zu, daß sie kräftig und feist werden; bald müssen sie Hunger und Kummer erdulden, wie ihr Herr. Jm Sommer leiden sie entsetzlich von den Mücken und Renthierbremsen, im Winter von dem Schnee, welcher ihnen die Weide verdeckt und oft durch seine harte Kruste ihnen die Füße ver- wundet.
Jn Norwegen und Lappland wandern die Lappen gewöhnlich längs der Flüsse nach dem Ge- birge und Meere zu, getrieben durch die Mücken, und von den Gebirgen wieder zur Tiefe herab oder von dem Meere nach dem inneren Lande, wenn der Winter herannaht. Jn den Monaten Juli und August leben die Renthiere auf den Gebirgen und am Meeresstrand; vom September an findet die Rückwanderung statt, und um diese Zeit läßt der Lappe, wenn er bei seinen Herbststellen -- kleinen Blockhäusern, in denen er die nothdürftigsten Lebensbedürfnisse verwahrt, -- angelangt ist, seine Renthiere ihre Freiheit genießen, falls "Friede im Lande" ist, d. h. falls keine Wölfe in der Nähe umherstreifen. Jn diese Zeit fällt die Brunst, und da kommt es nun oft genug vor, daß die zahmen sich mit den wilden vermischen, zur großen Freude der Herdenbesitzer, welche hierdurch eine bessere Zucht erzielen. Mit dem ersten Schneefall werden die Renthiere wieder eingefangen und gehütet, denn um diese Zeit gilt es, sie mehr als je vor den Wölfen zu bewahren. Nun kommt der Frühling heran und mit ihm eine neue Zeit der Freiheit; dann werden die Thiere noch- mals zur Herde gesammelt: denn jetzt setzen die Kühe ihre Kälber und liefern die köstliche Milch, welche nicht verloren gehen darf; sie werden also wieder nach den Orten getrieben, wo es wenig Mücken gibt. So geht es fort, von einem Jahr zum anderen.
Die Renthierzucht und Renthierhut hat ihr sehr Eigenthümliches. Ohne die munteren, wachsamen Hunde würde es dem Lappen geradezu unmöglich sein, seine Herde zu weiden; jener Hilfe dankt er Alles. Aeußerst wachsam, behend, klug und durchaus verläßlich sind diese Hunde; ihre ganze Gestalt gibt Zeugniß von der Freiheit, in welcher sie leben: sie ähneln wilden Verwandten ihrer Familie. Die Lauscher stehen aufrecht und verleihen dem Kopf einen Ausdruck großer Selb- ständigkeit und natürlicher Schlauheit. Das Fell am Körper, mit Ausnahme des Kopfes, ist sehr dicht, pudelähnlich behaart, die Beine sind haarig, die Gestalt ist schlank: aber die Thiere sind klein und schmächtig, kaum so groß wie unsere Spitze. Dunkle Haarfärbung ist vorherrschend. Die Lappen halten sie außerordentlich hoch und mit Recht, denn sie gehorchen aufs Wort und wissen jeden Wink des Hirten zu deuten, ja, sie hüten ohne sein Zuthun tagelang auf eigene Faust. Durch sie treibt der Lappe die ganze Herde zusammen; mit ihrer Hilfe vereinigt er sein Vieh an einer in das Meer vorspringenden Felsenkante und jagt es dann in das Wasser, um es zum Schwimmen über funfzig bis hundert Schritt breite Meeresarme zu nöthigen; sie sind es, welche im Frühjahr die Schwächlinge einfangen müssen, weil diese während des Schwimmens ertrinken würden; sie sind es, welche im Herbst, wo die Weide alle Thiere gekräftigt hat, die Herde wieder über den Meeresarm hinwegjagen.
Eine Renthierherde gewährt ein ganz eigenes Schauspiel. Sie gleicht allerdings einem wandeln- den Wald, wohlverstanden, wenn man annimmt, daß der Wald gerade blätterlos ist. Die Herde geht geschlossen, wie die Schafe, aber mit behenden, federnden Schritten und so rasch, wie keines unserer Hausthiere. Auf der einen Seite wandelt der Hirt mit seinen Hunden, welch letztere ihrer- seits eifrig bemüht sind, die Herde zusammenzuhalten. -- Ohne Aufhören umkreisen sie die Thiere, jedes, welches heraustritt, wird augenblicklich wieder zur Herde getrieben: und so bringen sie es da- hin, daß der Trupp immer geschlossen bleibt. Hierdurch wird es auch dem Lappen sehr leicht, jedes beliebige Renthier mit seiner Wurfschlinge, die er geschickt zu handhaben versteht, aus dem Haufen herauszufangen.
Wenn es gute Weide in der Nähe gibt, bauen sich die Lappen zur Erleichterung des Melkens eine Hürde, in welche sie allabendlich ihre Thiere treiben. Diese Hürden bestehen aus dicht an ein- ander gelehnten Birkenstämmen, von fünf bis sechs Fuß Höhe, welche oben durch Querhölzer zusam- mengehalten werden, die ihrerseits wieder auf stärkeren Pfählen und Pfeilern befestigt sind. Zwei
Das Renthier.
zu, daß ſie kräftig und feiſt werden; bald müſſen ſie Hunger und Kummer erdulden, wie ihr Herr. Jm Sommer leiden ſie entſetzlich von den Mücken und Renthierbremſen, im Winter von dem Schnee, welcher ihnen die Weide verdeckt und oft durch ſeine harte Kruſte ihnen die Füße ver- wundet.
Jn Norwegen und Lappland wandern die Lappen gewöhnlich längs der Flüſſe nach dem Ge- birge und Meere zu, getrieben durch die Mücken, und von den Gebirgen wieder zur Tiefe herab oder von dem Meere nach dem inneren Lande, wenn der Winter herannaht. Jn den Monaten Juli und Auguſt leben die Renthiere auf den Gebirgen und am Meeresſtrand; vom September an findet die Rückwanderung ſtatt, und um dieſe Zeit läßt der Lappe, wenn er bei ſeinen Herbſtſtellen — kleinen Blockhäuſern, in denen er die nothdürftigſten Lebensbedürfniſſe verwahrt, — angelangt iſt, ſeine Renthiere ihre Freiheit genießen, falls „Friede im Lande‟ iſt, d. h. falls keine Wölfe in der Nähe umherſtreifen. Jn dieſe Zeit fällt die Brunſt, und da kommt es nun oft genug vor, daß die zahmen ſich mit den wilden vermiſchen, zur großen Freude der Herdenbeſitzer, welche hierdurch eine beſſere Zucht erzielen. Mit dem erſten Schneefall werden die Renthiere wieder eingefangen und gehütet, denn um dieſe Zeit gilt es, ſie mehr als je vor den Wölfen zu bewahren. Nun kommt der Frühling heran und mit ihm eine neue Zeit der Freiheit; dann werden die Thiere noch- mals zur Herde geſammelt: denn jetzt ſetzen die Kühe ihre Kälber und liefern die köſtliche Milch, welche nicht verloren gehen darf; ſie werden alſo wieder nach den Orten getrieben, wo es wenig Mücken gibt. So geht es fort, von einem Jahr zum anderen.
Die Renthierzucht und Renthierhut hat ihr ſehr Eigenthümliches. Ohne die munteren, wachſamen Hunde würde es dem Lappen geradezu unmöglich ſein, ſeine Herde zu weiden; jener Hilfe dankt er Alles. Aeußerſt wachſam, behend, klug und durchaus verläßlich ſind dieſe Hunde; ihre ganze Geſtalt gibt Zeugniß von der Freiheit, in welcher ſie leben: ſie ähneln wilden Verwandten ihrer Familie. Die Lauſcher ſtehen aufrecht und verleihen dem Kopf einen Ausdruck großer Selb- ſtändigkeit und natürlicher Schlauheit. Das Fell am Körper, mit Ausnahme des Kopfes, iſt ſehr dicht, pudelähnlich behaart, die Beine ſind haarig, die Geſtalt iſt ſchlank: aber die Thiere ſind klein und ſchmächtig, kaum ſo groß wie unſere Spitze. Dunkle Haarfärbung iſt vorherrſchend. Die Lappen halten ſie außerordentlich hoch und mit Recht, denn ſie gehorchen aufs Wort und wiſſen jeden Wink des Hirten zu deuten, ja, ſie hüten ohne ſein Zuthun tagelang auf eigene Fauſt. Durch ſie treibt der Lappe die ganze Herde zuſammen; mit ihrer Hilfe vereinigt er ſein Vieh an einer in das Meer vorſpringenden Felſenkante und jagt es dann in das Waſſer, um es zum Schwimmen über funfzig bis hundert Schritt breite Meeresarme zu nöthigen; ſie ſind es, welche im Frühjahr die Schwächlinge einfangen müſſen, weil dieſe während des Schwimmens ertrinken würden; ſie ſind es, welche im Herbſt, wo die Weide alle Thiere gekräftigt hat, die Herde wieder über den Meeresarm hinwegjagen.
Eine Renthierherde gewährt ein ganz eigenes Schauſpiel. Sie gleicht allerdings einem wandeln- den Wald, wohlverſtanden, wenn man annimmt, daß der Wald gerade blätterlos iſt. Die Herde geht geſchloſſen, wie die Schafe, aber mit behenden, federnden Schritten und ſo raſch, wie keines unſerer Hausthiere. Auf der einen Seite wandelt der Hirt mit ſeinen Hunden, welch letztere ihrer- ſeits eifrig bemüht ſind, die Herde zuſammenzuhalten. — Ohne Aufhören umkreiſen ſie die Thiere, jedes, welches heraustritt, wird augenblicklich wieder zur Herde getrieben: und ſo bringen ſie es da- hin, daß der Trupp immer geſchloſſen bleibt. Hierdurch wird es auch dem Lappen ſehr leicht, jedes beliebige Renthier mit ſeiner Wurfſchlinge, die er geſchickt zu handhaben verſteht, aus dem Haufen herauszufangen.
Wenn es gute Weide in der Nähe gibt, bauen ſich die Lappen zur Erleichterung des Melkens eine Hürde, in welche ſie allabendlich ihre Thiere treiben. Dieſe Hürden beſtehen aus dicht an ein- ander gelehnten Birkenſtämmen, von fünf bis ſechs Fuß Höhe, welche oben durch Querhölzer zuſam- mengehalten werden, die ihrerſeits wieder auf ſtärkeren Pfählen und Pfeilern befeſtigt ſind. Zwei
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[443/0469]
Das Renthier.
zu, daß ſie kräftig und feiſt werden; bald müſſen ſie Hunger und Kummer erdulden, wie ihr Herr.
Jm Sommer leiden ſie entſetzlich von den Mücken und Renthierbremſen, im Winter von dem
Schnee, welcher ihnen die Weide verdeckt und oft durch ſeine harte Kruſte ihnen die Füße ver-
wundet.
Jn Norwegen und Lappland wandern die Lappen gewöhnlich längs der Flüſſe nach dem Ge-
birge und Meere zu, getrieben durch die Mücken, und von den Gebirgen wieder zur Tiefe herab
oder von dem Meere nach dem inneren Lande, wenn der Winter herannaht. Jn den Monaten
Juli und Auguſt leben die Renthiere auf den Gebirgen und am Meeresſtrand; vom September an
findet die Rückwanderung ſtatt, und um dieſe Zeit läßt der Lappe, wenn er bei ſeinen Herbſtſtellen
— kleinen Blockhäuſern, in denen er die nothdürftigſten Lebensbedürfniſſe verwahrt, — angelangt iſt,
ſeine Renthiere ihre Freiheit genießen, falls „Friede im Lande‟ iſt, d. h. falls keine Wölfe in der
Nähe umherſtreifen. Jn dieſe Zeit fällt die Brunſt, und da kommt es nun oft genug vor, daß
die zahmen ſich mit den wilden vermiſchen, zur großen Freude der Herdenbeſitzer, welche hierdurch
eine beſſere Zucht erzielen. Mit dem erſten Schneefall werden die Renthiere wieder eingefangen
und gehütet, denn um dieſe Zeit gilt es, ſie mehr als je vor den Wölfen zu bewahren. Nun
kommt der Frühling heran und mit ihm eine neue Zeit der Freiheit; dann werden die Thiere noch-
mals zur Herde geſammelt: denn jetzt ſetzen die Kühe ihre Kälber und liefern die köſtliche Milch,
welche nicht verloren gehen darf; ſie werden alſo wieder nach den Orten getrieben, wo es wenig
Mücken gibt. So geht es fort, von einem Jahr zum anderen.
Die Renthierzucht und Renthierhut hat ihr ſehr Eigenthümliches. Ohne die munteren,
wachſamen Hunde würde es dem Lappen geradezu unmöglich ſein, ſeine Herde zu weiden; jener
Hilfe dankt er Alles. Aeußerſt wachſam, behend, klug und durchaus verläßlich ſind dieſe Hunde;
ihre ganze Geſtalt gibt Zeugniß von der Freiheit, in welcher ſie leben: ſie ähneln wilden Verwandten
ihrer Familie. Die Lauſcher ſtehen aufrecht und verleihen dem Kopf einen Ausdruck großer Selb-
ſtändigkeit und natürlicher Schlauheit. Das Fell am Körper, mit Ausnahme des Kopfes, iſt ſehr
dicht, pudelähnlich behaart, die Beine ſind haarig, die Geſtalt iſt ſchlank: aber die Thiere ſind
klein und ſchmächtig, kaum ſo groß wie unſere Spitze. Dunkle Haarfärbung iſt vorherrſchend. Die
Lappen halten ſie außerordentlich hoch und mit Recht, denn ſie gehorchen aufs Wort und wiſſen
jeden Wink des Hirten zu deuten, ja, ſie hüten ohne ſein Zuthun tagelang auf eigene Fauſt. Durch
ſie treibt der Lappe die ganze Herde zuſammen; mit ihrer Hilfe vereinigt er ſein Vieh an einer in
das Meer vorſpringenden Felſenkante und jagt es dann in das Waſſer, um es zum Schwimmen
über funfzig bis hundert Schritt breite Meeresarme zu nöthigen; ſie ſind es, welche im Frühjahr die
Schwächlinge einfangen müſſen, weil dieſe während des Schwimmens ertrinken würden; ſie ſind es,
welche im Herbſt, wo die Weide alle Thiere gekräftigt hat, die Herde wieder über den Meeresarm
hinwegjagen.
Eine Renthierherde gewährt ein ganz eigenes Schauſpiel. Sie gleicht allerdings einem wandeln-
den Wald, wohlverſtanden, wenn man annimmt, daß der Wald gerade blätterlos iſt. Die Herde
geht geſchloſſen, wie die Schafe, aber mit behenden, federnden Schritten und ſo raſch, wie keines
unſerer Hausthiere. Auf der einen Seite wandelt der Hirt mit ſeinen Hunden, welch letztere ihrer-
ſeits eifrig bemüht ſind, die Herde zuſammenzuhalten. — Ohne Aufhören umkreiſen ſie die Thiere,
jedes, welches heraustritt, wird augenblicklich wieder zur Herde getrieben: und ſo bringen ſie es da-
hin, daß der Trupp immer geſchloſſen bleibt. Hierdurch wird es auch dem Lappen ſehr leicht, jedes
beliebige Renthier mit ſeiner Wurfſchlinge, die er geſchickt zu handhaben verſteht, aus dem Haufen
herauszufangen.
Wenn es gute Weide in der Nähe gibt, bauen ſich die Lappen zur Erleichterung des Melkens
eine Hürde, in welche ſie allabendlich ihre Thiere treiben. Dieſe Hürden beſtehen aus dicht an ein-
ander gelehnten Birkenſtämmen, von fünf bis ſechs Fuß Höhe, welche oben durch Querhölzer zuſam-
mengehalten werden, die ihrerſeits wieder auf ſtärkeren Pfählen und Pfeilern befeſtigt ſind. Zwei
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/469>, abgerufen am 24.11.2024.
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