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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Gefangenleben.
hierauf wieder den Spiegel, ging hinter diesen, kam zurück, betrachtete nochmals sein Bild und suchte
sich durch Betasten desselben zu überzeugen, ob er die wirkliche Körperlichkeit oder blosen Schein vor
sich habe: -- ganz so, wie es wilde Völker thun, wenn ihnen zum ersten Male ein Spiegel
gereicht wird.

Der Lieutenant Henry K. Sayers erzählt von einem jungen Männchen, welches er wenige
Tage nach der Gefangennahme an der Westküste Afrikas erhielt, daß es sehr bald und im hohen
Grade vertraut mit ihm wurde, noch innigere Freundschaft aber mit einem Negerknaben schloß und
im höchsten Zorne zu kreischen anfing, wenn jener ihn nur für einen Augenblick verlassen wollte.
Sehr eingenommen war er für Kleidungsstücke, und das erste Beste, das ihm in den Weg kam, eignete
er sich an, trug es sogleich auf den Platz und setzte sich unabänderlich, mit selbstzufriedenem Gurgeln
darauf, gab es auch gewiß nicht ohne harten Kampf und ohne die Zeichen der größten Unzufriedenheit
wieder her. "Als ich diese Vorliebe bemerkte," fährt der Erzähler fort, "versah ich ihn mit einem Stück
Baumwollenzeug, von dem er sich dann, zur allgemeinen Belustigung, nicht wieder trennen mochte,
und welches er überallhin mitschleppte, so daß keine Verlockung stark genug war, ihn zum Aufgeben
desselben auch nur für einen Augenblick zu bewegen."

"Die Lebensweise der Thiere in der Wildniß war mir völlig unbekannt; ich versuchte deshalb,
ihn nach meiner Art zu ernähren und hatte den besten Erfolg. Morgens um acht Uhr bekam mein Ge-
fangener ein Stück Brod in Wasser oder in verdünnter Milch geweicht, gegen zwei Uhr ein paar
Bananen oder Pisang, und ehe er sich niederlegte, wieder eine Banane, eine Apfelsine oder ein Stück
Ananas. Die Banane schien seine Lieblingsfrucht zu sein, für sie ließ er jedes andere Gericht im
Stiche, und wenn er sie nicht bekam, war er höchst mürrisch. Als ich ihm einmal eine verweigerte,
versiel er in die heftigste Wuth, stieß einen schrillen Schrei aus und rannte mit dem Kopfe so heftig
gegen die Wand, daß er auf den Rücken fiel; stieg dann auf eine Kiste, streckte die Arme verzweiflungs-
voll aus und stürzte sich herunter. Alles Dies ließ mich so sehr für sein Leben fürchten, daß ich den
Streit aufgab. Nun erfreute er sich seines Sieges auf das lebhafteste, indem er minutenlang ein
höchst bedeutungsvolles Gurgeln und Murren hören ließ: kurz, jedesmal, wenn man ihm seinen
Willen nicht thun wollte, zeigte er sich wie ein verzogenes Kind. Aber so bös er auch werden mochte,
nie bemerkte ich, daß er geneigt gewesen wäre, seinen Wärter oder mich zu beißen, oder sich sonst wie
an uns zu vergreifen." --

Das sind einige von den unzähligen Geschichten, welche man von diesen Affen berichtet; schade,
daß die fast unausbleibliche Lungenschwindsucht die armen Thiere gewöhnlich so rasch tödtet. Schon
kurze Zeit nach ihrer Ankunft in Europa beginnen sie zu husten und damit stiller und trauriger zu
werden. Je weiter die Krankheit fortschreitet, um so ruhiger und milder werden sie; sie sehen zuletzt
wahrhaft erbarmungswürdig aus. Wie lungenkranke Menschen beugen sie den Kopf nach vorn, husten
von Zeit zu Zeit und legen ihre Hände dann auf die wunde Brust, dabei sehen sie so kläglich und
bittend mit ihren dunkelbrannen Augen auf den Menschen, daß dieser sich der Rührung unmöglich er-
wehren kann. Gewöhnlich unterliegen sie der fürchterlichen Seuche schon im ersten, sicher aber
im zweiten Jahre; unser kaltes Klima kann den glücklichen Kindern des Südens niemals ihre
schöne Heimat ersetzen.



Von dem afrikanischen Waldmenschen unterscheidet sich der asiatische, welcher gewöhnlich
Orang-Utang oder Pongo genannt wird (Pitheeus Satyrus), durch die bedeutend längeren
Arme, die bis zu den Knöcheln der Füße herabreichen und durch den kegel- oder pyramidenförmig zu-
gespitzten Kopf mit seiner weit vorstehenden Schnauze, welche alten Thieren jede Menschenähnlichkeit
benimmt. So lange der Pongo jung ist, gleicht sein Schädel dem eines Menschenkindes in hohem
Grade; mit dem zunehmenden Alter aber tritt das Thierische auch bei ihm derartig hervor, daß der
Schädel dann nur noch entfernt an den des jungen Affen erinnert.

Gefangenleben.
hierauf wieder den Spiegel, ging hinter dieſen, kam zurück, betrachtete nochmals ſein Bild und ſuchte
ſich durch Betaſten deſſelben zu überzeugen, ob er die wirkliche Körperlichkeit oder bloſen Schein vor
ſich habe: — ganz ſo, wie es wilde Völker thun, wenn ihnen zum erſten Male ein Spiegel
gereicht wird.

Der Lieutenant Henry K. Sayers erzählt von einem jungen Männchen, welches er wenige
Tage nach der Gefangennahme an der Weſtküſte Afrikas erhielt, daß es ſehr bald und im hohen
Grade vertraut mit ihm wurde, noch innigere Freundſchaft aber mit einem Negerknaben ſchloß und
im höchſten Zorne zu kreiſchen anfing, wenn jener ihn nur für einen Augenblick verlaſſen wollte.
Sehr eingenommen war er für Kleidungsſtücke, und das erſte Beſte, das ihm in den Weg kam, eignete
er ſich an, trug es ſogleich auf den Platz und ſetzte ſich unabänderlich, mit ſelbſtzufriedenem Gurgeln
darauf, gab es auch gewiß nicht ohne harten Kampf und ohne die Zeichen der größten Unzufriedenheit
wieder her. „Als ich dieſe Vorliebe bemerkte,‟ fährt der Erzähler fort, „verſah ich ihn mit einem Stück
Baumwollenzeug, von dem er ſich dann, zur allgemeinen Beluſtigung, nicht wieder trennen mochte,
und welches er überallhin mitſchleppte, ſo daß keine Verlockung ſtark genug war, ihn zum Aufgeben
deſſelben auch nur für einen Augenblick zu bewegen.‟

„Die Lebensweiſe der Thiere in der Wildniß war mir völlig unbekannt; ich verſuchte deshalb,
ihn nach meiner Art zu ernähren und hatte den beſten Erfolg. Morgens um acht Uhr bekam mein Ge-
fangener ein Stück Brod in Waſſer oder in verdünnter Milch geweicht, gegen zwei Uhr ein paar
Bananen oder Piſang, und ehe er ſich niederlegte, wieder eine Banane, eine Apfelſine oder ein Stück
Ananas. Die Banane ſchien ſeine Lieblingsfrucht zu ſein, für ſie ließ er jedes andere Gericht im
Stiche, und wenn er ſie nicht bekam, war er höchſt mürriſch. Als ich ihm einmal eine verweigerte,
verſiel er in die heftigſte Wuth, ſtieß einen ſchrillen Schrei aus und rannte mit dem Kopfe ſo heftig
gegen die Wand, daß er auf den Rücken fiel; ſtieg dann auf eine Kiſte, ſtreckte die Arme verzweiflungs-
voll aus und ſtürzte ſich herunter. Alles Dies ließ mich ſo ſehr für ſein Leben fürchten, daß ich den
Streit aufgab. Nun erfreute er ſich ſeines Sieges auf das lebhafteſte, indem er minutenlang ein
höchſt bedeutungsvolles Gurgeln und Murren hören ließ: kurz, jedesmal, wenn man ihm ſeinen
Willen nicht thun wollte, zeigte er ſich wie ein verzogenes Kind. Aber ſo bös er auch werden mochte,
nie bemerkte ich, daß er geneigt geweſen wäre, ſeinen Wärter oder mich zu beißen, oder ſich ſonſt wie
an uns zu vergreifen.‟ —

Das ſind einige von den unzähligen Geſchichten, welche man von dieſen Affen berichtet; ſchade,
daß die faſt unausbleibliche Lungenſchwindſucht die armen Thiere gewöhnlich ſo raſch tödtet. Schon
kurze Zeit nach ihrer Ankunft in Europa beginnen ſie zu huſten und damit ſtiller und trauriger zu
werden. Je weiter die Krankheit fortſchreitet, um ſo ruhiger und milder werden ſie; ſie ſehen zuletzt
wahrhaft erbarmungswürdig aus. Wie lungenkranke Menſchen beugen ſie den Kopf nach vorn, huſten
von Zeit zu Zeit und legen ihre Hände dann auf die wunde Bruſt, dabei ſehen ſie ſo kläglich und
bittend mit ihren dunkelbrannen Augen auf den Menſchen, daß dieſer ſich der Rührung unmöglich er-
wehren kann. Gewöhnlich unterliegen ſie der fürchterlichen Seuche ſchon im erſten, ſicher aber
im zweiten Jahre; unſer kaltes Klima kann den glücklichen Kindern des Südens niemals ihre
ſchöne Heimat erſetzen.



Von dem afrikaniſchen Waldmenſchen unterſcheidet ſich der aſiatiſche, welcher gewöhnlich
Orang-Utang oder Pongo genannt wird (Pitheeus Satyrus), durch die bedeutend längeren
Arme, die bis zu den Knöcheln der Füße herabreichen und durch den kegel- oder pyramidenförmig zu-
geſpitzten Kopf mit ſeiner weit vorſtehenden Schnauze, welche alten Thieren jede Menſchenähnlichkeit
benimmt. So lange der Pongo jung iſt, gleicht ſein Schädel dem eines Menſchenkindes in hohem
Grade; mit dem zunehmenden Alter aber tritt das Thieriſche auch bei ihm derartig hervor, daß der
Schädel dann nur noch entfernt an den des jungen Affen erinnert.

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[27/0077] Gefangenleben. hierauf wieder den Spiegel, ging hinter dieſen, kam zurück, betrachtete nochmals ſein Bild und ſuchte ſich durch Betaſten deſſelben zu überzeugen, ob er die wirkliche Körperlichkeit oder bloſen Schein vor ſich habe: — ganz ſo, wie es wilde Völker thun, wenn ihnen zum erſten Male ein Spiegel gereicht wird. Der Lieutenant Henry K. Sayers erzählt von einem jungen Männchen, welches er wenige Tage nach der Gefangennahme an der Weſtküſte Afrikas erhielt, daß es ſehr bald und im hohen Grade vertraut mit ihm wurde, noch innigere Freundſchaft aber mit einem Negerknaben ſchloß und im höchſten Zorne zu kreiſchen anfing, wenn jener ihn nur für einen Augenblick verlaſſen wollte. Sehr eingenommen war er für Kleidungsſtücke, und das erſte Beſte, das ihm in den Weg kam, eignete er ſich an, trug es ſogleich auf den Platz und ſetzte ſich unabänderlich, mit ſelbſtzufriedenem Gurgeln darauf, gab es auch gewiß nicht ohne harten Kampf und ohne die Zeichen der größten Unzufriedenheit wieder her. „Als ich dieſe Vorliebe bemerkte,‟ fährt der Erzähler fort, „verſah ich ihn mit einem Stück Baumwollenzeug, von dem er ſich dann, zur allgemeinen Beluſtigung, nicht wieder trennen mochte, und welches er überallhin mitſchleppte, ſo daß keine Verlockung ſtark genug war, ihn zum Aufgeben deſſelben auch nur für einen Augenblick zu bewegen.‟ „Die Lebensweiſe der Thiere in der Wildniß war mir völlig unbekannt; ich verſuchte deshalb, ihn nach meiner Art zu ernähren und hatte den beſten Erfolg. Morgens um acht Uhr bekam mein Ge- fangener ein Stück Brod in Waſſer oder in verdünnter Milch geweicht, gegen zwei Uhr ein paar Bananen oder Piſang, und ehe er ſich niederlegte, wieder eine Banane, eine Apfelſine oder ein Stück Ananas. Die Banane ſchien ſeine Lieblingsfrucht zu ſein, für ſie ließ er jedes andere Gericht im Stiche, und wenn er ſie nicht bekam, war er höchſt mürriſch. Als ich ihm einmal eine verweigerte, verſiel er in die heftigſte Wuth, ſtieß einen ſchrillen Schrei aus und rannte mit dem Kopfe ſo heftig gegen die Wand, daß er auf den Rücken fiel; ſtieg dann auf eine Kiſte, ſtreckte die Arme verzweiflungs- voll aus und ſtürzte ſich herunter. Alles Dies ließ mich ſo ſehr für ſein Leben fürchten, daß ich den Streit aufgab. Nun erfreute er ſich ſeines Sieges auf das lebhafteſte, indem er minutenlang ein höchſt bedeutungsvolles Gurgeln und Murren hören ließ: kurz, jedesmal, wenn man ihm ſeinen Willen nicht thun wollte, zeigte er ſich wie ein verzogenes Kind. Aber ſo bös er auch werden mochte, nie bemerkte ich, daß er geneigt geweſen wäre, ſeinen Wärter oder mich zu beißen, oder ſich ſonſt wie an uns zu vergreifen.‟ — Das ſind einige von den unzähligen Geſchichten, welche man von dieſen Affen berichtet; ſchade, daß die faſt unausbleibliche Lungenſchwindſucht die armen Thiere gewöhnlich ſo raſch tödtet. Schon kurze Zeit nach ihrer Ankunft in Europa beginnen ſie zu huſten und damit ſtiller und trauriger zu werden. Je weiter die Krankheit fortſchreitet, um ſo ruhiger und milder werden ſie; ſie ſehen zuletzt wahrhaft erbarmungswürdig aus. Wie lungenkranke Menſchen beugen ſie den Kopf nach vorn, huſten von Zeit zu Zeit und legen ihre Hände dann auf die wunde Bruſt, dabei ſehen ſie ſo kläglich und bittend mit ihren dunkelbrannen Augen auf den Menſchen, daß dieſer ſich der Rührung unmöglich er- wehren kann. Gewöhnlich unterliegen ſie der fürchterlichen Seuche ſchon im erſten, ſicher aber im zweiten Jahre; unſer kaltes Klima kann den glücklichen Kindern des Südens niemals ihre ſchöne Heimat erſetzen. Von dem afrikaniſchen Waldmenſchen unterſcheidet ſich der aſiatiſche, welcher gewöhnlich Orang-Utang oder Pongo genannt wird (Pitheeus Satyrus), durch die bedeutend längeren Arme, die bis zu den Knöcheln der Füße herabreichen und durch den kegel- oder pyramidenförmig zu- geſpitzten Kopf mit ſeiner weit vorſtehenden Schnauze, welche alten Thieren jede Menſchenähnlichkeit benimmt. So lange der Pongo jung iſt, gleicht ſein Schädel dem eines Menſchenkindes in hohem Grade; mit dem zunehmenden Alter aber tritt das Thieriſche auch bei ihm derartig hervor, daß der Schädel dann nur noch entfernt an den des jungen Affen erinnert.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/77>, abgerufen am 02.05.2024.