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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Das Lama.
Pferde oder Maulthiere wohl schwerlich fortkommen möchten; dabei sind sie so folgsam, daß ihre Trei-
ber weder Stachel noch Peitsche bedürfen, um sie zu lenken und vorwärts zu treiben. Ruhig und
ohne anzuhalten, schreiten sie ihrem Ziele zu."

Tschudi fügt Diesem hinzu, daß sie beständig neugierig nach allen Seiten umherblicken.
"Wenn sich ihnen plötzlich ein fremdartiger Gegenstand nähert, der ihnen Furcht einflößt, zerstreuen
sie sich im Nu nach allen Seiten, und die armen Führer haben die größte Mühe, sie wieder
zusammenzutragen. Die Jndianer haben eine große Liebe für diese Thiere, sie schmücken sie und
liebkosen sie immer, ehe sie ihnen die Bürde auflegen. Aller Pflege und Vorsicht ungeachtet gehen
aber auf jeder Reise nach der Küste eine Menge Lamas zu Grunde, weil sie das heiße Klima nicht
ertragen können. Zum Ziehen und Reiten werden sie nicht gebraucht; zuweilen nur setzt sich ein
Jndianer auf eins seiner Thiere, wenn er einen Fluß zu überschreiten hat und sich nicht gern naß
machen will; er verläßt es aber, sowie er an das entgegengesetzte Ufer kommt."

Die von Meyen und anderen Forschern ausgesprochene Meinung, daß das Lama nur ein ver-
edelter Huanaco sei, widerlegt Tschudi in überzeugender Weise. "Wodurch," so fragt er, "wird
ein Thier veredelt? Gewiß nur dadurch, daß ihm reichliche Nahrung, hinlänglicher Schutz gegen
die Witterung gegeben und angestrengte Sorgfalt gewidmet wird. Jm freien Zustande hat der
Huanaco die beste Nahrung in Fülle auf den unermeßlichen Hochebenen; er findet fortwährend ein
ihm angemessenes Klima, während der heißen Jahreszeit am Fuße der himmelanstrebenden Cordil-
lerasgipfel, in der kalten Jahreszeit in den wärmeren, vom Winde abgeschlossenen Punathälern.
Welcher Pflege bedarf es unter solchen Umständen mehr?"

"Wie entgegengesetzt verhält es sich mit dem Lama! Unter das Joch gebeugt, ist es gezwungen,
den Tag über Lasten zu tragen, welche seine Kräfte beinahe übersteigen; wenige Augenblicke werden
ihm gegönnt, seine spärliche Nahrung sich zu suchen; des Nachts wird es in den nassen Pferch ge-
trieben und muß auf Steinen oder im Morast liegen; aus den reinen, erfrischenden Höhen der An-
den, für die es geschaffen ist, wird es, schwer beladen, nach den dumpfig heißen Urwäldern oder
nach den brennenden Sandwüsten der Küste getrieben, wo ihm auch die spärlichste Nahrung abgeht
und der Erschöpfungstod Tausende wegrafft? Wird auf diese Weise der stolze Huanaco zum Lama
veredelt?! Oder soll dieses sich vielleicht zum Paco herunter verkümmern, zu einem Thiere, welches
zwar gepflegt wird, ihm aber an Körperkraft weit nachsteht, an Zartheit der Form und an Feinheit
der Wolle es übertrifft? Es leuchtet gewiß Jedem ein, daß wir diese Verschiedenheiten als Art-
unterschiede und nicht als Veränderungen, durch den Zustand als Hausthier bedingt, betrachten
müssen."

An einer anderen Stelle seines Werkes erwähnt Tschudi, daß Lama und Paco sich nie, Lama
und Huanaco sich stets erfolglos begatten; er bezweifelt deshalb alle Berichte, welche das Ge-
gentheil behauptet haben. Zweiundzwanzig Versuche, welche von ihm und Anderen angestellt wur-
den, zeugen für ihn. Meyens widersprechende Ansicht scheint seiner Meinung nach auf einem Jrr-
thum zu beruhen: der gedachte Reisende habe die Altersstufen der Lamas als Uebergangsformen
angesehen. "Es scheint Meyen unbekannt geblieben zu sein, daß die Jndianer die Lamas nach dem
Alter in gesonderten Truppen halten. Sechs bis acht Monate nach der Geburt bleiben die Jungen
bei den Müttern; vor Ablauf ihres ersten Lebensjahres werden sie in eine Herde zusammengetrieben
und von den ein oder zwei Jahre älteren getrennt gehalten, so daß also immer Lamas von ein, zwei,
drei Jahren gesondert gepflegt werden. Zu Ende des dritten Jahres sind sie ausgewachsen und wer-
den dann den großen Herden eingereiht, welche wieder nach dem Geschlechte getrennt sind."

Ueber die Fortpflanzung der Lamas berichtet Tschudi etwa Folgendes: "Die Begattung geht
erst nach dem Ausbruche der rasendsten Brunst vor sich, indem sich die Thiere schlagen, stoßen,
beißen, niederwerfen und bis zur größten Ermattung umherjagen. Alle Lamaarten werfen nur
ein Junges, welches etwa vier Monate saugt, bei den eigentlichen Lamas gewöhnlich etwas länger; --
sehr häufig saugen bei dieser Art sogar die Jungen vom zweiten Jahre mit denen vom ersten zugleich."

Das Lama.
Pferde oder Maulthiere wohl ſchwerlich fortkommen möchten; dabei ſind ſie ſo folgſam, daß ihre Trei-
ber weder Stachel noch Peitſche bedürfen, um ſie zu lenken und vorwärts zu treiben. Ruhig und
ohne anzuhalten, ſchreiten ſie ihrem Ziele zu.‟

Tſchudi fügt Dieſem hinzu, daß ſie beſtändig neugierig nach allen Seiten umherblicken.
„Wenn ſich ihnen plötzlich ein fremdartiger Gegenſtand nähert, der ihnen Furcht einflößt, zerſtreuen
ſie ſich im Nu nach allen Seiten, und die armen Führer haben die größte Mühe, ſie wieder
zuſammenzutragen. Die Jndianer haben eine große Liebe für dieſe Thiere, ſie ſchmücken ſie und
liebkoſen ſie immer, ehe ſie ihnen die Bürde auflegen. Aller Pflege und Vorſicht ungeachtet gehen
aber auf jeder Reiſe nach der Küſte eine Menge Lamas zu Grunde, weil ſie das heiße Klima nicht
ertragen können. Zum Ziehen und Reiten werden ſie nicht gebraucht; zuweilen nur ſetzt ſich ein
Jndianer auf eins ſeiner Thiere, wenn er einen Fluß zu überſchreiten hat und ſich nicht gern naß
machen will; er verläßt es aber, ſowie er an das entgegengeſetzte Ufer kommt.‟

Die von Meyen und anderen Forſchern ausgeſprochene Meinung, daß das Lama nur ein ver-
edelter Huanaco ſei, widerlegt Tſchudi in überzeugender Weiſe. „Wodurch,‟ ſo fragt er, „wird
ein Thier veredelt? Gewiß nur dadurch, daß ihm reichliche Nahrung, hinlänglicher Schutz gegen
die Witterung gegeben und angeſtrengte Sorgfalt gewidmet wird. Jm freien Zuſtande hat der
Huanaco die beſte Nahrung in Fülle auf den unermeßlichen Hochebenen; er findet fortwährend ein
ihm angemeſſenes Klima, während der heißen Jahreszeit am Fuße der himmelanſtrebenden Cordil-
lerasgipfel, in der kalten Jahreszeit in den wärmeren, vom Winde abgeſchloſſenen Punathälern.
Welcher Pflege bedarf es unter ſolchen Umſtänden mehr?‟

„Wie entgegengeſetzt verhält es ſich mit dem Lama! Unter das Joch gebeugt, iſt es gezwungen,
den Tag über Laſten zu tragen, welche ſeine Kräfte beinahe überſteigen; wenige Augenblicke werden
ihm gegönnt, ſeine ſpärliche Nahrung ſich zu ſuchen; des Nachts wird es in den naſſen Pferch ge-
trieben und muß auf Steinen oder im Moraſt liegen; aus den reinen, erfriſchenden Höhen der An-
den, für die es geſchaffen iſt, wird es, ſchwer beladen, nach den dumpfig heißen Urwäldern oder
nach den brennenden Sandwüſten der Küſte getrieben, wo ihm auch die ſpärlichſte Nahrung abgeht
und der Erſchöpfungstod Tauſende wegrafft? Wird auf dieſe Weiſe der ſtolze Huanaco zum Lama
veredelt?! Oder ſoll dieſes ſich vielleicht zum Paco herunter verkümmern, zu einem Thiere, welches
zwar gepflegt wird, ihm aber an Körperkraft weit nachſteht, an Zartheit der Form und an Feinheit
der Wolle es übertrifft? Es leuchtet gewiß Jedem ein, daß wir dieſe Verſchiedenheiten als Art-
unterſchiede und nicht als Veränderungen, durch den Zuſtand als Hausthier bedingt, betrachten
müſſen.‟

An einer anderen Stelle ſeines Werkes erwähnt Tſchudi, daß Lama und Paco ſich nie, Lama
und Huanaco ſich ſtets erfolglos begatten; er bezweifelt deshalb alle Berichte, welche das Ge-
gentheil behauptet haben. Zweiundzwanzig Verſuche, welche von ihm und Anderen angeſtellt wur-
den, zeugen für ihn. Meyens widerſprechende Anſicht ſcheint ſeiner Meinung nach auf einem Jrr-
thum zu beruhen: der gedachte Reiſende habe die Altersſtufen der Lamas als Uebergangsformen
angeſehen. „Es ſcheint Meyen unbekannt geblieben zu ſein, daß die Jndianer die Lamas nach dem
Alter in geſonderten Truppen halten. Sechs bis acht Monate nach der Geburt bleiben die Jungen
bei den Müttern; vor Ablauf ihres erſten Lebensjahres werden ſie in eine Herde zuſammengetrieben
und von den ein oder zwei Jahre älteren getrennt gehalten, ſo daß alſo immer Lamas von ein, zwei,
drei Jahren geſondert gepflegt werden. Zu Ende des dritten Jahres ſind ſie ausgewachſen und wer-
den dann den großen Herden eingereiht, welche wieder nach dem Geſchlechte getrennt ſind.‟

Ueber die Fortpflanzung der Lamas berichtet Tſchudi etwa Folgendes: „Die Begattung geht
erſt nach dem Ausbruche der raſendſten Brunſt vor ſich, indem ſich die Thiere ſchlagen, ſtoßen,
beißen, niederwerfen und bis zur größten Ermattung umherjagen. Alle Lamaarten werfen nur
ein Junges, welches etwa vier Monate ſaugt, bei den eigentlichen Lamas gewöhnlich etwas länger; —
ſehr häufig ſaugen bei dieſer Art ſogar die Jungen vom zweiten Jahre mit denen vom erſten zugleich.‟

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[407/0431] Das Lama. Pferde oder Maulthiere wohl ſchwerlich fortkommen möchten; dabei ſind ſie ſo folgſam, daß ihre Trei- ber weder Stachel noch Peitſche bedürfen, um ſie zu lenken und vorwärts zu treiben. Ruhig und ohne anzuhalten, ſchreiten ſie ihrem Ziele zu.‟ Tſchudi fügt Dieſem hinzu, daß ſie beſtändig neugierig nach allen Seiten umherblicken. „Wenn ſich ihnen plötzlich ein fremdartiger Gegenſtand nähert, der ihnen Furcht einflößt, zerſtreuen ſie ſich im Nu nach allen Seiten, und die armen Führer haben die größte Mühe, ſie wieder zuſammenzutragen. Die Jndianer haben eine große Liebe für dieſe Thiere, ſie ſchmücken ſie und liebkoſen ſie immer, ehe ſie ihnen die Bürde auflegen. Aller Pflege und Vorſicht ungeachtet gehen aber auf jeder Reiſe nach der Küſte eine Menge Lamas zu Grunde, weil ſie das heiße Klima nicht ertragen können. Zum Ziehen und Reiten werden ſie nicht gebraucht; zuweilen nur ſetzt ſich ein Jndianer auf eins ſeiner Thiere, wenn er einen Fluß zu überſchreiten hat und ſich nicht gern naß machen will; er verläßt es aber, ſowie er an das entgegengeſetzte Ufer kommt.‟ Die von Meyen und anderen Forſchern ausgeſprochene Meinung, daß das Lama nur ein ver- edelter Huanaco ſei, widerlegt Tſchudi in überzeugender Weiſe. „Wodurch,‟ ſo fragt er, „wird ein Thier veredelt? Gewiß nur dadurch, daß ihm reichliche Nahrung, hinlänglicher Schutz gegen die Witterung gegeben und angeſtrengte Sorgfalt gewidmet wird. Jm freien Zuſtande hat der Huanaco die beſte Nahrung in Fülle auf den unermeßlichen Hochebenen; er findet fortwährend ein ihm angemeſſenes Klima, während der heißen Jahreszeit am Fuße der himmelanſtrebenden Cordil- lerasgipfel, in der kalten Jahreszeit in den wärmeren, vom Winde abgeſchloſſenen Punathälern. Welcher Pflege bedarf es unter ſolchen Umſtänden mehr?‟ „Wie entgegengeſetzt verhält es ſich mit dem Lama! Unter das Joch gebeugt, iſt es gezwungen, den Tag über Laſten zu tragen, welche ſeine Kräfte beinahe überſteigen; wenige Augenblicke werden ihm gegönnt, ſeine ſpärliche Nahrung ſich zu ſuchen; des Nachts wird es in den naſſen Pferch ge- trieben und muß auf Steinen oder im Moraſt liegen; aus den reinen, erfriſchenden Höhen der An- den, für die es geſchaffen iſt, wird es, ſchwer beladen, nach den dumpfig heißen Urwäldern oder nach den brennenden Sandwüſten der Küſte getrieben, wo ihm auch die ſpärlichſte Nahrung abgeht und der Erſchöpfungstod Tauſende wegrafft? Wird auf dieſe Weiſe der ſtolze Huanaco zum Lama veredelt?! Oder ſoll dieſes ſich vielleicht zum Paco herunter verkümmern, zu einem Thiere, welches zwar gepflegt wird, ihm aber an Körperkraft weit nachſteht, an Zartheit der Form und an Feinheit der Wolle es übertrifft? Es leuchtet gewiß Jedem ein, daß wir dieſe Verſchiedenheiten als Art- unterſchiede und nicht als Veränderungen, durch den Zuſtand als Hausthier bedingt, betrachten müſſen.‟ An einer anderen Stelle ſeines Werkes erwähnt Tſchudi, daß Lama und Paco ſich nie, Lama und Huanaco ſich ſtets erfolglos begatten; er bezweifelt deshalb alle Berichte, welche das Ge- gentheil behauptet haben. Zweiundzwanzig Verſuche, welche von ihm und Anderen angeſtellt wur- den, zeugen für ihn. Meyens widerſprechende Anſicht ſcheint ſeiner Meinung nach auf einem Jrr- thum zu beruhen: der gedachte Reiſende habe die Altersſtufen der Lamas als Uebergangsformen angeſehen. „Es ſcheint Meyen unbekannt geblieben zu ſein, daß die Jndianer die Lamas nach dem Alter in geſonderten Truppen halten. Sechs bis acht Monate nach der Geburt bleiben die Jungen bei den Müttern; vor Ablauf ihres erſten Lebensjahres werden ſie in eine Herde zuſammengetrieben und von den ein oder zwei Jahre älteren getrennt gehalten, ſo daß alſo immer Lamas von ein, zwei, drei Jahren geſondert gepflegt werden. Zu Ende des dritten Jahres ſind ſie ausgewachſen und wer- den dann den großen Herden eingereiht, welche wieder nach dem Geſchlechte getrennt ſind.‟ Ueber die Fortpflanzung der Lamas berichtet Tſchudi etwa Folgendes: „Die Begattung geht erſt nach dem Ausbruche der raſendſten Brunſt vor ſich, indem ſich die Thiere ſchlagen, ſtoßen, beißen, niederwerfen und bis zur größten Ermattung umherjagen. Alle Lamaarten werfen nur ein Junges, welches etwa vier Monate ſaugt, bei den eigentlichen Lamas gewöhnlich etwas länger; — ſehr häufig ſaugen bei dieſer Art ſogar die Jungen vom zweiten Jahre mit denen vom erſten zugleich.‟

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/431>, abgerufen am 18.05.2024.