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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Spitzmäuse. -- Gemeine Spitzmaus. Wimperspitzmaus.
kommen. Nicht einmal die verschiedenen Geschlechter leben im Frieden mit einander, außer zur
Paarungszeit. Während des übrigen Jahres frißt eine Spitzmaus die andere auf, sobald sie sie über-
wältigen kann. Oft sieht man zwei von ihnen in einen so wüthenden Kampf verwickelt, daß man sie
mit den Händen greifen kann; sie bilden einen förmlichen Knäuel und rollen nun über den Boden
dahin, fest in einander verbissen und mit einer Wuth an einander hängend, welche des unfläthigsten
Bulldoggen würdig wäre. Ein wahres Glück ist es, daß die Spitzmäuse nicht Löwengröße haben, sie
würden die ganze Erde entvölkern und schließlich verhungern müssen. -- Nur höchst selten trifft man
größere Gesellschaften von Spitzmäusen an, zwischen denen Frieden herrscht oder zu herrschen scheint.
Cartrey hörte einmal in trockenem Laube ein ununterbrochenes Rascheln und Lärmen und entdeckte
eine zahlreiche Menge unserer Thiere, seiner Schätzung nach etwa 100 bis 150 Stück, welche unter
einander zu spielen schienen und unter beständigem Zirpen und Quiken hin- und herrannten: -- eine
ähnliche Beobachtung ist mir aber nicht bekannt worden. Der Berichterstatter glaubt, daß es sich bei
jener Zusammenkunft um eine großartige Freierei gehandelt habe.

Die trächtige Spitzmans baut sich ein Nest aus Mos, Gras, Laub und Pflanzenstengeln, am
liebsten im Mauerwerk oder unter hohlen Baumwurzeln, versieht es mit mehreren Seitengängen,
füttert es weich aus und wirft hier zwischen Mai und Juli 5 bis 10 Junge, welche nackt und mit ge-
schlossenen Augen und Ohren geboren werden. Anfänglich säugt die Alte die Jungen mit vieler Zärt-
lichkeit, bald aber erkaltet ihre Liebe, und die Jungen machen sich nun auf, um sich selbstständig ihre
Nahrung zu erwerben. Dabei schwinden, wie bemerkt, alle geschwisterlichen Rücksichten; denn jede
Spitzmaus versteht schon in der Jugend unter Nahrung nichts Anderes, als alles Fleisch, welches sie
erbeuten kann, und sei es der Leichnam ihres Geschwisters.

Es ist merkwürdig, daß die Spitzmäuse nur von wenigen Thieren gefressen werden. Die Katzen
tödten sie wahrscheinlich, weil sie sie anfangs für eine Maus halten; sie beißen sie aber nur todt, ohne
sie jemals zu fressen. Auch die Marderarten scheinen sie zu verschmähen. Blos einige Raubvögel,
der Storch sowie die Kreuzotter verschlingen sie ohne Umstände und mit Behagen. Jedenfalls hat
die Abneigung der geruchsbegabteren Säugethiere ihren Grund in dem Widerwillen, welchen ihnen
die Ausdünstung der Spitzmäuse einflößt. Alle echten Spitzmäuse haben wenigstens einen Antheil des
starken moschusartigen Geruchs, welchen wir bei der vorhergehenden Art kennen lernten. Dieser
Geruch wird durch zwei Absonderungsdrüsen hervorgebracht, welche sich an den Seiten des Leibes und
zwar näher an den Vorder- als an den Hinterbeinen finden, und theilt sich allen Gegenständen, welche
die Maus berührt, augenblicklich mit.

Es ist möglich, daß der Aberglaube, unter welchem die Spitzmäuse in manchen Gegenden Europas
zu leiden haben, in diesem Geruch mit begründet ist. Jn England giebt es Gegenden, in welchen das
harmlose Thier fast noch mehr gefürchtet wird, als die tückische Viper. Jedermann sieht ein, daß das
kleine Geschöpf dem Menschen mit seinen feinen, dünnen Zähnen nicht das Geringste zu Leide thun
kann; und dennoch schreibt man dem Bisse der Spitzmaus die giftigsten Eigenschaften zu. Ja das
blose Berühren von einer Spitzmaus wurde als ein sicherer Vorbote irgend welchen Uebels gedeutet,
und Thier oder Mensch, welche "Spitzmaus-geschlagen" waren, mußten, nach allgemein giltiger
Meinung aller alten Waschweiber in Frauen- oder Männertracht, nothwendigerweise demnächst
erkranken, falls sie nicht ein eigenthümliches Mittel schleunigst anwandten, ein Mittel, ganz nach
homöopathischen Grundsätzen erdacht und demnach allerdings geeignet, gedankenlosen oder geistesarmen
Menschen zu gefallen. Dieses Heilmittel, welches allein gegen die Spitzmauskrankheit helfen konnte,
bestand in den Zweigen einer "Spitzmausesche," welche durch ein sehr einfaches Verfahren zu dem
heilkräftigen Baume gestempelt worden war. Eine lebendige Spitzmaus wurde gefangen und mit
Siegesjubel zu der Esche gebracht, welcher die Ehre zu Theil werden sollte, das hochgeistige Menschen-
geschlecht vor den Schlingen des Satans in Gestalt dieses kleinen Raubthieres zu schützen. Man
bohrte ein großes Loch in den Stamm der Esche, ließ die Spitzmaus dahinein kriechen und verschloß
das Loch durch einen festen Pfropfen. So kurze Zeit nun auch das Leben des menschlichem Blödsinn

Die Raubthiere. Spitzmäuſe. — Gemeine Spitzmaus. Wimperſpitzmaus.
kommen. Nicht einmal die verſchiedenen Geſchlechter leben im Frieden mit einander, außer zur
Paarungszeit. Während des übrigen Jahres frißt eine Spitzmaus die andere auf, ſobald ſie ſie über-
wältigen kann. Oft ſieht man zwei von ihnen in einen ſo wüthenden Kampf verwickelt, daß man ſie
mit den Händen greifen kann; ſie bilden einen förmlichen Knäuel und rollen nun über den Boden
dahin, feſt in einander verbiſſen und mit einer Wuth an einander hängend, welche des unfläthigſten
Bulldoggen würdig wäre. Ein wahres Glück iſt es, daß die Spitzmäuſe nicht Löwengröße haben, ſie
würden die ganze Erde entvölkern und ſchließlich verhungern müſſen. — Nur höchſt ſelten trifft man
größere Geſellſchaften von Spitzmäuſen an, zwiſchen denen Frieden herrſcht oder zu herrſchen ſcheint.
Cartrey hörte einmal in trockenem Laube ein ununterbrochenes Raſcheln und Lärmen und entdeckte
eine zahlreiche Menge unſerer Thiere, ſeiner Schätzung nach etwa 100 bis 150 Stück, welche unter
einander zu ſpielen ſchienen und unter beſtändigem Zirpen und Quiken hin- und herrannten: — eine
ähnliche Beobachtung iſt mir aber nicht bekannt worden. Der Berichterſtatter glaubt, daß es ſich bei
jener Zuſammenkunft um eine großartige Freierei gehandelt habe.

Die trächtige Spitzmans baut ſich ein Neſt aus Mos, Gras, Laub und Pflanzenſtengeln, am
liebſten im Mauerwerk oder unter hohlen Baumwurzeln, verſieht es mit mehreren Seitengängen,
füttert es weich aus und wirft hier zwiſchen Mai und Juli 5 bis 10 Junge, welche nackt und mit ge-
ſchloſſenen Augen und Ohren geboren werden. Anfänglich ſäugt die Alte die Jungen mit vieler Zärt-
lichkeit, bald aber erkaltet ihre Liebe, und die Jungen machen ſich nun auf, um ſich ſelbſtſtändig ihre
Nahrung zu erwerben. Dabei ſchwinden, wie bemerkt, alle geſchwiſterlichen Rückſichten; denn jede
Spitzmaus verſteht ſchon in der Jugend unter Nahrung nichts Anderes, als alles Fleiſch, welches ſie
erbeuten kann, und ſei es der Leichnam ihres Geſchwiſters.

Es iſt merkwürdig, daß die Spitzmäuſe nur von wenigen Thieren gefreſſen werden. Die Katzen
tödten ſie wahrſcheinlich, weil ſie ſie anfangs für eine Maus halten; ſie beißen ſie aber nur todt, ohne
ſie jemals zu freſſen. Auch die Marderarten ſcheinen ſie zu verſchmähen. Blos einige Raubvögel,
der Storch ſowie die Kreuzotter verſchlingen ſie ohne Umſtände und mit Behagen. Jedenfalls hat
die Abneigung der geruchsbegabteren Säugethiere ihren Grund in dem Widerwillen, welchen ihnen
die Ausdünſtung der Spitzmäuſe einflößt. Alle echten Spitzmäuſe haben wenigſtens einen Antheil des
ſtarken moſchusartigen Geruchs, welchen wir bei der vorhergehenden Art kennen lernten. Dieſer
Geruch wird durch zwei Abſonderungsdrüſen hervorgebracht, welche ſich an den Seiten des Leibes und
zwar näher an den Vorder- als an den Hinterbeinen finden, und theilt ſich allen Gegenſtänden, welche
die Maus berührt, augenblicklich mit.

Es iſt möglich, daß der Aberglaube, unter welchem die Spitzmäuſe in manchen Gegenden Europas
zu leiden haben, in dieſem Geruch mit begründet iſt. Jn England giebt es Gegenden, in welchen das
harmloſe Thier faſt noch mehr gefürchtet wird, als die tückiſche Viper. Jedermann ſieht ein, daß das
kleine Geſchöpf dem Menſchen mit ſeinen feinen, dünnen Zähnen nicht das Geringſte zu Leide thun
kann; und dennoch ſchreibt man dem Biſſe der Spitzmaus die giftigſten Eigenſchaften zu. Ja das
bloſe Berühren von einer Spitzmaus wurde als ein ſicherer Vorbote irgend welchen Uebels gedeutet,
und Thier oder Menſch, welche „Spitzmaus-geſchlagen‟ waren, mußten, nach allgemein giltiger
Meinung aller alten Waſchweiber in Frauen- oder Männertracht, nothwendigerweiſe demnächſt
erkranken, falls ſie nicht ein eigenthümliches Mittel ſchleunigſt anwandten, ein Mittel, ganz nach
homöopathiſchen Grundſätzen erdacht und demnach allerdings geeignet, gedankenloſen oder geiſtesarmen
Menſchen zu gefallen. Dieſes Heilmittel, welches allein gegen die Spitzmauskrankheit helfen konnte,
beſtand in den Zweigen einer „Spitzmauseſche,‟ welche durch ein ſehr einfaches Verfahren zu dem
heilkräftigen Baume geſtempelt worden war. Eine lebendige Spitzmaus wurde gefangen und mit
Siegesjubel zu der Eſche gebracht, welcher die Ehre zu Theil werden ſollte, das hochgeiſtige Menſchen-
geſchlecht vor den Schlingen des Satans in Geſtalt dieſes kleinen Raubthieres zu ſchützen. Man
bohrte ein großes Loch in den Stamm der Eſche, ließ die Spitzmaus dahinein kriechen und verſchloß
das Loch durch einen feſten Pfropfen. So kurze Zeit nun auch das Leben des menſchlichem Blödſinn

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[672/0750] Die Raubthiere. Spitzmäuſe. — Gemeine Spitzmaus. Wimperſpitzmaus. kommen. Nicht einmal die verſchiedenen Geſchlechter leben im Frieden mit einander, außer zur Paarungszeit. Während des übrigen Jahres frißt eine Spitzmaus die andere auf, ſobald ſie ſie über- wältigen kann. Oft ſieht man zwei von ihnen in einen ſo wüthenden Kampf verwickelt, daß man ſie mit den Händen greifen kann; ſie bilden einen förmlichen Knäuel und rollen nun über den Boden dahin, feſt in einander verbiſſen und mit einer Wuth an einander hängend, welche des unfläthigſten Bulldoggen würdig wäre. Ein wahres Glück iſt es, daß die Spitzmäuſe nicht Löwengröße haben, ſie würden die ganze Erde entvölkern und ſchließlich verhungern müſſen. — Nur höchſt ſelten trifft man größere Geſellſchaften von Spitzmäuſen an, zwiſchen denen Frieden herrſcht oder zu herrſchen ſcheint. Cartrey hörte einmal in trockenem Laube ein ununterbrochenes Raſcheln und Lärmen und entdeckte eine zahlreiche Menge unſerer Thiere, ſeiner Schätzung nach etwa 100 bis 150 Stück, welche unter einander zu ſpielen ſchienen und unter beſtändigem Zirpen und Quiken hin- und herrannten: — eine ähnliche Beobachtung iſt mir aber nicht bekannt worden. Der Berichterſtatter glaubt, daß es ſich bei jener Zuſammenkunft um eine großartige Freierei gehandelt habe. Die trächtige Spitzmans baut ſich ein Neſt aus Mos, Gras, Laub und Pflanzenſtengeln, am liebſten im Mauerwerk oder unter hohlen Baumwurzeln, verſieht es mit mehreren Seitengängen, füttert es weich aus und wirft hier zwiſchen Mai und Juli 5 bis 10 Junge, welche nackt und mit ge- ſchloſſenen Augen und Ohren geboren werden. Anfänglich ſäugt die Alte die Jungen mit vieler Zärt- lichkeit, bald aber erkaltet ihre Liebe, und die Jungen machen ſich nun auf, um ſich ſelbſtſtändig ihre Nahrung zu erwerben. Dabei ſchwinden, wie bemerkt, alle geſchwiſterlichen Rückſichten; denn jede Spitzmaus verſteht ſchon in der Jugend unter Nahrung nichts Anderes, als alles Fleiſch, welches ſie erbeuten kann, und ſei es der Leichnam ihres Geſchwiſters. Es iſt merkwürdig, daß die Spitzmäuſe nur von wenigen Thieren gefreſſen werden. Die Katzen tödten ſie wahrſcheinlich, weil ſie ſie anfangs für eine Maus halten; ſie beißen ſie aber nur todt, ohne ſie jemals zu freſſen. Auch die Marderarten ſcheinen ſie zu verſchmähen. Blos einige Raubvögel, der Storch ſowie die Kreuzotter verſchlingen ſie ohne Umſtände und mit Behagen. Jedenfalls hat die Abneigung der geruchsbegabteren Säugethiere ihren Grund in dem Widerwillen, welchen ihnen die Ausdünſtung der Spitzmäuſe einflößt. Alle echten Spitzmäuſe haben wenigſtens einen Antheil des ſtarken moſchusartigen Geruchs, welchen wir bei der vorhergehenden Art kennen lernten. Dieſer Geruch wird durch zwei Abſonderungsdrüſen hervorgebracht, welche ſich an den Seiten des Leibes und zwar näher an den Vorder- als an den Hinterbeinen finden, und theilt ſich allen Gegenſtänden, welche die Maus berührt, augenblicklich mit. Es iſt möglich, daß der Aberglaube, unter welchem die Spitzmäuſe in manchen Gegenden Europas zu leiden haben, in dieſem Geruch mit begründet iſt. Jn England giebt es Gegenden, in welchen das harmloſe Thier faſt noch mehr gefürchtet wird, als die tückiſche Viper. Jedermann ſieht ein, daß das kleine Geſchöpf dem Menſchen mit ſeinen feinen, dünnen Zähnen nicht das Geringſte zu Leide thun kann; und dennoch ſchreibt man dem Biſſe der Spitzmaus die giftigſten Eigenſchaften zu. Ja das bloſe Berühren von einer Spitzmaus wurde als ein ſicherer Vorbote irgend welchen Uebels gedeutet, und Thier oder Menſch, welche „Spitzmaus-geſchlagen‟ waren, mußten, nach allgemein giltiger Meinung aller alten Waſchweiber in Frauen- oder Männertracht, nothwendigerweiſe demnächſt erkranken, falls ſie nicht ein eigenthümliches Mittel ſchleunigſt anwandten, ein Mittel, ganz nach homöopathiſchen Grundſätzen erdacht und demnach allerdings geeignet, gedankenloſen oder geiſtesarmen Menſchen zu gefallen. Dieſes Heilmittel, welches allein gegen die Spitzmauskrankheit helfen konnte, beſtand in den Zweigen einer „Spitzmauseſche,‟ welche durch ein ſehr einfaches Verfahren zu dem heilkräftigen Baume geſtempelt worden war. Eine lebendige Spitzmaus wurde gefangen und mit Siegesjubel zu der Eſche gebracht, welcher die Ehre zu Theil werden ſollte, das hochgeiſtige Menſchen- geſchlecht vor den Schlingen des Satans in Geſtalt dieſes kleinen Raubthieres zu ſchützen. Man bohrte ein großes Loch in den Stamm der Eſche, ließ die Spitzmaus dahinein kriechen und verſchloß das Loch durch einen feſten Pfropfen. So kurze Zeit nun auch das Leben des menſchlichem Blödſinn

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 672. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/750>, abgerufen am 17.05.2024.