Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.Die Kletterbeutelthiere, Flugbeutler oder Kusus. Beobachter sind einstimmig in der Bewunderung dieser Flugbewegung und versichern, daß sie mit eben-soviel Zierlichkeit als Anmuth ausgeführt würde, und schwerlich ihres Gleichen haben könne. Ueber- haupt ist der Flugbeutler ein sehr nettes Thier; er ist durchaus harmlos, gutmüthig und sehr leicht zähmbar, dabei in der Nacht überaus lebendig, munter und lustig, nur leider immer etwas furcht- sam. Während seines Schlafes bei Tage kann er von einem geschickten Kletterer leicht gefangen werden, zumal wenn sich Mehrere zu solcher Jagd verbinden; denn das Licht blendet ihn so, daß er, auch wenn er von seiner Flugesgabe Gebrauch macht, den ins Auge gefaßten Zweig verfehlt, und anstatt auf dem sicheren Baume, auf der Erde anlangt, wo ihn der Mensch sehr bald erreicht. Man findet ihn gar nicht selten in den Häusern der Ansiedler, welche ihn mit großer Sorgfalt pflegen. Er ist auch schon mehrere Male lebend nach Europa gebracht worden und hat dort viel Freude erregt. Sein Verstand ist gering, aber er ersetzt durch seine Lustigkeit und Heiterkeit, durch Sanftmuth und Zierlichkeit den Mangel an geistigen Fähigkeiten hinlänglich. Jm Käfig springt er während der ganzen Nacht ohne Unterlaß umher und nimmt dabei oft die wunderlichsten Stellungen ein. Ohne große Mühe gewöhnt er sich an allerlei Kost, wenn ihm auch Früchte, Blätter, Knospen und Kerbthiere das Liebste bleiben, schon weil diese Dinge seiner natürlichen Nahrung entsprechen. Be- sonders gern frißt er den Honig der Eucalypten oder Gummibäume, und sicherlich bilden auch die Kerbthiere einen nicht unbedeutenden Theil seines Futters. Bei Gefangenen im Londoner Thiergarten hat man beobachtet, daß sie todte Sperlinge und Fleischstücken, die man ihnen brachte, sehr gern ver- zehrten, und deshalb glaubt man mit Recht, daß sie in der Nacht geräuschlos nach Art der Faul- affen an schlafende Vögel und andere kleine Thiere sich anschleichen und sie umbringen. Jn manchen Gegenden thun sie unter den Pfirsichen und Apfelsinen großen Schaden. Die Geselligkeit ist bei dem Zuckereichhorn sehr ausgeprägt. Man findet in den Wäldern "Während des Tages lag er zu einem Ball zusammengerollt, seinen buschigen Schwanz über Die Kletterbeutelthiere, Flugbeutler oder Kuſus. Beobachter ſind einſtimmig in der Bewunderung dieſer Flugbewegung und verſichern, daß ſie mit eben-ſoviel Zierlichkeit als Anmuth ausgeführt würde, und ſchwerlich ihres Gleichen haben könne. Ueber- haupt iſt der Flugbeutler ein ſehr nettes Thier; er iſt durchaus harmlos, gutmüthig und ſehr leicht zähmbar, dabei in der Nacht überaus lebendig, munter und luſtig, nur leider immer etwas furcht- ſam. Während ſeines Schlafes bei Tage kann er von einem geſchickten Kletterer leicht gefangen werden, zumal wenn ſich Mehrere zu ſolcher Jagd verbinden; denn das Licht blendet ihn ſo, daß er, auch wenn er von ſeiner Flugesgabe Gebrauch macht, den ins Auge gefaßten Zweig verfehlt, und anſtatt auf dem ſicheren Baume, auf der Erde anlangt, wo ihn der Menſch ſehr bald erreicht. Man findet ihn gar nicht ſelten in den Häuſern der Anſiedler, welche ihn mit großer Sorgfalt pflegen. Er iſt auch ſchon mehrere Male lebend nach Europa gebracht worden und hat dort viel Freude erregt. Sein Verſtand iſt gering, aber er erſetzt durch ſeine Luſtigkeit und Heiterkeit, durch Sanftmuth und Zierlichkeit den Mangel an geiſtigen Fähigkeiten hinlänglich. Jm Käfig ſpringt er während der ganzen Nacht ohne Unterlaß umher und nimmt dabei oft die wunderlichſten Stellungen ein. Ohne große Mühe gewöhnt er ſich an allerlei Koſt, wenn ihm auch Früchte, Blätter, Knospen und Kerbthiere das Liebſte bleiben, ſchon weil dieſe Dinge ſeiner natürlichen Nahrung entſprechen. Be- ſonders gern frißt er den Honig der Eucalypten oder Gummibäume, und ſicherlich bilden auch die Kerbthiere einen nicht unbedeutenden Theil ſeines Futters. Bei Gefangenen im Londoner Thiergarten hat man beobachtet, daß ſie todte Sperlinge und Fleiſchſtücken, die man ihnen brachte, ſehr gern ver- zehrten, und deshalb glaubt man mit Recht, daß ſie in der Nacht geräuſchlos nach Art der Faul- affen an ſchlafende Vögel und andere kleine Thiere ſich anſchleichen und ſie umbringen. Jn manchen Gegenden thun ſie unter den Pfirſichen und Apfelſinen großen Schaden. Die Geſelligkeit iſt bei dem Zuckereichhorn ſehr ausgeprägt. 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Während ſeines Schlafes bei Tage kann er von einem geſchickten Kletterer leicht gefangen<lb/> werden, zumal wenn ſich Mehrere zu ſolcher Jagd verbinden; denn das Licht blendet ihn ſo, daß<lb/> er, auch wenn er von ſeiner Flugesgabe Gebrauch macht, den ins Auge gefaßten Zweig verfehlt, und<lb/> anſtatt auf dem ſicheren Baume, auf der Erde anlangt, wo ihn der Menſch ſehr bald erreicht. Man<lb/> findet ihn gar nicht ſelten in den Häuſern der Anſiedler, welche ihn mit großer Sorgfalt pflegen. Er<lb/> iſt auch ſchon mehrere Male lebend nach Europa gebracht worden und hat dort viel Freude erregt.<lb/> Sein Verſtand iſt gering, aber er erſetzt durch ſeine Luſtigkeit und Heiterkeit, durch Sanftmuth<lb/> und Zierlichkeit den Mangel an geiſtigen Fähigkeiten hinlänglich. 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Die kleinen Zähne dagegen waren<lb/> nicht hinreichend, Etwas auszurichten. So viel iſt ſicher, daß ein Thier, welches in ſeiner frühen<lb/> Jugend ſich ſo wüthend geberdet, im Alter ein ſchlimmer Beißer ſein muß. Nach und nach wurde<lb/> mein Gefangener zahmer und litt, daß man ihn in die Hand nahm, ohne daß er kratzte und zubiß,<lb/> wie erſt. Auch leckte er die Hand, wenn man in ihr ihm Süßigkeiten reichte, welche er außerordent-<lb/> lich liebte, und erlaubte, daß man ſeine kleine Naſe berührte und ſein Fell unterſuchte. Aber ſowie es<lb/> ſich Jemand herausnahm, ihn beim Körper zu erfaſſen, wurde er außerordentlich wüthend und biß<lb/> und kratzte in wildem Zorn, dabei ſein ſchnurrendes, ſchnaubendes und ſpuckendes Knurren aus-<lb/> ſtoßend. Ruhiger war er, wenn man ihn beim Schwanze packte und ihn nicht zu lange hielt. Dabei<lb/> breitete er ſeine Fallhaut aus, als wolle er ſich vor einem Sturze ſichern. Jn dieſer Lage konnte man<lb/> ſein wundervolles Fell oben und unten viel beſſer als je in einer anderen Stellung ſehen. Obgleich<lb/> er zahm geworden war, ſchien er doch nicht die geringſte Zuneigung gegen Die zu zeigen, welche ihn<lb/> fütterten; denn er benahm ſich gegen Fremde oder gegen die ihm bekannten Perſonen gleich gut oder<lb/> gleich ſchlecht.‟</p><lb/> <p>„Während des Tages lag er zu einem Ball zuſammengerollt, ſeinen buſchigen Schwanz über<lb/> ſich gedeckt, ſtill und ruhig. Nur zuweilen wachte er auf und fraß ein wenig. Bei ſolchen Gelegen-<lb/> heiten erſchien er halb blind oder bewies wenigſtens deutlich, daß ihm das helle Tageslicht höchſt<lb/> unangenehm war. Aber in der Dämmerung des Abends und in der Nacht begann ſein volles Leben<lb/> und ſeine Thätigkeit. Dann war er ein ganz anderes Geſchöpf. Jn ſeinem Käfig lief er oben und<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [32/0044]
Die Kletterbeutelthiere, Flugbeutler oder Kuſus.
Beobachter ſind einſtimmig in der Bewunderung dieſer Flugbewegung und verſichern, daß ſie mit eben-
ſoviel Zierlichkeit als Anmuth ausgeführt würde, und ſchwerlich ihres Gleichen haben könne. Ueber-
haupt iſt der Flugbeutler ein ſehr nettes Thier; er iſt durchaus harmlos, gutmüthig und ſehr leicht
zähmbar, dabei in der Nacht überaus lebendig, munter und luſtig, nur leider immer etwas furcht-
ſam. Während ſeines Schlafes bei Tage kann er von einem geſchickten Kletterer leicht gefangen
werden, zumal wenn ſich Mehrere zu ſolcher Jagd verbinden; denn das Licht blendet ihn ſo, daß
er, auch wenn er von ſeiner Flugesgabe Gebrauch macht, den ins Auge gefaßten Zweig verfehlt, und
anſtatt auf dem ſicheren Baume, auf der Erde anlangt, wo ihn der Menſch ſehr bald erreicht. Man
findet ihn gar nicht ſelten in den Häuſern der Anſiedler, welche ihn mit großer Sorgfalt pflegen. Er
iſt auch ſchon mehrere Male lebend nach Europa gebracht worden und hat dort viel Freude erregt.
Sein Verſtand iſt gering, aber er erſetzt durch ſeine Luſtigkeit und Heiterkeit, durch Sanftmuth
und Zierlichkeit den Mangel an geiſtigen Fähigkeiten hinlänglich. Jm Käfig ſpringt er während
der ganzen Nacht ohne Unterlaß umher und nimmt dabei oft die wunderlichſten Stellungen ein.
Ohne große Mühe gewöhnt er ſich an allerlei Koſt, wenn ihm auch Früchte, Blätter, Knospen und
Kerbthiere das Liebſte bleiben, ſchon weil dieſe Dinge ſeiner natürlichen Nahrung entſprechen. Be-
ſonders gern frißt er den Honig der Eucalypten oder Gummibäume, und ſicherlich bilden auch die
Kerbthiere einen nicht unbedeutenden Theil ſeines Futters. Bei Gefangenen im Londoner Thiergarten
hat man beobachtet, daß ſie todte Sperlinge und Fleiſchſtücken, die man ihnen brachte, ſehr gern ver-
zehrten, und deshalb glaubt man mit Recht, daß ſie in der Nacht geräuſchlos nach Art der Faul-
affen an ſchlafende Vögel und andere kleine Thiere ſich anſchleichen und ſie umbringen. Jn manchen
Gegenden thun ſie unter den Pfirſichen und Apfelſinen großen Schaden.
Die Geſelligkeit iſt bei dem Zuckereichhorn ſehr ausgeprägt. Man findet in den Wäldern
immer mehrere derſelben Art vereinigt, obgleich es nicht ſcheint, als ob Eins das Andere beſon-
ders freundſchaftlich und liebevoll behandle. Jn der Gefangenſchaft befreundet es ſich wohl auch mit
anderen kleineren Thieren und zeigt ſelbſt gegen den Menſchen eine gewiſſe Anhänglichkeit. Ueber
das Gefangenleben der Flugbeutler theilt uns Bennett Einiges mit. Er erhielt ein junges Weib-
chen des gelbbauchigen Beutelbilchs und brachte es mit ſich nach Europa. „Obgleich noch jung,‟ ſagt
er, „fand ich es doch ſehr wild und garſtig. Es ſpuckte, knurrte und ſchrie, wenn man es nahm und
begleitete dabei jeden Ton mit Kratzen und Beißen. Die Nägel waren ſcharf und verurſachten
Wunden, wie die, welche Einem die Katzen beizubringen pflegen. Die kleinen Zähne dagegen waren
nicht hinreichend, Etwas auszurichten. So viel iſt ſicher, daß ein Thier, welches in ſeiner frühen
Jugend ſich ſo wüthend geberdet, im Alter ein ſchlimmer Beißer ſein muß. Nach und nach wurde
mein Gefangener zahmer und litt, daß man ihn in die Hand nahm, ohne daß er kratzte und zubiß,
wie erſt. Auch leckte er die Hand, wenn man in ihr ihm Süßigkeiten reichte, welche er außerordent-
lich liebte, und erlaubte, daß man ſeine kleine Naſe berührte und ſein Fell unterſuchte. Aber ſowie es
ſich Jemand herausnahm, ihn beim Körper zu erfaſſen, wurde er außerordentlich wüthend und biß
und kratzte in wildem Zorn, dabei ſein ſchnurrendes, ſchnaubendes und ſpuckendes Knurren aus-
ſtoßend. Ruhiger war er, wenn man ihn beim Schwanze packte und ihn nicht zu lange hielt. Dabei
breitete er ſeine Fallhaut aus, als wolle er ſich vor einem Sturze ſichern. Jn dieſer Lage konnte man
ſein wundervolles Fell oben und unten viel beſſer als je in einer anderen Stellung ſehen. Obgleich
er zahm geworden war, ſchien er doch nicht die geringſte Zuneigung gegen Die zu zeigen, welche ihn
fütterten; denn er benahm ſich gegen Fremde oder gegen die ihm bekannten Perſonen gleich gut oder
gleich ſchlecht.‟
„Während des Tages lag er zu einem Ball zuſammengerollt, ſeinen buſchigen Schwanz über
ſich gedeckt, ſtill und ruhig. Nur zuweilen wachte er auf und fraß ein wenig. Bei ſolchen Gelegen-
heiten erſchien er halb blind oder bewies wenigſtens deutlich, daß ihm das helle Tageslicht höchſt
unangenehm war. Aber in der Dämmerung des Abends und in der Nacht begann ſein volles Leben
und ſeine Thätigkeit. Dann war er ein ganz anderes Geſchöpf. Jn ſeinem Käfig lief er oben und
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