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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Bären. -- Baribal. Tibetanischer Kragenbär.
Tuch, welches noch nicht gebraucht worden war, darüber gebreitet. Dann wurden die Pfeifen zurecht-
gemacht, und der Jndianer blies Tabaksrauch in die Nasenlöcher des Bären. Er hat mich, Dasselbe
zu thun, weil ich, der ich das Thier getödtet habe, dadurch sicher seinen Zorn besäuftigen werde. Jch
versuchte, meinen wohlwollenden und freundlichen Wirth zu überzeugen, daß der Bär kein Leben
mehr habe, meine Worte fanden aber keinen Glauben. Zuletzt hielt mein Wirth eine Rede, in
welcher er den Bären zu verherrlichen suchte, und nach dieser endlich begann man von dem Bären-
fleische zu schmaufen."

Die Amerikaner halten den Baribal oft in Gefangenschaft, hauptsächlich zu dem Zweck, ihn mit
starken Hunden kämpfen zu lassen. Dabei zeigt sich die englische oder amerikanische Rohheit schranken-
los. Doch sieht man den Baribal auch als Gefangenen irgend eines Thierfreundes und dann ge-
wöhnlich als sehr zahmen, gemüthlichen Burschen.

Unsere schwarzen Bären unterscheiden sich durch ihre Sanftmuth und Gutartigkeit wesentlich
von ihren Verwandten. Sie machen ihren Wärtern gegenüber niemals von ihrer Kraft Gebrauch,
sondern erkennen vielmehr die Oberherrlichkeit des Menschen vollkommen an und lassen sich mit
größter Leichtigkeit behandeln. Jedenfalls fürchten sie den Wärter weit mehr, als dieser sie. Aber sie
fürchten sich auch vor jedem andern Thiere. Ein kleiner Elefant, welcher öfters an ihren Käfigen
vorbeigeführt wurde, versetzte sie anfangs so in Schrecken, daß sie eiligst an dem Baume ihres Käfigs
emporklimmten, als ob sie dort Schutz suchen wollten. Zu Kämpfen mit anderen Bären, welche man
zu ihnen bringt, zeigen sie keine Lust, selbst ein kleiner, muthiger ihrer eigener Art kann sich die
Herrschaft im Zwinger erwerben. Wir erhielten im Laufe eines Sommers sechs Baribals, und zwar
außer dem erwähnten Paare noch vier kaum halberwachsene. Als die Letzteren zu den Alten gebracht
wurden, entstand ein wahrer Aufruhr im Zwinger. Die Thiere fürchteten sich gegenseitig wie die
alten Weiber in Gellerts Fabel. Dem erwachsenen Weibchen wurde es beim Anblick der Kleinen
äußerst bedenklich. Es eilte so schnell als möglich auf die höchste Spitze des Baumes; aber auch die
Jungen bewiesen durch Schnaufen und ihren Rückzug in die äußerste Ecke, daß sie sich entsetzlich
fürchteten. Nur der alte Bär blieb ziemlich gelassen, obwohl er fortwährend ängstlich zur Seite
schielte, als ob er fürchte, daß die Kleinen ihn rücklings überfallen könnten. Endlich beschloß er, seine
Hausgenossen genauer in Augenschein zu nehmen. Er näherte sich den Neuangekommenen und be-
schnüffelte sie sorgfältig. Ein mehr ängstliches, als ärgerliches Schnaufen schien ihn zurückschrecken
zu sollen. Als es Nichts half, erhob sich das junge Weibchen auf die Hinterfüße, bog den Kopf tief
nach vorn herab, schielte höchst sonderbar von unten nach oben zu dem ihm gegenüber gewaltigen
Riesen empor, schnaufte ärgerlich und ertheilte ihm, als er sich wiederum nahete, plötzlich eine Ohr-
feige. Dieser eine Schlag war für den alten Feigling genug. Er zog sich augenblicklich zurück und
dachte fortan nicht mehr daran, den unhöflichen Kleinen sich zu nähern. Aber deren Sinn war auch
nur auf Sicherstellung gerichtet. Der Hunger trieb die alte Bärin vom Baume herab, und augen-
blicklich kletterten beide Jungen an ihm empor. Die Furcht bannte sie volle zehn Tage lang an den
einmal gewählten Platz. Die leckerste Speise, der ärgste Durst waren nicht vermögend, sie von oben
herabzubringen. Sie kletterten nicht einmal dann hernieder, als wir die alten Bären abgesperrt und
somit den ganzen Zwinger ihnen zur Verfügung gestellt hatten. Jn der kläglichsten Stellung lagen
oder hingen sie auf den Zweigen Tag und Nacht, und zuletzt wurden sie so müde und matt, daß wir
jeden Augenblick fürchten mußten, sie auf das harte Steinpflaster herabstürzen zu sehen. Dem war
aber nicht so, der Hunger überwand schließlich alle Bedenken. Sie stiegen am zehnten Tage aus freien
Stücken herab und lebten fortan in Frieden und Freundschaft mit den beiden älteren. Der letzte
Baribal, welchen wir in denselben Käfig bringen mußten, benahm sich genau ebenso, obgleich er weit
weniger zuzusetzen hatte, als die beiden ersten Jungen, welche sehr wohlgenährt angekommen waren.

Unsere Baribals geben mir fortwährend Gelegenheit, zu beobachten, wie leicht und geschickt sie
klettern. Wenn sie durch irgend Etwas erschreckt werden, springen sie mit einem Satze ungefähr sechs
Fuß hoch bis zu den ersten Zweigen des glatten Eichenstammes empor und steigen dann mit größter

Die Raubthiere. Bären. — Baribal. Tibetaniſcher Kragenbär.
Tuch, welches noch nicht gebraucht worden war, darüber gebreitet. Dann wurden die Pfeifen zurecht-
gemacht, und der Jndianer blies Tabaksrauch in die Naſenlöcher des Bären. Er hat mich, Daſſelbe
zu thun, weil ich, der ich das Thier getödtet habe, dadurch ſicher ſeinen Zorn beſäuftigen werde. Jch
verſuchte, meinen wohlwollenden und freundlichen Wirth zu überzeugen, daß der Bär kein Leben
mehr habe, meine Worte fanden aber keinen Glauben. Zuletzt hielt mein Wirth eine Rede, in
welcher er den Bären zu verherrlichen ſuchte, und nach dieſer endlich begann man von dem Bären-
fleiſche zu ſchmaufen.‟

Die Amerikaner halten den Baribal oft in Gefangenſchaft, hauptſächlich zu dem Zweck, ihn mit
ſtarken Hunden kämpfen zu laſſen. Dabei zeigt ſich die engliſche oder amerikaniſche Rohheit ſchranken-
los. Doch ſieht man den Baribal auch als Gefangenen irgend eines Thierfreundes und dann ge-
wöhnlich als ſehr zahmen, gemüthlichen Burſchen.

Unſere ſchwarzen Bären unterſcheiden ſich durch ihre Sanftmuth und Gutartigkeit weſentlich
von ihren Verwandten. Sie machen ihren Wärtern gegenüber niemals von ihrer Kraft Gebrauch,
ſondern erkennen vielmehr die Oberherrlichkeit des Menſchen vollkommen an und laſſen ſich mit
größter Leichtigkeit behandeln. Jedenfalls fürchten ſie den Wärter weit mehr, als dieſer ſie. Aber ſie
fürchten ſich auch vor jedem andern Thiere. Ein kleiner Elefant, welcher öfters an ihren Käfigen
vorbeigeführt wurde, verſetzte ſie anfangs ſo in Schrecken, daß ſie eiligſt an dem Baume ihres Käfigs
emporklimmten, als ob ſie dort Schutz ſuchen wollten. Zu Kämpfen mit anderen Bären, welche man
zu ihnen bringt, zeigen ſie keine Luſt, ſelbſt ein kleiner, muthiger ihrer eigener Art kann ſich die
Herrſchaft im Zwinger erwerben. Wir erhielten im Laufe eines Sommers ſechs Baribals, und zwar
außer dem erwähnten Paare noch vier kaum halberwachſene. Als die Letzteren zu den Alten gebracht
wurden, entſtand ein wahrer Aufruhr im Zwinger. Die Thiere fürchteten ſich gegenſeitig wie die
alten Weiber in Gellerts Fabel. Dem erwachſenen Weibchen wurde es beim Anblick der Kleinen
äußerſt bedenklich. Es eilte ſo ſchnell als möglich auf die höchſte Spitze des Baumes; aber auch die
Jungen bewieſen durch Schnaufen und ihren Rückzug in die äußerſte Ecke, daß ſie ſich entſetzlich
fürchteten. Nur der alte Bär blieb ziemlich gelaſſen, obwohl er fortwährend ängſtlich zur Seite
ſchielte, als ob er fürchte, daß die Kleinen ihn rücklings überfallen könnten. Endlich beſchloß er, ſeine
Hausgenoſſen genauer in Augenſchein zu nehmen. Er näherte ſich den Neuangekommenen und be-
ſchnüffelte ſie ſorgfältig. Ein mehr ängſtliches, als ärgerliches Schnaufen ſchien ihn zurückſchrecken
zu ſollen. Als es Nichts half, erhob ſich das junge Weibchen auf die Hinterfüße, bog den Kopf tief
nach vorn herab, ſchielte höchſt ſonderbar von unten nach oben zu dem ihm gegenüber gewaltigen
Rieſen empor, ſchnaufte ärgerlich und ertheilte ihm, als er ſich wiederum nahete, plötzlich eine Ohr-
feige. Dieſer eine Schlag war für den alten Feigling genug. Er zog ſich augenblicklich zurück und
dachte fortan nicht mehr daran, den unhöflichen Kleinen ſich zu nähern. Aber deren Sinn war auch
nur auf Sicherſtellung gerichtet. Der Hunger trieb die alte Bärin vom Baume herab, und augen-
blicklich kletterten beide Jungen an ihm empor. Die Furcht bannte ſie volle zehn Tage lang an den
einmal gewählten Platz. Die leckerſte Speiſe, der ärgſte Durſt waren nicht vermögend, ſie von oben
herabzubringen. Sie kletterten nicht einmal dann hernieder, als wir die alten Bären abgeſperrt und
ſomit den ganzen Zwinger ihnen zur Verfügung geſtellt hatten. Jn der kläglichſten Stellung lagen
oder hingen ſie auf den Zweigen Tag und Nacht, und zuletzt wurden ſie ſo müde und matt, daß wir
jeden Augenblick fürchten mußten, ſie auf das harte Steinpflaſter herabſtürzen zu ſehen. Dem war
aber nicht ſo, der Hunger überwand ſchließlich alle Bedenken. Sie ſtiegen am zehnten Tage aus freien
Stücken herab und lebten fortan in Frieden und Freundſchaft mit den beiden älteren. Der letzte
Baribal, welchen wir in denſelben Käfig bringen mußten, benahm ſich genau ebenſo, obgleich er weit
weniger zuzuſetzen hatte, als die beiden erſten Jungen, welche ſehr wohlgenährt angekommen waren.

Unſere Baribals geben mir fortwährend Gelegenheit, zu beobachten, wie leicht und geſchickt ſie
klettern. Wenn ſie durch irgend Etwas erſchreckt werden, ſpringen ſie mit einem Satze ungefähr ſechs
Fuß hoch bis zu den erſten Zweigen des glatten Eichenſtammes empor und ſteigen dann mit größter

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[606/0682] Die Raubthiere. Bären. — Baribal. Tibetaniſcher Kragenbär. Tuch, welches noch nicht gebraucht worden war, darüber gebreitet. Dann wurden die Pfeifen zurecht- gemacht, und der Jndianer blies Tabaksrauch in die Naſenlöcher des Bären. Er hat mich, Daſſelbe zu thun, weil ich, der ich das Thier getödtet habe, dadurch ſicher ſeinen Zorn beſäuftigen werde. Jch verſuchte, meinen wohlwollenden und freundlichen Wirth zu überzeugen, daß der Bär kein Leben mehr habe, meine Worte fanden aber keinen Glauben. Zuletzt hielt mein Wirth eine Rede, in welcher er den Bären zu verherrlichen ſuchte, und nach dieſer endlich begann man von dem Bären- fleiſche zu ſchmaufen.‟ Die Amerikaner halten den Baribal oft in Gefangenſchaft, hauptſächlich zu dem Zweck, ihn mit ſtarken Hunden kämpfen zu laſſen. Dabei zeigt ſich die engliſche oder amerikaniſche Rohheit ſchranken- los. Doch ſieht man den Baribal auch als Gefangenen irgend eines Thierfreundes und dann ge- wöhnlich als ſehr zahmen, gemüthlichen Burſchen. Unſere ſchwarzen Bären unterſcheiden ſich durch ihre Sanftmuth und Gutartigkeit weſentlich von ihren Verwandten. Sie machen ihren Wärtern gegenüber niemals von ihrer Kraft Gebrauch, ſondern erkennen vielmehr die Oberherrlichkeit des Menſchen vollkommen an und laſſen ſich mit größter Leichtigkeit behandeln. Jedenfalls fürchten ſie den Wärter weit mehr, als dieſer ſie. Aber ſie fürchten ſich auch vor jedem andern Thiere. Ein kleiner Elefant, welcher öfters an ihren Käfigen vorbeigeführt wurde, verſetzte ſie anfangs ſo in Schrecken, daß ſie eiligſt an dem Baume ihres Käfigs emporklimmten, als ob ſie dort Schutz ſuchen wollten. Zu Kämpfen mit anderen Bären, welche man zu ihnen bringt, zeigen ſie keine Luſt, ſelbſt ein kleiner, muthiger ihrer eigener Art kann ſich die Herrſchaft im Zwinger erwerben. Wir erhielten im Laufe eines Sommers ſechs Baribals, und zwar außer dem erwähnten Paare noch vier kaum halberwachſene. Als die Letzteren zu den Alten gebracht wurden, entſtand ein wahrer Aufruhr im Zwinger. Die Thiere fürchteten ſich gegenſeitig wie die alten Weiber in Gellerts Fabel. Dem erwachſenen Weibchen wurde es beim Anblick der Kleinen äußerſt bedenklich. Es eilte ſo ſchnell als möglich auf die höchſte Spitze des Baumes; aber auch die Jungen bewieſen durch Schnaufen und ihren Rückzug in die äußerſte Ecke, daß ſie ſich entſetzlich fürchteten. Nur der alte Bär blieb ziemlich gelaſſen, obwohl er fortwährend ängſtlich zur Seite ſchielte, als ob er fürchte, daß die Kleinen ihn rücklings überfallen könnten. Endlich beſchloß er, ſeine Hausgenoſſen genauer in Augenſchein zu nehmen. Er näherte ſich den Neuangekommenen und be- ſchnüffelte ſie ſorgfältig. Ein mehr ängſtliches, als ärgerliches Schnaufen ſchien ihn zurückſchrecken zu ſollen. Als es Nichts half, erhob ſich das junge Weibchen auf die Hinterfüße, bog den Kopf tief nach vorn herab, ſchielte höchſt ſonderbar von unten nach oben zu dem ihm gegenüber gewaltigen Rieſen empor, ſchnaufte ärgerlich und ertheilte ihm, als er ſich wiederum nahete, plötzlich eine Ohr- feige. Dieſer eine Schlag war für den alten Feigling genug. Er zog ſich augenblicklich zurück und dachte fortan nicht mehr daran, den unhöflichen Kleinen ſich zu nähern. Aber deren Sinn war auch nur auf Sicherſtellung gerichtet. Der Hunger trieb die alte Bärin vom Baume herab, und augen- blicklich kletterten beide Jungen an ihm empor. Die Furcht bannte ſie volle zehn Tage lang an den einmal gewählten Platz. Die leckerſte Speiſe, der ärgſte Durſt waren nicht vermögend, ſie von oben herabzubringen. Sie kletterten nicht einmal dann hernieder, als wir die alten Bären abgeſperrt und ſomit den ganzen Zwinger ihnen zur Verfügung geſtellt hatten. Jn der kläglichſten Stellung lagen oder hingen ſie auf den Zweigen Tag und Nacht, und zuletzt wurden ſie ſo müde und matt, daß wir jeden Augenblick fürchten mußten, ſie auf das harte Steinpflaſter herabſtürzen zu ſehen. Dem war aber nicht ſo, der Hunger überwand ſchließlich alle Bedenken. Sie ſtiegen am zehnten Tage aus freien Stücken herab und lebten fortan in Frieden und Freundſchaft mit den beiden älteren. Der letzte Baribal, welchen wir in denſelben Käfig bringen mußten, benahm ſich genau ebenſo, obgleich er weit weniger zuzuſetzen hatte, als die beiden erſten Jungen, welche ſehr wohlgenährt angekommen waren. Unſere Baribals geben mir fortwährend Gelegenheit, zu beobachten, wie leicht und geſchickt ſie klettern. Wenn ſie durch irgend Etwas erſchreckt werden, ſpringen ſie mit einem Satze ungefähr ſechs Fuß hoch bis zu den erſten Zweigen des glatten Eichenſtammes empor und ſteigen dann mit größter

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 606. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/682>, abgerufen am 25.11.2024.