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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Kampf mit dem Menschen. Winterschlaf. Fortpflanzung und Mutterliebe.
Flüchtling hingegen, obgleich durch eine Schutzwehr gedeckt, hörte, von seiner Furcht gejagt, nicht
eher auf zu laufen, als bis er das Schiff erreicht hatte."

Es ist höchst wahrscheinlich, daß die meisten Eisbären gar keinen Winterschlaf halten. Ein ge-
ringerer oder größerer Kältegrad ist ihnen gleichgiltig; es handelt sich für sie im Winter blos darum,
ob das Wasser dort, wo sie sich befinden, offen bleibt oder nicht. Einige Naturforscher sagen, daß die
alten Männchen und jüngeren oder nichtträchtigen Weibchen niemals Winterschlaf halten, sondern
beständig herumschweifen. Soviel ist sicher, daß die Eskimos den ganzen Winter hindurch auf die
Eisbären Jagd machen können. Allerdings leben die Thiere während des Winters nur in der See,
meistens auf dem Treibeise, wo sie stets hinlängliche Löcher finden, um jederzeit in die Tiefe hinab-
tauchen und Robben und Fischen nachstellen zu können. Die trächtigen Bärinnen jedoch ziehen sich
gerade im Winter zurück und bringen in den kältesten Monaten ihre Jungen zur Welt. Bald nach
der Paarung, welche in den Juli, August oder in den Anfang des September fallen soll, bereiten sich
die Bärinnen ein Lager unter Felsen oder überhängenden Eisblöcken oder graben sich wohl auch eine
seichte Höhlung in dem gefrornen Schnee aus, thauen durch ihre Körperwärme dieses Lager ringsum
auf, bilden durch den warmen Hauch eine Art Stollen nach oben und lassen sich hier nun vollkommen
verschneien. Bei der Menge von Schnee, welche in jenen Breiten fällt, währt es gar nicht lange,
bis ihre Winterwohnung eine dicke und ziemlich warme Decke erhalten hat. Der Schnee selbst muß
dem Thiere zugleich das nothwendige Trinkwasser liefern, sie fressen von demselben soviel, als sie zur
Stillung ihres Durstes gebrauchen. Ehe sie das Lager bezogen, hatten sie sich eine tüchtige Menge
von Fett gesammelt, und von ihm zehren sie während des ganzen Winters; denn sie verlassen ihr
Lager nicht eher wieder, als bis die Frühlingssonne bereits ziemlich hochsteht; mittlerweile aber haben
sie ihre Jungen geworfen. Man weiß, daß dieselben nach sechs bis sieben Monaten ausgetragen sind,
und daß ihre Zahl zwischen Eins und Drei schwankt; genauere Beobachtungen sind nicht gemacht
worden. Nach Aussage der nördlichen Völkerschaften sollen die jungen Eisbären kaum größer oder
nicht einmal so groß, als Kaninchen sein, Ende März oder Anfangs April aber bereits die Größe
kleiner Pudel erlangt haben. Weit eher, als die Kinder des Landbären, begleiten sie ihre Alte auf ihren
Zügen. Sie werden von ihr auf das sorgfältigste und zärtlichste gepflegt, genährt und geschützt.
Die Mutter theilt auch dann noch, wenn sie schon halb oder fast ganz erwachsen sind, alle Gefahren
mit ihnen und wird dem Menschen, solange die Jungen bei ihr sind, doppelt furchtbar. Schon in
der ersten Zeit der Jugend lehrt sie ihnen das Gewerbe betreiben, nämlich schwimmen und Fischen
nachstellen. Die kleinen, niedlichen Burschen sollen das Eine wie das Andere sehr bald begriffen
haben; sie machen sich die Sache aber so bequem als möglich und ruhen z. B. auch noch dann, wenn
sie bereits ziemlich groß geworden sind, bei Ermüdung behaglich auf dem Rücken ihrer Mutter aus.
Walfisch- und Grönlandsfahrer haben uns rührende Geschichten von der Aufopferung und Liebe
der Eisbäreumutter mitgetheilt.

"Eine Bärin," erzählt Scoresby, "welche zwei Junge bei sich hatte, wurde von einigen be-
waffneten Matrosen auf einem Eisfelde verfolgt. Anfangs schien sie die Jungen dadurch zu größerer
Eile anzureizen, daß sie voranlief und sich immer umsah, auch durch eigenthümliche Geberden und
einen besondern, ängstlichen Ton der Stimme die Gefahr ihnen mitzutheilen suchte; als sie aber sah,
daß ihre Verfolger ihr zu nahe kamen, mühte sie sich, jene vorwärts zu treiben, zu schieben und zu
stoßen, und entkam auch wirklich glücklich mit ihnen." Eine andere Bärin, welche von Kane's Leuten
und deren Hunden aufgefunden wurde, schob ihr Junges immer ein Stück weiter, indem sie es mit
dem Kopfe zwischen Hals und Brust klemmte oder von oben mit den Zähnen packte und es ein Stück
fortschleppte. Dabei trieb sie dann wechselsweise die Hunde zurück. Als sie erlegt worden war, trat.
das Junge auf ihre Leiche und kämpfte gegen die Hunde, bis es, durch einen Schuß in den Kopf ge-
troffen, von seinem Standpunkte herabfiel und nach kurzem Todeskampfe verendete.

Wahrhaft rührend ist eine andere Geschichte, welche von der Besatzung des Schiffes La Carcasse
berichtet wurde. "Als dasselbe im Eise stecken geblieben war, zeigten sich einstmals drei Eisbären ganz

Kampf mit dem Menſchen. Winterſchlaf. Fortpflanzung und Mutterliebe.
Flüchtling hingegen, obgleich durch eine Schutzwehr gedeckt, hörte, von ſeiner Furcht gejagt, nicht
eher auf zu laufen, als bis er das Schiff erreicht hatte.‟

Es iſt höchſt wahrſcheinlich, daß die meiſten Eisbären gar keinen Winterſchlaf halten. Ein ge-
ringerer oder größerer Kältegrad iſt ihnen gleichgiltig; es handelt ſich für ſie im Winter blos darum,
ob das Waſſer dort, wo ſie ſich befinden, offen bleibt oder nicht. Einige Naturforſcher ſagen, daß die
alten Männchen und jüngeren oder nichtträchtigen Weibchen niemals Winterſchlaf halten, ſondern
beſtändig herumſchweifen. Soviel iſt ſicher, daß die Eskimos den ganzen Winter hindurch auf die
Eisbären Jagd machen können. Allerdings leben die Thiere während des Winters nur in der See,
meiſtens auf dem Treibeiſe, wo ſie ſtets hinlängliche Löcher finden, um jederzeit in die Tiefe hinab-
tauchen und Robben und Fiſchen nachſtellen zu können. Die trächtigen Bärinnen jedoch ziehen ſich
gerade im Winter zurück und bringen in den kälteſten Monaten ihre Jungen zur Welt. Bald nach
der Paarung, welche in den Juli, Auguſt oder in den Anfang des September fallen ſoll, bereiten ſich
die Bärinnen ein Lager unter Felſen oder überhängenden Eisblöcken oder graben ſich wohl auch eine
ſeichte Höhlung in dem gefrornen Schnee aus, thauen durch ihre Körperwärme dieſes Lager ringsum
auf, bilden durch den warmen Hauch eine Art Stollen nach oben und laſſen ſich hier nun vollkommen
verſchneien. Bei der Menge von Schnee, welche in jenen Breiten fällt, währt es gar nicht lange,
bis ihre Winterwohnung eine dicke und ziemlich warme Decke erhalten hat. Der Schnee ſelbſt muß
dem Thiere zugleich das nothwendige Trinkwaſſer liefern, ſie freſſen von demſelben ſoviel, als ſie zur
Stillung ihres Durſtes gebrauchen. Ehe ſie das Lager bezogen, hatten ſie ſich eine tüchtige Menge
von Fett geſammelt, und von ihm zehren ſie während des ganzen Winters; denn ſie verlaſſen ihr
Lager nicht eher wieder, als bis die Frühlingsſonne bereits ziemlich hochſteht; mittlerweile aber haben
ſie ihre Jungen geworfen. Man weiß, daß dieſelben nach ſechs bis ſieben Monaten ausgetragen ſind,
und daß ihre Zahl zwiſchen Eins und Drei ſchwankt; genauere Beobachtungen ſind nicht gemacht
worden. Nach Ausſage der nördlichen Völkerſchaften ſollen die jungen Eisbären kaum größer oder
nicht einmal ſo groß, als Kaninchen ſein, Ende März oder Anfangs April aber bereits die Größe
kleiner Pudel erlangt haben. Weit eher, als die Kinder des Landbären, begleiten ſie ihre Alte auf ihren
Zügen. Sie werden von ihr auf das ſorgfältigſte und zärtlichſte gepflegt, genährt und geſchützt.
Die Mutter theilt auch dann noch, wenn ſie ſchon halb oder faſt ganz erwachſen ſind, alle Gefahren
mit ihnen und wird dem Menſchen, ſolange die Jungen bei ihr ſind, doppelt furchtbar. Schon in
der erſten Zeit der Jugend lehrt ſie ihnen das Gewerbe betreiben, nämlich ſchwimmen und Fiſchen
nachſtellen. Die kleinen, niedlichen Burſchen ſollen das Eine wie das Andere ſehr bald begriffen
haben; ſie machen ſich die Sache aber ſo bequem als möglich und ruhen z. B. auch noch dann, wenn
ſie bereits ziemlich groß geworden ſind, bei Ermüdung behaglich auf dem Rücken ihrer Mutter aus.
Walfiſch- und Grönlandsfahrer haben uns rührende Geſchichten von der Aufopferung und Liebe
der Eisbäreumutter mitgetheilt.

„Eine Bärin,‟ erzählt Scoresby, „welche zwei Junge bei ſich hatte, wurde von einigen be-
waffneten Matroſen auf einem Eisfelde verfolgt. Anfangs ſchien ſie die Jungen dadurch zu größerer
Eile anzureizen, daß ſie voranlief und ſich immer umſah, auch durch eigenthümliche Geberden und
einen beſondern, ängſtlichen Ton der Stimme die Gefahr ihnen mitzutheilen ſuchte; als ſie aber ſah,
daß ihre Verfolger ihr zu nahe kamen, mühte ſie ſich, jene vorwärts zu treiben, zu ſchieben und zu
ſtoßen, und entkam auch wirklich glücklich mit ihnen.‟ Eine andere Bärin, welche von Kane’s Leuten
und deren Hunden aufgefunden wurde, ſchob ihr Junges immer ein Stück weiter, indem ſie es mit
dem Kopfe zwiſchen Hals und Bruſt klemmte oder von oben mit den Zähnen packte und es ein Stück
fortſchleppte. Dabei trieb ſie dann wechſelsweiſe die Hunde zurück. Als ſie erlegt worden war, trat.
das Junge auf ihre Leiche und kämpfte gegen die Hunde, bis es, durch einen Schuß in den Kopf ge-
troffen, von ſeinem Standpunkte herabfiel und nach kurzem Todeskampfe verendete.

Wahrhaft rührend iſt eine andere Geſchichte, welche von der Beſatzung des Schiffes La Carcasse
berichtet wurde. „Als daſſelbe im Eiſe ſtecken geblieben war, zeigten ſich einſtmals drei Eisbären ganz

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[619/0697] Kampf mit dem Menſchen. Winterſchlaf. Fortpflanzung und Mutterliebe. Flüchtling hingegen, obgleich durch eine Schutzwehr gedeckt, hörte, von ſeiner Furcht gejagt, nicht eher auf zu laufen, als bis er das Schiff erreicht hatte.‟ Es iſt höchſt wahrſcheinlich, daß die meiſten Eisbären gar keinen Winterſchlaf halten. Ein ge- ringerer oder größerer Kältegrad iſt ihnen gleichgiltig; es handelt ſich für ſie im Winter blos darum, ob das Waſſer dort, wo ſie ſich befinden, offen bleibt oder nicht. Einige Naturforſcher ſagen, daß die alten Männchen und jüngeren oder nichtträchtigen Weibchen niemals Winterſchlaf halten, ſondern beſtändig herumſchweifen. Soviel iſt ſicher, daß die Eskimos den ganzen Winter hindurch auf die Eisbären Jagd machen können. Allerdings leben die Thiere während des Winters nur in der See, meiſtens auf dem Treibeiſe, wo ſie ſtets hinlängliche Löcher finden, um jederzeit in die Tiefe hinab- tauchen und Robben und Fiſchen nachſtellen zu können. Die trächtigen Bärinnen jedoch ziehen ſich gerade im Winter zurück und bringen in den kälteſten Monaten ihre Jungen zur Welt. Bald nach der Paarung, welche in den Juli, Auguſt oder in den Anfang des September fallen ſoll, bereiten ſich die Bärinnen ein Lager unter Felſen oder überhängenden Eisblöcken oder graben ſich wohl auch eine ſeichte Höhlung in dem gefrornen Schnee aus, thauen durch ihre Körperwärme dieſes Lager ringsum auf, bilden durch den warmen Hauch eine Art Stollen nach oben und laſſen ſich hier nun vollkommen verſchneien. Bei der Menge von Schnee, welche in jenen Breiten fällt, währt es gar nicht lange, bis ihre Winterwohnung eine dicke und ziemlich warme Decke erhalten hat. Der Schnee ſelbſt muß dem Thiere zugleich das nothwendige Trinkwaſſer liefern, ſie freſſen von demſelben ſoviel, als ſie zur Stillung ihres Durſtes gebrauchen. Ehe ſie das Lager bezogen, hatten ſie ſich eine tüchtige Menge von Fett geſammelt, und von ihm zehren ſie während des ganzen Winters; denn ſie verlaſſen ihr Lager nicht eher wieder, als bis die Frühlingsſonne bereits ziemlich hochſteht; mittlerweile aber haben ſie ihre Jungen geworfen. Man weiß, daß dieſelben nach ſechs bis ſieben Monaten ausgetragen ſind, und daß ihre Zahl zwiſchen Eins und Drei ſchwankt; genauere Beobachtungen ſind nicht gemacht worden. Nach Ausſage der nördlichen Völkerſchaften ſollen die jungen Eisbären kaum größer oder nicht einmal ſo groß, als Kaninchen ſein, Ende März oder Anfangs April aber bereits die Größe kleiner Pudel erlangt haben. Weit eher, als die Kinder des Landbären, begleiten ſie ihre Alte auf ihren Zügen. Sie werden von ihr auf das ſorgfältigſte und zärtlichſte gepflegt, genährt und geſchützt. Die Mutter theilt auch dann noch, wenn ſie ſchon halb oder faſt ganz erwachſen ſind, alle Gefahren mit ihnen und wird dem Menſchen, ſolange die Jungen bei ihr ſind, doppelt furchtbar. Schon in der erſten Zeit der Jugend lehrt ſie ihnen das Gewerbe betreiben, nämlich ſchwimmen und Fiſchen nachſtellen. Die kleinen, niedlichen Burſchen ſollen das Eine wie das Andere ſehr bald begriffen haben; ſie machen ſich die Sache aber ſo bequem als möglich und ruhen z. B. auch noch dann, wenn ſie bereits ziemlich groß geworden ſind, bei Ermüdung behaglich auf dem Rücken ihrer Mutter aus. Walfiſch- und Grönlandsfahrer haben uns rührende Geſchichten von der Aufopferung und Liebe der Eisbäreumutter mitgetheilt. „Eine Bärin,‟ erzählt Scoresby, „welche zwei Junge bei ſich hatte, wurde von einigen be- waffneten Matroſen auf einem Eisfelde verfolgt. Anfangs ſchien ſie die Jungen dadurch zu größerer Eile anzureizen, daß ſie voranlief und ſich immer umſah, auch durch eigenthümliche Geberden und einen beſondern, ängſtlichen Ton der Stimme die Gefahr ihnen mitzutheilen ſuchte; als ſie aber ſah, daß ihre Verfolger ihr zu nahe kamen, mühte ſie ſich, jene vorwärts zu treiben, zu ſchieben und zu ſtoßen, und entkam auch wirklich glücklich mit ihnen.‟ Eine andere Bärin, welche von Kane’s Leuten und deren Hunden aufgefunden wurde, ſchob ihr Junges immer ein Stück weiter, indem ſie es mit dem Kopfe zwiſchen Hals und Bruſt klemmte oder von oben mit den Zähnen packte und es ein Stück fortſchleppte. Dabei trieb ſie dann wechſelsweiſe die Hunde zurück. Als ſie erlegt worden war, trat. das Junge auf ihre Leiche und kämpfte gegen die Hunde, bis es, durch einen Schuß in den Kopf ge- troffen, von ſeinem Standpunkte herabfiel und nach kurzem Todeskampfe verendete. Wahrhaft rührend iſt eine andere Geſchichte, welche von der Beſatzung des Schiffes La Carcasse berichtet wurde. „Als daſſelbe im Eiſe ſtecken geblieben war, zeigten ſich einſtmals drei Eisbären ganz

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 619. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/697>, abgerufen am 23.11.2024.