Ein eigenthümlich abgeschlossener Kreis von merkwürdigen Thieren tritt in der Ordnung der Beutelthiere vor uns. Jhr Name bezeichnet sie; denn der Beutel allein ist es, welcher sie zu einem Ganzen vereinigt. Jn ihrer äußeren Erscheinung haben sie kaum Etwas mit einander gemein. Sie wiederholen gleichsam mehrere andere Ordnungen und zeigen nur einige abson- derliche Gestalten neben den übrigen, welche ebenso gut an die Hunde, Marder und Spitz- mäuse, wie an die Hasen, Springmäuse und Eichhörnchen erinnern. Manchmal glaubt man wirklich eines dieser Thiere vor sich zu haben, und die Aehnlichkeit ist auch so groß, daß man sie an den betreffenden Stellen ohne weiteres in die Ordnung der Raubthiere oder der Nager ein- reihen könnte, verböte Dies nicht aufs entschiedenste die Bildung des Beutels und die damit zu- sammenhängenden eigenthümlichen Frühgeburten, welche allen den so verschiedenen Thieren gemein- sam sind. So stehen die Beutelthiere, wenn auch als scharf begrenztes Ganze, gleichsam doch als Uebergangsglieder zwischen den Raubthieren und Nagern da und vermitteln diese beiden in jeder Hinsicht scharf von einander geschiedenen und in sich selbst abgeschlossenen Ordnungen.
Sie sind aber für uns nicht blos aus diesem Grunde besonders merkwürdig, sondern erscheinen auch noch in anderer Hinsicht einer regen Theilnahme werth. Nach der allgemeinen Ansicht der Naturforscher gelten die Beutelthiere als die ältesten Thiere unserer Erde und stellen so gleichsam die ersten Versuche der Natur dar, Säugethiere zu erschaffen, neben den plumpen Lurchen des Fest- landes, den Flugechsen der Lüfte, den Seedrachen der Meere und jenen wahrhaft furchtbaren Ge- stalten der Krokodile, welche in der Vorzeit das Land und die Wasser beherrschten. Die Unvoll- kommenheit jener ersten Versuchsthiere spricht sich deutlich genug darin aus, daß sie nur halbreife Junge gebären und diese erst außerhalb des Mutterleibes vollends austragen. Owen glaubt in der Wasserarmuth Australiens den Grund der Beutelbildung zu erblicken, vergißt aber, daß Beutel- thiere auch in Amerika zu Hause sind, wo es an Wasser wahrlich nicht fehlt. Seine Worte sind mehr bestechend, als beweisend. "Denkt Euch," sagt er, "einen unserer wilden Vierfüßler -- mei- netwegen einen Fuchs, eine Wildkatze --: sie machen ihr Rest; sie haben ihr Lager. Nehmt
Brehm, Thierleben. II. 1
Zweite Reihe. Krallenthiere (Unguiculata).
Sechſte Ordnung. Die Beutelthiere (Marsupialia).
Ein eigenthümlich abgeſchloſſener Kreis von merkwürdigen Thieren tritt in der Ordnung der Beutelthiere vor uns. Jhr Name bezeichnet ſie; denn der Beutel allein iſt es, welcher ſie zu einem Ganzen vereinigt. Jn ihrer äußeren Erſcheinung haben ſie kaum Etwas mit einander gemein. Sie wiederholen gleichſam mehrere andere Ordnungen und zeigen nur einige abſon- derliche Geſtalten neben den übrigen, welche ebenſo gut an die Hunde, Marder und Spitz- mäuſe, wie an die Haſen, Springmäuſe und Eichhörnchen erinnern. Manchmal glaubt man wirklich eines dieſer Thiere vor ſich zu haben, und die Aehnlichkeit iſt auch ſo groß, daß man ſie an den betreffenden Stellen ohne weiteres in die Ordnung der Raubthiere oder der Nager ein- reihen könnte, verböte Dies nicht aufs entſchiedenſte die Bildung des Beutels und die damit zu- ſammenhängenden eigenthümlichen Frühgeburten, welche allen den ſo verſchiedenen Thieren gemein- ſam ſind. So ſtehen die Beutelthiere, wenn auch als ſcharf begrenztes Ganze, gleichſam doch als Uebergangsglieder zwiſchen den Raubthieren und Nagern da und vermitteln dieſe beiden in jeder Hinſicht ſcharf von einander geſchiedenen und in ſich ſelbſt abgeſchloſſenen Ordnungen.
Sie ſind aber für uns nicht blos aus dieſem Grunde beſonders merkwürdig, ſondern erſcheinen auch noch in anderer Hinſicht einer regen Theilnahme werth. Nach der allgemeinen Anſicht der Naturforſcher gelten die Beutelthiere als die älteſten Thiere unſerer Erde und ſtellen ſo gleichſam die erſten Verſuche der Natur dar, Säugethiere zu erſchaffen, neben den plumpen Lurchen des Feſt- landes, den Flugechſen der Lüfte, den Seedrachen der Meere und jenen wahrhaft furchtbaren Ge- ſtalten der Krokodile, welche in der Vorzeit das Land und die Waſſer beherrſchten. Die Unvoll- kommenheit jener erſten Verſuchsthiere ſpricht ſich deutlich genug darin aus, daß ſie nur halbreife Junge gebären und dieſe erſt außerhalb des Mutterleibes vollends austragen. Owen glaubt in der Waſſerarmuth Auſtraliens den Grund der Beutelbildung zu erblicken, vergißt aber, daß Beutel- thiere auch in Amerika zu Hauſe ſind, wo es an Waſſer wahrlich nicht fehlt. Seine Worte ſind mehr beſtechend, als beweiſend. „Denkt Euch,‟ ſagt er, „einen unſerer wilden Vierfüßler — mei- netwegen einen Fuchs, eine Wildkatze —: ſie machen ihr Reſt; ſie haben ihr Lager. Nehmt
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der Beutelthiere vor uns. Jhr Name bezeichnet ſie; denn der Beutel allein iſt es, welcher ſie
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derliche Geſtalten neben den übrigen, welche ebenſo gut an die Hunde, Marder und Spitz-
mäuſe, wie an die Haſen, Springmäuſe und Eichhörnchen erinnern. Manchmal glaubt
man wirklich eines dieſer Thiere vor ſich zu haben, und die Aehnlichkeit iſt auch ſo groß, daß man
ſie an den betreffenden Stellen ohne weiteres in die Ordnung der Raubthiere oder der Nager ein-
reihen könnte, verböte Dies nicht aufs entſchiedenſte die Bildung des Beutels und die damit zu-
ſammenhängenden eigenthümlichen Frühgeburten, welche allen den ſo verſchiedenen Thieren gemein-
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Uebergangsglieder zwiſchen den Raubthieren und Nagern da und vermitteln dieſe beiden in jeder
Hinſicht ſcharf von einander geſchiedenen und in ſich ſelbſt abgeſchloſſenen Ordnungen.
Sie ſind aber für uns nicht blos aus dieſem Grunde beſonders merkwürdig, ſondern erſcheinen
auch noch in anderer Hinſicht einer regen Theilnahme werth. Nach der allgemeinen Anſicht der
Naturforſcher gelten die Beutelthiere als die älteſten Thiere unſerer Erde und ſtellen ſo gleichſam die
erſten Verſuche der Natur dar, Säugethiere zu erſchaffen, neben den plumpen Lurchen des Feſt-
landes, den Flugechſen der Lüfte, den Seedrachen der Meere und jenen wahrhaft furchtbaren Ge-
ſtalten der Krokodile, welche in der Vorzeit das Land und die Waſſer beherrſchten. Die Unvoll-
kommenheit jener erſten Verſuchsthiere ſpricht ſich deutlich genug darin aus, daß ſie nur halbreife
Junge gebären und dieſe erſt außerhalb des Mutterleibes vollends austragen. Owen glaubt in
der Waſſerarmuth Auſtraliens den Grund der Beutelbildung zu erblicken, vergißt aber, daß Beutel-
thiere auch in Amerika zu Hauſe ſind, wo es an Waſſer wahrlich nicht fehlt. Seine Worte ſind
mehr beſtechend, als beweiſend. „Denkt Euch,‟ ſagt er, „einen unſerer wilden Vierfüßler — mei-
netwegen einen Fuchs, eine Wildkatze —: ſie machen ihr Reſt; ſie haben ihr Lager. Nehmt
Brehm, Thierleben. II. 1
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/13>, abgerufen am 27.11.2024.
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