Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite

Beschreibung. Heimat. Fabeln.
aus Alte Männchen unterscheiden sich von den Weibchen durch ihre Größe, dichteres und längeres
Haar, reichlichern Bart und eigenthümliche Schwielen oder Hautlappen an den Wangen, welche sich
halbmondförmig von den Augen an nach den Ohren hin und zum Oberkiefer herabziehen und das
Gesicht auffallend verhäßlichen. Die jüngeren Thiere sind bartlos, sonst aber reicher behaart und
dunkler gefärbt.

Gegenwärtig scheint es so ziemlich festzustehen, daß der Orang-Utang ausschließlich auf
Borneo gefunden wird. Früher nannte man oft auch Sumatra und die anderen Sunda-Jnseln
als seine Heimat; doch scheint es, daß solche Angaben auf falschen Aussagen der Eingebornen beruht
haben. Lange Zeit war man nicht abgeneigt, zwei, drei, ja vier Arten des Thieres anzunehmen, von
denen jede eine besondere Jusel bewohnen sollte; in der Neuzeit aber scheint man ziemlich einig ge-
worden zu sein, daß alle die verschiedenen Orangaffen Asiens, welche man als eigene Arten ansah,
blose Altersverschiedenheiten einer einzigen Art darstellen, deren Heimat Borneo ist. Hier lebt unser
Thier auf der Süd- und Westseite der Jnsel in den großen, sumpsigen Waldniederungen, am liebsten
an den Ufern der Flüsse. Jm Gebirge soll er niemals vorkommen. Ausgedehnte Wälder, in denen
er unbehelligt von seinem Hauptfeinde, dem Menschen, hausen kann, dürften für sein Vorkommen
unerläßliche Bedingung sein. Aus allen bevölkerten Gegenden, in deren Gebiet er sonst gefunden
wurde, ist er jetzt verschwunden. Jn der eigentlichen Wildniß dagegen scheint er keineswegs selten zu
sein, aber so selten besucht und belauscht zu werden, daß wir noch heute nur äußerst wenig von seinem
Leben in der Freiheit wissen.

Er selbst ist schon seit alter Zeit bekannt. Bereits Plinius giebt an, daß es auf den indischen
Bergen Satirn gäbe, "sehr bösartige Thiere mit einem Menschengesicht, welche bald aufrecht, bald
auf allen Vieren gingen und wegen ihrer Schnelligkeit nur gefangen werden könnten, wenn sie alt
oder krank seinen." Seine Erzählung erbt sich fort von Jahrhundert zu Jahrhundert und empfängt
von jedem neuen Bearbeiter Zusätze. Man vergißt fast, daß man noch von Thieren redet; aus den
Affen werden beinahe wilde Menschen. Uebertreibungen jeder Art verwirren die ersten Angaben
und entstellen die Wahrheit. Bontius, ein Arzt, welcher um die Mitte des 17. Jahrhunderts auf
Java lebte, spricht wieder einmal aus eigener Anschanung. Er sagt, daß er den Waldmenschen einige
Male gesehen habe, und zwar ebenso wohl Männer als Weiber. Sie gingen öfters aufrecht und
geberdeten sich ganz wie andere Menschen. Bewunderungswürdig wäre ein Weibchen gewesen. Es
habe sich geschämt, wenn es unbekannte Menschen betrachtet hätten, und nicht nur das Gesicht,
sondern auch seine Blöße mit den Händen bedeckt; es habe geseufzt, Thränen vergossen und alle
menschlichen Handlungen so ausgeübt, daß ihm nur die Sprache gefehlt habe, um wie ein Mensch
zu sein. Die Javaner sagten, daß die Affen wohl reden könnten, wenn sie nur wollten; allein sie
thäten es nicht, weil sie fürchteten, arbeiten zu müssen. Daß die Waldmenschen aus der Vermischung
von Affen und indianischen Weibern entständen, sei ganz sicher. Schonten bereichert diese Erzählung
durch einige Entführungsgeschichten, in denen die Waldmenschen der angreifende, indische Mädchen
aber der leidende Theil sind. Brosse versichert sogar, daß eine von den Affen entführte Negerin
drei Jahre im Walde festgehalten worden wäre: -- ob die wilde Ehe in des Worts verwegenster
Bedeutung, welche die Braut allem Anscheine nach mit ihrem Entführer einging, auch mit Kindern
gesegnet wurde, steht nicht dabei. Es versteht sich fast von selbst, daß die Orang-Utangs nach allen
diesen Erzählungen anfrecht auf den Hinterfüßen gehen, obwohl hinzugefügt wird, "daß sie auch auf
allen vier Beinen laufen könnten." Eigentlich sind aber die Reisebeschreiber an den Uebertreibungen,
welche sie auftischen, unschuldig; denn sie geben blos die Erzählungen der Eingebornen wieder. Diese
wußten sich natürlich die Theilnahme der Europäer für unsere Affen zu Nutze zu machen, weil sie
ihnen junge Pongos verkaufen wollten und deshalb ihre Waare nach Kräften priesen, -- nicht mehr
und nicht minder, als es Thierschausteller bei uns zu Lande heutigen Tages auch noch thun.

Versucht man nun, die Naturgeschichte des Orang-Utang von allen Ausschmückungen, Zu-
thaten, Lügen und Fabeln zu entkleiden, so ergiebt sich etwa Folgendes:

Beſchreibung. Heimat. Fabeln.
aus Alte Männchen unterſcheiden ſich von den Weibchen durch ihre Größe, dichteres und längeres
Haar, reichlichern Bart und eigenthümliche Schwielen oder Hautlappen an den Wangen, welche ſich
halbmondförmig von den Augen an nach den Ohren hin und zum Oberkiefer herabziehen und das
Geſicht auffallend verhäßlichen. Die jüngeren Thiere ſind bartlos, ſonſt aber reicher behaart und
dunkler gefärbt.

Gegenwärtig ſcheint es ſo ziemlich feſtzuſtehen, daß der Orang-Utang ausſchließlich auf
Borneo gefunden wird. Früher nannte man oft auch Sumatra und die anderen Sunda-Jnſeln
als ſeine Heimat; doch ſcheint es, daß ſolche Angaben auf falſchen Ausſagen der Eingebornen beruht
haben. Lange Zeit war man nicht abgeneigt, zwei, drei, ja vier Arten des Thieres anzunehmen, von
denen jede eine beſondere Juſel bewohnen ſollte; in der Neuzeit aber ſcheint man ziemlich einig ge-
worden zu ſein, daß alle die verſchiedenen Orangaffen Aſiens, welche man als eigene Arten anſah,
bloſe Altersverſchiedenheiten einer einzigen Art darſtellen, deren Heimat Borneo iſt. Hier lebt unſer
Thier auf der Süd- und Weſtſeite der Jnſel in den großen, ſumpſigen Waldniederungen, am liebſten
an den Ufern der Flüſſe. Jm Gebirge ſoll er niemals vorkommen. Ausgedehnte Wälder, in denen
er unbehelligt von ſeinem Hauptfeinde, dem Menſchen, hauſen kann, dürften für ſein Vorkommen
unerläßliche Bedingung ſein. Aus allen bevölkerten Gegenden, in deren Gebiet er ſonſt gefunden
wurde, iſt er jetzt verſchwunden. Jn der eigentlichen Wildniß dagegen ſcheint er keineswegs ſelten zu
ſein, aber ſo ſelten beſucht und belauſcht zu werden, daß wir noch heute nur äußerſt wenig von ſeinem
Leben in der Freiheit wiſſen.

Er ſelbſt iſt ſchon ſeit alter Zeit bekannt. Bereits Plinius giebt an, daß es auf den indiſchen
Bergen Satirn gäbe, „ſehr bösartige Thiere mit einem Menſchengeſicht, welche bald aufrecht, bald
auf allen Vieren gingen und wegen ihrer Schnelligkeit nur gefangen werden könnten, wenn ſie alt
oder krank ſeinen.‟ Seine Erzählung erbt ſich fort von Jahrhundert zu Jahrhundert und empfängt
von jedem neuen Bearbeiter Zuſätze. Man vergißt faſt, daß man noch von Thieren redet; aus den
Affen werden beinahe wilde Menſchen. Uebertreibungen jeder Art verwirren die erſten Angaben
und entſtellen die Wahrheit. Bontius, ein Arzt, welcher um die Mitte des 17. Jahrhunderts auf
Java lebte, ſpricht wieder einmal aus eigener Anſchanung. Er ſagt, daß er den Waldmenſchen einige
Male geſehen habe, und zwar ebenſo wohl Männer als Weiber. Sie gingen öfters aufrecht und
geberdeten ſich ganz wie andere Menſchen. Bewunderungswürdig wäre ein Weibchen geweſen. Es
habe ſich geſchämt, wenn es unbekannte Menſchen betrachtet hätten, und nicht nur das Geſicht,
ſondern auch ſeine Blöße mit den Händen bedeckt; es habe geſeufzt, Thränen vergoſſen und alle
menſchlichen Handlungen ſo ausgeübt, daß ihm nur die Sprache gefehlt habe, um wie ein Menſch
zu ſein. Die Javaner ſagten, daß die Affen wohl reden könnten, wenn ſie nur wollten; allein ſie
thäten es nicht, weil ſie fürchteten, arbeiten zu müſſen. Daß die Waldmenſchen aus der Vermiſchung
von Affen und indianiſchen Weibern entſtänden, ſei ganz ſicher. Schonten bereichert dieſe Erzählung
durch einige Entführungsgeſchichten, in denen die Waldmenſchen der angreifende, indiſche Mädchen
aber der leidende Theil ſind. Broſſe verſichert ſogar, daß eine von den Affen entführte Negerin
drei Jahre im Walde feſtgehalten worden wäre: — ob die wilde Ehe in des Worts verwegenſter
Bedeutung, welche die Braut allem Anſcheine nach mit ihrem Entführer einging, auch mit Kindern
geſegnet wurde, ſteht nicht dabei. Es verſteht ſich faſt von ſelbſt, daß die Orang-Utangs nach allen
dieſen Erzählungen anfrecht auf den Hinterfüßen gehen, obwohl hinzugefügt wird, „daß ſie auch auf
allen vier Beinen laufen könnten.‟ Eigentlich ſind aber die Reiſebeſchreiber an den Uebertreibungen,
welche ſie auftiſchen, unſchuldig; denn ſie geben blos die Erzählungen der Eingebornen wieder. Dieſe
wußten ſich natürlich die Theilnahme der Europäer für unſere Affen zu Nutze zu machen, weil ſie
ihnen junge Pongos verkaufen wollten und deshalb ihre Waare nach Kräften prieſen, — nicht mehr
und nicht minder, als es Thierſchauſteller bei uns zu Lande heutigen Tages auch noch thun.

Verſucht man nun, die Naturgeſchichte des Orang-Utang von allen Ausſchmückungen, Zu-
thaten, Lügen und Fabeln zu entkleiden, ſo ergiebt ſich etwa Folgendes:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <p><pb facs="#f0079" n="29"/><fw place="top" type="header">Be&#x017F;chreibung. Heimat. Fabeln.</fw><lb/>
aus Alte Männchen unter&#x017F;cheiden &#x017F;ich von den Weibchen durch ihre Größe, dichteres und längeres<lb/>
Haar, reichlichern Bart und eigenthümliche Schwielen oder Hautlappen an den Wangen, welche &#x017F;ich<lb/>
halbmondförmig von den Augen an nach den Ohren hin und zum Oberkiefer herabziehen und das<lb/>
Ge&#x017F;icht auffallend verhäßlichen. Die jüngeren Thiere &#x017F;ind bartlos, &#x017F;on&#x017F;t aber reicher behaart und<lb/>
dunkler gefärbt.</p><lb/>
          <p>Gegenwärtig &#x017F;cheint es &#x017F;o ziemlich fe&#x017F;tzu&#x017F;tehen, daß der <hi rendition="#g">Orang-Utang</hi> aus&#x017F;chließlich auf<lb/><hi rendition="#g">Borneo</hi> gefunden wird. Früher nannte man oft auch <hi rendition="#g">Sumatra</hi> und die anderen <hi rendition="#g">Sunda</hi>-Jn&#x017F;eln<lb/>
als &#x017F;eine Heimat; doch &#x017F;cheint es, daß &#x017F;olche Angaben auf fal&#x017F;chen Aus&#x017F;agen der Eingebornen beruht<lb/>
haben. Lange Zeit war man nicht abgeneigt, zwei, drei, ja vier Arten des Thieres anzunehmen, von<lb/>
denen jede eine be&#x017F;ondere Ju&#x017F;el bewohnen &#x017F;ollte; in der Neuzeit aber &#x017F;cheint man ziemlich einig ge-<lb/>
worden zu &#x017F;ein, daß alle die ver&#x017F;chiedenen Orangaffen A&#x017F;iens, welche man als eigene Arten an&#x017F;ah,<lb/>
blo&#x017F;e Altersver&#x017F;chiedenheiten einer einzigen Art dar&#x017F;tellen, deren Heimat <hi rendition="#g">Borneo</hi> i&#x017F;t. Hier lebt un&#x017F;er<lb/>
Thier auf der Süd- und We&#x017F;t&#x017F;eite der Jn&#x017F;el in den großen, &#x017F;ump&#x017F;igen Waldniederungen, am lieb&#x017F;ten<lb/>
an den Ufern der Flü&#x017F;&#x017F;e. Jm Gebirge &#x017F;oll er niemals vorkommen. Ausgedehnte Wälder, in denen<lb/>
er unbehelligt von &#x017F;einem Hauptfeinde, dem Men&#x017F;chen, hau&#x017F;en kann, dürften für &#x017F;ein Vorkommen<lb/>
unerläßliche Bedingung &#x017F;ein. Aus allen bevölkerten Gegenden, in deren Gebiet er &#x017F;on&#x017F;t gefunden<lb/>
wurde, i&#x017F;t er jetzt ver&#x017F;chwunden. Jn der eigentlichen Wildniß dagegen &#x017F;cheint er keineswegs &#x017F;elten zu<lb/>
&#x017F;ein, aber &#x017F;o &#x017F;elten be&#x017F;ucht und belau&#x017F;cht zu werden, daß wir noch heute nur äußer&#x017F;t wenig von &#x017F;einem<lb/>
Leben in der Freiheit wi&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Er &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t &#x017F;chon &#x017F;eit alter Zeit bekannt. Bereits <hi rendition="#g">Plinius</hi> giebt an, daß es auf den indi&#x017F;chen<lb/>
Bergen Satirn gäbe, &#x201E;&#x017F;ehr bösartige Thiere mit einem Men&#x017F;chenge&#x017F;icht, welche bald aufrecht, bald<lb/>
auf allen Vieren gingen und wegen ihrer Schnelligkeit nur gefangen werden könnten, wenn &#x017F;ie alt<lb/>
oder krank &#x017F;einen.&#x201F; Seine Erzählung erbt &#x017F;ich fort von Jahrhundert zu Jahrhundert und empfängt<lb/>
von jedem neuen Bearbeiter Zu&#x017F;ätze. Man vergißt fa&#x017F;t, daß man noch von Thieren redet; aus den<lb/>
Affen werden beinahe wilde Men&#x017F;chen. Uebertreibungen jeder Art verwirren die er&#x017F;ten Angaben<lb/>
und ent&#x017F;tellen die Wahrheit. <hi rendition="#g">Bontius,</hi> ein Arzt, welcher um die Mitte des 17. Jahrhunderts auf<lb/>
Java lebte, &#x017F;pricht wieder einmal aus eigener An&#x017F;chanung. Er &#x017F;agt, daß er den Waldmen&#x017F;chen einige<lb/>
Male ge&#x017F;ehen habe, und zwar eben&#x017F;o wohl Männer als Weiber. Sie gingen öfters aufrecht und<lb/>
geberdeten &#x017F;ich ganz wie andere Men&#x017F;chen. Bewunderungswürdig wäre ein Weibchen gewe&#x017F;en. Es<lb/>
habe &#x017F;ich ge&#x017F;chämt, wenn es unbekannte Men&#x017F;chen betrachtet hätten, und nicht nur das Ge&#x017F;icht,<lb/>
&#x017F;ondern auch &#x017F;eine Blöße mit den Händen bedeckt; es habe ge&#x017F;eufzt, Thränen vergo&#x017F;&#x017F;en und alle<lb/>
men&#x017F;chlichen Handlungen &#x017F;o ausgeübt, daß ihm nur die Sprache gefehlt habe, um wie ein Men&#x017F;ch<lb/>
zu &#x017F;ein. Die Javaner &#x017F;agten, daß die Affen wohl reden könnten, wenn &#x017F;ie nur wollten; allein &#x017F;ie<lb/>
thäten es nicht, weil &#x017F;ie fürchteten, arbeiten zu mü&#x017F;&#x017F;en. Daß die Waldmen&#x017F;chen aus der Vermi&#x017F;chung<lb/>
von Affen und indiani&#x017F;chen Weibern ent&#x017F;tänden, &#x017F;ei ganz &#x017F;icher. <hi rendition="#g">Schonten</hi> bereichert die&#x017F;e Erzählung<lb/>
durch einige Entführungsge&#x017F;chichten, in denen die Waldmen&#x017F;chen der angreifende, indi&#x017F;che Mädchen<lb/>
aber der leidende Theil &#x017F;ind. <hi rendition="#g">Bro&#x017F;&#x017F;e</hi> ver&#x017F;ichert &#x017F;ogar, daß eine von den Affen entführte Negerin<lb/>
drei Jahre im Walde fe&#x017F;tgehalten worden wäre: &#x2014; ob die wilde Ehe in des Worts verwegen&#x017F;ter<lb/>
Bedeutung, welche die Braut allem An&#x017F;cheine nach mit ihrem Entführer einging, auch mit Kindern<lb/>
ge&#x017F;egnet wurde, &#x017F;teht nicht dabei. Es ver&#x017F;teht &#x017F;ich fa&#x017F;t von &#x017F;elb&#x017F;t, daß die <hi rendition="#g">Orang-Utangs</hi> nach allen<lb/>
die&#x017F;en Erzählungen anfrecht auf den Hinterfüßen gehen, obwohl hinzugefügt wird, &#x201E;daß &#x017F;ie auch auf<lb/>
allen vier Beinen laufen <hi rendition="#g">könnten.</hi>&#x201F; Eigentlich &#x017F;ind aber die Rei&#x017F;ebe&#x017F;chreiber an den Uebertreibungen,<lb/>
welche &#x017F;ie aufti&#x017F;chen, un&#x017F;chuldig; denn &#x017F;ie geben blos die Erzählungen der Eingebornen wieder. Die&#x017F;e<lb/>
wußten &#x017F;ich natürlich die Theilnahme der Europäer für un&#x017F;ere Affen zu Nutze zu machen, weil &#x017F;ie<lb/>
ihnen junge <hi rendition="#g">Pongos</hi> verkaufen wollten und deshalb ihre Waare nach Kräften prie&#x017F;en, &#x2014; nicht mehr<lb/>
und nicht minder, als es Thier&#x017F;chau&#x017F;teller bei uns zu Lande heutigen Tages auch noch thun.</p><lb/>
          <p>Ver&#x017F;ucht man nun, die Naturge&#x017F;chichte des <hi rendition="#g">Orang-Utang</hi> von allen Aus&#x017F;chmückungen, Zu-<lb/>
thaten, Lügen und Fabeln zu entkleiden, &#x017F;o ergiebt &#x017F;ich etwa Folgendes:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[29/0079] Beſchreibung. Heimat. Fabeln. aus Alte Männchen unterſcheiden ſich von den Weibchen durch ihre Größe, dichteres und längeres Haar, reichlichern Bart und eigenthümliche Schwielen oder Hautlappen an den Wangen, welche ſich halbmondförmig von den Augen an nach den Ohren hin und zum Oberkiefer herabziehen und das Geſicht auffallend verhäßlichen. Die jüngeren Thiere ſind bartlos, ſonſt aber reicher behaart und dunkler gefärbt. Gegenwärtig ſcheint es ſo ziemlich feſtzuſtehen, daß der Orang-Utang ausſchließlich auf Borneo gefunden wird. Früher nannte man oft auch Sumatra und die anderen Sunda-Jnſeln als ſeine Heimat; doch ſcheint es, daß ſolche Angaben auf falſchen Ausſagen der Eingebornen beruht haben. Lange Zeit war man nicht abgeneigt, zwei, drei, ja vier Arten des Thieres anzunehmen, von denen jede eine beſondere Juſel bewohnen ſollte; in der Neuzeit aber ſcheint man ziemlich einig ge- worden zu ſein, daß alle die verſchiedenen Orangaffen Aſiens, welche man als eigene Arten anſah, bloſe Altersverſchiedenheiten einer einzigen Art darſtellen, deren Heimat Borneo iſt. Hier lebt unſer Thier auf der Süd- und Weſtſeite der Jnſel in den großen, ſumpſigen Waldniederungen, am liebſten an den Ufern der Flüſſe. Jm Gebirge ſoll er niemals vorkommen. Ausgedehnte Wälder, in denen er unbehelligt von ſeinem Hauptfeinde, dem Menſchen, hauſen kann, dürften für ſein Vorkommen unerläßliche Bedingung ſein. Aus allen bevölkerten Gegenden, in deren Gebiet er ſonſt gefunden wurde, iſt er jetzt verſchwunden. Jn der eigentlichen Wildniß dagegen ſcheint er keineswegs ſelten zu ſein, aber ſo ſelten beſucht und belauſcht zu werden, daß wir noch heute nur äußerſt wenig von ſeinem Leben in der Freiheit wiſſen. Er ſelbſt iſt ſchon ſeit alter Zeit bekannt. Bereits Plinius giebt an, daß es auf den indiſchen Bergen Satirn gäbe, „ſehr bösartige Thiere mit einem Menſchengeſicht, welche bald aufrecht, bald auf allen Vieren gingen und wegen ihrer Schnelligkeit nur gefangen werden könnten, wenn ſie alt oder krank ſeinen.‟ Seine Erzählung erbt ſich fort von Jahrhundert zu Jahrhundert und empfängt von jedem neuen Bearbeiter Zuſätze. Man vergißt faſt, daß man noch von Thieren redet; aus den Affen werden beinahe wilde Menſchen. Uebertreibungen jeder Art verwirren die erſten Angaben und entſtellen die Wahrheit. Bontius, ein Arzt, welcher um die Mitte des 17. Jahrhunderts auf Java lebte, ſpricht wieder einmal aus eigener Anſchanung. Er ſagt, daß er den Waldmenſchen einige Male geſehen habe, und zwar ebenſo wohl Männer als Weiber. Sie gingen öfters aufrecht und geberdeten ſich ganz wie andere Menſchen. Bewunderungswürdig wäre ein Weibchen geweſen. Es habe ſich geſchämt, wenn es unbekannte Menſchen betrachtet hätten, und nicht nur das Geſicht, ſondern auch ſeine Blöße mit den Händen bedeckt; es habe geſeufzt, Thränen vergoſſen und alle menſchlichen Handlungen ſo ausgeübt, daß ihm nur die Sprache gefehlt habe, um wie ein Menſch zu ſein. Die Javaner ſagten, daß die Affen wohl reden könnten, wenn ſie nur wollten; allein ſie thäten es nicht, weil ſie fürchteten, arbeiten zu müſſen. Daß die Waldmenſchen aus der Vermiſchung von Affen und indianiſchen Weibern entſtänden, ſei ganz ſicher. Schonten bereichert dieſe Erzählung durch einige Entführungsgeſchichten, in denen die Waldmenſchen der angreifende, indiſche Mädchen aber der leidende Theil ſind. Broſſe verſichert ſogar, daß eine von den Affen entführte Negerin drei Jahre im Walde feſtgehalten worden wäre: — ob die wilde Ehe in des Worts verwegenſter Bedeutung, welche die Braut allem Anſcheine nach mit ihrem Entführer einging, auch mit Kindern geſegnet wurde, ſteht nicht dabei. Es verſteht ſich faſt von ſelbſt, daß die Orang-Utangs nach allen dieſen Erzählungen anfrecht auf den Hinterfüßen gehen, obwohl hinzugefügt wird, „daß ſie auch auf allen vier Beinen laufen könnten.‟ Eigentlich ſind aber die Reiſebeſchreiber an den Uebertreibungen, welche ſie auftiſchen, unſchuldig; denn ſie geben blos die Erzählungen der Eingebornen wieder. Dieſe wußten ſich natürlich die Theilnahme der Europäer für unſere Affen zu Nutze zu machen, weil ſie ihnen junge Pongos verkaufen wollten und deshalb ihre Waare nach Kräften prieſen, — nicht mehr und nicht minder, als es Thierſchauſteller bei uns zu Lande heutigen Tages auch noch thun. Verſucht man nun, die Naturgeſchichte des Orang-Utang von allen Ausſchmückungen, Zu- thaten, Lügen und Fabeln zu entkleiden, ſo ergiebt ſich etwa Folgendes:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/79
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/79>, abgerufen am 02.05.2024.