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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Beutelthiere.
an, die säugende Mutter müsse, getrieben von dem furchtbaren Durst, ein- oder zweihundert
(zwanzig bis vierzig) Meilen wandern, um ihre lechzende Zunge zu erfrischen, müsse ihre kleine
Familie zu Hause lassen: -- was würde aus der jungen, kleinen, blinden, verwaisten, armen Ge-
sellschaft geworden sein, wenn sie zurückkehrte von ihrem hundertmeiligen Wege? Nun, ver-
schmachtet, verkommen. Thiere, welche ein Land wie Australien bewohnen, müssen im Einklange
mit seinen klimatischen und allen übrigen Verhältnissen gebaut sein. Und so ist es; die jenem großen
Festlande eingeborenen und zur Nothwendigkeit des Wanderns bestimmten Thiere besitzen den an-
deren überflüssigen Beutel und die geschlechtlichen Eigenthümlichkeiten, welche Gaben sie befähigen,
ihre Brut mit sich zu nehmen, wohin immer sie gehen."

Was würde der gelehrte Forscher antworten, wenn wir ihn fragen wollten: "Gut, aber was
thut unter solchen Umständen die Dingo mutter?" wenn wir ihn erinnern wollten, daß gefangene
Springmäuse Monate lang nicht trinken? -- Wir grübeln nicht nach dem Unerklärlichen, sondern
nehmen die Beutelthiere, wie sie sind.

Jm Allgemeinen läßt sich die Leibesbildung der gedachten Thiere schwer beschreiben. Die Ord-
nung zeigt in ihren verschiedenen Gliedern so erhebliche Unterschiede, wie sie die ganze Klasse nur
aufzuweisen vermag. Mit dem Raubthier- oder Nagergebiß steht natürlich auch der Bau der Ver-
danungswerkzeuge und gewissermaßen selbst der äußere Gliederbau im Einklange. Wir finden echte
Raubthiere und echte Grasfresser, wir haben Familien, welche sogar an die Wiederkäuer erinnern:
wie wollte da Gleichmäßigkeit zu bemerken sein! Ganz im Allgemeinen nur kann man sagen, daß
die Beutelthiere Säugethiere von geringer bis höchstens mittler Größe sind, deren Körperbau ge-
drungen ist, während sich die Pfoten gewöhnlich durch ihre Schwäche oder Zierlichkeit auszeichnen.
Der Kopf ist in den meisten Fällen verlängert und zugespitzt, und die ziemlich großen Ohren sind
aufgerichtet, der Schwanz ist sehr lang und der Pelz weich und anliegend. Mehr kann man kaum
sagen; denn im übrigen weichen alle Körperformen wesentlich von einander ab, und der Bau der
Füße ist ebenso verschieden, wie der des Gebisses. So müssen wir uns die einzelnen Merkmale
der Gruppen, welche man unterschieden hat, bis zur Beschreibung dieser selbst aufsparen. Da-
gegen aber können wir schon jetzt das allen Gemeinsame, den Beutel, betrachten. Die Sehne
des äußeren schiefen Bauchmuskels, welche sich vorn auf dem Schambeine aufsetzt, verknöchert und
wird somit zu dem sogenannten Beutelknochen, welcher zur Unterstützung einer Tasche dient, die sich
vorn, am Bauche befindet. Jn dieser liegen die Milchzitzen, an welchen die halbgeborenen Jungen
sich anfangen. Die Tasche kann ein vollkommener Beutel sein, aber auch bis auf zwei Hautfalten
verkümmern: unter allen Umständen jedoch genügt sie ihrem Zwecke, indem sie sich innig über die
an den Zitzen hängenden Jungen hinweglegt. Diese kommen in einem Zustande zur Welt, wie kein
einziges anderes Säugethier. Sie sind nämlich nicht blos nackt, blind und taub, sondern haben
noch nicht einmal einen After und nur stummelartige Gliedmaßen. Nachdem sie halbgeboren
sind, saugen sie sich an einer der Zitzen, welche gewöhnlich wie eine lange, keulenförmige Warze
aussieht, fest und wachsen nun in der nächsten Zeit ganz beträchtlich. Dann bilden sie sich rasch
aus und verlassen zeitweilig den Beutel, welchen sie später blos noch bei drohender Gefahr aufsuchen,
falls sie nicht vorziehen, auf den Rücken der Mutter zu flüchten und sich so von ihr wegtragen zu
lassen.

Wir müssen, um diesen ohne Beispiel dastehenden Geburtshergang weiter zu verfolgen, vorher
nothwendig einen Blick auf den inneren Bau der Fortpflanzungswerkzeuge werfen. Die weiblichen
Geschlechtstheile bestehen aus zwei Eierstöcken, zwei Muttertrompeten, zwei Fruchthaltern und zwei
Scheiden. Die Eierstöcke sind klein und einfach oder groß und traubig; am größten und zusammen-
gesetztesten von allen Säugethieren überhaupt bei dem Wombat, welchen wir später kennen lernen
werden. Sie sind in der erweiterten Mündung der Trompeten eingebettet, und jeder Eileiter
erweitert sich zu einem besonderen Fruchthalter, welcher in seine eigne Scheide mündet. Jn diesem
Fruchthalter bildet sich für das ungeborne Junge kein Mutterkuchen, und hiermit mag die Früh-

Die Beutelthiere.
an, die ſäugende Mutter müſſe, getrieben von dem furchtbaren Durſt, ein- oder zweihundert
(zwanzig bis vierzig) Meilen wandern, um ihre lechzende Zunge zu erfriſchen, müſſe ihre kleine
Familie zu Hauſe laſſen: — was würde aus der jungen, kleinen, blinden, verwaiſten, armen Ge-
ſellſchaft geworden ſein, wenn ſie zurückkehrte von ihrem hundertmeiligen Wege? Nun, ver-
ſchmachtet, verkommen. Thiere, welche ein Land wie Auſtralien bewohnen, müſſen im Einklange
mit ſeinen klimatiſchen und allen übrigen Verhältniſſen gebaut ſein. Und ſo iſt es; die jenem großen
Feſtlande eingeborenen und zur Nothwendigkeit des Wanderns beſtimmten Thiere beſitzen den an-
deren überflüſſigen Beutel und die geſchlechtlichen Eigenthümlichkeiten, welche Gaben ſie befähigen,
ihre Brut mit ſich zu nehmen, wohin immer ſie gehen.‟

Was würde der gelehrte Forſcher antworten, wenn wir ihn fragen wollten: „Gut, aber was
thut unter ſolchen Umſtänden die Dingo mutter?‟ wenn wir ihn erinnern wollten, daß gefangene
Springmäuſe Monate lang nicht trinken? — Wir grübeln nicht nach dem Unerklärlichen, ſondern
nehmen die Beutelthiere, wie ſie ſind.

Jm Allgemeinen läßt ſich die Leibesbildung der gedachten Thiere ſchwer beſchreiben. Die Ord-
nung zeigt in ihren verſchiedenen Gliedern ſo erhebliche Unterſchiede, wie ſie die ganze Klaſſe nur
aufzuweiſen vermag. Mit dem Raubthier- oder Nagergebiß ſteht natürlich auch der Bau der Ver-
danungswerkzeuge und gewiſſermaßen ſelbſt der äußere Gliederbau im Einklange. Wir finden echte
Raubthiere und echte Grasfreſſer, wir haben Familien, welche ſogar an die Wiederkäuer erinnern:
wie wollte da Gleichmäßigkeit zu bemerken ſein! Ganz im Allgemeinen nur kann man ſagen, daß
die Beutelthiere Säugethiere von geringer bis höchſtens mittler Größe ſind, deren Körperbau ge-
drungen iſt, während ſich die Pfoten gewöhnlich durch ihre Schwäche oder Zierlichkeit auszeichnen.
Der Kopf iſt in den meiſten Fällen verlängert und zugeſpitzt, und die ziemlich großen Ohren ſind
aufgerichtet, der Schwanz iſt ſehr lang und der Pelz weich und anliegend. Mehr kann man kaum
ſagen; denn im übrigen weichen alle Körperformen weſentlich von einander ab, und der Bau der
Füße iſt ebenſo verſchieden, wie der des Gebiſſes. So müſſen wir uns die einzelnen Merkmale
der Gruppen, welche man unterſchieden hat, bis zur Beſchreibung dieſer ſelbſt aufſparen. Da-
gegen aber können wir ſchon jetzt das allen Gemeinſame, den Beutel, betrachten. Die Sehne
des äußeren ſchiefen Bauchmuskels, welche ſich vorn auf dem Schambeine aufſetzt, verknöchert und
wird ſomit zu dem ſogenannten Beutelknochen, welcher zur Unterſtützung einer Taſche dient, die ſich
vorn, am Bauche befindet. Jn dieſer liegen die Milchzitzen, an welchen die halbgeborenen Jungen
ſich anfangen. Die Taſche kann ein vollkommener Beutel ſein, aber auch bis auf zwei Hautfalten
verkümmern: unter allen Umſtänden jedoch genügt ſie ihrem Zwecke, indem ſie ſich innig über die
an den Zitzen hängenden Jungen hinweglegt. Dieſe kommen in einem Zuſtande zur Welt, wie kein
einziges anderes Säugethier. Sie ſind nämlich nicht blos nackt, blind und taub, ſondern haben
noch nicht einmal einen After und nur ſtummelartige Gliedmaßen. Nachdem ſie halbgeboren
ſind, ſaugen ſie ſich an einer der Zitzen, welche gewöhnlich wie eine lange, keulenförmige Warze
ausſieht, feſt und wachſen nun in der nächſten Zeit ganz beträchtlich. Dann bilden ſie ſich raſch
aus und verlaſſen zeitweilig den Beutel, welchen ſie ſpäter blos noch bei drohender Gefahr aufſuchen,
falls ſie nicht vorziehen, auf den Rücken der Mutter zu flüchten und ſich ſo von ihr wegtragen zu
laſſen.

Wir müſſen, um dieſen ohne Beiſpiel daſtehenden Geburtshergang weiter zu verfolgen, vorher
nothwendig einen Blick auf den inneren Bau der Fortpflanzungswerkzeuge werfen. Die weiblichen
Geſchlechtstheile beſtehen aus zwei Eierſtöcken, zwei Muttertrompeten, zwei Fruchthaltern und zwei
Scheiden. Die Eierſtöcke ſind klein und einfach oder groß und traubig; am größten und zuſammen-
geſetzteſten von allen Säugethieren überhaupt bei dem Wombat, welchen wir ſpäter kennen lernen
werden. Sie ſind in der erweiterten Mündung der Trompeten eingebettet, und jeder Eileiter
erweitert ſich zu einem beſonderen Fruchthalter, welcher in ſeine eigne Scheide mündet. Jn dieſem
Fruchthalter bildet ſich für das ungeborne Junge kein Mutterkuchen, und hiermit mag die Früh-

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[2/0014] Die Beutelthiere. an, die ſäugende Mutter müſſe, getrieben von dem furchtbaren Durſt, ein- oder zweihundert (zwanzig bis vierzig) Meilen wandern, um ihre lechzende Zunge zu erfriſchen, müſſe ihre kleine Familie zu Hauſe laſſen: — was würde aus der jungen, kleinen, blinden, verwaiſten, armen Ge- ſellſchaft geworden ſein, wenn ſie zurückkehrte von ihrem hundertmeiligen Wege? Nun, ver- ſchmachtet, verkommen. Thiere, welche ein Land wie Auſtralien bewohnen, müſſen im Einklange mit ſeinen klimatiſchen und allen übrigen Verhältniſſen gebaut ſein. Und ſo iſt es; die jenem großen Feſtlande eingeborenen und zur Nothwendigkeit des Wanderns beſtimmten Thiere beſitzen den an- deren überflüſſigen Beutel und die geſchlechtlichen Eigenthümlichkeiten, welche Gaben ſie befähigen, ihre Brut mit ſich zu nehmen, wohin immer ſie gehen.‟ Was würde der gelehrte Forſcher antworten, wenn wir ihn fragen wollten: „Gut, aber was thut unter ſolchen Umſtänden die Dingo mutter?‟ wenn wir ihn erinnern wollten, daß gefangene Springmäuſe Monate lang nicht trinken? — Wir grübeln nicht nach dem Unerklärlichen, ſondern nehmen die Beutelthiere, wie ſie ſind. Jm Allgemeinen läßt ſich die Leibesbildung der gedachten Thiere ſchwer beſchreiben. Die Ord- nung zeigt in ihren verſchiedenen Gliedern ſo erhebliche Unterſchiede, wie ſie die ganze Klaſſe nur aufzuweiſen vermag. Mit dem Raubthier- oder Nagergebiß ſteht natürlich auch der Bau der Ver- danungswerkzeuge und gewiſſermaßen ſelbſt der äußere Gliederbau im Einklange. Wir finden echte Raubthiere und echte Grasfreſſer, wir haben Familien, welche ſogar an die Wiederkäuer erinnern: wie wollte da Gleichmäßigkeit zu bemerken ſein! Ganz im Allgemeinen nur kann man ſagen, daß die Beutelthiere Säugethiere von geringer bis höchſtens mittler Größe ſind, deren Körperbau ge- drungen iſt, während ſich die Pfoten gewöhnlich durch ihre Schwäche oder Zierlichkeit auszeichnen. Der Kopf iſt in den meiſten Fällen verlängert und zugeſpitzt, und die ziemlich großen Ohren ſind aufgerichtet, der Schwanz iſt ſehr lang und der Pelz weich und anliegend. Mehr kann man kaum ſagen; denn im übrigen weichen alle Körperformen weſentlich von einander ab, und der Bau der Füße iſt ebenſo verſchieden, wie der des Gebiſſes. So müſſen wir uns die einzelnen Merkmale der Gruppen, welche man unterſchieden hat, bis zur Beſchreibung dieſer ſelbſt aufſparen. Da- gegen aber können wir ſchon jetzt das allen Gemeinſame, den Beutel, betrachten. Die Sehne des äußeren ſchiefen Bauchmuskels, welche ſich vorn auf dem Schambeine aufſetzt, verknöchert und wird ſomit zu dem ſogenannten Beutelknochen, welcher zur Unterſtützung einer Taſche dient, die ſich vorn, am Bauche befindet. Jn dieſer liegen die Milchzitzen, an welchen die halbgeborenen Jungen ſich anfangen. Die Taſche kann ein vollkommener Beutel ſein, aber auch bis auf zwei Hautfalten verkümmern: unter allen Umſtänden jedoch genügt ſie ihrem Zwecke, indem ſie ſich innig über die an den Zitzen hängenden Jungen hinweglegt. Dieſe kommen in einem Zuſtande zur Welt, wie kein einziges anderes Säugethier. Sie ſind nämlich nicht blos nackt, blind und taub, ſondern haben noch nicht einmal einen After und nur ſtummelartige Gliedmaßen. Nachdem ſie halbgeboren ſind, ſaugen ſie ſich an einer der Zitzen, welche gewöhnlich wie eine lange, keulenförmige Warze ausſieht, feſt und wachſen nun in der nächſten Zeit ganz beträchtlich. Dann bilden ſie ſich raſch aus und verlaſſen zeitweilig den Beutel, welchen ſie ſpäter blos noch bei drohender Gefahr aufſuchen, falls ſie nicht vorziehen, auf den Rücken der Mutter zu flüchten und ſich ſo von ihr wegtragen zu laſſen. Wir müſſen, um dieſen ohne Beiſpiel daſtehenden Geburtshergang weiter zu verfolgen, vorher nothwendig einen Blick auf den inneren Bau der Fortpflanzungswerkzeuge werfen. Die weiblichen Geſchlechtstheile beſtehen aus zwei Eierſtöcken, zwei Muttertrompeten, zwei Fruchthaltern und zwei Scheiden. Die Eierſtöcke ſind klein und einfach oder groß und traubig; am größten und zuſammen- geſetzteſten von allen Säugethieren überhaupt bei dem Wombat, welchen wir ſpäter kennen lernen werden. Sie ſind in der erweiterten Mündung der Trompeten eingebettet, und jeder Eileiter erweitert ſich zu einem beſonderen Fruchthalter, welcher in ſeine eigne Scheide mündet. Jn dieſem Fruchthalter bildet ſich für das ungeborne Junge kein Mutterkuchen, und hiermit mag die Früh-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/14>, abgerufen am 27.11.2024.