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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Bären. -- Eisbär.
in seiner Nähe, jedenfalls angelockt durch den Geruch des Walroßfleisches, welches die Matrosen ge-
rade auf dem Eise ausbrieten. Es war eine Bärin mit ihren zwei Jungen, welche ihr an Größe fast
gleichkamen. Sie stürzten sich auf das Feuer zu, zogen ein tüchtiges Stück Fleisch heraus und ver-
schlangen es. Die Schiffsmannschaft warf ihnen nun Stücke Fleisch hin; die Mutter holte sie und
trug sie ihren Jungen zu, sich selbst kaum bedenkend. Als sie eben das letzte Fleischstück wegholte,
legten die Matrosen auf die Jungen an und schossen beide nieder. Sie verwundeten auch die Mutter,
aber nicht tödlich. Die Unglückliche konnte sich kaum noch fortbewegen, aber dennoch kroch sie sogleich
nach ihren Jungen hin, legte ihnen neue und wieder neue Fleischstücke vor, und als sie sah, daß sie
nicht zulangten, streckte sie erst ihre Tatzen nach dem einen, dann nach dem andern aus, suchte sie
emporzurichten und erhob ein klägliches Geheul, als sie sah, daß alle ihre Mühe vergeblich war.
Hierauf ging sie eine Strecke fort, sah sich nach ihren Kindern um und heulte noch lauter, als früher.
Da ihr nun die Kinder noch nicht folgten, kehrte sie um, beschnoperte und betrachtete sie wieder und
heulte von neuem. So ging und kam sie mehrere Male und wandte alle mütterliche Zärtlichkeit auf,
um die Jungen zu sich zu locken. Endlich bemerkte sie, daß ihre Lieblinge ganz todt und kalt waren;
da wandte sie ihren Kopf nach dem Schiffe zu und brummte voll Wuth und Verzweiflung. Die
Matrofen antworteten mit Flintenschüssen. Sie sank zu ihren Jungen nieder und starb, indem sie
deren Wunden leckte."

Die Jagd der Eisbären bleibt unter allen Umständen ein bedenkliches Wagstück, wird aber
trotzdem mit großer Leidenschaft betrieben. Die Eskimos, Jakuten und Samojeden bauen sich besondere
Holzhütten, in denen sie den Bären auflauern, oder bedienen sich, wie Seemann berichtet, folgender
List. Sie biegen ein vier Zoll breites, zwei Fuß langes Stück Fischbein kreisförmig zusammen, um-
wickeln es mit Seehundsfett und lassen dieses gefrieren. Dann suchen sie den Bären auf, necken ihn
durch einen Pfeilschuß, werfen den Fettklumpen hin und flüchten. Der Bär beriecht den Ball, findet,
daß er verzehrt werden kann, verschluckt ihn und holt sich damit seinen Tod; denn in dem warmen
Magen thaut das Fett auf, das Fischbein schnellt aus einander und zerreißt ihm die Eingeweide. Daß
derartige Ballen von den Eisbären wirklich gefressen werden, unterliegt kaum einem Zweifel; denn
auch Kane erzählt, daß die Thiere in seinen Vorrathshäusern alles nur Denkbare gefressen haben,
außer allem dort befindlichen Fleisch und Brot auch den Kaffee, die Segel und die amerikanische Flagge,
daß sie überhaupt nur die ganz eisernen Fässer nicht berührt hatten. Die Europäer gebrauchen natürlich
andere Waffen, als jene armen Nordländer, bleiben aber trotz ihres furchtbaren Feuergewehres keines-
wegs immer Sieger im Kampfe. Jedenfalls ist es gut, wenn sich mehrere Jäger vereinigen und
gegenseitig unterstützen; denn der Eisbär vertheidigt sich mit ebensoviel Muth, als Kraft und Aus-
dauer, besonders im Wasser, obgleich dieses noch das beste Jagdgebiet für den Menschen ist. Man
kennt unzählige Beispiele, daß die Bärenjagden sehr unglücklich ausfielen, und mehr als einmal hat
ein verwundeter und dadurch gereizter Bär einen seiner Angreifer sich ruhig aus der Mitte der anderen
geholt und mit sich fortgeschleppt. So wurde ein Schiffskapitän, welcher einen großen, schwimmenden
Eisbären mit seinem stark bemannten Boote verfolgte, von dem bereits schwer verwundeten Thiere in
demselben Augenblicke über Bord gerissen, als er die ihm zum dritten Male tief in die Brust gestoßene
Lanze wieder herausziehen wollte, und nur durch das gleichzeitige Einschreiten der gesammten Mann-
schaft gelang es, den Gefährdeten zu retten. Gewöhnlich läßt sich ein verwundeter Bär nicht so leicht
verscheuchen; er geht vielmehr mit einer Entschlossenheit ohne Gleichen auf seine Feinde los, in der
festen Absicht, sich an ihnen möglichst empfindlich zu rächen. Die Mannschaft eines Walfischfängers
schoß von ihrem Boote aus auf einen Eisbären, welcher sich eben auf einer schwimmenden Eisscholle
befand. Eine der Kugeln traf und versetzte ihn in die rasendste Wuth. Eiligst lief er gegen das Boot
zu, stürzte sich ins Wasser, schwamm auf das Fahrzeug hin und wollte dort über Bord klettern. Man
hieb ihm mit einer Axt eine Pranke ab und suchte sich zu retten, indem man gegen das Schiff ruderte.
Der Bär ließ sich nicht vertreiben, sondern verfolgte seine Angreifer bis an das Schiff, alles Schreiens
und Lärmens der Matrosen ungeachtet, erkletterte trotz seiner verstümmelten Glieder noch das Deck

Die Raubthiere. Bären. — Eisbär.
in ſeiner Nähe, jedenfalls angelockt durch den Geruch des Walroßfleiſches, welches die Matroſen ge-
rade auf dem Eiſe ausbrieten. Es war eine Bärin mit ihren zwei Jungen, welche ihr an Größe faſt
gleichkamen. Sie ſtürzten ſich auf das Feuer zu, zogen ein tüchtiges Stück Fleiſch heraus und ver-
ſchlangen es. Die Schiffsmannſchaft warf ihnen nun Stücke Fleiſch hin; die Mutter holte ſie und
trug ſie ihren Jungen zu, ſich ſelbſt kaum bedenkend. Als ſie eben das letzte Fleiſchſtück wegholte,
legten die Matroſen auf die Jungen an und ſchoſſen beide nieder. Sie verwundeten auch die Mutter,
aber nicht tödlich. Die Unglückliche konnte ſich kaum noch fortbewegen, aber dennoch kroch ſie ſogleich
nach ihren Jungen hin, legte ihnen neue und wieder neue Fleiſchſtücke vor, und als ſie ſah, daß ſie
nicht zulangten, ſtreckte ſie erſt ihre Tatzen nach dem einen, dann nach dem andern aus, ſuchte ſie
emporzurichten und erhob ein klägliches Geheul, als ſie ſah, daß alle ihre Mühe vergeblich war.
Hierauf ging ſie eine Strecke fort, ſah ſich nach ihren Kindern um und heulte noch lauter, als früher.
Da ihr nun die Kinder noch nicht folgten, kehrte ſie um, beſchnoperte und betrachtete ſie wieder und
heulte von neuem. So ging und kam ſie mehrere Male und wandte alle mütterliche Zärtlichkeit auf,
um die Jungen zu ſich zu locken. Endlich bemerkte ſie, daß ihre Lieblinge ganz todt und kalt waren;
da wandte ſie ihren Kopf nach dem Schiffe zu und brummte voll Wuth und Verzweiflung. Die
Matrofen antworteten mit Flintenſchüſſen. Sie ſank zu ihren Jungen nieder und ſtarb, indem ſie
deren Wunden leckte.‟

Die Jagd der Eisbären bleibt unter allen Umſtänden ein bedenkliches Wagſtück, wird aber
trotzdem mit großer Leidenſchaft betrieben. Die Eskimos, Jakuten und Samojeden bauen ſich beſondere
Holzhütten, in denen ſie den Bären auflauern, oder bedienen ſich, wie Seemann berichtet, folgender
Liſt. Sie biegen ein vier Zoll breites, zwei Fuß langes Stück Fiſchbein kreisförmig zuſammen, um-
wickeln es mit Seehundsfett und laſſen dieſes gefrieren. Dann ſuchen ſie den Bären auf, necken ihn
durch einen Pfeilſchuß, werfen den Fettklumpen hin und flüchten. Der Bär beriecht den Ball, findet,
daß er verzehrt werden kann, verſchluckt ihn und holt ſich damit ſeinen Tod; denn in dem warmen
Magen thaut das Fett auf, das Fiſchbein ſchnellt aus einander und zerreißt ihm die Eingeweide. Daß
derartige Ballen von den Eisbären wirklich gefreſſen werden, unterliegt kaum einem Zweifel; denn
auch Kane erzählt, daß die Thiere in ſeinen Vorrathshäuſern alles nur Denkbare gefreſſen haben,
außer allem dort befindlichen Fleiſch und Brot auch den Kaffee, die Segel und die amerikaniſche Flagge,
daß ſie überhaupt nur die ganz eiſernen Fäſſer nicht berührt hatten. Die Europäer gebrauchen natürlich
andere Waffen, als jene armen Nordländer, bleiben aber trotz ihres furchtbaren Feuergewehres keines-
wegs immer Sieger im Kampfe. Jedenfalls iſt es gut, wenn ſich mehrere Jäger vereinigen und
gegenſeitig unterſtützen; denn der Eisbär vertheidigt ſich mit ebenſoviel Muth, als Kraft und Aus-
dauer, beſonders im Waſſer, obgleich dieſes noch das beſte Jagdgebiet für den Menſchen iſt. Man
kennt unzählige Beiſpiele, daß die Bärenjagden ſehr unglücklich ausfielen, und mehr als einmal hat
ein verwundeter und dadurch gereizter Bär einen ſeiner Angreifer ſich ruhig aus der Mitte der anderen
geholt und mit ſich fortgeſchleppt. So wurde ein Schiffskapitän, welcher einen großen, ſchwimmenden
Eisbären mit ſeinem ſtark bemannten Boote verfolgte, von dem bereits ſchwer verwundeten Thiere in
demſelben Augenblicke über Bord geriſſen, als er die ihm zum dritten Male tief in die Bruſt geſtoßene
Lanze wieder herausziehen wollte, und nur durch das gleichzeitige Einſchreiten der geſammten Mann-
ſchaft gelang es, den Gefährdeten zu retten. Gewöhnlich läßt ſich ein verwundeter Bär nicht ſo leicht
verſcheuchen; er geht vielmehr mit einer Entſchloſſenheit ohne Gleichen auf ſeine Feinde los, in der
feſten Abſicht, ſich an ihnen möglichſt empfindlich zu rächen. Die Mannſchaft eines Walfiſchfängers
ſchoß von ihrem Boote aus auf einen Eisbären, welcher ſich eben auf einer ſchwimmenden Eisſcholle
befand. Eine der Kugeln traf und verſetzte ihn in die raſendſte Wuth. Eiligſt lief er gegen das Boot
zu, ſtürzte ſich ins Waſſer, ſchwamm auf das Fahrzeug hin und wollte dort über Bord klettern. Man
hieb ihm mit einer Axt eine Pranke ab und ſuchte ſich zu retten, indem man gegen das Schiff ruderte.
Der Bär ließ ſich nicht vertreiben, ſondern verfolgte ſeine Angreifer bis an das Schiff, alles Schreiens
und Lärmens der Matroſen ungeachtet, erkletterte trotz ſeiner verſtümmelten Glieder noch das Deck

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[620/0698] Die Raubthiere. Bären. — Eisbär. in ſeiner Nähe, jedenfalls angelockt durch den Geruch des Walroßfleiſches, welches die Matroſen ge- rade auf dem Eiſe ausbrieten. Es war eine Bärin mit ihren zwei Jungen, welche ihr an Größe faſt gleichkamen. Sie ſtürzten ſich auf das Feuer zu, zogen ein tüchtiges Stück Fleiſch heraus und ver- ſchlangen es. Die Schiffsmannſchaft warf ihnen nun Stücke Fleiſch hin; die Mutter holte ſie und trug ſie ihren Jungen zu, ſich ſelbſt kaum bedenkend. Als ſie eben das letzte Fleiſchſtück wegholte, legten die Matroſen auf die Jungen an und ſchoſſen beide nieder. Sie verwundeten auch die Mutter, aber nicht tödlich. Die Unglückliche konnte ſich kaum noch fortbewegen, aber dennoch kroch ſie ſogleich nach ihren Jungen hin, legte ihnen neue und wieder neue Fleiſchſtücke vor, und als ſie ſah, daß ſie nicht zulangten, ſtreckte ſie erſt ihre Tatzen nach dem einen, dann nach dem andern aus, ſuchte ſie emporzurichten und erhob ein klägliches Geheul, als ſie ſah, daß alle ihre Mühe vergeblich war. Hierauf ging ſie eine Strecke fort, ſah ſich nach ihren Kindern um und heulte noch lauter, als früher. Da ihr nun die Kinder noch nicht folgten, kehrte ſie um, beſchnoperte und betrachtete ſie wieder und heulte von neuem. So ging und kam ſie mehrere Male und wandte alle mütterliche Zärtlichkeit auf, um die Jungen zu ſich zu locken. Endlich bemerkte ſie, daß ihre Lieblinge ganz todt und kalt waren; da wandte ſie ihren Kopf nach dem Schiffe zu und brummte voll Wuth und Verzweiflung. Die Matrofen antworteten mit Flintenſchüſſen. Sie ſank zu ihren Jungen nieder und ſtarb, indem ſie deren Wunden leckte.‟ Die Jagd der Eisbären bleibt unter allen Umſtänden ein bedenkliches Wagſtück, wird aber trotzdem mit großer Leidenſchaft betrieben. Die Eskimos, Jakuten und Samojeden bauen ſich beſondere Holzhütten, in denen ſie den Bären auflauern, oder bedienen ſich, wie Seemann berichtet, folgender Liſt. Sie biegen ein vier Zoll breites, zwei Fuß langes Stück Fiſchbein kreisförmig zuſammen, um- wickeln es mit Seehundsfett und laſſen dieſes gefrieren. Dann ſuchen ſie den Bären auf, necken ihn durch einen Pfeilſchuß, werfen den Fettklumpen hin und flüchten. Der Bär beriecht den Ball, findet, daß er verzehrt werden kann, verſchluckt ihn und holt ſich damit ſeinen Tod; denn in dem warmen Magen thaut das Fett auf, das Fiſchbein ſchnellt aus einander und zerreißt ihm die Eingeweide. Daß derartige Ballen von den Eisbären wirklich gefreſſen werden, unterliegt kaum einem Zweifel; denn auch Kane erzählt, daß die Thiere in ſeinen Vorrathshäuſern alles nur Denkbare gefreſſen haben, außer allem dort befindlichen Fleiſch und Brot auch den Kaffee, die Segel und die amerikaniſche Flagge, daß ſie überhaupt nur die ganz eiſernen Fäſſer nicht berührt hatten. Die Europäer gebrauchen natürlich andere Waffen, als jene armen Nordländer, bleiben aber trotz ihres furchtbaren Feuergewehres keines- wegs immer Sieger im Kampfe. Jedenfalls iſt es gut, wenn ſich mehrere Jäger vereinigen und gegenſeitig unterſtützen; denn der Eisbär vertheidigt ſich mit ebenſoviel Muth, als Kraft und Aus- dauer, beſonders im Waſſer, obgleich dieſes noch das beſte Jagdgebiet für den Menſchen iſt. Man kennt unzählige Beiſpiele, daß die Bärenjagden ſehr unglücklich ausfielen, und mehr als einmal hat ein verwundeter und dadurch gereizter Bär einen ſeiner Angreifer ſich ruhig aus der Mitte der anderen geholt und mit ſich fortgeſchleppt. So wurde ein Schiffskapitän, welcher einen großen, ſchwimmenden Eisbären mit ſeinem ſtark bemannten Boote verfolgte, von dem bereits ſchwer verwundeten Thiere in demſelben Augenblicke über Bord geriſſen, als er die ihm zum dritten Male tief in die Bruſt geſtoßene Lanze wieder herausziehen wollte, und nur durch das gleichzeitige Einſchreiten der geſammten Mann- ſchaft gelang es, den Gefährdeten zu retten. Gewöhnlich läßt ſich ein verwundeter Bär nicht ſo leicht verſcheuchen; er geht vielmehr mit einer Entſchloſſenheit ohne Gleichen auf ſeine Feinde los, in der feſten Abſicht, ſich an ihnen möglichſt empfindlich zu rächen. Die Mannſchaft eines Walfiſchfängers ſchoß von ihrem Boote aus auf einen Eisbären, welcher ſich eben auf einer ſchwimmenden Eisſcholle befand. Eine der Kugeln traf und verſetzte ihn in die raſendſte Wuth. Eiligſt lief er gegen das Boot zu, ſtürzte ſich ins Waſſer, ſchwamm auf das Fahrzeug hin und wollte dort über Bord klettern. Man hieb ihm mit einer Axt eine Pranke ab und ſuchte ſich zu retten, indem man gegen das Schiff ruderte. Der Bär ließ ſich nicht vertreiben, ſondern verfolgte ſeine Angreifer bis an das Schiff, alles Schreiens und Lärmens der Matroſen ungeachtet, erkletterte trotz ſeiner verſtümmelten Glieder noch das Deck

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 620. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/698>, abgerufen am 22.11.2024.