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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Chinchilla.
ziemlich ausführliche, wenn auch nicht eben getreue Schilderungen des wichtigen Thieres. Jm vorigen
Jahrhundert erhielt man die ersten Pelze als große Seltenheiten über Spanien; jetzt sind sie zu
einem gewöhnlichen Handelsartikel geworden. Die Pelzhändler kannten und unterschieden auch schon
viel früher als die Thierkundigen zwei Arten von "Schengschellen"; aber letztere waren anfangs nicht
im Stande, Sicheres festzustellen, weil alle Pelze, welche kamen, unvollständig waren und die wich-
tigsten Unterscheidungsmerkmale des Thieres, den Schädel mit seinem Gebiß und die Füße mit ihren
Zehen, natürlich nicht zur Anschauung bringen konnten. So vermochte erst im Jahre 1829 Ben-
nett
etwas Ausführlicheres über das Thier zu berichten, nachdem er es sich lebend verschafft und es
in England längere Zeit beobachtet hatte. Aber noch immer ist die Naturgeschichte der Wollmaus in
vielen Punkten sehr dunkel.

[Abbildung] Die Chinchilla (Eriomys Chinchilla).

Der Reisende, welcher von der westlichen Küste Südamerikas die Cordilleren emporklimmt, gewahrt,
wenn er einmal eine Höhe von acht bis elftausend Fuß erreicht hat, oft meilenweit alle Felsen von die-
ser Chinchilla und zwei Arten einer anderen Sippe derselben Familie bedeckt. Jn Peru, Bolivia und
Chile müssen diese Thiere überaus häufig sein; denn wir erfahren von Reisenden, daß sie während
eines Tages an Tausenden vorübergezogen sind. Auch bei hellen Tagen sieht man die Chinchillas vor
ihren Höhlen im Gebirge sitzen, aber nie auf der Sonnenseite der Felsen, sondern immer im tiefsten
Schatten. Noch häufiger gewahrt man sie in den Früh- und Abendstunden. Dann beleben sie das Gebirge
und zumal die Grate in unfruchtbaren, steinigen und felsigen Gegenden, wo die Pflanzenwelt nur noch
in dürftigster Weise sich zeigt. Gerade an den scheinbar ganz kahlen Felswänden treiben sie sich um-
her, ungemein schnell und lebhaft sich bewegend. Mit überraschender Leichtigkeit klettern sie an den
Wänden hin und her, welche scheinbar gar keinen Ansatz bieten. Sie steigen 20 bis 30 Fuß senk-
recht empor mit einer Gewandtheit und Schnelligkeit, daß man ihnen mit dem Auge kaum folgen kann.
Obwohl sie nicht gerade scheu sind, lassen sie sich doch nicht nahe auf den Leib rücken und verschwin-

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Die Chinchilla.
ziemlich ausführliche, wenn auch nicht eben getreue Schilderungen des wichtigen Thieres. Jm vorigen
Jahrhundert erhielt man die erſten Pelze als große Seltenheiten über Spanien; jetzt ſind ſie zu
einem gewöhnlichen Handelsartikel geworden. Die Pelzhändler kannten und unterſchieden auch ſchon
viel früher als die Thierkundigen zwei Arten von „Schengſchellen‟; aber letztere waren anfangs nicht
im Stande, Sicheres feſtzuſtellen, weil alle Pelze, welche kamen, unvollſtändig waren und die wich-
tigſten Unterſcheidungsmerkmale des Thieres, den Schädel mit ſeinem Gebiß und die Füße mit ihren
Zehen, natürlich nicht zur Anſchauung bringen konnten. So vermochte erſt im Jahre 1829 Ben-
nett
etwas Ausführlicheres über das Thier zu berichten, nachdem er es ſich lebend verſchafft und es
in England längere Zeit beobachtet hatte. Aber noch immer iſt die Naturgeſchichte der Wollmaus in
vielen Punkten ſehr dunkel.

[Abbildung] Die Chinchilla (Eriomys Chinchilla).

Der Reiſende, welcher von der weſtlichen Küſte Südamerikas die Cordilleren emporklimmt, gewahrt,
wenn er einmal eine Höhe von acht bis elftauſend Fuß erreicht hat, oft meilenweit alle Felſen von die-
ſer Chinchilla und zwei Arten einer anderen Sippe derſelben Familie bedeckt. Jn Peru, Bolivia und
Chile müſſen dieſe Thiere überaus häufig ſein; denn wir erfahren von Reiſenden, daß ſie während
eines Tages an Tauſenden vorübergezogen ſind. Auch bei hellen Tagen ſieht man die Chinchillas vor
ihren Höhlen im Gebirge ſitzen, aber nie auf der Sonnenſeite der Felſen, ſondern immer im tiefſten
Schatten. Noch häufiger gewahrt man ſie in den Früh- und Abendſtunden. Dann beleben ſie das Gebirge
und zumal die Grate in unfruchtbaren, ſteinigen und felſigen Gegenden, wo die Pflanzenwelt nur noch
in dürftigſter Weiſe ſich zeigt. Gerade an den ſcheinbar ganz kahlen Felswänden treiben ſie ſich um-
her, ungemein ſchnell und lebhaft ſich bewegend. Mit überraſchender Leichtigkeit klettern ſie an den
Wänden hin und her, welche ſcheinbar gar keinen Anſatz bieten. Sie ſteigen 20 bis 30 Fuß ſenk-
recht empor mit einer Gewandtheit und Schnelligkeit, daß man ihnen mit dem Auge kaum folgen kann.
Obwohl ſie nicht gerade ſcheu ſind, laſſen ſie ſich doch nicht nahe auf den Leib rücken und verſchwin-

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[195/0211] Die Chinchilla. ziemlich ausführliche, wenn auch nicht eben getreue Schilderungen des wichtigen Thieres. Jm vorigen Jahrhundert erhielt man die erſten Pelze als große Seltenheiten über Spanien; jetzt ſind ſie zu einem gewöhnlichen Handelsartikel geworden. Die Pelzhändler kannten und unterſchieden auch ſchon viel früher als die Thierkundigen zwei Arten von „Schengſchellen‟; aber letztere waren anfangs nicht im Stande, Sicheres feſtzuſtellen, weil alle Pelze, welche kamen, unvollſtändig waren und die wich- tigſten Unterſcheidungsmerkmale des Thieres, den Schädel mit ſeinem Gebiß und die Füße mit ihren Zehen, natürlich nicht zur Anſchauung bringen konnten. So vermochte erſt im Jahre 1829 Ben- nett etwas Ausführlicheres über das Thier zu berichten, nachdem er es ſich lebend verſchafft und es in England längere Zeit beobachtet hatte. Aber noch immer iſt die Naturgeſchichte der Wollmaus in vielen Punkten ſehr dunkel. [Abbildung Die Chinchilla (Eriomys Chinchilla).] Der Reiſende, welcher von der weſtlichen Küſte Südamerikas die Cordilleren emporklimmt, gewahrt, wenn er einmal eine Höhe von acht bis elftauſend Fuß erreicht hat, oft meilenweit alle Felſen von die- ſer Chinchilla und zwei Arten einer anderen Sippe derſelben Familie bedeckt. Jn Peru, Bolivia und Chile müſſen dieſe Thiere überaus häufig ſein; denn wir erfahren von Reiſenden, daß ſie während eines Tages an Tauſenden vorübergezogen ſind. Auch bei hellen Tagen ſieht man die Chinchillas vor ihren Höhlen im Gebirge ſitzen, aber nie auf der Sonnenſeite der Felſen, ſondern immer im tiefſten Schatten. Noch häufiger gewahrt man ſie in den Früh- und Abendſtunden. Dann beleben ſie das Gebirge und zumal die Grate in unfruchtbaren, ſteinigen und felſigen Gegenden, wo die Pflanzenwelt nur noch in dürftigſter Weiſe ſich zeigt. Gerade an den ſcheinbar ganz kahlen Felswänden treiben ſie ſich um- her, ungemein ſchnell und lebhaft ſich bewegend. Mit überraſchender Leichtigkeit klettern ſie an den Wänden hin und her, welche ſcheinbar gar keinen Anſatz bieten. Sie ſteigen 20 bis 30 Fuß ſenk- recht empor mit einer Gewandtheit und Schnelligkeit, daß man ihnen mit dem Auge kaum folgen kann. Obwohl ſie nicht gerade ſcheu ſind, laſſen ſie ſich doch nicht nahe auf den Leib rücken und verſchwin- 13*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/211>, abgerufen am 04.05.2024.