Einhufer. -- Die Wildpferde der asiatischen Steppe.
kene Pferdemilch wird nie getrunken; man läßt sie erst gähren, dadurch wird sie zum "Kumis", einem starken und berauschenden Getränk, welches dem Tartaren dasselbe ist, was uns der Wein."
"Will der Tartar ein erwachsenes Pferd aus der Herde zum Reiten abrichten, so fängt er es zuerst mit der langen Schlinge; dann kommen mehrere Gehilfen und suchen es durch Verwickelung der Schlinge um die Füße umzuwerfen. Während es auf dem Boden liegt und festgehalten wird, legt man ihm den Zaum und den Spannriemen an. Dieser letztere besteht aus einem Riemen, welcher an drei Füßen des Pferdes angebunden wird und so dasselbe zwar nicht am Stehen und an sehr kur- zen Schritten, wohl aber am schnellen Laufen gänzlich hindert. Das derart gefesselte Thier läßt man sich aufrichten, hält es aber an den Ohren fest und schnallt ihm nun das Sattelkissen mit dem Leib- gurt auf den Rücken. Der durch den Gurt getrennte hintere Theil des Sattelkissens wird alsdann auf den vorderen übergebogen; ein Tartar setzt sich auf den bloßen Rücken des Pferdes hinter dieses Vorwerk, welches ihn bei den Sprüngen und dem Rennen des Pferdes vor dem Ueberstürzen schützt, bewaffnet sich mit dem Kantschuh, die Spannriemen werden weggenommen, der Reiter schlägt auf das wilde Pferd los, löst ihm gänzlich die Zügel und hält es nur fest. Ein Nachreitender ver- hindert durch Hiebe das Stillstehen oder die Nebensprünge des Wildlings, und so geht es im schnellsten Laufe immer vorwärts, gleichviel, wohin das Thier sich wenden mag. Jst es endlich ermattet und ergibt sich, so sucht der Reiter es nun auch zu lenken, bis es in weiten Kreisen ins Dorf zurückkommt, wo man ihm ohne Mühe den Spannriemen anlegt und den Zaumstrick an den Gurt anzieht und anbindet, so daß es zwar kleine Schritte machen, aber den Kopf nicht zur Erde beugen und also daselbst Nichts abfressen kann. Höchstens werden ihm ein paar Hände voll Heu gegeben. Dann läßt man es so die Nacht durch stehen, tränkt es und wiederholt am Morgen die gestrige Geschichte, legt ihm aber schon das vollständige Sattelzeug auf. Jn ein paar Tagen ist das Pferd durch Hunger und Anstrengung gebändigt und gewöhnlich so fromm wie ein Lamm ge- worden."
"Bei weiteren Reisen werden die Pferde nicht an einander gekoppelt, sondern ganz frei ge- trieben. Sie müssen täglich 8 bis 10 deutsche Meilen machen und kommen in keinen Stall. Ueber die breitesten Flüsse werden sie ohne Umstände getrieben. Sie schwimmen vortrefflich, und die Hirten setzen theils in Kähnen, theils an den Schweifen der Pferde hängend, mit ihnen über."
Der Tartar benutzt sein Pferd zu allem Möglichen. Es muß ihn und sein Haus bei seinem Nomadenleben tragen, muß sein Getreide ausdreschen; es dient ihm zur Jagd und muß hinter dem Wilde herjagen, bis dieses ermattet zur Erde stürzt und dann todt geschlagen werden kann. Das Haar und Fell wird auf die verschiedenste Weise benutzt. Fleisch, Fett und Gedärme dienen zur Nahrung, und Pferdefleisch ist dem Tartaren das Liebste von Allem, was Fleisch heißt. Gewöhnlich werden nur kranke und verendete Thiere gegessen, solche kaufen die Tartaren sogar auf den russischen Märkten. Die ausgefranzten Sehnen dienen zum Nähen und werden dem Zwirn bei weitem vorge- zogen, weil sie fester sind. Die jakutische Braut überreicht ihrem Bräutigam bei der Hochzeit einen gekochten Pferdekopf, welcher von Pferdewürsten umgeben ist. Haare aus dem Pferdeschweif an die Bäume des Waldes gebunden, erfreuen den Waldgeist nach ihrer Ansicht in hohem Grade etc.
Auch in Europa sind die Pferde keineswegs überall Hausthiere nach unseren Begriffen. Jn vielen Gegenden überläßt man sie sich selbst während des größten Theiles vom Jahre. So weiden die Herden im südlichen Rußland fast ohne jede Aufsicht. Sie werden nur ab und zu einmal von ihren Hirten zusammengetrieben, gezählt, unter Umständen auch einer Wahl unterworfen u. s. w.; dann läßt man sie wieder laufen. Aber auch in Ländern, wo man es keineswegs vermuthen sollte, genießen die Pferde einer viel größeren Freiheit, als bei uns. Alle ponyähnlichen Pferde leben in ihrer eigentlichen Heimat mehr oder weniger selbständig. Auf den nördlichen Jnseln Großbritanniens laufen die kleinen Pferdchen jahraus, jahrein im Walde und in dem Moore umher, ohne daß ihre Besitzer sich viel um sie kümmern, falls sie nicht eins oder das andere zu verkaufen oder sonstwie zu benutzen gedenken. Die norwegischen, lappländischen und isländischen Pferde
Einhufer. — Die Wildpferde der aſiatiſchen Steppe.
kene Pferdemilch wird nie getrunken; man läßt ſie erſt gähren, dadurch wird ſie zum „Kumis‟, einem ſtarken und berauſchenden Getränk, welches dem Tartaren daſſelbe iſt, was uns der Wein.‟
„Will der Tartar ein erwachſenes Pferd aus der Herde zum Reiten abrichten, ſo fängt er es zuerſt mit der langen Schlinge; dann kommen mehrere Gehilfen und ſuchen es durch Verwickelung der Schlinge um die Füße umzuwerfen. Während es auf dem Boden liegt und feſtgehalten wird, legt man ihm den Zaum und den Spannriemen an. Dieſer letztere beſteht aus einem Riemen, welcher an drei Füßen des Pferdes angebunden wird und ſo daſſelbe zwar nicht am Stehen und an ſehr kur- zen Schritten, wohl aber am ſchnellen Laufen gänzlich hindert. Das derart gefeſſelte Thier läßt man ſich aufrichten, hält es aber an den Ohren feſt und ſchnallt ihm nun das Sattelkiſſen mit dem Leib- gurt auf den Rücken. Der durch den Gurt getrennte hintere Theil des Sattelkiſſens wird alsdann auf den vorderen übergebogen; ein Tartar ſetzt ſich auf den bloßen Rücken des Pferdes hinter dieſes Vorwerk, welches ihn bei den Sprüngen und dem Rennen des Pferdes vor dem Ueberſtürzen ſchützt, bewaffnet ſich mit dem Kantſchuh, die Spannriemen werden weggenommen, der Reiter ſchlägt auf das wilde Pferd los, löſt ihm gänzlich die Zügel und hält es nur feſt. Ein Nachreitender ver- hindert durch Hiebe das Stillſtehen oder die Nebenſprünge des Wildlings, und ſo geht es im ſchnellſten Laufe immer vorwärts, gleichviel, wohin das Thier ſich wenden mag. Jſt es endlich ermattet und ergibt ſich, ſo ſucht der Reiter es nun auch zu lenken, bis es in weiten Kreiſen ins Dorf zurückkommt, wo man ihm ohne Mühe den Spannriemen anlegt und den Zaumſtrick an den Gurt anzieht und anbindet, ſo daß es zwar kleine Schritte machen, aber den Kopf nicht zur Erde beugen und alſo daſelbſt Nichts abfreſſen kann. Höchſtens werden ihm ein paar Hände voll Heu gegeben. Dann läßt man es ſo die Nacht durch ſtehen, tränkt es und wiederholt am Morgen die geſtrige Geſchichte, legt ihm aber ſchon das vollſtändige Sattelzeug auf. Jn ein paar Tagen iſt das Pferd durch Hunger und Anſtrengung gebändigt und gewöhnlich ſo fromm wie ein Lamm ge- worden.‟
„Bei weiteren Reiſen werden die Pferde nicht an einander gekoppelt, ſondern ganz frei ge- trieben. Sie müſſen täglich 8 bis 10 deutſche Meilen machen und kommen in keinen Stall. Ueber die breiteſten Flüſſe werden ſie ohne Umſtände getrieben. Sie ſchwimmen vortrefflich, und die Hirten ſetzen theils in Kähnen, theils an den Schweifen der Pferde hängend, mit ihnen über.‟
Der Tartar benutzt ſein Pferd zu allem Möglichen. Es muß ihn und ſein Haus bei ſeinem Nomadenleben tragen, muß ſein Getreide ausdreſchen; es dient ihm zur Jagd und muß hinter dem Wilde herjagen, bis dieſes ermattet zur Erde ſtürzt und dann todt geſchlagen werden kann. Das Haar und Fell wird auf die verſchiedenſte Weiſe benutzt. Fleiſch, Fett und Gedärme dienen zur Nahrung, und Pferdefleiſch iſt dem Tartaren das Liebſte von Allem, was Fleiſch heißt. Gewöhnlich werden nur kranke und verendete Thiere gegeſſen, ſolche kaufen die Tartaren ſogar auf den ruſſiſchen Märkten. Die ausgefranzten Sehnen dienen zum Nähen und werden dem Zwirn bei weitem vorge- zogen, weil ſie feſter ſind. Die jakutiſche Braut überreicht ihrem Bräutigam bei der Hochzeit einen gekochten Pferdekopf, welcher von Pferdewürſten umgeben iſt. Haare aus dem Pferdeſchweif an die Bäume des Waldes gebunden, erfreuen den Waldgeiſt nach ihrer Anſicht in hohem Grade ꝛc.
Auch in Europa ſind die Pferde keineswegs überall Hausthiere nach unſeren Begriffen. Jn vielen Gegenden überläßt man ſie ſich ſelbſt während des größten Theiles vom Jahre. So weiden die Herden im ſüdlichen Rußland faſt ohne jede Aufſicht. Sie werden nur ab und zu einmal von ihren Hirten zuſammengetrieben, gezählt, unter Umſtänden auch einer Wahl unterworfen u. ſ. w.; dann läßt man ſie wieder laufen. Aber auch in Ländern, wo man es keineswegs vermuthen ſollte, genießen die Pferde einer viel größeren Freiheit, als bei uns. Alle ponyähnlichen Pferde leben in ihrer eigentlichen Heimat mehr oder weniger ſelbſtändig. Auf den nördlichen Jnſeln Großbritanniens laufen die kleinen Pferdchen jahraus, jahrein im Walde und in dem Moore umher, ohne daß ihre Beſitzer ſich viel um ſie kümmern, falls ſie nicht eins oder das andere zu verkaufen oder ſonſtwie zu benutzen gedenken. Die norwegiſchen, lappländiſchen und isländiſchen Pferde
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Einhufer. — Die Wildpferde der aſiatiſchen Steppe.
kene Pferdemilch wird nie getrunken; man läßt ſie erſt gähren, dadurch wird ſie zum „Kumis‟,
einem ſtarken und berauſchenden Getränk, welches dem Tartaren daſſelbe iſt, was uns der Wein.‟
„Will der Tartar ein erwachſenes Pferd aus der Herde zum Reiten abrichten, ſo fängt er es
zuerſt mit der langen Schlinge; dann kommen mehrere Gehilfen und ſuchen es durch Verwickelung
der Schlinge um die Füße umzuwerfen. Während es auf dem Boden liegt und feſtgehalten wird,
legt man ihm den Zaum und den Spannriemen an. Dieſer letztere beſteht aus einem Riemen, welcher
an drei Füßen des Pferdes angebunden wird und ſo daſſelbe zwar nicht am Stehen und an ſehr kur-
zen Schritten, wohl aber am ſchnellen Laufen gänzlich hindert. Das derart gefeſſelte Thier läßt man
ſich aufrichten, hält es aber an den Ohren feſt und ſchnallt ihm nun das Sattelkiſſen mit dem Leib-
gurt auf den Rücken. Der durch den Gurt getrennte hintere Theil des Sattelkiſſens wird alsdann
auf den vorderen übergebogen; ein Tartar ſetzt ſich auf den bloßen Rücken des Pferdes hinter dieſes
Vorwerk, welches ihn bei den Sprüngen und dem Rennen des Pferdes vor dem Ueberſtürzen ſchützt,
bewaffnet ſich mit dem Kantſchuh, die Spannriemen werden weggenommen, der Reiter ſchlägt auf
das wilde Pferd los, löſt ihm gänzlich die Zügel und hält es nur feſt. Ein Nachreitender ver-
hindert durch Hiebe das Stillſtehen oder die Nebenſprünge des Wildlings, und ſo geht es im
ſchnellſten Laufe immer vorwärts, gleichviel, wohin das Thier ſich wenden mag. Jſt es endlich
ermattet und ergibt ſich, ſo ſucht der Reiter es nun auch zu lenken, bis es in weiten Kreiſen ins
Dorf zurückkommt, wo man ihm ohne Mühe den Spannriemen anlegt und den Zaumſtrick an den
Gurt anzieht und anbindet, ſo daß es zwar kleine Schritte machen, aber den Kopf nicht zur Erde
beugen und alſo daſelbſt Nichts abfreſſen kann. Höchſtens werden ihm ein paar Hände voll Heu
gegeben. Dann läßt man es ſo die Nacht durch ſtehen, tränkt es und wiederholt am Morgen die
geſtrige Geſchichte, legt ihm aber ſchon das vollſtändige Sattelzeug auf. Jn ein paar Tagen iſt das
Pferd durch Hunger und Anſtrengung gebändigt und gewöhnlich ſo fromm wie ein Lamm ge-
worden.‟
„Bei weiteren Reiſen werden die Pferde nicht an einander gekoppelt, ſondern ganz frei ge-
trieben. Sie müſſen täglich 8 bis 10 deutſche Meilen machen und kommen in keinen Stall. Ueber
die breiteſten Flüſſe werden ſie ohne Umſtände getrieben. Sie ſchwimmen vortrefflich, und die Hirten
ſetzen theils in Kähnen, theils an den Schweifen der Pferde hängend, mit ihnen über.‟
Der Tartar benutzt ſein Pferd zu allem Möglichen. Es muß ihn und ſein Haus bei ſeinem
Nomadenleben tragen, muß ſein Getreide ausdreſchen; es dient ihm zur Jagd und muß hinter dem
Wilde herjagen, bis dieſes ermattet zur Erde ſtürzt und dann todt geſchlagen werden kann. Das
Haar und Fell wird auf die verſchiedenſte Weiſe benutzt. Fleiſch, Fett und Gedärme dienen zur
Nahrung, und Pferdefleiſch iſt dem Tartaren das Liebſte von Allem, was Fleiſch heißt. Gewöhnlich
werden nur kranke und verendete Thiere gegeſſen, ſolche kaufen die Tartaren ſogar auf den ruſſiſchen
Märkten. Die ausgefranzten Sehnen dienen zum Nähen und werden dem Zwirn bei weitem vorge-
zogen, weil ſie feſter ſind. Die jakutiſche Braut überreicht ihrem Bräutigam bei der Hochzeit einen
gekochten Pferdekopf, welcher von Pferdewürſten umgeben iſt. Haare aus dem Pferdeſchweif an die
Bäume des Waldes gebunden, erfreuen den Waldgeiſt nach ihrer Anſicht in hohem Grade ꝛc.
Auch in Europa ſind die Pferde keineswegs überall Hausthiere nach unſeren Begriffen. Jn
vielen Gegenden überläßt man ſie ſich ſelbſt während des größten Theiles vom Jahre. So weiden
die Herden im ſüdlichen Rußland faſt ohne jede Aufſicht. Sie werden nur ab und zu einmal von
ihren Hirten zuſammengetrieben, gezählt, unter Umſtänden auch einer Wahl unterworfen u. ſ. w.;
dann läßt man ſie wieder laufen. Aber auch in Ländern, wo man es keineswegs vermuthen
ſollte, genießen die Pferde einer viel größeren Freiheit, als bei uns. Alle ponyähnlichen Pferde
leben in ihrer eigentlichen Heimat mehr oder weniger ſelbſtändig. Auf den nördlichen Jnſeln
Großbritanniens laufen die kleinen Pferdchen jahraus, jahrein im Walde und in dem Moore umher,
ohne daß ihre Beſitzer ſich viel um ſie kümmern, falls ſie nicht eins oder das andere zu verkaufen
oder ſonſtwie zu benutzen gedenken. Die norwegiſchen, lappländiſchen und isländiſchen Pferde
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/364>, abgerufen am 27.11.2024.
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