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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Der Alpenpfeifhase.
muthwillige Knaben ihre Vorräthe oft zerstören, mit Gräsern und anderen Pflanzen, welche sonst all-
gemein von den Thieren verschmäht werden. Die von ihr zusammengetragenen Heuhaufen erreichen
3/4 bis 1 Fuß Höhe und 1 bis 2 Fuß Durchmesser. Gewöhnlich, aber nicht immer, liegen die Kräuter
wohlgeordnet, bisweilen sogar geschichtet; einige Mal fand Radde, daß die Gräser der höheren
Schicht auf die einer unteren im rechten Winkel gelegt war. Wenn die Felsen zerklüftet sind, werden
die Ritzen als Scheunen benutzt; Radde zog aus einer 2 Fuß langen und 1/2 Fuß breiten Felsenspalte
eine große Menge gesammelter und sehr schön erhaltener, stark duftender Kräuter hervor und fand
einen zweiten, etwas geringeren Vorrath in der Nähe des ersteren unterhalb einer überragenden
Felskante, welche ihn vor Feuchtigkeit schützte. Zu diesem Bau führen die schmalen Pfade, welche
sich die Thiere, dem Felsen abwärts, ausgetreten haben, und zu deren beiden Seiten sie die kurzen
Gräser abweiden. Stört man die fleißigen Sammler in ihrer Arbeit, so beginnen sie dieselbe immer
wieder auf's neue, und manchmal schleppen sie noch im September die bereits ganz vergilbten Step-
penpflanzen zusammen. Wenn der Winter eintritt, ziehen sie von ihren Höhlen Laufgräben unter dem
Schnee bis zu den Heuschobern und ernähren sich von ihnen in aller Behaglichkeit; denn sie verfallen
[Abbildung] Der Alpenpfeifhase (Lagomys alpinus).
nicht in Schlaf. Diese Gänge sind manchfach gekrümmt und gewunden, und jeder einzelne hat sein
Luftloch.

Der Schrei des Alpenpfeifhasen, welchen man noch um Mitternacht vernimmt, ähnelt dem Ruf
unseres Buntspechtes und wird selten häufiger als drei Mal rasch hinter einander wiederholt.
Die Ogotona pfeift heller und so oft hinter einander, daß ihr Ruf wie ein schrillender, zischender
Triller klingt. Eine dritte Art der Zwergpfeifhasen (Lagomys pusillus), welche in den südlich
der Wolga gelegenen Gegenden vom Ural bis zum Ob vorkommt, soll einen Ruf ausstoßen, der dem
Schlag unserer Wachtel täuschend ähnlich ist.

Zu Anfang des Sommers wirft das Weibchen sechs nackte Junge und pflegt sie sorgfältig.
Dies gibt Pallas an; Radde scheint keine Beobachtung über das Fortpflanzungsgeschäft ge-
macht zu haben.

Leider haben Alpenpfeifhase und Ogotona, namentlich die letztere, viele Feinde. Der erstere
ist in Folge seiner Lebensweise und der großen Vorsicht, welche er beobachtet, weniger den Raub-
vögeln und Raubthieren ausgesetzt, als die Ogotona; er wird auch von den Jägern Ostsibiriens
nicht verfolgt, während sein Verwandter fortwährend von dem Manul, dem Wolf, dem Ko-

Der Alpenpfeifhaſe.
muthwillige Knaben ihre Vorräthe oft zerſtören, mit Gräſern und anderen Pflanzen, welche ſonſt all-
gemein von den Thieren verſchmäht werden. Die von ihr zuſammengetragenen Heuhaufen erreichen
¾ bis 1 Fuß Höhe und 1 bis 2 Fuß Durchmeſſer. Gewöhnlich, aber nicht immer, liegen die Kräuter
wohlgeordnet, bisweilen ſogar geſchichtet; einige Mal fand Radde, daß die Gräſer der höheren
Schicht auf die einer unteren im rechten Winkel gelegt war. Wenn die Felſen zerklüftet ſind, werden
die Ritzen als Scheunen benutzt; Radde zog aus einer 2 Fuß langen und ½ Fuß breiten Felſenſpalte
eine große Menge geſammelter und ſehr ſchön erhaltener, ſtark duftender Kräuter hervor und fand
einen zweiten, etwas geringeren Vorrath in der Nähe des erſteren unterhalb einer überragenden
Felskante, welche ihn vor Feuchtigkeit ſchützte. Zu dieſem Bau führen die ſchmalen Pfade, welche
ſich die Thiere, dem Felſen abwärts, ausgetreten haben, und zu deren beiden Seiten ſie die kurzen
Gräſer abweiden. Stört man die fleißigen Sammler in ihrer Arbeit, ſo beginnen ſie dieſelbe immer
wieder auf’s neue, und manchmal ſchleppen ſie noch im September die bereits ganz vergilbten Step-
penpflanzen zuſammen. Wenn der Winter eintritt, ziehen ſie von ihren Höhlen Laufgräben unter dem
Schnee bis zu den Heuſchobern und ernähren ſich von ihnen in aller Behaglichkeit; denn ſie verfallen
[Abbildung] Der Alpenpfeifhaſe (Lagomys alpinus).
nicht in Schlaf. Dieſe Gänge ſind manchfach gekrümmt und gewunden, und jeder einzelne hat ſein
Luftloch.

Der Schrei des Alpenpfeifhaſen, welchen man noch um Mitternacht vernimmt, ähnelt dem Ruf
unſeres Buntſpechtes und wird ſelten häufiger als drei Mal raſch hinter einander wiederholt.
Die Ogotona pfeift heller und ſo oft hinter einander, daß ihr Ruf wie ein ſchrillender, ziſchender
Triller klingt. Eine dritte Art der Zwergpfeifhaſen (Lagomys pusillus), welche in den ſüdlich
der Wolga gelegenen Gegenden vom Ural bis zum Ob vorkommt, ſoll einen Ruf ausſtoßen, der dem
Schlag unſerer Wachtel täuſchend ähnlich iſt.

Zu Anfang des Sommers wirft das Weibchen ſechs nackte Junge und pflegt ſie ſorgfältig.
Dies gibt Pallas an; Radde ſcheint keine Beobachtung über das Fortpflanzungsgeſchäft ge-
macht zu haben.

Leider haben Alpenpfeifhaſe und Ogotona, namentlich die letztere, viele Feinde. Der erſtere
iſt in Folge ſeiner Lebensweiſe und der großen Vorſicht, welche er beobachtet, weniger den Raub-
vögeln und Raubthieren ausgeſetzt, als die Ogotona; er wird auch von den Jägern Oſtſibiriens
nicht verfolgt, während ſein Verwandter fortwährend von dem Manul, dem Wolf, dem Ko-

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[269/0287] Der Alpenpfeifhaſe. muthwillige Knaben ihre Vorräthe oft zerſtören, mit Gräſern und anderen Pflanzen, welche ſonſt all- gemein von den Thieren verſchmäht werden. Die von ihr zuſammengetragenen Heuhaufen erreichen ¾ bis 1 Fuß Höhe und 1 bis 2 Fuß Durchmeſſer. Gewöhnlich, aber nicht immer, liegen die Kräuter wohlgeordnet, bisweilen ſogar geſchichtet; einige Mal fand Radde, daß die Gräſer der höheren Schicht auf die einer unteren im rechten Winkel gelegt war. Wenn die Felſen zerklüftet ſind, werden die Ritzen als Scheunen benutzt; Radde zog aus einer 2 Fuß langen und ½ Fuß breiten Felſenſpalte eine große Menge geſammelter und ſehr ſchön erhaltener, ſtark duftender Kräuter hervor und fand einen zweiten, etwas geringeren Vorrath in der Nähe des erſteren unterhalb einer überragenden Felskante, welche ihn vor Feuchtigkeit ſchützte. Zu dieſem Bau führen die ſchmalen Pfade, welche ſich die Thiere, dem Felſen abwärts, ausgetreten haben, und zu deren beiden Seiten ſie die kurzen Gräſer abweiden. Stört man die fleißigen Sammler in ihrer Arbeit, ſo beginnen ſie dieſelbe immer wieder auf’s neue, und manchmal ſchleppen ſie noch im September die bereits ganz vergilbten Step- penpflanzen zuſammen. Wenn der Winter eintritt, ziehen ſie von ihren Höhlen Laufgräben unter dem Schnee bis zu den Heuſchobern und ernähren ſich von ihnen in aller Behaglichkeit; denn ſie verfallen [Abbildung Der Alpenpfeifhaſe (Lagomys alpinus).] nicht in Schlaf. Dieſe Gänge ſind manchfach gekrümmt und gewunden, und jeder einzelne hat ſein Luftloch. Der Schrei des Alpenpfeifhaſen, welchen man noch um Mitternacht vernimmt, ähnelt dem Ruf unſeres Buntſpechtes und wird ſelten häufiger als drei Mal raſch hinter einander wiederholt. Die Ogotona pfeift heller und ſo oft hinter einander, daß ihr Ruf wie ein ſchrillender, ziſchender Triller klingt. Eine dritte Art der Zwergpfeifhaſen (Lagomys pusillus), welche in den ſüdlich der Wolga gelegenen Gegenden vom Ural bis zum Ob vorkommt, ſoll einen Ruf ausſtoßen, der dem Schlag unſerer Wachtel täuſchend ähnlich iſt. Zu Anfang des Sommers wirft das Weibchen ſechs nackte Junge und pflegt ſie ſorgfältig. Dies gibt Pallas an; Radde ſcheint keine Beobachtung über das Fortpflanzungsgeſchäft ge- macht zu haben. Leider haben Alpenpfeifhaſe und Ogotona, namentlich die letztere, viele Feinde. Der erſtere iſt in Folge ſeiner Lebensweiſe und der großen Vorſicht, welche er beobachtet, weniger den Raub- vögeln und Raubthieren ausgeſetzt, als die Ogotona; er wird auch von den Jägern Oſtſibiriens nicht verfolgt, während ſein Verwandter fortwährend von dem Manul, dem Wolf, dem Ko-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/287>, abgerufen am 23.11.2024.