Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Faulthiere.
dessen unangenehmer Geruch und Geschmack den Europäer anekelt. Aus dem sehr zähen, starken
und dauerhaften Leder macht man Ueberzüge und Taschen. Hierauf beschränkt sich aber auch die Ver-
werthung eines erbeuteten Faulthieres. Schaden kann das Geschöpf natürlich nicht verursachen,
da es in ebendemselben Maße verschwindet, als der Mensch sich ausbreitet. Auch das Faulthier steht
auf der Liste der Thiere, welche einem sichern Untergang entgegengehen; nur in den tiefsten und un-
durchdringlichsten Wäldern vermag es sich zu halten, und solange noch die herrlichen Bäume, welche
ihm Obdach und Nahrung gewähren, verschont bleiben von der mörderischen Art des immer weiter
und weiter sich ausbreitenden Europäers, solange wird es noch sein freudeloses Leben fristen. Jeder
Ansiedler in solchem Walde aber verdrängt schon durch sein Erscheinen, durch das Fällen der Bäume
die Faulthiere, welche sonst dort gehaust haben, und der frevelnde Muthwille des Jägers trägt redlich
dazu bei, das ohnehin nur langsam sich vermehrende Thier auszurotten.

Es darf uns nicht wundern, daß über die Faulthiere die sonderbarsten Sagen und Märchen ver-
breitet wurden, einfach durch die Sucht der Uebertreibung, welche so viele Leute kundgeben. Die ersten
Nachrichten, welche wir über das Thier haben, stammen von Gonsalvo Ferdinando Oviedo,
welcher ungefähr Folgendes sagt: "Der Perillo Ligero ist das trägste Thier, welches man in der
Welt sehen kann. Es ist so schwerfällig und langsam, daß es einen ganzen Tag braucht, um nur
funfzig Schritte weit zu kommen. Die ersten Christen, welche es gesehen, erinnerten sich, daß man
in Spanien die Neger "weiße Häuse" zu nennen pflegte und gaben ihnen daher spottweise den
Namen hurtiges Hündchen. Es ist eins der seltsamsten Thiere wegen seines Mißverhältnisses
mit allen anderen. Ausgewachsen ist es zwei Spannen lang und nicht viel weniger dick. Es hat
vier dünne Füße, deren Zehen wie die der Vögel mit einander verwachsen sind. Weder die Klauen,
noch die Füße sind so beschaffen, daß sie den schweren Körper tragen können, und daher schleppt der
Bauch fast auf der Erde. Der Hals steht aufrecht und gerade, ist gleich dick, wie der Stößel eines
Mörsers, und der Kopf sitzt fast ohne Unterschied oben darauf, mit einem runden Gesicht, das dem
einer Eule ähnelt und kreisförmig von Haaren umgeben ist, so daß es nur etwas länger erscheint als
breit. Die Augen sind klein und rund, die Nasenlöcher wie bei den Affen, das Maul ist klein. Es
bewegt den Hals von einer Seite zur anderen, als wenn es staune. Sein einziger Wunsch und sein
Vergnügen ist, sich an die Bäume zu hängen oder an irgend Etwas, wo es klettern kann, und daher
sieht man es oft an Bäumen, an welchen es langsam hinaufklettert und sich immer mit den Klauen
festhält. Sehr verschieden ist seine Stimme von der anderer Thiere; es singt immer nur bei Nacht,
und zwar von Zeit zu Zeit allemal sechs Töne, einen höher, als den anderen, und immer tiefer, als
wenn Jemand mit fallender Stimme spräche: la, la, sol, fa, mer, re, at. So sagt es sechs Mal:
hahaha, hahaha, daß man sehr wohl von ihm sagen kann, es hätte zur Erfindung der Tonleiter Ver-
anlassung geben können. Hat es einmal gesungen, so wartet es eine Zeit lang und wiederholt dann
Dasselbe, aber nur bei Nacht, und darum halte ich es, sowie seiner kleinen Augen wegen, für ein Nacht-
thier. Bisweilen fangen es die Christen und tragen es nach Hause; dann läuft es mit seiner natür-
lichen Langsamkeit und läßt sich weder durch Drohungen noch Stoßen zu größerer Schnelligkeit be-
wegen, als es ohne äußere Anreizung sonst zu besitzen pflegt. Findet es einen Baum, so klettert es
sogleich auf den Gipfel der höchsten Aeste, und bleibt daselbst zehn, zwölf, ja zwanzig Tage, ohne
daß man weiß, was es frißt. Jch habe es auch zu Hause gehabt, und nach meiner Erfahrung muß
es von der Luft leben, und dieser Meinung sind noch viele Andere auf diesem Festlande; denn Nie-
mand hat es irgend Etwas fressen sehen. Es wendet auch meistens den Kopf und das Maul nach
der Gegend, woher der Wind weht, woraus folgt, daß ihm die Luft sehr angenehm sein muß. Es
beißt nicht und kann es auch nicht, wegen seines sehr kleinen Maules; es ist auch nicht giftig.
Uebrigens habe ich bis zur Stunde kein so dummes und kein so unnützes Thier gesehen wie dieses."

Man sieht, daß der genannte Berichterstatter im ganzen gut beobachtet hat; denn Vieles von
Dem, was er sagt, ist vollkommen begründet, und das übrige Fabelhafte von ihm eben auch nur
glaubhaft aufgenommen. Die Uebertreibungen kommen erst später vor, z. B. bei Stedmann,

Die Faulthiere.
deſſen unangenehmer Geruch und Geſchmack den Europäer anekelt. Aus dem ſehr zähen, ſtarken
und dauerhaften Leder macht man Ueberzüge und Taſchen. Hierauf beſchränkt ſich aber auch die Ver-
werthung eines erbeuteten Faulthieres. Schaden kann das Geſchöpf natürlich nicht verurſachen,
da es in ebendemſelben Maße verſchwindet, als der Menſch ſich ausbreitet. Auch das Faulthier ſteht
auf der Liſte der Thiere, welche einem ſichern Untergang entgegengehen; nur in den tiefſten und un-
durchdringlichſten Wäldern vermag es ſich zu halten, und ſolange noch die herrlichen Bäume, welche
ihm Obdach und Nahrung gewähren, verſchont bleiben von der mörderiſchen Art des immer weiter
und weiter ſich ausbreitenden Europäers, ſolange wird es noch ſein freudeloſes Leben friſten. Jeder
Anſiedler in ſolchem Walde aber verdrängt ſchon durch ſein Erſcheinen, durch das Fällen der Bäume
die Faulthiere, welche ſonſt dort gehauſt haben, und der frevelnde Muthwille des Jägers trägt redlich
dazu bei, das ohnehin nur langſam ſich vermehrende Thier auszurotten.

Es darf uns nicht wundern, daß über die Faulthiere die ſonderbarſten Sagen und Märchen ver-
breitet wurden, einfach durch die Sucht der Uebertreibung, welche ſo viele Leute kundgeben. Die erſten
Nachrichten, welche wir über das Thier haben, ſtammen von Gonſalvo Ferdinando Oviedo,
welcher ungefähr Folgendes ſagt: „Der Perillo Ligero iſt das trägſte Thier, welches man in der
Welt ſehen kann. Es iſt ſo ſchwerfällig und langſam, daß es einen ganzen Tag braucht, um nur
funfzig Schritte weit zu kommen. Die erſten Chriſten, welche es geſehen, erinnerten ſich, daß man
in Spanien die Neger „weiße Häuſe‟ zu nennen pflegte und gaben ihnen daher ſpottweiſe den
Namen hurtiges Hündchen. Es iſt eins der ſeltſamſten Thiere wegen ſeines Mißverhältniſſes
mit allen anderen. Ausgewachſen iſt es zwei Spannen lang und nicht viel weniger dick. Es hat
vier dünne Füße, deren Zehen wie die der Vögel mit einander verwachſen ſind. Weder die Klauen,
noch die Füße ſind ſo beſchaffen, daß ſie den ſchweren Körper tragen können, und daher ſchleppt der
Bauch faſt auf der Erde. Der Hals ſteht aufrecht und gerade, iſt gleich dick, wie der Stößel eines
Mörſers, und der Kopf ſitzt faſt ohne Unterſchied oben darauf, mit einem runden Geſicht, das dem
einer Eule ähnelt und kreisförmig von Haaren umgeben iſt, ſo daß es nur etwas länger erſcheint als
breit. Die Augen ſind klein und rund, die Naſenlöcher wie bei den Affen, das Maul iſt klein. Es
bewegt den Hals von einer Seite zur anderen, als wenn es ſtaune. Sein einziger Wunſch und ſein
Vergnügen iſt, ſich an die Bäume zu hängen oder an irgend Etwas, wo es klettern kann, und daher
ſieht man es oft an Bäumen, an welchen es langſam hinaufklettert und ſich immer mit den Klauen
feſthält. Sehr verſchieden iſt ſeine Stimme von der anderer Thiere; es ſingt immer nur bei Nacht,
und zwar von Zeit zu Zeit allemal ſechs Töne, einen höher, als den anderen, und immer tiefer, als
wenn Jemand mit fallender Stimme ſpräche: la, la, ſol, fa, mer, re, at. So ſagt es ſechs Mal:
hahaha, hahaha, daß man ſehr wohl von ihm ſagen kann, es hätte zur Erfindung der Tonleiter Ver-
anlaſſung geben können. Hat es einmal geſungen, ſo wartet es eine Zeit lang und wiederholt dann
Daſſelbe, aber nur bei Nacht, und darum halte ich es, ſowie ſeiner kleinen Augen wegen, für ein Nacht-
thier. Bisweilen fangen es die Chriſten und tragen es nach Hauſe; dann läuft es mit ſeiner natür-
lichen Langſamkeit und läßt ſich weder durch Drohungen noch Stoßen zu größerer Schnelligkeit be-
wegen, als es ohne äußere Anreizung ſonſt zu beſitzen pflegt. Findet es einen Baum, ſo klettert es
ſogleich auf den Gipfel der höchſten Aeſte, und bleibt daſelbſt zehn, zwölf, ja zwanzig Tage, ohne
daß man weiß, was es frißt. Jch habe es auch zu Hauſe gehabt, und nach meiner Erfahrung muß
es von der Luft leben, und dieſer Meinung ſind noch viele Andere auf dieſem Feſtlande; denn Nie-
mand hat es irgend Etwas freſſen ſehen. Es wendet auch meiſtens den Kopf und das Maul nach
der Gegend, woher der Wind weht, woraus folgt, daß ihm die Luft ſehr angenehm ſein muß. Es
beißt nicht und kann es auch nicht, wegen ſeines ſehr kleinen Maules; es iſt auch nicht giftig.
Uebrigens habe ich bis zur Stunde kein ſo dummes und kein ſo unnützes Thier geſehen wie dieſes.‟

Man ſieht, daß der genannte Berichterſtatter im ganzen gut beobachtet hat; denn Vieles von
Dem, was er ſagt, iſt vollkommen begründet, und das übrige Fabelhafte von ihm eben auch nur
glaubhaft aufgenommen. Die Uebertreibungen kommen erſt ſpäter vor, z. B. bei Stedmann,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0301" n="281"/><fw place="top" type="header">Die Faulthiere.</fw><lb/>
de&#x017F;&#x017F;en unangenehmer Geruch und Ge&#x017F;chmack den Europäer anekelt. Aus dem &#x017F;ehr zähen, &#x017F;tarken<lb/>
und dauerhaften Leder macht man Ueberzüge und Ta&#x017F;chen. Hierauf be&#x017F;chränkt &#x017F;ich aber auch die Ver-<lb/>
werthung eines erbeuteten Faulthieres. Schaden kann das Ge&#x017F;chöpf natürlich nicht verur&#x017F;achen,<lb/>
da es in ebendem&#x017F;elben Maße ver&#x017F;chwindet, als der Men&#x017F;ch &#x017F;ich ausbreitet. Auch das Faulthier &#x017F;teht<lb/>
auf der Li&#x017F;te der Thiere, welche einem &#x017F;ichern Untergang entgegengehen; nur in den tief&#x017F;ten und un-<lb/>
durchdringlich&#x017F;ten Wäldern vermag es &#x017F;ich zu halten, und &#x017F;olange noch die herrlichen Bäume, welche<lb/>
ihm Obdach und Nahrung gewähren, ver&#x017F;chont bleiben von der mörderi&#x017F;chen Art des immer weiter<lb/>
und weiter &#x017F;ich ausbreitenden Europäers, &#x017F;olange wird es noch &#x017F;ein freudelo&#x017F;es Leben fri&#x017F;ten. Jeder<lb/>
An&#x017F;iedler in &#x017F;olchem Walde aber verdrängt &#x017F;chon durch &#x017F;ein Er&#x017F;cheinen, durch das Fällen der Bäume<lb/>
die Faulthiere, welche &#x017F;on&#x017F;t dort gehau&#x017F;t haben, und der frevelnde Muthwille des Jägers trägt redlich<lb/>
dazu bei, das ohnehin nur lang&#x017F;am &#x017F;ich vermehrende Thier auszurotten.</p><lb/>
              <p>Es darf uns nicht wundern, daß über die Faulthiere die &#x017F;onderbar&#x017F;ten Sagen und Märchen ver-<lb/>
breitet wurden, einfach durch die Sucht der Uebertreibung, welche &#x017F;o viele Leute kundgeben. Die er&#x017F;ten<lb/>
Nachrichten, welche wir über das Thier haben, &#x017F;tammen von <hi rendition="#g">Gon&#x017F;alvo Ferdinando Oviedo,</hi><lb/>
welcher ungefähr Folgendes &#x017F;agt: &#x201E;Der <hi rendition="#aq">Perillo Ligero</hi> i&#x017F;t das träg&#x017F;te Thier, welches man in der<lb/>
Welt &#x017F;ehen kann. Es i&#x017F;t &#x017F;o &#x017F;chwerfällig und lang&#x017F;am, daß es einen ganzen Tag braucht, um nur<lb/>
funfzig Schritte weit zu kommen. Die er&#x017F;ten Chri&#x017F;ten, welche es ge&#x017F;ehen, erinnerten &#x017F;ich, daß man<lb/>
in Spanien die Neger &#x201E;<hi rendition="#g">weiße Häu&#x017F;e</hi>&#x201F; zu nennen pflegte und gaben ihnen daher &#x017F;pottwei&#x017F;e den<lb/>
Namen <hi rendition="#g">hurtiges Hündchen.</hi> Es i&#x017F;t eins der &#x017F;elt&#x017F;am&#x017F;ten Thiere wegen &#x017F;eines Mißverhältni&#x017F;&#x017F;es<lb/>
mit allen anderen. Ausgewach&#x017F;en i&#x017F;t es zwei Spannen lang und nicht viel weniger dick. Es hat<lb/>
vier dünne Füße, deren Zehen wie die der Vögel mit einander verwach&#x017F;en &#x017F;ind. Weder die Klauen,<lb/>
noch die Füße &#x017F;ind &#x017F;o be&#x017F;chaffen, daß &#x017F;ie den &#x017F;chweren Körper tragen können, und daher &#x017F;chleppt der<lb/>
Bauch fa&#x017F;t auf der Erde. Der Hals &#x017F;teht aufrecht und gerade, i&#x017F;t gleich dick, wie der Stößel eines<lb/>
Mör&#x017F;ers, und der Kopf &#x017F;itzt fa&#x017F;t ohne Unter&#x017F;chied oben darauf, mit einem runden Ge&#x017F;icht, das dem<lb/>
einer Eule ähnelt und kreisförmig von Haaren umgeben i&#x017F;t, &#x017F;o daß es nur etwas länger er&#x017F;cheint als<lb/>
breit. Die Augen &#x017F;ind klein und rund, die Na&#x017F;enlöcher wie bei den Affen, das Maul i&#x017F;t klein. Es<lb/>
bewegt den Hals von einer Seite zur anderen, als wenn es &#x017F;taune. Sein einziger Wun&#x017F;ch und &#x017F;ein<lb/>
Vergnügen i&#x017F;t, &#x017F;ich an die Bäume zu hängen oder an irgend Etwas, wo es klettern kann, und daher<lb/>
&#x017F;ieht man es oft an Bäumen, an welchen es lang&#x017F;am hinaufklettert und &#x017F;ich immer mit den Klauen<lb/>
fe&#x017F;thält. Sehr ver&#x017F;chieden i&#x017F;t &#x017F;eine Stimme von der anderer Thiere; es &#x017F;ingt immer nur bei Nacht,<lb/>
und zwar von Zeit zu Zeit allemal &#x017F;echs Töne, einen höher, als den anderen, und immer tiefer, als<lb/>
wenn Jemand mit fallender Stimme &#x017F;präche: la, la, &#x017F;ol, fa, mer, re, at. So &#x017F;agt es &#x017F;echs Mal:<lb/>
hahaha, hahaha, daß man &#x017F;ehr wohl von ihm &#x017F;agen kann, es hätte zur Erfindung der Tonleiter Ver-<lb/>
anla&#x017F;&#x017F;ung geben können. Hat es einmal ge&#x017F;ungen, &#x017F;o wartet es eine Zeit lang und wiederholt dann<lb/>
Da&#x017F;&#x017F;elbe, aber nur bei Nacht, und darum halte ich es, &#x017F;owie &#x017F;einer kleinen Augen wegen, für ein Nacht-<lb/>
thier. Bisweilen fangen es die Chri&#x017F;ten und tragen es nach Hau&#x017F;e; dann läuft es mit &#x017F;einer natür-<lb/>
lichen Lang&#x017F;amkeit und läßt &#x017F;ich weder durch Drohungen noch Stoßen zu größerer Schnelligkeit be-<lb/>
wegen, als es ohne äußere Anreizung &#x017F;on&#x017F;t zu be&#x017F;itzen pflegt. Findet es einen Baum, &#x017F;o klettert es<lb/>
&#x017F;ogleich auf den Gipfel der höch&#x017F;ten Ae&#x017F;te, und bleibt da&#x017F;elb&#x017F;t zehn, zwölf, ja zwanzig Tage, ohne<lb/>
daß man weiß, was es frißt. Jch habe es auch zu Hau&#x017F;e gehabt, und nach meiner Erfahrung muß<lb/>
es von der Luft leben, und die&#x017F;er Meinung &#x017F;ind noch viele Andere auf die&#x017F;em Fe&#x017F;tlande; denn Nie-<lb/>
mand hat es irgend Etwas fre&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ehen. Es wendet auch mei&#x017F;tens den Kopf und das Maul nach<lb/>
der Gegend, woher der Wind weht, woraus folgt, daß ihm die Luft &#x017F;ehr angenehm &#x017F;ein muß. Es<lb/>
beißt nicht und kann es auch nicht, wegen &#x017F;eines &#x017F;ehr kleinen Maules; es i&#x017F;t auch nicht giftig.<lb/>
Uebrigens habe ich bis zur Stunde kein &#x017F;o dummes und kein &#x017F;o unnützes Thier ge&#x017F;ehen wie die&#x017F;es.&#x201F;</p><lb/>
              <p>Man &#x017F;ieht, daß der genannte Berichter&#x017F;tatter im ganzen gut beobachtet hat; denn Vieles von<lb/>
Dem, was er &#x017F;agt, i&#x017F;t vollkommen begründet, und das übrige Fabelhafte von ihm eben auch nur<lb/>
glaubhaft aufgenommen. Die Uebertreibungen kommen er&#x017F;t &#x017F;päter vor, z. B. bei <hi rendition="#g">Stedmann,</hi><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[281/0301] Die Faulthiere. deſſen unangenehmer Geruch und Geſchmack den Europäer anekelt. Aus dem ſehr zähen, ſtarken und dauerhaften Leder macht man Ueberzüge und Taſchen. Hierauf beſchränkt ſich aber auch die Ver- werthung eines erbeuteten Faulthieres. Schaden kann das Geſchöpf natürlich nicht verurſachen, da es in ebendemſelben Maße verſchwindet, als der Menſch ſich ausbreitet. Auch das Faulthier ſteht auf der Liſte der Thiere, welche einem ſichern Untergang entgegengehen; nur in den tiefſten und un- durchdringlichſten Wäldern vermag es ſich zu halten, und ſolange noch die herrlichen Bäume, welche ihm Obdach und Nahrung gewähren, verſchont bleiben von der mörderiſchen Art des immer weiter und weiter ſich ausbreitenden Europäers, ſolange wird es noch ſein freudeloſes Leben friſten. Jeder Anſiedler in ſolchem Walde aber verdrängt ſchon durch ſein Erſcheinen, durch das Fällen der Bäume die Faulthiere, welche ſonſt dort gehauſt haben, und der frevelnde Muthwille des Jägers trägt redlich dazu bei, das ohnehin nur langſam ſich vermehrende Thier auszurotten. Es darf uns nicht wundern, daß über die Faulthiere die ſonderbarſten Sagen und Märchen ver- breitet wurden, einfach durch die Sucht der Uebertreibung, welche ſo viele Leute kundgeben. Die erſten Nachrichten, welche wir über das Thier haben, ſtammen von Gonſalvo Ferdinando Oviedo, welcher ungefähr Folgendes ſagt: „Der Perillo Ligero iſt das trägſte Thier, welches man in der Welt ſehen kann. Es iſt ſo ſchwerfällig und langſam, daß es einen ganzen Tag braucht, um nur funfzig Schritte weit zu kommen. Die erſten Chriſten, welche es geſehen, erinnerten ſich, daß man in Spanien die Neger „weiße Häuſe‟ zu nennen pflegte und gaben ihnen daher ſpottweiſe den Namen hurtiges Hündchen. Es iſt eins der ſeltſamſten Thiere wegen ſeines Mißverhältniſſes mit allen anderen. Ausgewachſen iſt es zwei Spannen lang und nicht viel weniger dick. Es hat vier dünne Füße, deren Zehen wie die der Vögel mit einander verwachſen ſind. Weder die Klauen, noch die Füße ſind ſo beſchaffen, daß ſie den ſchweren Körper tragen können, und daher ſchleppt der Bauch faſt auf der Erde. Der Hals ſteht aufrecht und gerade, iſt gleich dick, wie der Stößel eines Mörſers, und der Kopf ſitzt faſt ohne Unterſchied oben darauf, mit einem runden Geſicht, das dem einer Eule ähnelt und kreisförmig von Haaren umgeben iſt, ſo daß es nur etwas länger erſcheint als breit. Die Augen ſind klein und rund, die Naſenlöcher wie bei den Affen, das Maul iſt klein. Es bewegt den Hals von einer Seite zur anderen, als wenn es ſtaune. Sein einziger Wunſch und ſein Vergnügen iſt, ſich an die Bäume zu hängen oder an irgend Etwas, wo es klettern kann, und daher ſieht man es oft an Bäumen, an welchen es langſam hinaufklettert und ſich immer mit den Klauen feſthält. Sehr verſchieden iſt ſeine Stimme von der anderer Thiere; es ſingt immer nur bei Nacht, und zwar von Zeit zu Zeit allemal ſechs Töne, einen höher, als den anderen, und immer tiefer, als wenn Jemand mit fallender Stimme ſpräche: la, la, ſol, fa, mer, re, at. So ſagt es ſechs Mal: hahaha, hahaha, daß man ſehr wohl von ihm ſagen kann, es hätte zur Erfindung der Tonleiter Ver- anlaſſung geben können. Hat es einmal geſungen, ſo wartet es eine Zeit lang und wiederholt dann Daſſelbe, aber nur bei Nacht, und darum halte ich es, ſowie ſeiner kleinen Augen wegen, für ein Nacht- thier. Bisweilen fangen es die Chriſten und tragen es nach Hauſe; dann läuft es mit ſeiner natür- lichen Langſamkeit und läßt ſich weder durch Drohungen noch Stoßen zu größerer Schnelligkeit be- wegen, als es ohne äußere Anreizung ſonſt zu beſitzen pflegt. Findet es einen Baum, ſo klettert es ſogleich auf den Gipfel der höchſten Aeſte, und bleibt daſelbſt zehn, zwölf, ja zwanzig Tage, ohne daß man weiß, was es frißt. Jch habe es auch zu Hauſe gehabt, und nach meiner Erfahrung muß es von der Luft leben, und dieſer Meinung ſind noch viele Andere auf dieſem Feſtlande; denn Nie- mand hat es irgend Etwas freſſen ſehen. Es wendet auch meiſtens den Kopf und das Maul nach der Gegend, woher der Wind weht, woraus folgt, daß ihm die Luft ſehr angenehm ſein muß. Es beißt nicht und kann es auch nicht, wegen ſeines ſehr kleinen Maules; es iſt auch nicht giftig. Uebrigens habe ich bis zur Stunde kein ſo dummes und kein ſo unnützes Thier geſehen wie dieſes.‟ Man ſieht, daß der genannte Berichterſtatter im ganzen gut beobachtet hat; denn Vieles von Dem, was er ſagt, iſt vollkommen begründet, und das übrige Fabelhafte von ihm eben auch nur glaubhaft aufgenommen. Die Uebertreibungen kommen erſt ſpäter vor, z. B. bei Stedmann,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/301
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/301>, abgerufen am 27.11.2024.