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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Vicunda.
bietet. Sie grasen fast den ganzen Tag, und es ist eine Seltenheit, einmal einen liegenden Ru-
del dieser Thiere zu überraschen. Während der Brunstzeit kämpfen die Männchen mit der größten
Erbitterung um die Stelle des Anführers der Rudel von Weibchen; denn jeder duldet nur ein
Männchen. Die einzelnen Scharen bestehen aus sechs bis funfzehn Weibchen. Das Männchen
hält sich immer zwei bis drei Schritte von seiner Weiberschar zurück und bewacht sie sorgfältigst, wäh-
rend sie sorglos weidet. Bei Annäherung der geringsten Gefahr gibt es ein Zeichen durch helles
Pfeifen und schnelles Vortreten; sogleich vereinigt sich das Rudel, steckt die Köpfe neugierig nach der
gefahrdrohenden Stelle hin, nähert sich ein paar Schritte, und dreht sich dann plötzlich zur Flucht.
Das Männchen deckt den Rückzug, bleibt öfters stehen und beobachtet den Feind. Die Bewe-
gungen bei schnellem Laufen bestehen in einem schleppenden, wiegenden Galopp, der nicht so rasch
ist, als daß in einer Pampa diese Thiere von einem wohlberittenen Reiter nicht eingeholt werden
könnten. Unmöglich aber ist Solches auch auf dem schnellsten Pferde, wenn sich die Vicundas an die
Bergabhänge halten und besonders, wenn sie bergauf laufen; denn dann sind sie den Pferden gegen-
über im größten Vortheil. Mit seltener Treue und Anhänglichkeit lohnen die Weibchen die Wach-
samkeit ihres Anführers; denn wenn dieser verwundet oder getödtet wird, so laufen sie laut pfei-
fend im Kreise um ihn herum und lassen sich alle todtschießen, ohne die Flucht zu ergreifen. Trifft
aber das tödtende Blei zuerst ein Weibchen, so flieht die ganze Schar. Die Huanacoweibchen dage-
gen fliehen, wenn das sie führende Männchen getödtet wird."

"Jm Monat Februar wirft jedes Weibchen ein Junges, welches gleich nach der Geburt eine
außergewöhnliche Ausdaner und Schnelligkeit entwickelt, wie folgendes Beispiel beweist. Jm Februar
1842 gelang es uns auf der Höhe von Chacapalpa, eine einzelne Vicunda, welche ihr Junges säugte,
zu überraschen. Sie ergriff sogleich die Flucht, indem sie das Kleine vor sich hertrieb. Wir verfolg-
ten diese beiden Thiere in Gesellschaft eines durch seine Ortskenntniß ausgezeichneten Freundes auf
Punapferden, welche an diese Art Jagd sehr gewöhnt waren, drei volle Stunden lang, fast immer
im gestreckten Galopp hinter ihnen herjagend, ehe es uns gelang, die Mutter von ihrem Jungen zu
trennen. Sobald Dies erreicht war, konnten wir letztere ohne Schwierigkeit mit den Händen greifen.
Wir fanden, daß dieses Thierchen vielleicht wenige Stunden vor unserer Ankunft geboren worden
war; denn die Nabelschnur war noch vollkommen frisch und strotzend, sodaß wir vermutheten, die
Geburt habe in der Nacht stattgehabt. Die kleine Vicunda ließen wir durch einen Jndianer nach
Chacapalpa bringen und daselbst mit Milch und Wasser auffüttern. Sie wuchs munter heran, wurde
aber leider von einem Hunde todt gebissen."

"Die jungen männlichen Vicundas bleiben solange mit ihrer Mutter zusammen, bis sie ausge-
wachsen sind; dann aber vereinigt sich das ganze Rudel Weibchen und treibt die nun schon zeugungs-
fähigen Männchen durch Beißen und Schläge fort. Diese vereinigen sich nun zu eigenen Rudeln,
welche sich anderen anschließen, die von den besiegten Männchen gebildet werden und so zu Scharen
von 25 bis 30 Stück anwachsen können. Hier geht es freilich nicht immer sehr friedlich her. Da
kein Anführer die Truppe leitet, sind alle sehr mißtrauisch und wachsam, sodaß der Jäger nur mit
vieler Vorsicht und Schwierigkeit sich einem solchen Rudel nähern und selten mehr als ein Stück erle-
gen kann. Zur Brunstzeit ist die Unordnung unter solchen Haufen grenzenlos, weil im bunten
Wirrwarr sich Alle schlagen und stoßen und dabei ein helles, abgebrochenes, sehr widrig tönendes
Geschrei, ähnlich dem Angstgeschrei der Pferde, ausstoßen."

"Man trifft zuweilen auch einzelne Vicundas an, denen man sich mit Leichtigkeit nähern, und
welche man, wenn sie die Flucht ergreifen, nach einem kurzen Galopp einholen und mit der Wurf-
schlinge oder Wurfkugel einfangen kann. Die Jndianer behaupten, diese Thiere seien deshalb so
zahm, weil sie an Würmern litten. Wir haben uns von der Richtigkeit dieser Thatsache vollkommen
überzeugt, weil wir bei der Untersuchung eines derartigen Thieres fanden, daß die Bauchspeicheldrüse
und die Leber eigentlich nur ein Gewimmel von Eingeweidewürmern waren. Wir sind geneigt, wie
die Jndianer, die Ursache dieser Krankheit den feuchten Weiden, welche die Vicundas besuchen, zuzu-

Die Vicuña.
bietet. Sie graſen faſt den ganzen Tag, und es iſt eine Seltenheit, einmal einen liegenden Ru-
del dieſer Thiere zu überraſchen. Während der Brunſtzeit kämpfen die Männchen mit der größten
Erbitterung um die Stelle des Anführers der Rudel von Weibchen; denn jeder duldet nur ein
Männchen. Die einzelnen Scharen beſtehen aus ſechs bis funfzehn Weibchen. Das Männchen
hält ſich immer zwei bis drei Schritte von ſeiner Weiberſchar zurück und bewacht ſie ſorgfältigſt, wäh-
rend ſie ſorglos weidet. Bei Annäherung der geringſten Gefahr gibt es ein Zeichen durch helles
Pfeifen und ſchnelles Vortreten; ſogleich vereinigt ſich das Rudel, ſteckt die Köpfe neugierig nach der
gefahrdrohenden Stelle hin, nähert ſich ein paar Schritte, und dreht ſich dann plötzlich zur Flucht.
Das Männchen deckt den Rückzug, bleibt öfters ſtehen und beobachtet den Feind. Die Bewe-
gungen bei ſchnellem Laufen beſtehen in einem ſchleppenden, wiegenden Galopp, der nicht ſo raſch
iſt, als daß in einer Pampa dieſe Thiere von einem wohlberittenen Reiter nicht eingeholt werden
könnten. Unmöglich aber iſt Solches auch auf dem ſchnellſten Pferde, wenn ſich die Vicuñas an die
Bergabhänge halten und beſonders, wenn ſie bergauf laufen; denn dann ſind ſie den Pferden gegen-
über im größten Vortheil. Mit ſeltener Treue und Anhänglichkeit lohnen die Weibchen die Wach-
ſamkeit ihres Anführers; denn wenn dieſer verwundet oder getödtet wird, ſo laufen ſie laut pfei-
fend im Kreiſe um ihn herum und laſſen ſich alle todtſchießen, ohne die Flucht zu ergreifen. Trifft
aber das tödtende Blei zuerſt ein Weibchen, ſo flieht die ganze Schar. Die Huanacoweibchen dage-
gen fliehen, wenn das ſie führende Männchen getödtet wird.‟

„Jm Monat Februar wirft jedes Weibchen ein Junges, welches gleich nach der Geburt eine
außergewöhnliche Ausdaner und Schnelligkeit entwickelt, wie folgendes Beiſpiel beweiſt. Jm Februar
1842 gelang es uns auf der Höhe von Chacapalpa, eine einzelne Vicuña, welche ihr Junges ſäugte,
zu überraſchen. Sie ergriff ſogleich die Flucht, indem ſie das Kleine vor ſich hertrieb. Wir verfolg-
ten dieſe beiden Thiere in Geſellſchaft eines durch ſeine Ortskenntniß ausgezeichneten Freundes auf
Punapferden, welche an dieſe Art Jagd ſehr gewöhnt waren, drei volle Stunden lang, faſt immer
im geſtreckten Galopp hinter ihnen herjagend, ehe es uns gelang, die Mutter von ihrem Jungen zu
trennen. Sobald Dies erreicht war, konnten wir letztere ohne Schwierigkeit mit den Händen greifen.
Wir fanden, daß dieſes Thierchen vielleicht wenige Stunden vor unſerer Ankunft geboren worden
war; denn die Nabelſchnur war noch vollkommen friſch und ſtrotzend, ſodaß wir vermutheten, die
Geburt habe in der Nacht ſtattgehabt. Die kleine Vicuña ließen wir durch einen Jndianer nach
Chacapalpa bringen und daſelbſt mit Milch und Waſſer auffüttern. Sie wuchs munter heran, wurde
aber leider von einem Hunde todt gebiſſen.‟

„Die jungen männlichen Vicuñas bleiben ſolange mit ihrer Mutter zuſammen, bis ſie ausge-
wachſen ſind; dann aber vereinigt ſich das ganze Rudel Weibchen und treibt die nun ſchon zeugungs-
fähigen Männchen durch Beißen und Schläge fort. Dieſe vereinigen ſich nun zu eigenen Rudeln,
welche ſich anderen anſchließen, die von den beſiegten Männchen gebildet werden und ſo zu Scharen
von 25 bis 30 Stück anwachſen können. Hier geht es freilich nicht immer ſehr friedlich her. Da
kein Anführer die Truppe leitet, ſind alle ſehr mißtrauiſch und wachſam, ſodaß der Jäger nur mit
vieler Vorſicht und Schwierigkeit ſich einem ſolchen Rudel nähern und ſelten mehr als ein Stück erle-
gen kann. Zur Brunſtzeit iſt die Unordnung unter ſolchen Haufen grenzenlos, weil im bunten
Wirrwarr ſich Alle ſchlagen und ſtoßen und dabei ein helles, abgebrochenes, ſehr widrig tönendes
Geſchrei, ähnlich dem Angſtgeſchrei der Pferde, ausſtoßen.‟

„Man trifft zuweilen auch einzelne Vicuñas an, denen man ſich mit Leichtigkeit nähern, und
welche man, wenn ſie die Flucht ergreifen, nach einem kurzen Galopp einholen und mit der Wurf-
ſchlinge oder Wurfkugel einfangen kann. Die Jndianer behaupten, dieſe Thiere ſeien deshalb ſo
zahm, weil ſie an Würmern litten. Wir haben uns von der Richtigkeit dieſer Thatſache vollkommen
überzeugt, weil wir bei der Unterſuchung eines derartigen Thieres fanden, daß die Bauchſpeicheldrüſe
und die Leber eigentlich nur ein Gewimmel von Eingeweidewürmern waren. Wir ſind geneigt, wie
die Jndianer, die Urſache dieſer Krankheit den feuchten Weiden, welche die Vicuñas beſuchen, zuzu-

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[411/0435] Die Vicuña. bietet. Sie graſen faſt den ganzen Tag, und es iſt eine Seltenheit, einmal einen liegenden Ru- del dieſer Thiere zu überraſchen. Während der Brunſtzeit kämpfen die Männchen mit der größten Erbitterung um die Stelle des Anführers der Rudel von Weibchen; denn jeder duldet nur ein Männchen. Die einzelnen Scharen beſtehen aus ſechs bis funfzehn Weibchen. Das Männchen hält ſich immer zwei bis drei Schritte von ſeiner Weiberſchar zurück und bewacht ſie ſorgfältigſt, wäh- rend ſie ſorglos weidet. Bei Annäherung der geringſten Gefahr gibt es ein Zeichen durch helles Pfeifen und ſchnelles Vortreten; ſogleich vereinigt ſich das Rudel, ſteckt die Köpfe neugierig nach der gefahrdrohenden Stelle hin, nähert ſich ein paar Schritte, und dreht ſich dann plötzlich zur Flucht. Das Männchen deckt den Rückzug, bleibt öfters ſtehen und beobachtet den Feind. Die Bewe- gungen bei ſchnellem Laufen beſtehen in einem ſchleppenden, wiegenden Galopp, der nicht ſo raſch iſt, als daß in einer Pampa dieſe Thiere von einem wohlberittenen Reiter nicht eingeholt werden könnten. Unmöglich aber iſt Solches auch auf dem ſchnellſten Pferde, wenn ſich die Vicuñas an die Bergabhänge halten und beſonders, wenn ſie bergauf laufen; denn dann ſind ſie den Pferden gegen- über im größten Vortheil. Mit ſeltener Treue und Anhänglichkeit lohnen die Weibchen die Wach- ſamkeit ihres Anführers; denn wenn dieſer verwundet oder getödtet wird, ſo laufen ſie laut pfei- fend im Kreiſe um ihn herum und laſſen ſich alle todtſchießen, ohne die Flucht zu ergreifen. Trifft aber das tödtende Blei zuerſt ein Weibchen, ſo flieht die ganze Schar. Die Huanacoweibchen dage- gen fliehen, wenn das ſie führende Männchen getödtet wird.‟ „Jm Monat Februar wirft jedes Weibchen ein Junges, welches gleich nach der Geburt eine außergewöhnliche Ausdaner und Schnelligkeit entwickelt, wie folgendes Beiſpiel beweiſt. Jm Februar 1842 gelang es uns auf der Höhe von Chacapalpa, eine einzelne Vicuña, welche ihr Junges ſäugte, zu überraſchen. Sie ergriff ſogleich die Flucht, indem ſie das Kleine vor ſich hertrieb. Wir verfolg- ten dieſe beiden Thiere in Geſellſchaft eines durch ſeine Ortskenntniß ausgezeichneten Freundes auf Punapferden, welche an dieſe Art Jagd ſehr gewöhnt waren, drei volle Stunden lang, faſt immer im geſtreckten Galopp hinter ihnen herjagend, ehe es uns gelang, die Mutter von ihrem Jungen zu trennen. Sobald Dies erreicht war, konnten wir letztere ohne Schwierigkeit mit den Händen greifen. Wir fanden, daß dieſes Thierchen vielleicht wenige Stunden vor unſerer Ankunft geboren worden war; denn die Nabelſchnur war noch vollkommen friſch und ſtrotzend, ſodaß wir vermutheten, die Geburt habe in der Nacht ſtattgehabt. Die kleine Vicuña ließen wir durch einen Jndianer nach Chacapalpa bringen und daſelbſt mit Milch und Waſſer auffüttern. Sie wuchs munter heran, wurde aber leider von einem Hunde todt gebiſſen.‟ „Die jungen männlichen Vicuñas bleiben ſolange mit ihrer Mutter zuſammen, bis ſie ausge- wachſen ſind; dann aber vereinigt ſich das ganze Rudel Weibchen und treibt die nun ſchon zeugungs- fähigen Männchen durch Beißen und Schläge fort. Dieſe vereinigen ſich nun zu eigenen Rudeln, welche ſich anderen anſchließen, die von den beſiegten Männchen gebildet werden und ſo zu Scharen von 25 bis 30 Stück anwachſen können. Hier geht es freilich nicht immer ſehr friedlich her. Da kein Anführer die Truppe leitet, ſind alle ſehr mißtrauiſch und wachſam, ſodaß der Jäger nur mit vieler Vorſicht und Schwierigkeit ſich einem ſolchen Rudel nähern und ſelten mehr als ein Stück erle- gen kann. Zur Brunſtzeit iſt die Unordnung unter ſolchen Haufen grenzenlos, weil im bunten Wirrwarr ſich Alle ſchlagen und ſtoßen und dabei ein helles, abgebrochenes, ſehr widrig tönendes Geſchrei, ähnlich dem Angſtgeſchrei der Pferde, ausſtoßen.‟ „Man trifft zuweilen auch einzelne Vicuñas an, denen man ſich mit Leichtigkeit nähern, und welche man, wenn ſie die Flucht ergreifen, nach einem kurzen Galopp einholen und mit der Wurf- ſchlinge oder Wurfkugel einfangen kann. Die Jndianer behaupten, dieſe Thiere ſeien deshalb ſo zahm, weil ſie an Würmern litten. Wir haben uns von der Richtigkeit dieſer Thatſache vollkommen überzeugt, weil wir bei der Unterſuchung eines derartigen Thieres fanden, daß die Bauchſpeicheldrüſe und die Leber eigentlich nur ein Gewimmel von Eingeweidewürmern waren. Wir ſind geneigt, wie die Jndianer, die Urſache dieſer Krankheit den feuchten Weiden, welche die Vicuñas beſuchen, zuzu-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/435>, abgerufen am 18.05.2024.