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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Der Erneb. Das Kaninchen.
und hat in diesem den Erzfeind aller Geschöpfe bis heutigen Tages noch nicht kennen gelernt. Nur
hiermit kann ich mir die erwähnte Dummdreistigkeit des langlöffeligen und langläufigen Gesellen
erklären. Fernab von den Orten, wo weniger bedenkliche Europäer wohnen, ist der Hase überall
außerordentlich häufig. Zuweilen springen gleich vier, sechs, acht Stück vor dem Jäger auf. Jm
Lager, mit dessen Aufertigung der Erneb sich gar keine Mühe gibt, gewahrt man ihn, Dank seiner
Gleichfarbigkeit mit dem Boden, nur sehr selten; er steht auch immer ziemlich früh auf, weil er,
wenn ein Geräusch ihn aus dem Schlafe schreckt, sich erst über dasselbe Gewißheit verschaffen will.
Gewahrt er nun blos einen herankommenden Menschen, so beeilt er sich nicht im geringsten wegzu-
kommen, sondern läuft ganz gemächlich langsam weiter, dem ersten besten Busche zu, setzt sich unter
demselben in der bezeichneten Stellung nieder und richtet nun einfach seine Löffel nach der bedenk-
lichen Gegend hin. Die Büsche, welche die ihm sehr beliebten Ebenen bedecken, sind so dürftig, so
licht, so durchsichtig, daß man ihn auf hundert Schritte immer noch sehen kann; gleichwohl scheint er
der Ueberzeugung zu sein, daß er einen vollkommen genügenden Zufluchtsort unter dem dünnen
Gezweige gefunden habe. Er läßt Einen sorglos bis auf 60, 50, ja selbst bis auf 20 Schritte
herankommen; dann geht er weiter und wieder nach einem Busche zu, wo er genau Dasselbe
wiederholt, wie vorhin. So kann man ihn, wenn man sonst Lust hat, halbe Stunden lang in der
Ebene herumjagen. Nicht einmal nach einem Fehlschusse verändert er sein Wesen; er flüchtet zwar
etwas schneller dahin und geht wohl auch etwas weiter: aber trotz des erschreckenden Knalles und des
unzweifelhaft vernommenen Pfeifens der Schrotkörner schaut er nach einer Rast von einigen Minuten
dem Schützen von Neuem so widerwärtig zudringlich in das Rohr, als früher. Wenn man nicht auf
ihn schießt, kann man ihn aus demselben Busch tagelang nach einander herausjagen; denn man wird
ihn immer und immer wieder an dem einmal von ihm gewählten Orte finden.

Es ist gar nicht zu beschreiben, wie langweilig und abstoßend die Jagd dieses Hasen für einen
Jäger ist, welcher früher mit dem nordischen Herrn Vetter zu thun gehabt hat. Man wird ange-
widert von dem albernen Gesellen und schämt sich förmlich, einem so dummen Narren auf das Fell
zu brennen.

Ganz anders verhält sich die Sache, wenn ein Hund, und wie man hieraus mit Recht schließen
kann, ein Fuchs, Schakal oder Wolf den Erneb aufscheucht. Da weiß er sehr genau, daß eine
kurze Flucht oder ein Verbergen unter dem Busche ihn nicht retten kann und gebraucht seine Läuse
genau mit derselben Ausdauer, wie Freund Lampe. Dank seiner Behendigkeit, entkommt er auch
meistens dem vierbeinigen Jäger; aber dafür lauert freilich in der Höhe ein gar schlimmer Feind, der
Raubadler nämlich, welcher nur auf solche Gelegenheit wartet, um auf den über eine kahle
Fläche wegeilenden und somit einige Augenblicke lang unbeschützten Nager herabzustoßen. Er nimmt
ihn ohne weiteres vom Boden auf und erdrosselt den ihm gegenüber Wehrlosen, noch ehe Dieser recht
weiß, was ihm geschieht, in seinen gewaltigen Fängen.

Von den eigentlichen Hasen unterscheidet sich das Kaninchen (Lepus Cuniculus) ebensowohl
in der Gestalt, wie in seiner Lebensweise und im Betragen. Die Körperlänge des Thieres beträgt
bis 16 Zoll, wovon gegen 3 Zoll auf den Schwanz kommen. Das Ohr ist kürzer, als der
Kopf und ragt, wenn man es niederdrückt, nicht bis zur Schnauze vor. Der Schwanz ist ein-
farbig, oben schwarz und unten weiß, der übrige Körper mit einem grauen Pelze bekleidet, welcher
oben ins Gelbbraune, vorn ins Rothgelbe, an den Seiten und den Schenkeln ins Lichtrostfarbene
spielt und auf der Unterseite, am Bauche, der Kehle und der Jnnenseite der Beine in Weiß über-
geht. Der Vorderhals ist rostgelbgrau, der obere, wie der Nacken einfarbig rostroth. Jm allge-
meinen unterscheidet sich das Kaninchen durch weit geringere Größe, durch den schlankeren Bau, den
kürzeren Kopf, die kürzeren Ohren und die kürzeren Hinterbeine von den Hasen.

Fast alle Naturforscher nehmen an, daß die ursprüngliche Heimat des Kaninchens Südeuropa
war, und daß es in allen Ländern nördlich von den Alpen erst eingeführt wurde. Plinius erwähnt

Der Erneb. Das Kaninchen.
und hat in dieſem den Erzfeind aller Geſchöpfe bis heutigen Tages noch nicht kennen gelernt. Nur
hiermit kann ich mir die erwähnte Dummdreiſtigkeit des langlöffeligen und langläufigen Geſellen
erklären. Fernab von den Orten, wo weniger bedenkliche Europäer wohnen, iſt der Haſe überall
außerordentlich häufig. Zuweilen ſpringen gleich vier, ſechs, acht Stück vor dem Jäger auf. Jm
Lager, mit deſſen Aufertigung der Erneb ſich gar keine Mühe gibt, gewahrt man ihn, Dank ſeiner
Gleichfarbigkeit mit dem Boden, nur ſehr ſelten; er ſteht auch immer ziemlich früh auf, weil er,
wenn ein Geräuſch ihn aus dem Schlafe ſchreckt, ſich erſt über daſſelbe Gewißheit verſchaffen will.
Gewahrt er nun blos einen herankommenden Menſchen, ſo beeilt er ſich nicht im geringſten wegzu-
kommen, ſondern läuft ganz gemächlich langſam weiter, dem erſten beſten Buſche zu, ſetzt ſich unter
demſelben in der bezeichneten Stellung nieder und richtet nun einfach ſeine Löffel nach der bedenk-
lichen Gegend hin. Die Büſche, welche die ihm ſehr beliebten Ebenen bedecken, ſind ſo dürftig, ſo
licht, ſo durchſichtig, daß man ihn auf hundert Schritte immer noch ſehen kann; gleichwohl ſcheint er
der Ueberzeugung zu ſein, daß er einen vollkommen genügenden Zufluchtsort unter dem dünnen
Gezweige gefunden habe. Er läßt Einen ſorglos bis auf 60, 50, ja ſelbſt bis auf 20 Schritte
herankommen; dann geht er weiter und wieder nach einem Buſche zu, wo er genau Daſſelbe
wiederholt, wie vorhin. So kann man ihn, wenn man ſonſt Luſt hat, halbe Stunden lang in der
Ebene herumjagen. Nicht einmal nach einem Fehlſchuſſe verändert er ſein Weſen; er flüchtet zwar
etwas ſchneller dahin und geht wohl auch etwas weiter: aber trotz des erſchreckenden Knalles und des
unzweifelhaft vernommenen Pfeifens der Schrotkörner ſchaut er nach einer Raſt von einigen Minuten
dem Schützen von Neuem ſo widerwärtig zudringlich in das Rohr, als früher. Wenn man nicht auf
ihn ſchießt, kann man ihn aus demſelben Buſch tagelang nach einander herausjagen; denn man wird
ihn immer und immer wieder an dem einmal von ihm gewählten Orte finden.

Es iſt gar nicht zu beſchreiben, wie langweilig und abſtoßend die Jagd dieſes Haſen für einen
Jäger iſt, welcher früher mit dem nordiſchen Herrn Vetter zu thun gehabt hat. Man wird ange-
widert von dem albernen Geſellen und ſchämt ſich förmlich, einem ſo dummen Narren auf das Fell
zu brennen.

Ganz anders verhält ſich die Sache, wenn ein Hund, und wie man hieraus mit Recht ſchließen
kann, ein Fuchs, Schakal oder Wolf den Erneb aufſcheucht. Da weiß er ſehr genau, daß eine
kurze Flucht oder ein Verbergen unter dem Buſche ihn nicht retten kann und gebraucht ſeine Läuſe
genau mit derſelben Ausdauer, wie Freund Lampe. Dank ſeiner Behendigkeit, entkommt er auch
meiſtens dem vierbeinigen Jäger; aber dafür lauert freilich in der Höhe ein gar ſchlimmer Feind, der
Raubadler nämlich, welcher nur auf ſolche Gelegenheit wartet, um auf den über eine kahle
Fläche wegeilenden und ſomit einige Augenblicke lang unbeſchützten Nager herabzuſtoßen. Er nimmt
ihn ohne weiteres vom Boden auf und erdroſſelt den ihm gegenüber Wehrloſen, noch ehe Dieſer recht
weiß, was ihm geſchieht, in ſeinen gewaltigen Fängen.

Von den eigentlichen Haſen unterſcheidet ſich das Kaninchen (Lepus Cuniculus) ebenſowohl
in der Geſtalt, wie in ſeiner Lebensweiſe und im Betragen. Die Körperlänge des Thieres beträgt
bis 16 Zoll, wovon gegen 3 Zoll auf den Schwanz kommen. Das Ohr iſt kürzer, als der
Kopf und ragt, wenn man es niederdrückt, nicht bis zur Schnauze vor. Der Schwanz iſt ein-
farbig, oben ſchwarz und unten weiß, der übrige Körper mit einem grauen Pelze bekleidet, welcher
oben ins Gelbbraune, vorn ins Rothgelbe, an den Seiten und den Schenkeln ins Lichtroſtfarbene
ſpielt und auf der Unterſeite, am Bauche, der Kehle und der Jnnenſeite der Beine in Weiß über-
geht. Der Vorderhals iſt roſtgelbgrau, der obere, wie der Nacken einfarbig roſtroth. Jm allge-
meinen unterſcheidet ſich das Kaninchen durch weit geringere Größe, durch den ſchlankeren Bau, den
kürzeren Kopf, die kürzeren Ohren und die kürzeren Hinterbeine von den Haſen.

Faſt alle Naturforſcher nehmen an, daß die urſprüngliche Heimat des Kaninchens Südeuropa
war, und daß es in allen Ländern nördlich von den Alpen erſt eingeführt wurde. Plinius erwähnt

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[263/0281] Der Erneb. Das Kaninchen. und hat in dieſem den Erzfeind aller Geſchöpfe bis heutigen Tages noch nicht kennen gelernt. Nur hiermit kann ich mir die erwähnte Dummdreiſtigkeit des langlöffeligen und langläufigen Geſellen erklären. Fernab von den Orten, wo weniger bedenkliche Europäer wohnen, iſt der Haſe überall außerordentlich häufig. Zuweilen ſpringen gleich vier, ſechs, acht Stück vor dem Jäger auf. Jm Lager, mit deſſen Aufertigung der Erneb ſich gar keine Mühe gibt, gewahrt man ihn, Dank ſeiner Gleichfarbigkeit mit dem Boden, nur ſehr ſelten; er ſteht auch immer ziemlich früh auf, weil er, wenn ein Geräuſch ihn aus dem Schlafe ſchreckt, ſich erſt über daſſelbe Gewißheit verſchaffen will. Gewahrt er nun blos einen herankommenden Menſchen, ſo beeilt er ſich nicht im geringſten wegzu- kommen, ſondern läuft ganz gemächlich langſam weiter, dem erſten beſten Buſche zu, ſetzt ſich unter demſelben in der bezeichneten Stellung nieder und richtet nun einfach ſeine Löffel nach der bedenk- lichen Gegend hin. Die Büſche, welche die ihm ſehr beliebten Ebenen bedecken, ſind ſo dürftig, ſo licht, ſo durchſichtig, daß man ihn auf hundert Schritte immer noch ſehen kann; gleichwohl ſcheint er der Ueberzeugung zu ſein, daß er einen vollkommen genügenden Zufluchtsort unter dem dünnen Gezweige gefunden habe. Er läßt Einen ſorglos bis auf 60, 50, ja ſelbſt bis auf 20 Schritte herankommen; dann geht er weiter und wieder nach einem Buſche zu, wo er genau Daſſelbe wiederholt, wie vorhin. So kann man ihn, wenn man ſonſt Luſt hat, halbe Stunden lang in der Ebene herumjagen. Nicht einmal nach einem Fehlſchuſſe verändert er ſein Weſen; er flüchtet zwar etwas ſchneller dahin und geht wohl auch etwas weiter: aber trotz des erſchreckenden Knalles und des unzweifelhaft vernommenen Pfeifens der Schrotkörner ſchaut er nach einer Raſt von einigen Minuten dem Schützen von Neuem ſo widerwärtig zudringlich in das Rohr, als früher. Wenn man nicht auf ihn ſchießt, kann man ihn aus demſelben Buſch tagelang nach einander herausjagen; denn man wird ihn immer und immer wieder an dem einmal von ihm gewählten Orte finden. Es iſt gar nicht zu beſchreiben, wie langweilig und abſtoßend die Jagd dieſes Haſen für einen Jäger iſt, welcher früher mit dem nordiſchen Herrn Vetter zu thun gehabt hat. Man wird ange- widert von dem albernen Geſellen und ſchämt ſich förmlich, einem ſo dummen Narren auf das Fell zu brennen. Ganz anders verhält ſich die Sache, wenn ein Hund, und wie man hieraus mit Recht ſchließen kann, ein Fuchs, Schakal oder Wolf den Erneb aufſcheucht. Da weiß er ſehr genau, daß eine kurze Flucht oder ein Verbergen unter dem Buſche ihn nicht retten kann und gebraucht ſeine Läuſe genau mit derſelben Ausdauer, wie Freund Lampe. Dank ſeiner Behendigkeit, entkommt er auch meiſtens dem vierbeinigen Jäger; aber dafür lauert freilich in der Höhe ein gar ſchlimmer Feind, der Raubadler nämlich, welcher nur auf ſolche Gelegenheit wartet, um auf den über eine kahle Fläche wegeilenden und ſomit einige Augenblicke lang unbeſchützten Nager herabzuſtoßen. Er nimmt ihn ohne weiteres vom Boden auf und erdroſſelt den ihm gegenüber Wehrloſen, noch ehe Dieſer recht weiß, was ihm geſchieht, in ſeinen gewaltigen Fängen. Von den eigentlichen Haſen unterſcheidet ſich das Kaninchen (Lepus Cuniculus) ebenſowohl in der Geſtalt, wie in ſeiner Lebensweiſe und im Betragen. Die Körperlänge des Thieres beträgt bis 16 Zoll, wovon gegen 3 Zoll auf den Schwanz kommen. Das Ohr iſt kürzer, als der Kopf und ragt, wenn man es niederdrückt, nicht bis zur Schnauze vor. Der Schwanz iſt ein- farbig, oben ſchwarz und unten weiß, der übrige Körper mit einem grauen Pelze bekleidet, welcher oben ins Gelbbraune, vorn ins Rothgelbe, an den Seiten und den Schenkeln ins Lichtroſtfarbene ſpielt und auf der Unterſeite, am Bauche, der Kehle und der Jnnenſeite der Beine in Weiß über- geht. Der Vorderhals iſt roſtgelbgrau, der obere, wie der Nacken einfarbig roſtroth. Jm allge- meinen unterſcheidet ſich das Kaninchen durch weit geringere Größe, durch den ſchlankeren Bau, den kürzeren Kopf, die kürzeren Ohren und die kürzeren Hinterbeine von den Haſen. Faſt alle Naturforſcher nehmen an, daß die urſprüngliche Heimat des Kaninchens Südeuropa war, und daß es in allen Ländern nördlich von den Alpen erſt eingeführt wurde. Plinius erwähnt

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/281>, abgerufen am 23.11.2024.