingsplätze ſind die dichten Gebüſche der Steppen. Hier verbirgt er ſich während
des Tages; gegen Abend geht er auf Aeßung aus. Sein Gang iſt ſchleichend, wird aber oft durch
hohe, zierliche Sprünge unterbrochen. Der flüchtige Hirſch hebt ſeinen Wedel hoch in die Höhe und
bewegt ihn von einer Seite zur anderen. Vom November bis zum April und Mai ſieht man dieſes
Wild in zahlreichen Trupps; dann zertheilen ſich dieſe, weil die Thiere ihre Kälber ſetzen. Letztere
ſind bis in den erſten Winter mit weißlichen Tupfen gefleckt und erhalten dann das Kleid ihrer El-
tern. Gegen den November hin tritt der Hirſch auf die Brunſt und ruft mit dumpfem Schreien das
Thier oder andere Nebenbuhler herbei. Die Jndianer ahmen mit einem kurzen Rohrſtücke dieſes
Schreien vortrefflich nach, um den Hirſch herbeizulocken. Das Thier ruft ſein Kalb mit einem kurz
ausgeſtoßenen „Mäh mäh‟. Jn allem übrigen ſcheint der weißſchwänzige Hirſch nicht von dem vir-
giniſchen abzuweichen; doch muß ich hervorheben, daß die Berichte über jenen ſehr dürftig lauten,
wahrſcheinlich weil auch die meiſten Reiſenden beide Hirſche für gleichartig anſahen.
An unſerem Gefangenen iſt mir vom erſten Tage an das ſonderbare Schleichen aufgefallen. Der
Thiergarten zu Hamburg beſitzt allerdings nur ein einziges Thier dieſes Hirſches; daſſelbe ſteht aber
mit einem virginiſchen in ein und demſelben Gehege und gibt ſomit Gelegenheit, beide zu vergleichen.
Bei allen virginiſchen Hirſchen, welche ich ſah, habe ich niemals jenes Schleichen beobachtet, welches
der weißſchwänzige Hirſch annimmt, ſobald er getrieben wird oder ſich irgendwie verfolgt glaubt. Er
kriecht dann förmlich auf dem Boden dahin, den Rücken tief nach unten eingebogen, Hals und Kopf
gerade vorgeſtreckt und jeden Schritt überlegend. Wahrſcheinlich ähnelt er im Freien ganz gewiſſen
Antilopen, welche unter dem Namen Ducker bekannt ſind.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/501>, abgerufen am 23.11.2024.
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