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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Der giftfeste Jgel. Nutzen. Fortpflanzung.
oder in Getreidefeldern. Die neugebornen Jgelchen haben etwa 21/2 Zoll in der Länge und sehen
anfangs weiß und fast ganz nackt aus, da die Stacheln erst später zum Vorschein kommen. Daß sie
schon bei der Geburt vorhanden sind, hat Lenz bei den Jgeln gesehen, welche in seinem Zimmer
geboren wurden. "Die Sache," sagt er, "giebt auch bei der Geburt gar keinen Anstoß. Die Stacheln
stehen auf einer sehr weichen, elastischen Unterlage; der Rücken ist noch ganz zart, und jeder Stachel,
den man z. B. mit dem Finger berührt, sticht Einen gar nicht, sondern drückt sich rückwärts in den
weichen Rücken, aus dem er jedoch gleich wieder hervorkommt, sobald man die Fingerspitze wegthut.
Nur wenn man den Stachel von der Seite mit dem Nagel oder mit einem eisernen Zängelchen faßt,
fühlt man, daß er ganz hart ist. Da nun die Thierchen gewöhnlich mit dem Kopfe vorweg geboren
werden und die Stacheln etwas nach hinten gerichtet sind, ist an eine Verletzung der Alten nicht zu
denken. Es ist bei dem Allen möglich, daß die jungen Jgel auch öfters zur Welt kommen, ohne daß
die Stacheln aus der Haut stehen."

Um das Maul haben die Neugebornen Borsten, im übrigen sind sie unbehaart und ihre Augen
und Ohren geschlossen. Schon binnen den ersten vierundzwanzig Stunden werden die Stacheln vier
Linien lang. Anfangs sind sie ganz weiß, nach einem Monate aber hat der junge Jgel ganz die Farbe
des alten. Dann frißt er schon allein, obgleich er auch noch saugt. Erst ziemlich spät erlangt er die
Fertigkeit, sich zusammenzurollen und die Kopfhaut bis gegen die Schnauze herabzuziehen. Die
Mutter trägt schon frühzeitig ihren Kindern Regenwürmer und Nacktschnecken, sowie auch abgefallenes
Obst als Nahrung in das Lager und führt die kleine Brut später wohl auch abends mit sich aus.
Jm Freileben beweist sie sich gegen ihre Jungen jedenfalls zärtlicher, als in der Gefangenschaft; denn
hier frißt sie, wie ich zu meinem Befremden erfahren mußte, zuweilen die ganze Schar ihrer Kinder
mit der ihr überhaupt eignen Seelenruhe auf, der reichlichsten und leckersten Speise ungeachtet!

Gegen den Herbst hin sind die jungen Jgel soweit erwachsen, daß sich jeder einzelne selbst seine
Nahrung aufsuchen kann, und ehe noch die kalten Tage kommen, hat jeder sich ein ganz anständiges
Schmerbäuchlein angelegt und denkt jetzt, wie die Alten, daran, sich seine Winterwohnung herzu-
richten. Diese ist ein großer, wirrer Haufen, aus Stroh, Heu, Laub und Mos bestehend, im Jnnern
aber sehr sorgfältig zu einem Lager ausgefüttert. Die Stoffe trägt der Jgel auf seinem Rücken nach
Hause und zwar auf sehr sonderbare Weise. Er wälzt sich nämlich in dem Laube herum, dort, wo es
am dichtesten liegt, und spießt sich hierdurch eine tüchtige Ladung auf die Stacheln, welche ihm dann
ein ganz großartiges Ansehen verleiht. Jn ähnlicher Weise schafft er sich auch Obst nach Hause.
Man hat Dies oft bezweifelt, Lenz aber hat es gesehen, und einem solchen Beobachter gegenüber
wäre fernerer Zweifel ein Frevel, dessen wir uns nicht schuldig machen wollen.

Mit Eintritt des ersten, starken Frostes vergräbt sich der Jgel tief in sein Lager und bringt hier
die kalte Winterzeit in einer Art Betäubung zu, welche in einem ununterbrochenen Winterschlafe
besteht. Die Fühllosigkeit des Jgels, welche schon, wenn er am regsten sich bewegt, bedeutend ist,
nimmt jetzt noch in merkwürdiger Weise zu. Der Jgel ist eins von denjenigen Thieren, welche den
tiefsten Winterschlaf halten. Nur wenn man ihm sehr arg mitspielt, erwacht er, wankt ein wenig hin
und her und fällt dann augenblicklich wieder in seinen Todtenschlaf zurück. Man hat solchen Jgeln
während des Winterschlafs den Kopf abgeschnitten, ehe sie noch aus ihrem Schlafe erwachten, und
dabei bemerkt, daß das Herz nach der Enthauptung noch lange Zeit fortschlug. Bei einer Gelegenheit
war nicht blos das Gehirn, sondern auch das Rückenmark durchschnitten; gleichwohl schlug das Herz
noch zwei Stunden fort. Tiefe Verwundungen in der Brust führen bei einem schlafenden Jgel den
Tod oft erst nach mehreren Tagen herbei. Der Winterschlaf währt gewöhnlich bis zum März. Die
jungen Jgel sind im nächsten Jahre noch nicht fortpflanzungsfähig, sondern treiben sich während des
ganzen nächsten Sommers einzeln umher. Jm zweiten Lebensjahre aber paaren sie sich und leben
ziemlich gesellig mit ihren Weibchen bis zum Winter, wo dann jeder abgesondert für sich ein
Lager bezieht. Unter günstigen Verhältnissen dürfte der freilebende Jgel sein Alter auf acht bis
zehn Jahre bringen.

Der giftfeſte Jgel. Nutzen. Fortpflanzung.
oder in Getreidefeldern. Die neugebornen Jgelchen haben etwa 2½ Zoll in der Länge und ſehen
anfangs weiß und faſt ganz nackt aus, da die Stacheln erſt ſpäter zum Vorſchein kommen. Daß ſie
ſchon bei der Geburt vorhanden ſind, hat Lenz bei den Jgeln geſehen, welche in ſeinem Zimmer
geboren wurden. „Die Sache,‟ ſagt er, „giebt auch bei der Geburt gar keinen Anſtoß. Die Stacheln
ſtehen auf einer ſehr weichen, elaſtiſchen Unterlage; der Rücken iſt noch ganz zart, und jeder Stachel,
den man z. B. mit dem Finger berührt, ſticht Einen gar nicht, ſondern drückt ſich rückwärts in den
weichen Rücken, aus dem er jedoch gleich wieder hervorkommt, ſobald man die Fingerſpitze wegthut.
Nur wenn man den Stachel von der Seite mit dem Nagel oder mit einem eiſernen Zängelchen faßt,
fühlt man, daß er ganz hart iſt. Da nun die Thierchen gewöhnlich mit dem Kopfe vorweg geboren
werden und die Stacheln etwas nach hinten gerichtet ſind, iſt an eine Verletzung der Alten nicht zu
denken. Es iſt bei dem Allen möglich, daß die jungen Jgel auch öfters zur Welt kommen, ohne daß
die Stacheln aus der Haut ſtehen.‟

Um das Maul haben die Neugebornen Borſten, im übrigen ſind ſie unbehaart und ihre Augen
und Ohren geſchloſſen. Schon binnen den erſten vierundzwanzig Stunden werden die Stacheln vier
Linien lang. Anfangs ſind ſie ganz weiß, nach einem Monate aber hat der junge Jgel ganz die Farbe
des alten. Dann frißt er ſchon allein, obgleich er auch noch ſaugt. Erſt ziemlich ſpät erlangt er die
Fertigkeit, ſich zuſammenzurollen und die Kopfhaut bis gegen die Schnauze herabzuziehen. Die
Mutter trägt ſchon frühzeitig ihren Kindern Regenwürmer und Nacktſchnecken, ſowie auch abgefallenes
Obſt als Nahrung in das Lager und führt die kleine Brut ſpäter wohl auch abends mit ſich aus.
Jm Freileben beweiſt ſie ſich gegen ihre Jungen jedenfalls zärtlicher, als in der Gefangenſchaft; denn
hier frißt ſie, wie ich zu meinem Befremden erfahren mußte, zuweilen die ganze Schar ihrer Kinder
mit der ihr überhaupt eignen Seelenruhe auf, der reichlichſten und leckerſten Speiſe ungeachtet!

Gegen den Herbſt hin ſind die jungen Jgel ſoweit erwachſen, daß ſich jeder einzelne ſelbſt ſeine
Nahrung aufſuchen kann, und ehe noch die kalten Tage kommen, hat jeder ſich ein ganz anſtändiges
Schmerbäuchlein angelegt und denkt jetzt, wie die Alten, daran, ſich ſeine Winterwohnung herzu-
richten. Dieſe iſt ein großer, wirrer Haufen, aus Stroh, Heu, Laub und Mos beſtehend, im Jnnern
aber ſehr ſorgfältig zu einem Lager ausgefüttert. Die Stoffe trägt der Jgel auf ſeinem Rücken nach
Hauſe und zwar auf ſehr ſonderbare Weiſe. Er wälzt ſich nämlich in dem Laube herum, dort, wo es
am dichteſten liegt, und ſpießt ſich hierdurch eine tüchtige Ladung auf die Stacheln, welche ihm dann
ein ganz großartiges Anſehen verleiht. Jn ähnlicher Weiſe ſchafft er ſich auch Obſt nach Hauſe.
Man hat Dies oft bezweifelt, Lenz aber hat es geſehen, und einem ſolchen Beobachter gegenüber
wäre fernerer Zweifel ein Frevel, deſſen wir uns nicht ſchuldig machen wollen.

Mit Eintritt des erſten, ſtarken Froſtes vergräbt ſich der Jgel tief in ſein Lager und bringt hier
die kalte Winterzeit in einer Art Betäubung zu, welche in einem ununterbrochenen Winterſchlafe
beſteht. Die Fühlloſigkeit des Jgels, welche ſchon, wenn er am regſten ſich bewegt, bedeutend iſt,
nimmt jetzt noch in merkwürdiger Weiſe zu. Der Jgel iſt eins von denjenigen Thieren, welche den
tiefſten Winterſchlaf halten. Nur wenn man ihm ſehr arg mitſpielt, erwacht er, wankt ein wenig hin
und her und fällt dann augenblicklich wieder in ſeinen Todtenſchlaf zurück. Man hat ſolchen Jgeln
während des Winterſchlafs den Kopf abgeſchnitten, ehe ſie noch aus ihrem Schlafe erwachten, und
dabei bemerkt, daß das Herz nach der Enthauptung noch lange Zeit fortſchlug. Bei einer Gelegenheit
war nicht blos das Gehirn, ſondern auch das Rückenmark durchſchnitten; gleichwohl ſchlug das Herz
noch zwei Stunden fort. Tiefe Verwundungen in der Bruſt führen bei einem ſchlafenden Jgel den
Tod oft erſt nach mehreren Tagen herbei. Der Winterſchlaf währt gewöhnlich bis zum März. Die
jungen Jgel ſind im nächſten Jahre noch nicht fortpflanzungsfähig, ſondern treiben ſich während des
ganzen nächſten Sommers einzeln umher. Jm zweiten Lebensjahre aber paaren ſie ſich und leben
ziemlich geſellig mit ihren Weibchen bis zum Winter, wo dann jeder abgeſondert für ſich ein
Lager bezieht. Unter günſtigen Verhältniſſen dürfte der freilebende Jgel ſein Alter auf acht bis
zehn Jahre bringen.

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[655/0733] Der giftfeſte Jgel. Nutzen. Fortpflanzung. oder in Getreidefeldern. Die neugebornen Jgelchen haben etwa 2½ Zoll in der Länge und ſehen anfangs weiß und faſt ganz nackt aus, da die Stacheln erſt ſpäter zum Vorſchein kommen. Daß ſie ſchon bei der Geburt vorhanden ſind, hat Lenz bei den Jgeln geſehen, welche in ſeinem Zimmer geboren wurden. „Die Sache,‟ ſagt er, „giebt auch bei der Geburt gar keinen Anſtoß. Die Stacheln ſtehen auf einer ſehr weichen, elaſtiſchen Unterlage; der Rücken iſt noch ganz zart, und jeder Stachel, den man z. B. mit dem Finger berührt, ſticht Einen gar nicht, ſondern drückt ſich rückwärts in den weichen Rücken, aus dem er jedoch gleich wieder hervorkommt, ſobald man die Fingerſpitze wegthut. Nur wenn man den Stachel von der Seite mit dem Nagel oder mit einem eiſernen Zängelchen faßt, fühlt man, daß er ganz hart iſt. Da nun die Thierchen gewöhnlich mit dem Kopfe vorweg geboren werden und die Stacheln etwas nach hinten gerichtet ſind, iſt an eine Verletzung der Alten nicht zu denken. Es iſt bei dem Allen möglich, daß die jungen Jgel auch öfters zur Welt kommen, ohne daß die Stacheln aus der Haut ſtehen.‟ Um das Maul haben die Neugebornen Borſten, im übrigen ſind ſie unbehaart und ihre Augen und Ohren geſchloſſen. Schon binnen den erſten vierundzwanzig Stunden werden die Stacheln vier Linien lang. Anfangs ſind ſie ganz weiß, nach einem Monate aber hat der junge Jgel ganz die Farbe des alten. Dann frißt er ſchon allein, obgleich er auch noch ſaugt. Erſt ziemlich ſpät erlangt er die Fertigkeit, ſich zuſammenzurollen und die Kopfhaut bis gegen die Schnauze herabzuziehen. Die Mutter trägt ſchon frühzeitig ihren Kindern Regenwürmer und Nacktſchnecken, ſowie auch abgefallenes Obſt als Nahrung in das Lager und führt die kleine Brut ſpäter wohl auch abends mit ſich aus. Jm Freileben beweiſt ſie ſich gegen ihre Jungen jedenfalls zärtlicher, als in der Gefangenſchaft; denn hier frißt ſie, wie ich zu meinem Befremden erfahren mußte, zuweilen die ganze Schar ihrer Kinder mit der ihr überhaupt eignen Seelenruhe auf, der reichlichſten und leckerſten Speiſe ungeachtet! Gegen den Herbſt hin ſind die jungen Jgel ſoweit erwachſen, daß ſich jeder einzelne ſelbſt ſeine Nahrung aufſuchen kann, und ehe noch die kalten Tage kommen, hat jeder ſich ein ganz anſtändiges Schmerbäuchlein angelegt und denkt jetzt, wie die Alten, daran, ſich ſeine Winterwohnung herzu- richten. Dieſe iſt ein großer, wirrer Haufen, aus Stroh, Heu, Laub und Mos beſtehend, im Jnnern aber ſehr ſorgfältig zu einem Lager ausgefüttert. Die Stoffe trägt der Jgel auf ſeinem Rücken nach Hauſe und zwar auf ſehr ſonderbare Weiſe. Er wälzt ſich nämlich in dem Laube herum, dort, wo es am dichteſten liegt, und ſpießt ſich hierdurch eine tüchtige Ladung auf die Stacheln, welche ihm dann ein ganz großartiges Anſehen verleiht. Jn ähnlicher Weiſe ſchafft er ſich auch Obſt nach Hauſe. Man hat Dies oft bezweifelt, Lenz aber hat es geſehen, und einem ſolchen Beobachter gegenüber wäre fernerer Zweifel ein Frevel, deſſen wir uns nicht ſchuldig machen wollen. Mit Eintritt des erſten, ſtarken Froſtes vergräbt ſich der Jgel tief in ſein Lager und bringt hier die kalte Winterzeit in einer Art Betäubung zu, welche in einem ununterbrochenen Winterſchlafe beſteht. Die Fühlloſigkeit des Jgels, welche ſchon, wenn er am regſten ſich bewegt, bedeutend iſt, nimmt jetzt noch in merkwürdiger Weiſe zu. Der Jgel iſt eins von denjenigen Thieren, welche den tiefſten Winterſchlaf halten. Nur wenn man ihm ſehr arg mitſpielt, erwacht er, wankt ein wenig hin und her und fällt dann augenblicklich wieder in ſeinen Todtenſchlaf zurück. Man hat ſolchen Jgeln während des Winterſchlafs den Kopf abgeſchnitten, ehe ſie noch aus ihrem Schlafe erwachten, und dabei bemerkt, daß das Herz nach der Enthauptung noch lange Zeit fortſchlug. Bei einer Gelegenheit war nicht blos das Gehirn, ſondern auch das Rückenmark durchſchnitten; gleichwohl ſchlug das Herz noch zwei Stunden fort. Tiefe Verwundungen in der Bruſt führen bei einem ſchlafenden Jgel den Tod oft erſt nach mehreren Tagen herbei. Der Winterſchlaf währt gewöhnlich bis zum März. Die jungen Jgel ſind im nächſten Jahre noch nicht fortpflanzungsfähig, ſondern treiben ſich während des ganzen nächſten Sommers einzeln umher. Jm zweiten Lebensjahre aber paaren ſie ſich und leben ziemlich geſellig mit ihren Weibchen bis zum Winter, wo dann jeder abgeſondert für ſich ein Lager bezieht. Unter günſtigen Verhältniſſen dürfte der freilebende Jgel ſein Alter auf acht bis zehn Jahre bringen.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 655. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/733>, abgerufen am 24.11.2024.