Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite

Benehmen. Paarung. Raublust.
welcher achtlos an einer Fluchtröhre vorüberhüpft, wird plötzlich an den Hinterbeinen gepackt und trotz
seines kläglichen Geschreis in die Tiefe gezogen, wo er bald erliegen muß. Die Schmerlen und
Elleritzen werden in kleine Buchten getrieben und hier auf eigne Weise gefangen: die Wasserspitzmaus
trübt das Wasser und bewacht den Eingang der Bucht; sobald nun einer der kleinen Fische an ihr
vorüberschwimmen will, fährt sie auf denselben zu und fängt ihn gewöhnlich: sie fischt, wie das
Sprichwort sagt, im Trüben. Aber nicht blos so kleine Thiere werden von der Wasserspitzmaus
angefallen und getödtet: sie wagt sich sogar an Geschöpfe, deren Gewicht das ihre um mehr als das
Sechzigfache übertrifft, ja man kann sagen, daß es kein Naubthier weiter giebt, welches eine verhält-
nißmäßig so große Beute überfällt und umbringt.

"Vor einigen dreißig Jahren," sagt mein Vater, "wurden im Frühjahr im Heinspitzersee in
Eisenberg mehrere Karpfen von zwei Pfund und darüber gefunden, denen die Augen und das Gehirn
ausgefressen war. Einigen von ihnen fehlte auch an dem Körper hier und da Fleisch. Diese merk-
würdige Erscheinung kam in einem Wochenblatte zur Sprache und veraulaßte einen heftigen Streit
zwischen zwei Gelehrten einer benachbarten Stadt, in welchem der eine behauptete, die Teichfrösche seien
es, welche sich den Fischen auf den Kopf setzten, ihnen die Augen auskratzten und das Gehirn ausfräßen.
Dies wurde von Denen geglaubt, bei welchen der Frosch überhaupt in schlechtem Rufe steht, von
Solchen z. B., welche dem unschuldigen Grasfrosch schuld geben, daß er den Flachs nicht nur verwirre,
sondern ihn auch, ja selbst Hafer fräße. Auch unser alter ehrwürdiger Blumenbach wurde von den
genannten Gelehrten in den Streit gezogen, weil er in seiner Naturgeschichte sagt, die Frösche fräßen
Fische und auch Vögel. Der Gegner vertheidigte die Teichfrösche mit Geschick, allein ihr Ankläger
war nicht so leicht aus dem Sattel zu heben. Er brachte die getrockneten Kinnladen in einer Abbildung
zur Aufchanung und suchte aus ihnen die Gefährlichkeit der Teichfrösche zu beweisen. Endlich wurde
auch ich ersucht, meine Stimme in diesem Streite abzugeben. Jch zeigte, um die Unschuld, den
guten Namen und die Ehre der Frösche zu retten, die Unmöglichkeit des ihnen Schuld gegebenen Ver-
brechens, da es ihnen bekanntlich gänzlich an Mitteln gebricht, dasselbe auszuführen. Man schien mir
Glauben zu schenken, doch blieb der Mörder der Karpfen unbekannt. Jch wußte nun zwar, daß die
Spitzmäuse Fische fangen und auch Fischlaich begierig aufsuchen, hatte auch an den gefangenen Wasser-
spitzmäusen, welche ich eine Zeitlang lebend befaß, die mörderische Natur derselben hinreichend kennen
gelernt; dennoch glaubte ich nicht, daß das kleine Thier so große Fische anfallen und tödten könne:
aber der Beweis wurde mir geliefert."

"Ein Bauergutsbesitzer des hiesigen Kirchspiels zog in seinem Teiche schöne Fische und hatte im
Herbst 1829 in den Brunnenkasten vor seinem Fenstern, welcher wegen des zufließenden Quellwassers
niemals zufriert, mehrere Karpfen gesetzt, um sie gelegentlich zu verspeisen. Der Januar 1830 brachte
eine Kälte von 22° und bedeckte fast alle Bäche dick mit Eis; nur die "warmen Quellen" blieben frei.
Eines Tages fand der Besitzer seines Brunnens zu seinem großen Verdruß in seinem Röhrtroge einen
todten Karpfen, welchem die Augen und das Gehirn ausgefressen waren. Nach wenigen Tagen hatte
er den Aerger, einen zweiten anzutreffen, der auf ähnliche Weise zu Grunde gerichtet worden war, und
so verlor er einen Fisch nach dem andern. Endlich bemerkte seine Frau, daß gegen Abend eine schwarze
"Maus" an dem Kasten hinaufkletterte, im Wasser herumschwamm, sich einem Karpfen auf den Kopf
setzte und mit dem Vorderfüßen sich festklammerte. Ehe die Frau im Stande war, das zugefrorene
Fenster zu öffnen, um das Thier zu verscheuchen, waren dem Fische die Augen ausgefressen. Endlich
war das Oeffnen des Fensters gelungen, und die Maus wurde in die Flucht getrieben. Allein kaum
hatte sie den Kasten verlassen, so wurde sie von einer vorüberschleichenden Katze gefangen, dieser wieder
abgenommen und mir überbracht. Es war unsere Wasserspitzmaus, und sie wird heute noch von mir
sorgfältig aufgehoben mit einem Zettel, auf welchem ihr Verbrechen augemerkt ist. So waren denn
die fraglichen Mörder der Karpfen in dem Heinspitzersee entdeckt worden, Mörder, welche ohne
die Aufmerksamkeit der Frau vielleicht heute noch unbekannt wären. Dabei muß ich noch bemerken,
daß die von mir aufbewahrte Wasserspitzmaus nicht die einzige war, welche jenen Brunnenkasten heim-

Benehmen. Paarung. Raubluſt.
welcher achtlos an einer Fluchtröhre vorüberhüpft, wird plötzlich an den Hinterbeinen gepackt und trotz
ſeines kläglichen Geſchreis in die Tiefe gezogen, wo er bald erliegen muß. Die Schmerlen und
Elleritzen werden in kleine Buchten getrieben und hier auf eigne Weiſe gefangen: die Waſſerſpitzmaus
trübt das Waſſer und bewacht den Eingang der Bucht; ſobald nun einer der kleinen Fiſche an ihr
vorüberſchwimmen will, fährt ſie auf denſelben zu und fängt ihn gewöhnlich: ſie fiſcht, wie das
Sprichwort ſagt, im Trüben. Aber nicht blos ſo kleine Thiere werden von der Waſſerſpitzmaus
angefallen und getödtet: ſie wagt ſich ſogar an Geſchöpfe, deren Gewicht das ihre um mehr als das
Sechzigfache übertrifft, ja man kann ſagen, daß es kein Naubthier weiter giebt, welches eine verhält-
nißmäßig ſo große Beute überfällt und umbringt.

„Vor einigen dreißig Jahren,‟ ſagt mein Vater, „wurden im Frühjahr im Heinſpitzerſee in
Eiſenberg mehrere Karpfen von zwei Pfund und darüber gefunden, denen die Augen und das Gehirn
ausgefreſſen war. Einigen von ihnen fehlte auch an dem Körper hier und da Fleiſch. Dieſe merk-
würdige Erſcheinung kam in einem Wochenblatte zur Sprache und veraulaßte einen heftigen Streit
zwiſchen zwei Gelehrten einer benachbarten Stadt, in welchem der eine behauptete, die Teichfröſche ſeien
es, welche ſich den Fiſchen auf den Kopf ſetzten, ihnen die Augen auskratzten und das Gehirn ausfräßen.
Dies wurde von Denen geglaubt, bei welchen der Froſch überhaupt in ſchlechtem Rufe ſteht, von
Solchen z. B., welche dem unſchuldigen Grasfroſch ſchuld geben, daß er den Flachs nicht nur verwirre,
ſondern ihn auch, ja ſelbſt Hafer fräße. Auch unſer alter ehrwürdiger Blumenbach wurde von den
genannten Gelehrten in den Streit gezogen, weil er in ſeiner Naturgeſchichte ſagt, die Fröſche fräßen
Fiſche und auch Vögel. Der Gegner vertheidigte die Teichfröſche mit Geſchick, allein ihr Ankläger
war nicht ſo leicht aus dem Sattel zu heben. Er brachte die getrockneten Kinnladen in einer Abbildung
zur Aufchanung und ſuchte aus ihnen die Gefährlichkeit der Teichfröſche zu beweiſen. Endlich wurde
auch ich erſucht, meine Stimme in dieſem Streite abzugeben. Jch zeigte, um die Unſchuld, den
guten Namen und die Ehre der Fröſche zu retten, die Unmöglichkeit des ihnen Schuld gegebenen Ver-
brechens, da es ihnen bekanntlich gänzlich an Mitteln gebricht, daſſelbe auszuführen. Man ſchien mir
Glauben zu ſchenken, doch blieb der Mörder der Karpfen unbekannt. Jch wußte nun zwar, daß die
Spitzmäuſe Fiſche fangen und auch Fiſchlaich begierig aufſuchen, hatte auch an den gefangenen Waſſer-
ſpitzmäuſen, welche ich eine Zeitlang lebend befaß, die mörderiſche Natur derſelben hinreichend kennen
gelernt; dennoch glaubte ich nicht, daß das kleine Thier ſo große Fiſche anfallen und tödten könne:
aber der Beweis wurde mir geliefert.‟

„Ein Bauergutsbeſitzer des hieſigen Kirchſpiels zog in ſeinem Teiche ſchöne Fiſche und hatte im
Herbſt 1829 in den Brunnenkaſten vor ſeinem Fenſtern, welcher wegen des zufließenden Quellwaſſers
niemals zufriert, mehrere Karpfen geſetzt, um ſie gelegentlich zu verſpeiſen. Der Januar 1830 brachte
eine Kälte von 22° und bedeckte faſt alle Bäche dick mit Eis; nur die „warmen Quellen‟ blieben frei.
Eines Tages fand der Beſitzer ſeines Brunnens zu ſeinem großen Verdruß in ſeinem Röhrtroge einen
todten Karpfen, welchem die Augen und das Gehirn ausgefreſſen waren. Nach wenigen Tagen hatte
er den Aerger, einen zweiten anzutreffen, der auf ähnliche Weiſe zu Grunde gerichtet worden war, und
ſo verlor er einen Fiſch nach dem andern. Endlich bemerkte ſeine Frau, daß gegen Abend eine ſchwarze
„Maus‟ an dem Kaſten hinaufkletterte, im Waſſer herumſchwamm, ſich einem Karpfen auf den Kopf
ſetzte und mit dem Vorderfüßen ſich feſtklammerte. Ehe die Frau im Stande war, das zugefrorene
Fenſter zu öffnen, um das Thier zu verſcheuchen, waren dem Fiſche die Augen ausgefreſſen. Endlich
war das Oeffnen des Fenſters gelungen, und die Maus wurde in die Flucht getrieben. Allein kaum
hatte ſie den Kaſten verlaſſen, ſo wurde ſie von einer vorüberſchleichenden Katze gefangen, dieſer wieder
abgenommen und mir überbracht. Es war unſere Waſſerſpitzmaus, und ſie wird heute noch von mir
ſorgfältig aufgehoben mit einem Zettel, auf welchem ihr Verbrechen augemerkt iſt. So waren denn
die fraglichen Mörder der Karpfen in dem Heinſpitzerſee entdeckt worden, Mörder, welche ohne
die Aufmerkſamkeit der Frau vielleicht heute noch unbekannt wären. Dabei muß ich noch bemerken,
daß die von mir aufbewahrte Waſſerſpitzmaus nicht die einzige war, welche jenen Brunnenkaſten heim-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <p><pb facs="#f0755" n="677"/><fw place="top" type="header">Benehmen. Paarung. Raublu&#x017F;t.</fw><lb/>
welcher achtlos an einer Fluchtröhre vorüberhüpft, wird plötzlich an den Hinterbeinen gepackt und trotz<lb/>
&#x017F;eines kläglichen Ge&#x017F;chreis in die Tiefe gezogen, wo er bald erliegen muß. Die <hi rendition="#g">Schmerlen</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Elleritzen</hi> werden in kleine Buchten getrieben und hier auf eigne Wei&#x017F;e gefangen: die Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;pitzmaus<lb/>
trübt das Wa&#x017F;&#x017F;er und bewacht den Eingang der Bucht; &#x017F;obald nun einer der kleinen Fi&#x017F;che an ihr<lb/>
vorüber&#x017F;chwimmen will, fährt &#x017F;ie auf den&#x017F;elben zu und fängt ihn gewöhnlich: &#x017F;ie fi&#x017F;cht, wie das<lb/>
Sprichwort &#x017F;agt, im Trüben. Aber nicht blos &#x017F;o kleine Thiere werden von der Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;pitzmaus<lb/>
angefallen und getödtet: &#x017F;ie wagt &#x017F;ich &#x017F;ogar an Ge&#x017F;chöpfe, deren Gewicht das ihre um mehr als das<lb/>
Sechzigfache übertrifft, ja man kann &#x017F;agen, daß es kein Naubthier weiter giebt, welches eine verhält-<lb/>
nißmäßig &#x017F;o große Beute überfällt und umbringt.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Vor einigen dreißig Jahren,&#x201F; &#x017F;agt mein Vater, &#x201E;wurden im Frühjahr im <hi rendition="#g">Hein&#x017F;pitzer&#x017F;ee</hi> in<lb/><hi rendition="#g">Ei&#x017F;enberg</hi> mehrere Karpfen von zwei Pfund und darüber gefunden, denen die Augen und das Gehirn<lb/>
ausgefre&#x017F;&#x017F;en war. Einigen von ihnen fehlte auch an dem Körper hier und da Flei&#x017F;ch. Die&#x017F;e merk-<lb/>
würdige Er&#x017F;cheinung kam in einem Wochenblatte zur Sprache und veraulaßte einen heftigen Streit<lb/>
zwi&#x017F;chen zwei Gelehrten einer benachbarten Stadt, in welchem der eine behauptete, die Teichfrö&#x017F;che &#x017F;eien<lb/>
es, welche &#x017F;ich den Fi&#x017F;chen auf den Kopf &#x017F;etzten, ihnen die Augen auskratzten und das Gehirn ausfräßen.<lb/>
Dies wurde von Denen geglaubt, bei welchen der Fro&#x017F;ch überhaupt in &#x017F;chlechtem Rufe &#x017F;teht, von<lb/>
Solchen z. B., welche dem un&#x017F;chuldigen Grasfro&#x017F;ch &#x017F;chuld geben, daß er den Flachs nicht nur verwirre,<lb/>
&#x017F;ondern ihn auch, ja &#x017F;elb&#x017F;t Hafer fräße. Auch un&#x017F;er alter ehrwürdiger <hi rendition="#g">Blumenbach</hi> wurde von den<lb/>
genannten Gelehrten in den Streit gezogen, weil er in &#x017F;einer Naturge&#x017F;chichte &#x017F;agt, die Frö&#x017F;che fräßen<lb/>
Fi&#x017F;che und auch Vögel. Der Gegner vertheidigte die Teichfrö&#x017F;che mit Ge&#x017F;chick, allein ihr Ankläger<lb/>
war nicht &#x017F;o leicht aus dem Sattel zu heben. Er brachte die getrockneten Kinnladen in einer Abbildung<lb/>
zur Aufchanung und &#x017F;uchte aus ihnen die Gefährlichkeit der Teichfrö&#x017F;che zu bewei&#x017F;en. Endlich wurde<lb/>
auch ich er&#x017F;ucht, meine Stimme in die&#x017F;em Streite abzugeben. Jch zeigte, um die Un&#x017F;chuld, den<lb/>
guten Namen und die Ehre der Frö&#x017F;che zu retten, die Unmöglichkeit des ihnen Schuld gegebenen Ver-<lb/>
brechens, da es ihnen bekanntlich gänzlich an Mitteln gebricht, da&#x017F;&#x017F;elbe auszuführen. Man &#x017F;chien mir<lb/>
Glauben zu &#x017F;chenken, doch blieb der Mörder der Karpfen unbekannt. Jch wußte nun zwar, daß die<lb/>
Spitzmäu&#x017F;e Fi&#x017F;che fangen und auch Fi&#x017F;chlaich begierig auf&#x017F;uchen, hatte auch an den gefangenen Wa&#x017F;&#x017F;er-<lb/>
&#x017F;pitzmäu&#x017F;en, welche ich eine Zeitlang lebend befaß, die mörderi&#x017F;che Natur der&#x017F;elben hinreichend kennen<lb/>
gelernt; dennoch glaubte ich nicht, daß das kleine Thier &#x017F;o große Fi&#x017F;che anfallen und tödten könne:<lb/>
aber der Beweis wurde mir geliefert.&#x201F;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ein Bauergutsbe&#x017F;itzer des hie&#x017F;igen Kirch&#x017F;piels zog in &#x017F;einem Teiche &#x017F;chöne Fi&#x017F;che und hatte im<lb/>
Herb&#x017F;t 1829 in den Brunnenka&#x017F;ten vor &#x017F;einem Fen&#x017F;tern, welcher wegen des zufließenden Quellwa&#x017F;&#x017F;ers<lb/>
niemals zufriert, mehrere Karpfen ge&#x017F;etzt, um &#x017F;ie gelegentlich zu ver&#x017F;pei&#x017F;en. Der Januar 1830 brachte<lb/>
eine Kälte von 22° und bedeckte fa&#x017F;t alle Bäche dick mit Eis; nur die &#x201E;warmen Quellen&#x201F; blieben frei.<lb/>
Eines Tages fand der Be&#x017F;itzer &#x017F;eines Brunnens zu &#x017F;einem großen Verdruß in &#x017F;einem Röhrtroge einen<lb/>
todten Karpfen, welchem die Augen und das Gehirn ausgefre&#x017F;&#x017F;en waren. Nach wenigen Tagen hatte<lb/>
er den Aerger, einen zweiten anzutreffen, der auf ähnliche Wei&#x017F;e zu Grunde gerichtet worden war, und<lb/>
&#x017F;o verlor er einen Fi&#x017F;ch nach dem andern. Endlich bemerkte &#x017F;eine Frau, daß gegen Abend eine &#x017F;chwarze<lb/>
&#x201E;Maus&#x201F; an dem Ka&#x017F;ten hinaufkletterte, im Wa&#x017F;&#x017F;er herum&#x017F;chwamm, &#x017F;ich einem Karpfen auf den Kopf<lb/>
&#x017F;etzte und mit dem Vorderfüßen &#x017F;ich fe&#x017F;tklammerte. Ehe die Frau im Stande war, das zugefrorene<lb/>
Fen&#x017F;ter zu öffnen, um das Thier zu ver&#x017F;cheuchen, waren dem Fi&#x017F;che die Augen ausgefre&#x017F;&#x017F;en. Endlich<lb/>
war das Oeffnen des Fen&#x017F;ters gelungen, und die Maus wurde in die Flucht getrieben. Allein kaum<lb/>
hatte &#x017F;ie den Ka&#x017F;ten verla&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o wurde &#x017F;ie von einer vorüber&#x017F;chleichenden Katze gefangen, die&#x017F;er wieder<lb/>
abgenommen und mir überbracht. Es war un&#x017F;ere Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;pitzmaus, und &#x017F;ie wird heute noch von mir<lb/>
&#x017F;orgfältig aufgehoben mit einem Zettel, auf welchem ihr Verbrechen augemerkt i&#x017F;t. So waren denn<lb/>
die fraglichen Mörder der Karpfen in dem Hein&#x017F;pitzer&#x017F;ee entdeckt worden, Mörder, welche ohne<lb/>
die Aufmerk&#x017F;amkeit der Frau vielleicht heute noch unbekannt wären. Dabei muß ich noch bemerken,<lb/>
daß die von mir aufbewahrte Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;pitzmaus nicht die einzige war, welche jenen Brunnenka&#x017F;ten heim-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[677/0755] Benehmen. Paarung. Raubluſt. welcher achtlos an einer Fluchtröhre vorüberhüpft, wird plötzlich an den Hinterbeinen gepackt und trotz ſeines kläglichen Geſchreis in die Tiefe gezogen, wo er bald erliegen muß. Die Schmerlen und Elleritzen werden in kleine Buchten getrieben und hier auf eigne Weiſe gefangen: die Waſſerſpitzmaus trübt das Waſſer und bewacht den Eingang der Bucht; ſobald nun einer der kleinen Fiſche an ihr vorüberſchwimmen will, fährt ſie auf denſelben zu und fängt ihn gewöhnlich: ſie fiſcht, wie das Sprichwort ſagt, im Trüben. Aber nicht blos ſo kleine Thiere werden von der Waſſerſpitzmaus angefallen und getödtet: ſie wagt ſich ſogar an Geſchöpfe, deren Gewicht das ihre um mehr als das Sechzigfache übertrifft, ja man kann ſagen, daß es kein Naubthier weiter giebt, welches eine verhält- nißmäßig ſo große Beute überfällt und umbringt. „Vor einigen dreißig Jahren,‟ ſagt mein Vater, „wurden im Frühjahr im Heinſpitzerſee in Eiſenberg mehrere Karpfen von zwei Pfund und darüber gefunden, denen die Augen und das Gehirn ausgefreſſen war. Einigen von ihnen fehlte auch an dem Körper hier und da Fleiſch. Dieſe merk- würdige Erſcheinung kam in einem Wochenblatte zur Sprache und veraulaßte einen heftigen Streit zwiſchen zwei Gelehrten einer benachbarten Stadt, in welchem der eine behauptete, die Teichfröſche ſeien es, welche ſich den Fiſchen auf den Kopf ſetzten, ihnen die Augen auskratzten und das Gehirn ausfräßen. Dies wurde von Denen geglaubt, bei welchen der Froſch überhaupt in ſchlechtem Rufe ſteht, von Solchen z. B., welche dem unſchuldigen Grasfroſch ſchuld geben, daß er den Flachs nicht nur verwirre, ſondern ihn auch, ja ſelbſt Hafer fräße. Auch unſer alter ehrwürdiger Blumenbach wurde von den genannten Gelehrten in den Streit gezogen, weil er in ſeiner Naturgeſchichte ſagt, die Fröſche fräßen Fiſche und auch Vögel. Der Gegner vertheidigte die Teichfröſche mit Geſchick, allein ihr Ankläger war nicht ſo leicht aus dem Sattel zu heben. Er brachte die getrockneten Kinnladen in einer Abbildung zur Aufchanung und ſuchte aus ihnen die Gefährlichkeit der Teichfröſche zu beweiſen. Endlich wurde auch ich erſucht, meine Stimme in dieſem Streite abzugeben. Jch zeigte, um die Unſchuld, den guten Namen und die Ehre der Fröſche zu retten, die Unmöglichkeit des ihnen Schuld gegebenen Ver- brechens, da es ihnen bekanntlich gänzlich an Mitteln gebricht, daſſelbe auszuführen. Man ſchien mir Glauben zu ſchenken, doch blieb der Mörder der Karpfen unbekannt. Jch wußte nun zwar, daß die Spitzmäuſe Fiſche fangen und auch Fiſchlaich begierig aufſuchen, hatte auch an den gefangenen Waſſer- ſpitzmäuſen, welche ich eine Zeitlang lebend befaß, die mörderiſche Natur derſelben hinreichend kennen gelernt; dennoch glaubte ich nicht, daß das kleine Thier ſo große Fiſche anfallen und tödten könne: aber der Beweis wurde mir geliefert.‟ „Ein Bauergutsbeſitzer des hieſigen Kirchſpiels zog in ſeinem Teiche ſchöne Fiſche und hatte im Herbſt 1829 in den Brunnenkaſten vor ſeinem Fenſtern, welcher wegen des zufließenden Quellwaſſers niemals zufriert, mehrere Karpfen geſetzt, um ſie gelegentlich zu verſpeiſen. Der Januar 1830 brachte eine Kälte von 22° und bedeckte faſt alle Bäche dick mit Eis; nur die „warmen Quellen‟ blieben frei. Eines Tages fand der Beſitzer ſeines Brunnens zu ſeinem großen Verdruß in ſeinem Röhrtroge einen todten Karpfen, welchem die Augen und das Gehirn ausgefreſſen waren. Nach wenigen Tagen hatte er den Aerger, einen zweiten anzutreffen, der auf ähnliche Weiſe zu Grunde gerichtet worden war, und ſo verlor er einen Fiſch nach dem andern. Endlich bemerkte ſeine Frau, daß gegen Abend eine ſchwarze „Maus‟ an dem Kaſten hinaufkletterte, im Waſſer herumſchwamm, ſich einem Karpfen auf den Kopf ſetzte und mit dem Vorderfüßen ſich feſtklammerte. Ehe die Frau im Stande war, das zugefrorene Fenſter zu öffnen, um das Thier zu verſcheuchen, waren dem Fiſche die Augen ausgefreſſen. Endlich war das Oeffnen des Fenſters gelungen, und die Maus wurde in die Flucht getrieben. Allein kaum hatte ſie den Kaſten verlaſſen, ſo wurde ſie von einer vorüberſchleichenden Katze gefangen, dieſer wieder abgenommen und mir überbracht. Es war unſere Waſſerſpitzmaus, und ſie wird heute noch von mir ſorgfältig aufgehoben mit einem Zettel, auf welchem ihr Verbrechen augemerkt iſt. So waren denn die fraglichen Mörder der Karpfen in dem Heinſpitzerſee entdeckt worden, Mörder, welche ohne die Aufmerkſamkeit der Frau vielleicht heute noch unbekannt wären. Dabei muß ich noch bemerken, daß die von mir aufbewahrte Waſſerſpitzmaus nicht die einzige war, welche jenen Brunnenkaſten heim-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/755
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 677. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/755>, abgerufen am 03.05.2024.