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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Der Biber.
ragen weit aus dem Kiefer hervor. Vier Backzähne von fast gleicher Größe in jeder Reihe bilden das
übrige Gebiß. Zehn Wirbel umschließen die Brust, 9 bilden den Lendentheil, 4 das Kreuz und 24
den Schwanz. Alle Knochen sind kräftig und breit und dienen sehr starken Muskeln zum Ansatz.
Die Speicheldrüsen sind auffallend entwickelt, namentlich die Ohrspeicheldrüse, und auch der lange,
eingeschnürte Magen ist sehr drüsenreich. Die Harn- und Geschlechtstheile münden in den Mastdarm.
Bei beiden Geschlechtern finden sich im Untertheile der Bauchhöhle, nahe am After und den Geschlechts-
theilen, zwei eigenthümliche, gewöhnlich von einander getrennte Absonderungsdrüsen, welche in die Ge-
schlechtstheile münden und als Castorsäcke bekannt sind. Die inneren Wandungen dieser Drüsen
sind mit einer Schleimhaut überzogen, welche in schuppenähnliche Säckchen und Falten getheilt ist. Hier
sondert sich das sogenannte Bibergeil oder Gail (Castoreum) ab, eine dunkle rothbraune, gelbbraune
oder schwarzbraune, ziemlich weiche, salbenartige Masse von eigenthümlich durchdringendem starken,
nur wenig Leuten angenehmen Geruch und lange anthaltendem, bitterlichen, balsamischen Geschmack,
welcher in früheren Zeiten als krampfstillendes und beruhigendes Mittel vielfach angewandt wurde,
gegenwärtig aber wegen seiner sehr wechselnden Stärke und weil die Händler ihn vielfach verfälschen,
mehr und mehr in Vergessenheit kommt. Auf die übrigen Merkmale brauchen wir hier nicht weiter
einzugehen.

Versucht man die Naturgeschichte des Bibers von allen Fabeln und Märchen zu entkleiden,
welche noch bis in die neuere Zeit ihr beigefügt wurden, so ergibt sich ungefähr Folgendes:

Der Biber lebt an den genannten Orten gegenwärtig meist paarweise und nur in den stillsten
Gegenden zu größeren oder kleineren Familien vereinigt. Jn allen bevölkerten Ländern findet
man ihn jetzt nur sehr einzeln, und dann lebt er, wie der Fischotter, in einfach unterirdischen
Röhren, ohne daran zu denken, sich Burgen zu bauen. Solche fand man aber noch im Sommer
1822 an der Nuthe, unweit der Stadt Barby, in einer einsamen, mit Weiden bewachsenen Gegend,
welche von einem nur 6 bis 8 Schritte breiten Flüßchen durchströmt wird und schon seit den ältesten
Zeiten den Namen Biberlache führt. Der Forstmeister von Meyerinck, welcher viele Jahre dort die
Biberansiedelungen beobachtete, sagt Folgendes darüber: "Es wohnen jetzt (also im Jahre 1822) dort
noch mehrere Biberpaare in Gruben, welche, einem Dachsbau ähnlich, 30 bis 40 Schritt lang und
mit dem Wasserspiegel gleichhochlaufend sind und auf dem Lande Ausführungsgänge haben. Jn
der Nähe der Gruben errichten die Biber sogenannte Burgen. Sie sind 8 bis 10 Fuß hohe, von
starken Knüppeln kunstlos zusammengetragene Haufen, welche sie an den benachbarten Bäumen ab-
beißen und schälen, weil sie sich davon äßen. Jm Herbst befahren die Biber die Haufen mit Schlamm
und Erde vom Ufer des Flusses, indem sie diese mit der Brust und den Vorderfüßen nach dem
Baue schieben. Die Haufen haben das Ansehen eines Backofens und dienen den Bibern nicht zur
Wohnung, sondern nur zum Zufluchtsorte, wenn hoher Wasserstand sie aus den Gruben treibt. Jm
Sommer des genannten Jahres, wo die Ansiedlung aus 15 bis 20 Jungen und Alten bestand,
bemerkte man, daß sie Dämme warfen. Die Nuthe war zu dieser Zeit so seicht, daß die Ausgänge
der Röhren am Ufer überall sichtbar wurden und unterhalb derselben nur noch einige Zoll tief
Wasser stand. Die Biber hatten eine Stelle gesucht, wo in der Mitte des Flusses ein kleiner Heger
war, von welchem sie zu beiden Seiten starke Reiser ins Wasser warfen und die Zwischenräume mit
Schlamm und Schilf so ausfüllten, daß dadurch der Wasserspiegel oberhalb des Dammes um einen
Fuß höher stand als unterhalb desselben. Der Damm wurde mehrere Mal weggerissen, in der Regel
aber die folgende Nacht wieder hergestellt. Wenn das Hochwasser der Elbe in die Nuthe hinauf
drang und die Wohnungen der Biber überstieg, waren sie auch am Tage zu sehen. Sie lagen als-
dann meist auf der Burg oder auf den nahe stehenden Kopfweiden."

Zu diesen wahrheitstreuen Angaben kommen die Beobachtungen des Arztes Sarrazin, welcher
mehr als zwanzig Jahre in Canada gelebt hat, die Hearne's, welcher drei Jahre an der Hudsonsbai
zubrachte, die Cartwright's, welcher zehn bis zwölf Jahre in Labrador sich aufhielt, die Audubon's,
welcher übrigens nur einem Jäger nacherzählt, und endlich die Mittheilungen des Prinzen von Wied,

Der Biber.
ragen weit aus dem Kiefer hervor. Vier Backzähne von faſt gleicher Größe in jeder Reihe bilden das
übrige Gebiß. Zehn Wirbel umſchließen die Bruſt, 9 bilden den Lendentheil, 4 das Kreuz und 24
den Schwanz. Alle Knochen ſind kräftig und breit und dienen ſehr ſtarken Muskeln zum Anſatz.
Die Speicheldrüſen ſind auffallend entwickelt, namentlich die Ohrſpeicheldrüſe, und auch der lange,
eingeſchnürte Magen iſt ſehr drüſenreich. Die Harn- und Geſchlechtstheile münden in den Maſtdarm.
Bei beiden Geſchlechtern finden ſich im Untertheile der Bauchhöhle, nahe am After und den Geſchlechts-
theilen, zwei eigenthümliche, gewöhnlich von einander getrennte Abſonderungsdrüſen, welche in die Ge-
ſchlechtstheile münden und als Caſtorſäcke bekannt ſind. Die inneren Wandungen dieſer Drüſen
ſind mit einer Schleimhaut überzogen, welche in ſchuppenähnliche Säckchen und Falten getheilt iſt. Hier
ſondert ſich das ſogenannte Bibergeil oder Gail (Caſtoreum) ab, eine dunkle rothbraune, gelbbraune
oder ſchwarzbraune, ziemlich weiche, ſalbenartige Maſſe von eigenthümlich durchdringendem ſtarken,
nur wenig Leuten angenehmen Geruch und lange anthaltendem, bitterlichen, balſamiſchen Geſchmack,
welcher in früheren Zeiten als krampfſtillendes und beruhigendes Mittel vielfach angewandt wurde,
gegenwärtig aber wegen ſeiner ſehr wechſelnden Stärke und weil die Händler ihn vielfach verfälſchen,
mehr und mehr in Vergeſſenheit kommt. Auf die übrigen Merkmale brauchen wir hier nicht weiter
einzugehen.

Verſucht man die Naturgeſchichte des Bibers von allen Fabeln und Märchen zu entkleiden,
welche noch bis in die neuere Zeit ihr beigefügt wurden, ſo ergibt ſich ungefähr Folgendes:

Der Biber lebt an den genannten Orten gegenwärtig meiſt paarweiſe und nur in den ſtillſten
Gegenden zu größeren oder kleineren Familien vereinigt. Jn allen bevölkerten Ländern findet
man ihn jetzt nur ſehr einzeln, und dann lebt er, wie der Fiſchotter, in einfach unterirdiſchen
Röhren, ohne daran zu denken, ſich Burgen zu bauen. Solche fand man aber noch im Sommer
1822 an der Nuthe, unweit der Stadt Barby, in einer einſamen, mit Weiden bewachſenen Gegend,
welche von einem nur 6 bis 8 Schritte breiten Flüßchen durchſtrömt wird und ſchon ſeit den älteſten
Zeiten den Namen Biberlache führt. Der Forſtmeiſter von Meyerinck, welcher viele Jahre dort die
Biberanſiedelungen beobachtete, ſagt Folgendes darüber: „Es wohnen jetzt (alſo im Jahre 1822) dort
noch mehrere Biberpaare in Gruben, welche, einem Dachsbau ähnlich, 30 bis 40 Schritt lang und
mit dem Waſſerſpiegel gleichhochlaufend ſind und auf dem Lande Ausführungsgänge haben. Jn
der Nähe der Gruben errichten die Biber ſogenannte Burgen. Sie ſind 8 bis 10 Fuß hohe, von
ſtarken Knüppeln kunſtlos zuſammengetragene Haufen, welche ſie an den benachbarten Bäumen ab-
beißen und ſchälen, weil ſie ſich davon äßen. Jm Herbſt befahren die Biber die Haufen mit Schlamm
und Erde vom Ufer des Fluſſes, indem ſie dieſe mit der Bruſt und den Vorderfüßen nach dem
Baue ſchieben. Die Haufen haben das Anſehen eines Backofens und dienen den Bibern nicht zur
Wohnung, ſondern nur zum Zufluchtsorte, wenn hoher Waſſerſtand ſie aus den Gruben treibt. Jm
Sommer des genannten Jahres, wo die Anſiedlung aus 15 bis 20 Jungen und Alten beſtand,
bemerkte man, daß ſie Dämme warfen. Die Nuthe war zu dieſer Zeit ſo ſeicht, daß die Ausgänge
der Röhren am Ufer überall ſichtbar wurden und unterhalb derſelben nur noch einige Zoll tief
Waſſer ſtand. Die Biber hatten eine Stelle geſucht, wo in der Mitte des Fluſſes ein kleiner Heger
war, von welchem ſie zu beiden Seiten ſtarke Reiſer ins Waſſer warfen und die Zwiſchenräume mit
Schlamm und Schilf ſo ausfüllten, daß dadurch der Waſſerſpiegel oberhalb des Dammes um einen
Fuß höher ſtand als unterhalb deſſelben. Der Damm wurde mehrere Mal weggeriſſen, in der Regel
aber die folgende Nacht wieder hergeſtellt. Wenn das Hochwaſſer der Elbe in die Nuthe hinauf
drang und die Wohnungen der Biber überſtieg, waren ſie auch am Tage zu ſehen. Sie lagen als-
dann meiſt auf der Burg oder auf den nahe ſtehenden Kopfweiden.‟

Zu dieſen wahrheitstreuen Angaben kommen die Beobachtungen des Arztes Sarrazin, welcher
mehr als zwanzig Jahre in Canada gelebt hat, die Hearne’s, welcher drei Jahre an der Hudſonsbai
zubrachte, die Cartwright’s, welcher zehn bis zwölf Jahre in Labrador ſich aufhielt, die Audubon’s,
welcher übrigens nur einem Jäger nacherzählt, und endlich die Mittheilungen des Prinzen von Wied,

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[172/0188] Der Biber. ragen weit aus dem Kiefer hervor. Vier Backzähne von faſt gleicher Größe in jeder Reihe bilden das übrige Gebiß. Zehn Wirbel umſchließen die Bruſt, 9 bilden den Lendentheil, 4 das Kreuz und 24 den Schwanz. Alle Knochen ſind kräftig und breit und dienen ſehr ſtarken Muskeln zum Anſatz. Die Speicheldrüſen ſind auffallend entwickelt, namentlich die Ohrſpeicheldrüſe, und auch der lange, eingeſchnürte Magen iſt ſehr drüſenreich. Die Harn- und Geſchlechtstheile münden in den Maſtdarm. Bei beiden Geſchlechtern finden ſich im Untertheile der Bauchhöhle, nahe am After und den Geſchlechts- theilen, zwei eigenthümliche, gewöhnlich von einander getrennte Abſonderungsdrüſen, welche in die Ge- ſchlechtstheile münden und als Caſtorſäcke bekannt ſind. Die inneren Wandungen dieſer Drüſen ſind mit einer Schleimhaut überzogen, welche in ſchuppenähnliche Säckchen und Falten getheilt iſt. Hier ſondert ſich das ſogenannte Bibergeil oder Gail (Caſtoreum) ab, eine dunkle rothbraune, gelbbraune oder ſchwarzbraune, ziemlich weiche, ſalbenartige Maſſe von eigenthümlich durchdringendem ſtarken, nur wenig Leuten angenehmen Geruch und lange anthaltendem, bitterlichen, balſamiſchen Geſchmack, welcher in früheren Zeiten als krampfſtillendes und beruhigendes Mittel vielfach angewandt wurde, gegenwärtig aber wegen ſeiner ſehr wechſelnden Stärke und weil die Händler ihn vielfach verfälſchen, mehr und mehr in Vergeſſenheit kommt. Auf die übrigen Merkmale brauchen wir hier nicht weiter einzugehen. Verſucht man die Naturgeſchichte des Bibers von allen Fabeln und Märchen zu entkleiden, welche noch bis in die neuere Zeit ihr beigefügt wurden, ſo ergibt ſich ungefähr Folgendes: Der Biber lebt an den genannten Orten gegenwärtig meiſt paarweiſe und nur in den ſtillſten Gegenden zu größeren oder kleineren Familien vereinigt. Jn allen bevölkerten Ländern findet man ihn jetzt nur ſehr einzeln, und dann lebt er, wie der Fiſchotter, in einfach unterirdiſchen Röhren, ohne daran zu denken, ſich Burgen zu bauen. Solche fand man aber noch im Sommer 1822 an der Nuthe, unweit der Stadt Barby, in einer einſamen, mit Weiden bewachſenen Gegend, welche von einem nur 6 bis 8 Schritte breiten Flüßchen durchſtrömt wird und ſchon ſeit den älteſten Zeiten den Namen Biberlache führt. Der Forſtmeiſter von Meyerinck, welcher viele Jahre dort die Biberanſiedelungen beobachtete, ſagt Folgendes darüber: „Es wohnen jetzt (alſo im Jahre 1822) dort noch mehrere Biberpaare in Gruben, welche, einem Dachsbau ähnlich, 30 bis 40 Schritt lang und mit dem Waſſerſpiegel gleichhochlaufend ſind und auf dem Lande Ausführungsgänge haben. Jn der Nähe der Gruben errichten die Biber ſogenannte Burgen. Sie ſind 8 bis 10 Fuß hohe, von ſtarken Knüppeln kunſtlos zuſammengetragene Haufen, welche ſie an den benachbarten Bäumen ab- beißen und ſchälen, weil ſie ſich davon äßen. Jm Herbſt befahren die Biber die Haufen mit Schlamm und Erde vom Ufer des Fluſſes, indem ſie dieſe mit der Bruſt und den Vorderfüßen nach dem Baue ſchieben. Die Haufen haben das Anſehen eines Backofens und dienen den Bibern nicht zur Wohnung, ſondern nur zum Zufluchtsorte, wenn hoher Waſſerſtand ſie aus den Gruben treibt. Jm Sommer des genannten Jahres, wo die Anſiedlung aus 15 bis 20 Jungen und Alten beſtand, bemerkte man, daß ſie Dämme warfen. Die Nuthe war zu dieſer Zeit ſo ſeicht, daß die Ausgänge der Röhren am Ufer überall ſichtbar wurden und unterhalb derſelben nur noch einige Zoll tief Waſſer ſtand. Die Biber hatten eine Stelle geſucht, wo in der Mitte des Fluſſes ein kleiner Heger war, von welchem ſie zu beiden Seiten ſtarke Reiſer ins Waſſer warfen und die Zwiſchenräume mit Schlamm und Schilf ſo ausfüllten, daß dadurch der Waſſerſpiegel oberhalb des Dammes um einen Fuß höher ſtand als unterhalb deſſelben. Der Damm wurde mehrere Mal weggeriſſen, in der Regel aber die folgende Nacht wieder hergeſtellt. Wenn das Hochwaſſer der Elbe in die Nuthe hinauf drang und die Wohnungen der Biber überſtieg, waren ſie auch am Tage zu ſehen. Sie lagen als- dann meiſt auf der Burg oder auf den nahe ſtehenden Kopfweiden.‟ Zu dieſen wahrheitstreuen Angaben kommen die Beobachtungen des Arztes Sarrazin, welcher mehr als zwanzig Jahre in Canada gelebt hat, die Hearne’s, welcher drei Jahre an der Hudſonsbai zubrachte, die Cartwright’s, welcher zehn bis zwölf Jahre in Labrador ſich aufhielt, die Audubon’s, welcher übrigens nur einem Jäger nacherzählt, und endlich die Mittheilungen des Prinzen von Wied,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/188>, abgerufen am 28.11.2024.