welcher achtlos an einer Fluchtröhre vorüberhüpft, wird plötzlich an den Hinterbeinen gepackt und trotz seines kläglichen Geschreis in die Tiefe gezogen, wo er bald erliegen muß. Die Schmerlen und Elleritzen werden in kleine Buchten getrieben und hier auf eigne Weise gefangen: die Wasserspitzmaus trübt das Wasser und bewacht den Eingang der Bucht; sobald nun einer der kleinen Fische an ihr vorüberschwimmen will, fährt sie auf denselben zu und fängt ihn gewöhnlich: sie fischt, wie das Sprichwort sagt, im Trüben. Aber nicht blos so kleine Thiere werden von der Wasserspitzmaus angefallen und getödtet: sie wagt sich sogar an Geschöpfe, deren Gewicht das ihre um mehr als das Sechzigfache übertrifft, ja man kann sagen, daß es kein Naubthier weiter giebt, welches eine verhält- nißmäßig so große Beute überfällt und umbringt.
"Vor einigen dreißig Jahren," sagt mein Vater, "wurden im Frühjahr im Heinspitzersee in Eisenberg mehrere Karpfen von zwei Pfund und darüber gefunden, denen die Augen und das Gehirn ausgefressen war. Einigen von ihnen fehlte auch an dem Körper hier und da Fleisch. Diese merk- würdige Erscheinung kam in einem Wochenblatte zur Sprache und veraulaßte einen heftigen Streit zwischen zwei Gelehrten einer benachbarten Stadt, in welchem der eine behauptete, die Teichfrösche seien es, welche sich den Fischen auf den Kopf setzten, ihnen die Augen auskratzten und das Gehirn ausfräßen. Dies wurde von Denen geglaubt, bei welchen der Frosch überhaupt in schlechtem Rufe steht, von Solchen z. B., welche dem unschuldigen Grasfrosch schuld geben, daß er den Flachs nicht nur verwirre, sondern ihn auch, ja selbst Hafer fräße. Auch unser alter ehrwürdiger Blumenbach wurde von den genannten Gelehrten in den Streit gezogen, weil er in seiner Naturgeschichte sagt, die Frösche fräßen Fische und auch Vögel. Der Gegner vertheidigte die Teichfrösche mit Geschick, allein ihr Ankläger war nicht so leicht aus dem Sattel zu heben. Er brachte die getrockneten Kinnladen in einer Abbildung zur Aufchanung und suchte aus ihnen die Gefährlichkeit der Teichfrösche zu beweisen. Endlich wurde auch ich ersucht, meine Stimme in diesem Streite abzugeben. Jch zeigte, um die Unschuld, den guten Namen und die Ehre der Frösche zu retten, die Unmöglichkeit des ihnen Schuld gegebenen Ver- brechens, da es ihnen bekanntlich gänzlich an Mitteln gebricht, dasselbe auszuführen. Man schien mir Glauben zu schenken, doch blieb der Mörder der Karpfen unbekannt. Jch wußte nun zwar, daß die Spitzmäuse Fische fangen und auch Fischlaich begierig aufsuchen, hatte auch an den gefangenen Wasser- spitzmäusen, welche ich eine Zeitlang lebend befaß, die mörderische Natur derselben hinreichend kennen gelernt; dennoch glaubte ich nicht, daß das kleine Thier so große Fische anfallen und tödten könne: aber der Beweis wurde mir geliefert."
"Ein Bauergutsbesitzer des hiesigen Kirchspiels zog in seinem Teiche schöne Fische und hatte im Herbst 1829 in den Brunnenkasten vor seinem Fenstern, welcher wegen des zufließenden Quellwassers niemals zufriert, mehrere Karpfen gesetzt, um sie gelegentlich zu verspeisen. Der Januar 1830 brachte eine Kälte von 22° und bedeckte fast alle Bäche dick mit Eis; nur die "warmen Quellen" blieben frei. Eines Tages fand der Besitzer seines Brunnens zu seinem großen Verdruß in seinem Röhrtroge einen todten Karpfen, welchem die Augen und das Gehirn ausgefressen waren. Nach wenigen Tagen hatte er den Aerger, einen zweiten anzutreffen, der auf ähnliche Weise zu Grunde gerichtet worden war, und so verlor er einen Fisch nach dem andern. Endlich bemerkte seine Frau, daß gegen Abend eine schwarze "Maus" an dem Kasten hinaufkletterte, im Wasser herumschwamm, sich einem Karpfen auf den Kopf setzte und mit dem Vorderfüßen sich festklammerte. Ehe die Frau im Stande war, das zugefrorene Fenster zu öffnen, um das Thier zu verscheuchen, waren dem Fische die Augen ausgefressen. Endlich war das Oeffnen des Fensters gelungen, und die Maus wurde in die Flucht getrieben. Allein kaum hatte sie den Kasten verlassen, so wurde sie von einer vorüberschleichenden Katze gefangen, dieser wieder abgenommen und mir überbracht. Es war unsere Wasserspitzmaus, und sie wird heute noch von mir sorgfältig aufgehoben mit einem Zettel, auf welchem ihr Verbrechen augemerkt ist. So waren denn die fraglichen Mörder der Karpfen in dem Heinspitzersee entdeckt worden, Mörder, welche ohne die Aufmerksamkeit der Frau vielleicht heute noch unbekannt wären. Dabei muß ich noch bemerken, daß die von mir aufbewahrte Wasserspitzmaus nicht die einzige war, welche jenen Brunnenkasten heim-
Benehmen. Paarung. Raubluſt.
welcher achtlos an einer Fluchtröhre vorüberhüpft, wird plötzlich an den Hinterbeinen gepackt und trotz ſeines kläglichen Geſchreis in die Tiefe gezogen, wo er bald erliegen muß. Die Schmerlen und Elleritzen werden in kleine Buchten getrieben und hier auf eigne Weiſe gefangen: die Waſſerſpitzmaus trübt das Waſſer und bewacht den Eingang der Bucht; ſobald nun einer der kleinen Fiſche an ihr vorüberſchwimmen will, fährt ſie auf denſelben zu und fängt ihn gewöhnlich: ſie fiſcht, wie das Sprichwort ſagt, im Trüben. Aber nicht blos ſo kleine Thiere werden von der Waſſerſpitzmaus angefallen und getödtet: ſie wagt ſich ſogar an Geſchöpfe, deren Gewicht das ihre um mehr als das Sechzigfache übertrifft, ja man kann ſagen, daß es kein Naubthier weiter giebt, welches eine verhält- nißmäßig ſo große Beute überfällt und umbringt.
„Vor einigen dreißig Jahren,‟ ſagt mein Vater, „wurden im Frühjahr im Heinſpitzerſee in Eiſenberg mehrere Karpfen von zwei Pfund und darüber gefunden, denen die Augen und das Gehirn ausgefreſſen war. Einigen von ihnen fehlte auch an dem Körper hier und da Fleiſch. Dieſe merk- würdige Erſcheinung kam in einem Wochenblatte zur Sprache und veraulaßte einen heftigen Streit zwiſchen zwei Gelehrten einer benachbarten Stadt, in welchem der eine behauptete, die Teichfröſche ſeien es, welche ſich den Fiſchen auf den Kopf ſetzten, ihnen die Augen auskratzten und das Gehirn ausfräßen. Dies wurde von Denen geglaubt, bei welchen der Froſch überhaupt in ſchlechtem Rufe ſteht, von Solchen z. B., welche dem unſchuldigen Grasfroſch ſchuld geben, daß er den Flachs nicht nur verwirre, ſondern ihn auch, ja ſelbſt Hafer fräße. Auch unſer alter ehrwürdiger Blumenbach wurde von den genannten Gelehrten in den Streit gezogen, weil er in ſeiner Naturgeſchichte ſagt, die Fröſche fräßen Fiſche und auch Vögel. Der Gegner vertheidigte die Teichfröſche mit Geſchick, allein ihr Ankläger war nicht ſo leicht aus dem Sattel zu heben. Er brachte die getrockneten Kinnladen in einer Abbildung zur Aufchanung und ſuchte aus ihnen die Gefährlichkeit der Teichfröſche zu beweiſen. Endlich wurde auch ich erſucht, meine Stimme in dieſem Streite abzugeben. Jch zeigte, um die Unſchuld, den guten Namen und die Ehre der Fröſche zu retten, die Unmöglichkeit des ihnen Schuld gegebenen Ver- brechens, da es ihnen bekanntlich gänzlich an Mitteln gebricht, daſſelbe auszuführen. Man ſchien mir Glauben zu ſchenken, doch blieb der Mörder der Karpfen unbekannt. Jch wußte nun zwar, daß die Spitzmäuſe Fiſche fangen und auch Fiſchlaich begierig aufſuchen, hatte auch an den gefangenen Waſſer- ſpitzmäuſen, welche ich eine Zeitlang lebend befaß, die mörderiſche Natur derſelben hinreichend kennen gelernt; dennoch glaubte ich nicht, daß das kleine Thier ſo große Fiſche anfallen und tödten könne: aber der Beweis wurde mir geliefert.‟
„Ein Bauergutsbeſitzer des hieſigen Kirchſpiels zog in ſeinem Teiche ſchöne Fiſche und hatte im Herbſt 1829 in den Brunnenkaſten vor ſeinem Fenſtern, welcher wegen des zufließenden Quellwaſſers niemals zufriert, mehrere Karpfen geſetzt, um ſie gelegentlich zu verſpeiſen. Der Januar 1830 brachte eine Kälte von 22° und bedeckte faſt alle Bäche dick mit Eis; nur die „warmen Quellen‟ blieben frei. Eines Tages fand der Beſitzer ſeines Brunnens zu ſeinem großen Verdruß in ſeinem Röhrtroge einen todten Karpfen, welchem die Augen und das Gehirn ausgefreſſen waren. Nach wenigen Tagen hatte er den Aerger, einen zweiten anzutreffen, der auf ähnliche Weiſe zu Grunde gerichtet worden war, und ſo verlor er einen Fiſch nach dem andern. Endlich bemerkte ſeine Frau, daß gegen Abend eine ſchwarze „Maus‟ an dem Kaſten hinaufkletterte, im Waſſer herumſchwamm, ſich einem Karpfen auf den Kopf ſetzte und mit dem Vorderfüßen ſich feſtklammerte. Ehe die Frau im Stande war, das zugefrorene Fenſter zu öffnen, um das Thier zu verſcheuchen, waren dem Fiſche die Augen ausgefreſſen. Endlich war das Oeffnen des Fenſters gelungen, und die Maus wurde in die Flucht getrieben. Allein kaum hatte ſie den Kaſten verlaſſen, ſo wurde ſie von einer vorüberſchleichenden Katze gefangen, dieſer wieder abgenommen und mir überbracht. Es war unſere Waſſerſpitzmaus, und ſie wird heute noch von mir ſorgfältig aufgehoben mit einem Zettel, auf welchem ihr Verbrechen augemerkt iſt. So waren denn die fraglichen Mörder der Karpfen in dem Heinſpitzerſee entdeckt worden, Mörder, welche ohne die Aufmerkſamkeit der Frau vielleicht heute noch unbekannt wären. Dabei muß ich noch bemerken, daß die von mir aufbewahrte Waſſerſpitzmaus nicht die einzige war, welche jenen Brunnenkaſten heim-
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Benehmen. Paarung. Raubluſt.
welcher achtlos an einer Fluchtröhre vorüberhüpft, wird plötzlich an den Hinterbeinen gepackt und trotz
ſeines kläglichen Geſchreis in die Tiefe gezogen, wo er bald erliegen muß. Die Schmerlen und
Elleritzen werden in kleine Buchten getrieben und hier auf eigne Weiſe gefangen: die Waſſerſpitzmaus
trübt das Waſſer und bewacht den Eingang der Bucht; ſobald nun einer der kleinen Fiſche an ihr
vorüberſchwimmen will, fährt ſie auf denſelben zu und fängt ihn gewöhnlich: ſie fiſcht, wie das
Sprichwort ſagt, im Trüben. Aber nicht blos ſo kleine Thiere werden von der Waſſerſpitzmaus
angefallen und getödtet: ſie wagt ſich ſogar an Geſchöpfe, deren Gewicht das ihre um mehr als das
Sechzigfache übertrifft, ja man kann ſagen, daß es kein Naubthier weiter giebt, welches eine verhält-
nißmäßig ſo große Beute überfällt und umbringt.
„Vor einigen dreißig Jahren,‟ ſagt mein Vater, „wurden im Frühjahr im Heinſpitzerſee in
Eiſenberg mehrere Karpfen von zwei Pfund und darüber gefunden, denen die Augen und das Gehirn
ausgefreſſen war. Einigen von ihnen fehlte auch an dem Körper hier und da Fleiſch. Dieſe merk-
würdige Erſcheinung kam in einem Wochenblatte zur Sprache und veraulaßte einen heftigen Streit
zwiſchen zwei Gelehrten einer benachbarten Stadt, in welchem der eine behauptete, die Teichfröſche ſeien
es, welche ſich den Fiſchen auf den Kopf ſetzten, ihnen die Augen auskratzten und das Gehirn ausfräßen.
Dies wurde von Denen geglaubt, bei welchen der Froſch überhaupt in ſchlechtem Rufe ſteht, von
Solchen z. B., welche dem unſchuldigen Grasfroſch ſchuld geben, daß er den Flachs nicht nur verwirre,
ſondern ihn auch, ja ſelbſt Hafer fräße. Auch unſer alter ehrwürdiger Blumenbach wurde von den
genannten Gelehrten in den Streit gezogen, weil er in ſeiner Naturgeſchichte ſagt, die Fröſche fräßen
Fiſche und auch Vögel. Der Gegner vertheidigte die Teichfröſche mit Geſchick, allein ihr Ankläger
war nicht ſo leicht aus dem Sattel zu heben. Er brachte die getrockneten Kinnladen in einer Abbildung
zur Aufchanung und ſuchte aus ihnen die Gefährlichkeit der Teichfröſche zu beweiſen. Endlich wurde
auch ich erſucht, meine Stimme in dieſem Streite abzugeben. Jch zeigte, um die Unſchuld, den
guten Namen und die Ehre der Fröſche zu retten, die Unmöglichkeit des ihnen Schuld gegebenen Ver-
brechens, da es ihnen bekanntlich gänzlich an Mitteln gebricht, daſſelbe auszuführen. Man ſchien mir
Glauben zu ſchenken, doch blieb der Mörder der Karpfen unbekannt. Jch wußte nun zwar, daß die
Spitzmäuſe Fiſche fangen und auch Fiſchlaich begierig aufſuchen, hatte auch an den gefangenen Waſſer-
ſpitzmäuſen, welche ich eine Zeitlang lebend befaß, die mörderiſche Natur derſelben hinreichend kennen
gelernt; dennoch glaubte ich nicht, daß das kleine Thier ſo große Fiſche anfallen und tödten könne:
aber der Beweis wurde mir geliefert.‟
„Ein Bauergutsbeſitzer des hieſigen Kirchſpiels zog in ſeinem Teiche ſchöne Fiſche und hatte im
Herbſt 1829 in den Brunnenkaſten vor ſeinem Fenſtern, welcher wegen des zufließenden Quellwaſſers
niemals zufriert, mehrere Karpfen geſetzt, um ſie gelegentlich zu verſpeiſen. Der Januar 1830 brachte
eine Kälte von 22° und bedeckte faſt alle Bäche dick mit Eis; nur die „warmen Quellen‟ blieben frei.
Eines Tages fand der Beſitzer ſeines Brunnens zu ſeinem großen Verdruß in ſeinem Röhrtroge einen
todten Karpfen, welchem die Augen und das Gehirn ausgefreſſen waren. Nach wenigen Tagen hatte
er den Aerger, einen zweiten anzutreffen, der auf ähnliche Weiſe zu Grunde gerichtet worden war, und
ſo verlor er einen Fiſch nach dem andern. Endlich bemerkte ſeine Frau, daß gegen Abend eine ſchwarze
„Maus‟ an dem Kaſten hinaufkletterte, im Waſſer herumſchwamm, ſich einem Karpfen auf den Kopf
ſetzte und mit dem Vorderfüßen ſich feſtklammerte. Ehe die Frau im Stande war, das zugefrorene
Fenſter zu öffnen, um das Thier zu verſcheuchen, waren dem Fiſche die Augen ausgefreſſen. Endlich
war das Oeffnen des Fenſters gelungen, und die Maus wurde in die Flucht getrieben. Allein kaum
hatte ſie den Kaſten verlaſſen, ſo wurde ſie von einer vorüberſchleichenden Katze gefangen, dieſer wieder
abgenommen und mir überbracht. Es war unſere Waſſerſpitzmaus, und ſie wird heute noch von mir
ſorgfältig aufgehoben mit einem Zettel, auf welchem ihr Verbrechen augemerkt iſt. So waren denn
die fraglichen Mörder der Karpfen in dem Heinſpitzerſee entdeckt worden, Mörder, welche ohne
die Aufmerkſamkeit der Frau vielleicht heute noch unbekannt wären. Dabei muß ich noch bemerken,
daß die von mir aufbewahrte Waſſerſpitzmaus nicht die einzige war, welche jenen Brunnenkaſten heim-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 677. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/755>, abgerufen am 24.11.2024.
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