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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.
Kunstgeübten, im Sattel, kräftig zügeln sie das widerspenstige Thier, eilen auf seiner Spur zurück,
suchen die abgeschüttelten Gegenstände zusammen, lassen das Kamel sich niederlegen, prügeln es
tüchtig ab und beladen es, als wäre Nichts geschehen, mit unendlicher Ruhe von neuem. Und sollte
es ihnen wirklich nicht gelingen, des Flüchtlings wieder habhaft zu werden, so sind dafür hundert
Andere, ganz Unbetheiligte, immer bereit, ein herrenloses Kamel einzufangen und es, seiner Spur
folgend, zum Ausgangspunkte seiner Lustwandlung zurückzureiten; denn kein Araber läßt ein
flüchtig gewordenes Kamel entrinnen, ohne wenigstens den Versuch gemacht zu haben, es wieder
unter die rechtmäßige Botmäßigkeit zurückzuführen. Daß bei solcher Behandlung das vortreffliche
Geschöpf seinen Seelenschmerz in herzerschütternden Seufzern zum Himmel schreit, ist sehr erklärlich.

Mit einem Worte, das Kamel steht an Adel hinter sämmtlichen, übrigen Hausthieren zurück;
es besitzt keine einzige, wirklich großartige Eigenschaft des Geistes, es versteht die Kunst, den Men-
schen rasend zu machen: und deshalb hat auch die Bezeichnung Kamel, welche unsere Hochschüler
anwenden, einen so tiefen Sinn; denn wenn man mit diesem Titel einen Menschen bezeichnen
will, welcher die hervorragendsten geistigen Eigenschaften eines Ochsen, Esels, Schafs und Maul-
thieres in glücklichster Weise in sich vereinigt, kann man gar kein besseres Sinnbild wählen, als
das Kamel.

Dieser Schilderung ist von mehreren Seiten entschieden widersprochen worden; gleichwohl
bleibe ich bei ihr stehen und vertrete die Wahrheit des Gesagten auch heute noch. Daß die inzwischen
verlaufene Zeit meiner Erinnerung eine heitere Färbung gegeben hat, will ich gern zugestehen; im
ganzen aber ist die Beschreibung des geistigen Wesens sicherlich richtig und nur von Einem, welcher
mindestens ebenso lange Kamele behandelt hat, und von ihnen mißhandelt worden ist, als ich, lasse ich
mir widersprechen. Jch habe mich auf meiner letzten Reise nach Habesch wieder überzeugt, daß ich
dem edlen Wüstenschiffe nicht zuviel gethan.

Noch abschreckender, als gewöhnlich, ist ein Kamel zur Brunstzeit. Diese ist nach den verschiede-
nen Oertlichkeiten eine wechselnde. Jm Norden fällt sie in die Monate Januar bis März; denn sie
währt volle acht bis zehn Wochen. Um diese Zeit ist das männliche Kamel, oder der Kamelhengst,
ein wirklich abscheuliches Geschöpf. Er ist sehr unruhig, lärmt, brüllt, beißt, stößt und schlägt
nach seinen Gefährten und seinem Herrn. Er wird oft so wüthend, daß man ihm nicht blos den
Nasenzaum, sondern auch noch einen besonderen Maulkorb anlegen muß, um Unglücksfälle zu ver-
hüten. Daß solche wirklich stattfinden, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Einer meiner
Kameltreiber war von einem Kamel verstümmelt worden. Das wüthende Thier hatte ihn, während
er, ohne etwas zu fürchten, das Aufladen besorgte, beim Ellenbogengelenk des rechten Armes
gepackt und ihm das ganze Gelenk mit einem einzigen Bisse zersplittert. Der Mann blieb für sein
Leben lang ein Krüppel. Es sind Beispiele bekannt, daß solche Kamele Leute durch Bisse ge-
tödtet haben.

Die Unruhe des brünstigen Thieres steigert sich immer mehr und mehr; es verliert die Freß-
lust, knirscht oft wüthend mit den Zähnen und treibt, sobald es ein anderes männliches Kamel, oder
nochmehr, sobald es ein weibliches sieht, eine große ekelhafte Hautblase, den Brüllsack, aus dem
Hals heraus. Dabei kollert, gurgelt, knurrt, brüllt und stöhnt es in der widerwärtigsten Weise.
Der Brüllsack ist nur ein dem erwachsenen Kamele eigenthümliches Organ und wird als zweites vor-
deres Gaumensegel angesehen. Bei dem jungen Hengst ist die Blase noch nicht soweit entwickelt, daß
sie aus dem Munde hervortritt; bei alten Hengsten erreicht sie eine Länge von 14 bis 15 Zoll und
kann, wenn sie aufgeblasen wird, die Größe eines Menschenkopfes erreichen. Oft bemerkt man auf
beiden Seiten des Mundes Blasen; gewöhnlich aber tritt blos eine und auf einer Seite hervor.
Beim Austreiben wirft das Thier den Kopf vorwärts, kollert, gurgelt, geifert und bläst nun mehr
und mehr Luft in die eigenthümliche Hülle, auf welcher die manchfach verzweigten Gefäße, welche sie
durchflechten, dann grell hervortreten. Beim Einathmen entleert sich die Blase sofort wieder und
erscheint dann als ein rundlicher Hautsack, welcher sogleich in das Maul zurückgeschlürft, bald darauf

Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.
Kunſtgeübten, im Sattel, kräftig zügeln ſie das widerſpenſtige Thier, eilen auf ſeiner Spur zurück,
ſuchen die abgeſchüttelten Gegenſtände zuſammen, laſſen das Kamel ſich niederlegen, prügeln es
tüchtig ab und beladen es, als wäre Nichts geſchehen, mit unendlicher Ruhe von neuem. Und ſollte
es ihnen wirklich nicht gelingen, des Flüchtlings wieder habhaft zu werden, ſo ſind dafür hundert
Andere, ganz Unbetheiligte, immer bereit, ein herrenloſes Kamel einzufangen und es, ſeiner Spur
folgend, zum Ausgangspunkte ſeiner Luſtwandlung zurückzureiten; denn kein Araber läßt ein
flüchtig gewordenes Kamel entrinnen, ohne wenigſtens den Verſuch gemacht zu haben, es wieder
unter die rechtmäßige Botmäßigkeit zurückzuführen. Daß bei ſolcher Behandlung das vortreffliche
Geſchöpf ſeinen Seelenſchmerz in herzerſchütternden Seufzern zum Himmel ſchreit, iſt ſehr erklärlich.

Mit einem Worte, das Kamel ſteht an Adel hinter ſämmtlichen, übrigen Hausthieren zurück;
es beſitzt keine einzige, wirklich großartige Eigenſchaft des Geiſtes, es verſteht die Kunſt, den Men-
ſchen raſend zu machen: und deshalb hat auch die Bezeichnung Kamel, welche unſere Hochſchüler
anwenden, einen ſo tiefen Sinn; denn wenn man mit dieſem Titel einen Menſchen bezeichnen
will, welcher die hervorragendſten geiſtigen Eigenſchaften eines Ochſen, Eſels, Schafs und Maul-
thieres in glücklichſter Weiſe in ſich vereinigt, kann man gar kein beſſeres Sinnbild wählen, als
das Kamel.

Dieſer Schilderung iſt von mehreren Seiten entſchieden widerſprochen worden; gleichwohl
bleibe ich bei ihr ſtehen und vertrete die Wahrheit des Geſagten auch heute noch. Daß die inzwiſchen
verlaufene Zeit meiner Erinnerung eine heitere Färbung gegeben hat, will ich gern zugeſtehen; im
ganzen aber iſt die Beſchreibung des geiſtigen Weſens ſicherlich richtig und nur von Einem, welcher
mindeſtens ebenſo lange Kamele behandelt hat, und von ihnen mißhandelt worden iſt, als ich, laſſe ich
mir widerſprechen. Jch habe mich auf meiner letzten Reiſe nach Habeſch wieder überzeugt, daß ich
dem edlen Wüſtenſchiffe nicht zuviel gethan.

Noch abſchreckender, als gewöhnlich, iſt ein Kamel zur Brunſtzeit. Dieſe iſt nach den verſchiede-
nen Oertlichkeiten eine wechſelnde. Jm Norden fällt ſie in die Monate Januar bis März; denn ſie
währt volle acht bis zehn Wochen. Um dieſe Zeit iſt das männliche Kamel, oder der Kamelhengſt,
ein wirklich abſcheuliches Geſchöpf. Er iſt ſehr unruhig, lärmt, brüllt, beißt, ſtößt und ſchlägt
nach ſeinen Gefährten und ſeinem Herrn. Er wird oft ſo wüthend, daß man ihm nicht blos den
Naſenzaum, ſondern auch noch einen beſonderen Maulkorb anlegen muß, um Unglücksfälle zu ver-
hüten. Daß ſolche wirklich ſtattfinden, kann ich aus eigener Erfahrung beſtätigen. Einer meiner
Kameltreiber war von einem Kamel verſtümmelt worden. Das wüthende Thier hatte ihn, während
er, ohne etwas zu fürchten, das Aufladen beſorgte, beim Ellenbogengelenk des rechten Armes
gepackt und ihm das ganze Gelenk mit einem einzigen Biſſe zerſplittert. Der Mann blieb für ſein
Leben lang ein Krüppel. Es ſind Beiſpiele bekannt, daß ſolche Kamele Leute durch Biſſe ge-
tödtet haben.

Die Unruhe des brünſtigen Thieres ſteigert ſich immer mehr und mehr; es verliert die Freß-
luſt, knirſcht oft wüthend mit den Zähnen und treibt, ſobald es ein anderes männliches Kamel, oder
nochmehr, ſobald es ein weibliches ſieht, eine große ekelhafte Hautblaſe, den Brüllſack, aus dem
Hals heraus. Dabei kollert, gurgelt, knurrt, brüllt und ſtöhnt es in der widerwärtigſten Weiſe.
Der Brüllſack iſt nur ein dem erwachſenen Kamele eigenthümliches Organ und wird als zweites vor-
deres Gaumenſegel angeſehen. Bei dem jungen Hengſt iſt die Blaſe noch nicht ſoweit entwickelt, daß
ſie aus dem Munde hervortritt; bei alten Hengſten erreicht ſie eine Länge von 14 bis 15 Zoll und
kann, wenn ſie aufgeblaſen wird, die Größe eines Menſchenkopfes erreichen. Oft bemerkt man auf
beiden Seiten des Mundes Blaſen; gewöhnlich aber tritt blos eine und auf einer Seite hervor.
Beim Austreiben wirft das Thier den Kopf vorwärts, kollert, gurgelt, geifert und bläſt nun mehr
und mehr Luft in die eigenthümliche Hülle, auf welcher die manchfach verzweigten Gefäße, welche ſie
durchflechten, dann grell hervortreten. Beim Einathmen entleert ſich die Blaſe ſofort wieder und
erſcheint dann als ein rundlicher Hautſack, welcher ſogleich in das Maul zurückgeſchlürft, bald darauf

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[393/0417] Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar. Kunſtgeübten, im Sattel, kräftig zügeln ſie das widerſpenſtige Thier, eilen auf ſeiner Spur zurück, ſuchen die abgeſchüttelten Gegenſtände zuſammen, laſſen das Kamel ſich niederlegen, prügeln es tüchtig ab und beladen es, als wäre Nichts geſchehen, mit unendlicher Ruhe von neuem. Und ſollte es ihnen wirklich nicht gelingen, des Flüchtlings wieder habhaft zu werden, ſo ſind dafür hundert Andere, ganz Unbetheiligte, immer bereit, ein herrenloſes Kamel einzufangen und es, ſeiner Spur folgend, zum Ausgangspunkte ſeiner Luſtwandlung zurückzureiten; denn kein Araber läßt ein flüchtig gewordenes Kamel entrinnen, ohne wenigſtens den Verſuch gemacht zu haben, es wieder unter die rechtmäßige Botmäßigkeit zurückzuführen. Daß bei ſolcher Behandlung das vortreffliche Geſchöpf ſeinen Seelenſchmerz in herzerſchütternden Seufzern zum Himmel ſchreit, iſt ſehr erklärlich. Mit einem Worte, das Kamel ſteht an Adel hinter ſämmtlichen, übrigen Hausthieren zurück; es beſitzt keine einzige, wirklich großartige Eigenſchaft des Geiſtes, es verſteht die Kunſt, den Men- ſchen raſend zu machen: und deshalb hat auch die Bezeichnung Kamel, welche unſere Hochſchüler anwenden, einen ſo tiefen Sinn; denn wenn man mit dieſem Titel einen Menſchen bezeichnen will, welcher die hervorragendſten geiſtigen Eigenſchaften eines Ochſen, Eſels, Schafs und Maul- thieres in glücklichſter Weiſe in ſich vereinigt, kann man gar kein beſſeres Sinnbild wählen, als das Kamel. Dieſer Schilderung iſt von mehreren Seiten entſchieden widerſprochen worden; gleichwohl bleibe ich bei ihr ſtehen und vertrete die Wahrheit des Geſagten auch heute noch. Daß die inzwiſchen verlaufene Zeit meiner Erinnerung eine heitere Färbung gegeben hat, will ich gern zugeſtehen; im ganzen aber iſt die Beſchreibung des geiſtigen Weſens ſicherlich richtig und nur von Einem, welcher mindeſtens ebenſo lange Kamele behandelt hat, und von ihnen mißhandelt worden iſt, als ich, laſſe ich mir widerſprechen. Jch habe mich auf meiner letzten Reiſe nach Habeſch wieder überzeugt, daß ich dem edlen Wüſtenſchiffe nicht zuviel gethan. Noch abſchreckender, als gewöhnlich, iſt ein Kamel zur Brunſtzeit. Dieſe iſt nach den verſchiede- nen Oertlichkeiten eine wechſelnde. Jm Norden fällt ſie in die Monate Januar bis März; denn ſie währt volle acht bis zehn Wochen. Um dieſe Zeit iſt das männliche Kamel, oder der Kamelhengſt, ein wirklich abſcheuliches Geſchöpf. Er iſt ſehr unruhig, lärmt, brüllt, beißt, ſtößt und ſchlägt nach ſeinen Gefährten und ſeinem Herrn. Er wird oft ſo wüthend, daß man ihm nicht blos den Naſenzaum, ſondern auch noch einen beſonderen Maulkorb anlegen muß, um Unglücksfälle zu ver- hüten. Daß ſolche wirklich ſtattfinden, kann ich aus eigener Erfahrung beſtätigen. Einer meiner Kameltreiber war von einem Kamel verſtümmelt worden. Das wüthende Thier hatte ihn, während er, ohne etwas zu fürchten, das Aufladen beſorgte, beim Ellenbogengelenk des rechten Armes gepackt und ihm das ganze Gelenk mit einem einzigen Biſſe zerſplittert. Der Mann blieb für ſein Leben lang ein Krüppel. Es ſind Beiſpiele bekannt, daß ſolche Kamele Leute durch Biſſe ge- tödtet haben. Die Unruhe des brünſtigen Thieres ſteigert ſich immer mehr und mehr; es verliert die Freß- luſt, knirſcht oft wüthend mit den Zähnen und treibt, ſobald es ein anderes männliches Kamel, oder nochmehr, ſobald es ein weibliches ſieht, eine große ekelhafte Hautblaſe, den Brüllſack, aus dem Hals heraus. Dabei kollert, gurgelt, knurrt, brüllt und ſtöhnt es in der widerwärtigſten Weiſe. Der Brüllſack iſt nur ein dem erwachſenen Kamele eigenthümliches Organ und wird als zweites vor- deres Gaumenſegel angeſehen. Bei dem jungen Hengſt iſt die Blaſe noch nicht ſoweit entwickelt, daß ſie aus dem Munde hervortritt; bei alten Hengſten erreicht ſie eine Länge von 14 bis 15 Zoll und kann, wenn ſie aufgeblaſen wird, die Größe eines Menſchenkopfes erreichen. Oft bemerkt man auf beiden Seiten des Mundes Blaſen; gewöhnlich aber tritt blos eine und auf einer Seite hervor. Beim Austreiben wirft das Thier den Kopf vorwärts, kollert, gurgelt, geifert und bläſt nun mehr und mehr Luft in die eigenthümliche Hülle, auf welcher die manchfach verzweigten Gefäße, welche ſie durchflechten, dann grell hervortreten. Beim Einathmen entleert ſich die Blaſe ſofort wieder und erſcheint dann als ein rundlicher Hautſack, welcher ſogleich in das Maul zurückgeſchlürft, bald darauf

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/417>, abgerufen am 23.11.2024.